PM: Kritik am Offenen Brief des Leipziger Flüchtlingsrats e.V.

Auch der Sächsische Flüchtlingsrat e.V. teilt die Kritik am Offenen Brief des Leipziger Flüchtlingsrats e.V. und stellt sich hinter die Verfasser*innen dieser Stellungnahme.


Lieber Herr Uhlman, liebe Kolleginnen und Kollegen des Flüchtlingsrats,

wir sind ein Bündnis aus Mitgliedern des Migrantenbeirats der Stadt Leipzig und migrationspolitisch engagierten Leipzigerinnen und Leipzigern. Wir haben Ihren offener Brief gelesen und können Ihre Sorgen gut nachvollziehen. Es ist schön, dass Sie und Ihre KollegInnen sich engagieren und zu einer friedlichen und respektvollen Weihnachtszeit beitragen möchten. Nichtsdestotrotz halten wir den Weg und die Wortwahl die Sie gewählt haben für sehr bedenklich.

Zunächst einmal scheinen Sie es für angebracht zu halten Menschen anderer Herkunft darüber informieren zu müssen, welche Bedeutung Weihnachten hierzulande hat. Geflüchteten Menschen haben sicher nicht umfassende Kenntnisse über religiöse Feste oder kulturelle Bräuche des neuen Landes. Allerdings halten wir es für fragwürdig, eine solche Informationsvermittlung auf diesem Wege zu vollziehen. Solches und auch anderes Wissen eignen sich Immigranten in der Regel mit der Zeit an. Allerdings ist es unangebracht pauschalisierend davon auszugehen, dass sie bis dahin respektlos gegenüber Sitten und Bräuchen auftreten könnten.

Anschließend appellieren Sie auch direkt an geflüchtete Menschen, dass sie der deutschen Gesellschaft und Regierung (sic!) danken sollen. Hier übernehmen Sie nicht nur in Gänze die Logik vieler Hetzer, sondern offenbaren zudem ein zutiefst bedenkliches paternalistisches Weltbild. Nach Artikel 16a des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland genießen politisch Verfolgte Asyl. Das Asylrecht wird in Deutschland nicht nur auf Grund der völkerrechtlichen Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt, sondern hat als Grundrecht Verfassungsrang. Es dient dem Schutz der Menschenwürde. Es ist traurig, dass der Flüchtlingsrat der Ansicht zu sein scheint, Menschen auffordern zu müssen, sich dafür erkenntlich zeigen zu müssen. Die Menschen sind in der Regel zutiefst dankbar und sollten nicht von einer Institution wie der Ihrigen zusätzlich dazu angeweisen werden.

Weiterhin verweisen Sie auf die Ereignisse der letzten Silvesternacht in Köln. Leider folgen Sie auch in diesem Punkt gänzlich einer kulturalisierenden Logik. Durch die beschämenden Ereignisse wurden vielerorts Menschen in Sippenhaft genommen. Das stimmt. Sich aber dieser Unsitte in einer solchen Form zu beugen ist eine Kapitulationserklärung gegenüber jeglichem kulturalisierenden Rassismus. Besonders befremdlich erscheint es zudem, dass Sie in diese Aufzählung der Betroffenen auch den Imageschaden der Unterstützer mit aufführen. Wir möchten Ihnen dringend raten sich intensiver mit den Lebenswelten der Betroffenen auseinanderzusetzen. Sich als besorgter Helfer in eine Reihe mit den Opfern sexueller Gewalt und den Opfern von Gräueltaten und rassistischen Wahrnehmungsroutinen zu setzen ist völlig unangebracht.

Abschließend sprechen Sie von der „orientalischen Tradition“ Frauen schützen zu müssen. Diese „Tradition“ ist nicht Tradition, sondern ein Gebot der Menschlichkeit. Dabei denken wir allerdings weniger an den Schutz von als schwach imaginierten Frauen, sondern vielmehr an ein universelles Gebot des respektvollen und achtsamen Miteinanders. Für dieses Gebot setzen wir uns mit voller Überzeugung und jeglichem Engagement ein. Jederzeit. Und gegenüber _allen_ Menschen jeglicher Abstammung und Herkunft! Wenn solche Appelle explizit an geflüchtete Menschen gerichtet werden, offenbaren sie ein bedenkliches Weltbild. So zeigen bspw. die Befunde einer repräsentativen Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland des Bundesfamilienministeriums, dass 37 % der Frauen in Deutschland körperliche Gewalt und Übergriffe ab dem 16. Lebensjahr erlebt haben. Hier ein gesellschaftliches Problem auf vermeintlich „Andere“ auszulagern halten wir für falsch! Wir möchten Sie bitten solche sicher gut gemeinten Rundschreiben in Zukunft nicht mehr in solcher Form zu verfassen. Sie offenbaren leider ein zumindest bedenkliches kulturalistisches Weltbild und sind alles andere als hilfreich.

Mit freundlichen Grüßen,

Hassan Zeinel Abidine Leipziger Syrienhilfe e.V.
Özcan Karadeniz, stellv. Vorsitzender des Migrantenbeirats der Stadt Leipzig
Anastasia Krotova, Mitglied des Migrantenbeirats
Juliane Nagel, Stadträtin und MdL DIE LINKE
Petra Cagalj Sejdi, migrationspolitische Sprecherin der Stadtratsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen Leipzig
Kanwal Sethi, Vorsitzender des Migrantenbeirats der Stadt Leipzig

Der Brief des Leipziger Flüchtlingsrats e.V. zur Dokumentation hier als Link.

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