In den ersten sechs Monaten fanden 487 Abschiebungen statt, fast genauso viele Menschen reisten freiwillig aus. Dies geht aus einer Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Juliane Nagel hervor. Besonders kritisch: viele der Abgeschobenen waren Familien.
Mindestens 173 Betroffene der diesjährigen Abschiebungen aus Sachsen lebten in Familien – ein bemerkenswerter Anstieg, da als Argument für mehr Abschiebungen häufig schwere Gewaltstraftäter genannt werden: „Immer mehr Familien abzuschieben, die sich zum Teil Jahre in Sachsen aufgehalten haben, ist weder ethisch vertretbar noch für die Bevölkerung nachvollziehbar“, sagt Dave Schmidtke vom Flüchtlingsrat.
Er kritisiert: „Der Schutz der Familie ist durch Artikel 6 des Grundgesetzes festgehalten, aber wer Kinder und Eltern von der Polizei abführen und in den Flieger setzen lässt, nimmt eindeutig deren Traumatisierung in Kauf“
Hauptzielländer von Abschiebungen
Die meisten Abschiebungen aus Sachsen fanden nach Georgien (78), Nordmazedonien (58), Tunesien (58) und die Türkei (36) statt. Über Missstände in diesen Ländern wird in Sachsen kaum noch gesprochen. „In den letzten Monaten fanden immer wieder Pogrome in der Türkei gegen syrische Geflüchtete statt. Zudem wird zivile Infrastruktur in Nordsyrien durch Bombardierungen des türkischen Militärs zerstört“, mahnt Schmidtke an.
„Offensichtlich herrscht in Deutschland Amnesie darüber, dass kritische Journalisten wie Deniz Yücel inhaftiert wurden. Das Land hat sich immer weiter von demokratischen Grundprinzipien entfernt. Abschiebungen in die Türkei sind abzulehnen.“ Neben Abschiebungen in die Türkei, sind insbesondere die 18 Abschiebungen nach Venezuela zu kritisieren. Diese legitimieren eine Diktatur, die Abgeschobene als „Landesverräter“ strafrechtlich verfolgt.
Fehlende Sinnfrage in der Abschiebeoffensive
Abschiebungen sind neben dem verursachten Leid für Betroffene extrem kostspielig und aufwendig, da über Monate Ressourcen sächsischer wie bundesweiter Behörden benötigt werden. Außerdem scheitern bundesweit zwei von drei Abschiebungen, daher scheinen andere Instrumente wie die freiwillige Ausreise weitaus sinnvoller. Hierfür entschieden sich im ersten Halbjahr 2024 mindestens 486 Personen in Sachsen – nahezu exakt die gleiche Anzahl der Menschen, die dann abgeschoben wurden.
„Wenn Abschiebungen für Einzelpersonen über 100.000 Euro kosten, muss deren Intention grundsätzlich hinterfragt werden. Es ist offensichtlich, dass mit solch exorbitanten Summen Integrationsangebote für das Vielfache an Menschen hätten organisiert werden können“, kritisiert Schmidtke die aktuelle Abschiebepraxis.
Der Sächsische Flüchtlingsrat lehnt die derzeitig inhumane Abschiebepraxis ab und fordert eine stärkere Fokussierung auf hiesige Integrationsmaßnahmen.
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