Am Sonntag wählt Sachsen einen neuen Landtag: im Wahlkampf spielen auch Begriffe wie Krieg oder Frieden eine zentrale Rolle. Ob im Zusammenhang mit der Lage in Nahost oder der Ukraine, es scheint als hätte der Freistaat tatsächlich in außenpolitischen Belangen Entscheidungsgewalt. Diejenigen, die tatsächlich die Verwüstung ihrer Heimat miterlebten und nun einen Neustart im Freistaat wagen, wird dabei zu selten zugehört – deswegen folgen hier eine syrische und eine ukrainische Perspektive zum Thema.
Von Dave Schmidtke
Natürlich ist es eine Illusion, dass sächsische Politik zu globalen Friedensprozessen einen Beitrag leisten kann. Hinzu kommt, dass die hiesige Bevölkerung seit 1945 keinen militärischen Konflikt mehr erleben musste und von Krieg wie Frieden zunehmend abstrakter gesprochen wird. Mehr als 120 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, der Großteil lebt in den Nachbarländern der Konflikte. Allein im Sudan wurden über 9 Millionen Menschen durch den andauernden Krieg zwischen Militär und international finanzierten RSF-Milizen vertrieben. Zeitgleich bewegt sich Europa politisch nach rechts und schottet sich vor Fliehenden zunehmend ab.
So wie die Grenzzäune an Europas Peripherie in die Höhe wachsen, entkoppelt sich der innerdeutsche Diskurs zunehmend von tatsächlichen Fluchtursachen. Salonfähige Hetze gegen Schutzsuchende verursacht eine Ignoranz, die es verbietet über die Realität von Ländern wie Syrien zu sprechen. Denn im Norden des kriegsgeplagten Landes installiert das Militär der Türkei eine 50 km lange „Sicherheitszone“, die sich in kurdischen Gebieten befindet. Nachdem das Gebiet über Jahre Ziel türkischer Luftangriffe war, sollen dort syrische Geflüchtete aus der Türkei neu angesiedelt werden. Erdogan kündigte dafür im letzten Jahr an, über eine Million Geflohene dorthin abzuschieben. Erdogan verhandelt mit Assad über einen Waffenstillstand, doch zuvor werden Besitzansprüche verhandelt – hierzulande werden derweil Abschiebungen nach Syrien zum Thema, die auch vom Kanzler Scholz gefordert werden.
Syrien im freien Fall
Anas Mousa[1] wuchs in Damaskus auf und lebt heute in Dresden. Er schildert aus seiner Sicht, warum selbst nach einer möglichen landesweiten Waffenruhe der Konflikt nicht enden würde: „Ich glaube es wird leider keinen echten Frieden geben, dafür sind die externen Interessen zu groß. Selbst wenn Assad nicht mehr Diktator wäre, würde er durch die nächste Person ersetzt, die regionalen und globalen Großmächten besser nützt. Auch wenn diese Person nicht von Russland unterstützt wird, muss sie zumindest die USA oder die NATO unterstützen.“
Um sich genau diesen äußeren Abhängigkeiten und den Diktaturen zu entledigen, begann im Dezember 2010 der „Arabische Frühling“, als sich der tunesische Gemüsehändler Mohammed Bouazizi im Widerstand selbst entzündete. In Staaten wie Libyen, Ägypten, Tunesien oder eben auch Syrien begann der große Traum für nachhaltigen Frieden und Gerechtigkeit. Als die Proteste in Damaskus beginnen ist auch Anas Mousa beteiligt: „Wir wollten auf die Straße für einen wirklichen Frieden – frei von der Diktatur Assads, die seit Jahren Menschen foltert. Alles schien möglich, bis sich andere Staaten eingemischt haben. Dann war der Klang der Kugeln lauter als unsere Stimmen. Wir waren einfach nicht darauf vorbereitet, dass so viele Staaten lauern.“
Und tatsächlich ist die Liste der Länder, die sich in den Syrien-Krieg einmischten schier endlos: Russland, Iran, Libanon, Israel, Saudi-Arabien, Quatar, USA, Frankreich und weitere Staaten unterstützen unterschiedliche Interessensgruppen. Kurz nach Beginn des Krieges in Syrien im Jahr 2011 berichtete die Tagesschau nahezu täglich zur Eskalation im Land, die mehr als einer halben Million Menschen das Leben kostete. Rufe zu Abschiebungen nach Damaskus wären zum damaligen Zeitpunkt undenkbar gewesen.
Gleiche Krisen veränderte Wahrnehmung
Genauso undenkbar wäre es, hätte ein CDU-Politiker im März 2022 ukrainische Geflüchtete als „Sozialtouristen“ bezeichnet – einige Monate später wurde es Realität. In einer Welle der Solidarität schienen höhere Sozialleistungen und Aufenthaltstitel für Menschen aus der Ukraine zunächst unantastbar. Diese Entscheidung ist bis heute richtig, es fehlte lediglich eine Angleichung dieser Bedingungen für andere Schutzsuchende. Aber in der Unterstützung für Ukrainer*innen regt sich heute Widerstand – in Debatten wird die Kürzung ihrer Sozialleistungen gefordert. Gerade in Sachsen werden Stimmen oder neue Parteien unterstützt, welche die militärische Unterstützung der Ukraine ablehnen und endlich „Frieden“ mit Russland fordern.
