Von Taliban entführt und gefoltert: Freiwillige Rückkehr von Sachsen nach Afghanistan endet in Katastrophe

Herr Noorzai* ist 24 Jahre alt, seit dem letzten Jahr verheiratet und kam 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Deutschland. Jahrelang war er selbst ehrenamtlich in der Hilfe für andere Geflüchtete in Bautzen aktiv. Nach langjährigen psychischen Belastungen und fehlenden Perspektiven kehrte er 2025 notgedrungen nach Afghanistan zurück. Dort geriet er in Lebensgefahr: Mehrfach von den Taliban verhaftet und zuletzt schwer verletzt, ist seine Situation aktuell kritisch. Sein Fall zeigt die extreme Gefährdung Rückkehrer aus Deutschland, die sich hier bereits ein Leben aufgebaut hatten.

Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

Bashir Noorzai*: Ich musste 2015 nach Deutschland fliehen, weil meine Situation und die meiner Familie immer gefährlicher wurde. Es gab andauernd Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen – es herrschte Chaos in meiner Region. Ein Ende schien kaum möglich. Nach meiner Ankunft habe ich direkt begonnen intensiv die deutsche Sprache zu lernen.

2017 habe ich zusätzlich eine DAZ-Klasse (Anm. d. Redaktion: Klassen, in denen mit besonderen Fokus Deutsch als Zweitsprache gelehrt wird) besucht, um meine Sprachkenntnisse weiter zu verbessern. Zwischen 2018 und 2019 habe ich ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert, weil ich einen Hauptschulabschluss nachholen wollte.

Konnten Sie danach arbeiten oder wie ging es für Sie weiter?

2020 habe ich meine erste Berufserfahrung in der Lagerlogistik gemacht. 2021 war ich für einen Monat über eine Zeitarbeitsfirma in der Produktion tätig. Dort habe ich  im 3-Schicht-System Autoteile für Audi, Mercedes und BMW gefertigt. Das hat mir gut gefallen. Deswegen war ich danach fast zwei Jahre bei der AKF Fahrzeugteile GmbH in Bautzen angestellt.

Ab 2023 habe ich mich dann stark in der Flüchtlingshilfe engagiert: Ich habe Geflüchtete bei der Wohnungssuche, bei Behördengängen – etwa zur Ausländerbehörde – und bei wichtigen Unterlagen für das BAMF unterstützt. Auch die beiden Jahre danach war ich als Sozialhelfer aktiv.

In der Herkunftsregion von Herr Noorzai* sind noch die Einschusslöcher in vielen zerstörten Gebäuden sichtbar – die Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen haben gerade auf dem Land enorm viel Infrastruktur zerstört. Foto: privat

Seit 2025 war ich dann arbeitssuchend gemeldet. Unter anderem habe ich mich am Flughafen Leipzig beworben und bereits mehrere Vorstellungsgespräche geführt, aber nie eine Rückmeldung bekommen. Wichtiger als Hobbys oder andere Jobs ist mir auf jeden Fall die soziale Arbeit: Weil ich selbst in der Lage war, möchte ich Menschen in schwierigen Lebenslagen weiterhelfen und sie unterstützen.

Neben der Arbeit: welche persönlichen Erfahrungen haben Sie in Deutschland gemacht – eher positive oder negative?

In Deutschland habe ich sowohl positive als auch herausfordernde Situationen erlebt. Besonders die Anfangszeit war als Ausländer nicht leicht. In Bautzen zum Beispiel war die Stimmung gegenüber Ausländern manchmal angespannt – ich habe auch miterlebt, dass es dort Probleme mit rechtsextremen Gruppen gab.

Trotzdem ist es mir gelungen, im Laufe der Zeit viele gute Kontakte zu knüpfen. Ich habe einige Deutsche kennengelernt, die uns gegenüber offen und freundlich waren. Insgesamt blicke ich dankbar auf meine Zeit in Deutschland zurück – sie war für mich nicht nur „so lala“, sondern eine entscheidende und positive Lebensstation. Ich war damals noch sehr jung und konnte viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Glücklicherweise hatte ich keine schlimmen persönlichen Erlebnisse, dafür bin ich sehr dankbar.

Was hat Sie dazu bewogen, wieder nach Afghanistan zurückzukehren, und wie ist Ihre aktuelle Situation?

Ich bin damals nach Afghanistan zurückgekehrt, weil ich hoffte, dass sich die Lage dort verbessert hat und mein Heimatland wieder stabil und sicher genug für einen Neuanfang ist. Außerdem habe ich meine Familie vermisst. Ich stellte mir die Frage: Warum soll ich in Deutschland bleiben, wenn ich auch wieder in meiner Heimat leben könnte?

Leider erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Die Realität war schlimmer, als ich es erwartet hatte. Die Sicherheitslage ist äußerst schlecht, und ich befinde mich weiterhin in großer Gefahr.

Was genau ist Ihnen nach der Ankunft passiert?

Vor meiner Rückkehr nach Afghanistan hatte ich große Hoffnung. Doch schon am zweiten Tag nach meiner Rückkehr wurde ich von Personen, die mit den Taliban arbeiten, festgenommen und mehrere Tage unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Ich wurde geschlagen und misshandelt. Sie wollten Geld von mir und meiner Familie erpressen.

Nach meiner Freilassung begann ein Leben in ständiger Angst: Ich kann nicht bei meiner Familie wohnen, sondern muss fast die ganze Zeit draußen und auf der Flucht verbringen. Nur etwa eine Stunde pro Tag habe ich, um meine Frau und meine Familie kurz zu sehen – danach muss ich mich sofort wieder verstecken. Eigentlich bin ich auf der Flucht im eigenen Land.