Für die ukrainische Lehrerin Oxana Levko[2] braucht es kein langes Nachdenken was tatsächlich den Krieg beenden könnte: „Es reicht eine einzige Entscheidung der russischen Führung aus, die Kriegshandlungen zu beenden und alle Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Dies könnte eine Notiz oder ein Telefonanruf sein. Dieser Schritt ist sehr einfach und könnte innerhalb einer Minute jederzeit durchgeführt werden.“
Aus ihrer Sicht zeigt dieses Handeln, dass das russische Militär nicht an Frieden, sondern an Landnahme interessiert ist. Genau hier scheitern geopolitische Realitäten an sächsischen Illusionen über die Absichten von Putins Regime. Die Beziehung Sachsens zu Russland ist speziell und über Jahrzehnte miteinander verwoben. Obwohl erstaunlich wenige Moskautreue in Sachsen tatsächlich ins autoritäre Russland auswandern wollen, verbreiten sie ausdauernd aktuelle Botschaften des Kremls.
Wenn in Sachsen zu Russland gesprochen wird
„Mir zieht sich das Herz vor Schmerz zusammen, wenn ich Artikel lese oder Interviews höre, in denen russische Narrative den deutschen Lesern oder Zuhörern nahegebracht werden. Solche Narrative werden sehr geschickt in die Ängste der Menschen in Bezug auf ihre eigene Sicherheit, die wirtschaftliche Entwicklung, die Erziehung ihrer Kinder und andere Themen eingeflochten.“
Die Verzerrung der Wahrnehmung, die Oxana Levko hier beschreibt, ist folgenreich. Denn eine Hauptursache für die größten Fluchtbewegungen nach Deutschland seit 2015 – über 2.2 Millionen Menschen flohen aus Syrien und der Ukraine nach Deutschland – ist ebendieses russische Regime. Neben den Kürzungen bei Ausgaben für Nahrungsmittel in Camps der Nachbarländer Syriens, waren es auch russische Luftangriffe auf Städte wie Aleppo, die Millionen zur Flucht zwangen.
Auch in der Ukraine sind zahlreiche Städte und deren Infrastruktur durch die russische Armee zerstört wurden. Aktuell werden so viel russische Raketen auf ukrainische Städte abgefeuert wie seit Februar 2022 nicht mehr. Darunter auch Millionenstädte wie Kharkiv. Das Verharmlosen dieser Realitäten oder der Absichten Putins ist für Oxana Levko nicht nachvollziehbar.
Sie wird deutlich und beschreibt im Detail die abartigen Schrecken des Krieges: „Menschen, die Putins und Russlands Politik unterstützen, unterstützen den Krieg in der Ukraine; Syrien; Georgien oder Tschetschenien. Wahrscheinlich haben sie nicht gesehen, wie auf der Straße die abgerissenen Arme und Beine ihrer Nachbarn liegen. Nicht gesehen, wie Eltern ihre Kinder auf den Spielplätzen beerdigen, die sie gerade aus den Trümmern eines durch eine Explosion zerstörten Kindergartens oder Krankenhauses geborgen haben. Nicht gesehen, wie im Hof ihres Hauses aufgeputscht wirkende Soldaten ihren Vater ohne jeden Grund erschießen. Und wenn sie das gesehen oder darüber gelesen haben und es trotzdem unterstützen, dann haben sie sich bewusst auf die Seite des Bösen gestellt.“
Angesichts solcher Tatsachenberichte, fällt es schwer die plumpe Wahlkampf-Rhetorik aus manchen Ecken des Freistaates zu Krieg oder Frieden ernst zu nehmen. Natürlich kämpfen im Krieg mindestens zwei Seiten und meist zwei unterschiedliche Weltanschauungen. Aber warum sich die ukrainische Bevölkerung eher Richtung Westeuropa bewegt, ist offensichtlich: sie wird aus dem Osten angegriffen und litt über Jahrzehnte unter der Herrschaft der Sowjetunion. Der Hungertod von 3,5 Millionen Ukrainer*innen während des Holodomor unter Josef Stalin ist hier sicher das schwerwiegendste Beispiel.
Frieden bedeutet Arbeit – auch nach den Landtagswahlen
Es bleibt dabei: Sachsen kann keine aktuellen Kriege verhindern, sondern nur den eigenen Frieden erhalten. Dafür ist es heute notwendiger denn je, Stimmen zuzuhören, die aus erlebten Erfahrungen berichten. Allein ihre Präsenz sollte Warnung an uns sein, dass aktuelle gesellschaftliche Gräben nicht in Sonntagsreden verharmlost, sondern im täglichen Einsatz für ein gleichberechtigtes Miteinander zugeschüttet werden. Anas Mousa sorgt sich derzeit: „Wenn es so weiter geht, gibt es auch hier mehr Gewalt zwischen Gruppen. Auch ich bin heute schnell mit einer Meinung in einer Schublade, in der ich mich überhaupt nicht sehe. Nach dem Motto: Bist du nicht für mich, bist du mein Feind. Das ist der Anfang vom Übel, vor allem da einige in der Politik gerade versuchen das Land zu spalten. Das ist extrem gefährlich!“
Nicht ohne Grund wurde in Sachsen seit Jahresbeginn auf Demonstrationen vor der Unterwanderung der Demokratie durch Rechtsextremismus gewarnt. #Niewiederistjetzt muss vom Hashtag zur Handlungsaufforderung werden, sich ausbrechendem Faschismus auf allen Ebenen entgegen zu stellen. Frau Levko betont: „Frieden bedeutet nicht Entspannung und Untätigkeit, und auf keinen Fall bedeutet es eine Versöhnung mit einem Aggressor, der unabhängige Staaten besetzt. Der Frieden wird bewahrt, wenn Deutschland seine Entschlossenheit im Kampf für demokratische Werte zeigt.“
[1] Name durch die Redaktion geändert.
[2] Name durch Redaktion geändert.