Weil sich Bashir Noorzai* nach der Entführung verstecken muss, lebt er aktuell in einer Großstadt entfernt von seinen Angehörigen. Foto: privat

Die psychische Belastung ist enorm. Es gab sogar Momente, in denen ich nicht mehr weiterwusste und daran dachte, alles zu beenden. Aber ich halte durch – vor allem, weil meine Frau an mich glaubt und mich stützt. Sie leidet genauso wie ich. Unsere Hoffnung ist, dass wir irgendwann wieder in Sicherheit und Würde leben können. Wie lange ich diese Situation noch aushalte, weiß ich nicht. Aber ich will leben und hoffe auf Schutz und Unterstützung.

Sehen Sie trozdem eine Chance, dass Sie in Afghanistan bleiben können – vielleicht in einer anderen Region?

Ich kann aus mehreren Gründen nicht mehr in Afghanistan bleiben. Der wichtigste Grund ist die andauernde Bedrohung meines Lebens. Seit meiner Rückkehr habe ich keine Sicherheit erlebt. Ich bin ständig gezwungen, mich zu verstecken, und ein normales Leben ist für mich hier unmöglich.

Ein weiterer Punkt: Ich habe keine Arbeit. Seit meiner Rückkehr gibt es keine Möglichkeit, zu arbeiten oder meine Familie zu versorgen. Im Moment unterstützen mich noch meine Angehörigen, aber sie haben auch kaum Mittel und wie lange sie das leisten können, weiß niemand. Es ist eine enorme Belastung für uns alle – ich will nicht auf Hilfe angewiesen sein.

Ich bin oft sehr verzweifelt. Es gibt Momente, da bin ich ohne Hoffnung – und ohne Lebenswillen. Ich frage mich: Ist das überhaupt noch ein Leben? Ich bin ohnehin in Gefahr, doch ich sehe keinen Ausweg, solange ich bleiben muss. Ohne Sicherheit, ohne Perspektive – so ist ein Leben für mich nicht möglich. Mein größter Wunsch ist, gemeinsam mit meiner Frau in Sicherheit und mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft leben zu dürfen.

Eine furchtbare Situation, die sie mit vielen Menschen teilen. Besonders weil seit Monaten Hunderttausende geflüchtete Afghan*innen aus dem Iran oder Pakistan abgeschoben werden. Haben Sie Kontakt zu diesen Menschen?

Seit meiner Rückkehr bin ich mit vielen Menschen in Kontakt, die aus dem Iran abgeschoben wurden. Ich habe ihre Situation mit eigenen Augen gesehen – es ist eine Katastrophe.

Viele der Menschen haben viele Jahre oder Jahrzehnte im Iran gearbeitet, bekamen bei der Abschiebung aber ihren Lohn und ihr Erspartes nicht ausbezahlt. Sie kamen ohne Geld, Besitz oder Unterkunft nach Afghanistan zurück. Es gibt massive Probleme für sie: Arbeitslosigkeit, Armut und auch keine soziale Unterstützung.

Viele Abgeschobene haben kein Zuhause und leben in Zelten oder werden mit Bussen in verschiedene Provinzen gebracht – ohne dort Familie, Arbeit oder eine Wohnung zu haben. Die Regierung investiert zwar in Straßenbau, aber um die Grundbedürfnisse – Essen, Arbeit, Wohnraum – kümmert sich kaum jemand. Die internationalen Organisationen bieten etwas Nothilfe, etwa Zelte und Lebensmittel – aber es reicht nicht für alle.

Sehen Sie trotz der aktuellen Lage irgendwelche Perspektiven, dass es dem Land später besser gehen könnte?

Ich bin dankbar, dass es in Afghanistan zurzeit keinen offenen Krieg gibt. Aber Frieden allein reicht nicht zum Leben. Es gibt keine Arbeit, viel Armut und kaum keine Möglichkeit, sich eine Zukunft aufzubauen. Viele, auch ich, würden gerne etwas für sich und ihre Familie schaffen –aber wer gar nichts hat, bekommt keine Chance anzufangen. Das Wort „Zukunft“ ist für mich ein leeres Wort.

Besonders enttäuschend finde ich: Gelder, die als Hilfe aus Europa und von internationalen Organisationen nach Afghanistan geschickt werden, kommen bei der Bevölkerung kaum an. Viele berichten – und ich habe es auch erlebt –, dass diese Gelder in den Taschen der Politiker und Machthaber verschwinden. Die Bevölkerung bleibt meistens ohne Unterstützung zurück.

Wie nehmen Sie die aktuelle Lage und die Behandlung von Geflüchteten in Deutschland wahr?

Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was ich davon halten soll – früher war es schwierig, aber heute ist es nicht leichter. Viele Flüchtlinge haben sich in Deutschland etwas aufgebaut, hart gearbeitet und teilweise sehr belastende Jobs übernommen, zum Beispiel auf Baustellen oder in der Produktion.

Trotzdem habe ich oft das Gefühl, dass Ausländer in Deutschland nicht wirklich gewollt sind. Es gibt sehr freundliche, offene Deutsche, aber manche lehnen alles Fremde ab. Dabei ist es doch ganz klar, dass viele Bereiche in Deutschland ohne ausländische Arbeitskräfte nicht mehr funktionieren würden.

*Name des Betroffenen wurde aus Sicherheitsgründen anonymisiert.

Hinweis: Wer Herr Noorzai oder seine Familie unterstützen will, kann sich gern bei uns unter pr@sfrev.de melden. Da die aktuelle Bundesregierung alle legalen Fluchtwege über bspw. Aufnahmeprogramme blockiert, bestehen derzeit kaum rechtliche Chancen für eine Rückkehr.

 

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