Die seit April 2024 schrittweise von sächsischen Landkreisen eingeführte Bezahlkarte für Menschen im Asylverfahren sollte auch Behörden entlasten – nun melden einige Regionen das Gegenteil. In der Theorie zur Eindämmung angeblicher „Pull-Faktoren“ eingeführt, kontrolliert und diskriminiert sie Betroffene in der Praxis. So stoßen die Karten auf erhebliche Kritik von Rechtsanwält*innen, NGOs, Migrationsforschung und Geflüchteten selbst.
Flächendeckende Probleme bei der Einführung der Bezahlkarte
„Seit der Einführung erreichen uns zahlreiche Beschwerden von den Geflüchteten, die diese nutzen müssen. Wochenmärkte, kleinere Lebensmittelläden, Rechtsbeistand oder Sportvereine nehmen die Bezahlkarte nicht an oder haben schlichtweg keine passenden Kartenlesegeräte. Kinder können kein Bargeld mehr für Materialien, Ausflüge oder Essen mit in die Schule nehmen. Auch Überweisungen für Online-Einkäufe – zum Beispiel auf Ebay – sind ausgeschlossen. Das trifft insbesondere Schutzsuchende auf dem Land aufgrund der dort fehlenden Infrastruktur.“ so Dave Schmidtke, Pressesprecher des Sächsischen Flüchtlingsrates.
Beidseitige Blockade: Behörden müssen jede Überweisung freigeben
Schutzsuchende müssen dem Landratsamt für jede Überweisung die IBAN übermitteln, welche dann geprüft und per Hand auf der Bezahlkarte freigegeben werden muss. Schmidtke dazu: „Betroffene aus Bautzen und Hoyerswerda kommen mit Mahnbescheiden sowie Kündigungsandrohungen von Kita, Handyvertrag oder Deutschlandticket in unsere Beratung. Denn Fristen für Zahlungen können nicht eingehalten werden, wenn einige Ämter diese nicht rechtzeitig bewilligen.“
Doch Eingeständnisse von Problemen gibt es von öffentlicher Seite nicht: „Die Bezahlkarte soll um jeden Preis als Erfolg dargestellt werden, dabei ist sie aktuell kein Instrument zum Verwaltungsabbau, sondern blockiert diese. Außerdem nimmt sie Menschen mit Fluchtgeschichte die Möglichkeit auf Selbstbestimmung und demokratische Teilhabe“, so Schmidtke weiter.
Nach welchen Maßgaben die persönliche Freigabe erfolgt und datenschutzrechtlich tragbar ist, bleibt fraglich. Der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Höfler sagt: „Der Einsatz der Bezahlkarte zeigt bereits jetzt, dass es zu willkürlichen Entscheidungen einzelner Landkreise in Sachsen kommt.“
50 Euro im Monat sind zu wenig
„Die Gewährung von monatlich lediglich 50 EUR in bar widerspricht meiner Meinung nach der gesetzlichen Intention dahingehend, dass zumindest mit dem gewährten notwendigen persönlichen Bedarf in Höhe von aktuell circa 200 EUR monatlich für Alleinstehende, Geflüchteten ein gewisser Gestaltungsspielraum eröffnet werden sollte“ kritisiert Höfler weiter.
Der monatlich abhebbare Bargeldbetrag von 50 Euro pro erwachsene Person und 10 Euro pro Kind reichen nicht aus, um den Grundbedarf zu decken. Hinzu kommt zum Beispiel im Landkreis Bautzen die Einschränkung, dass lediglich einmal pro Monat Bargeld abgehoben werden darf und die Abhebungsfunktion dann einen Monat lang gesperrt ist. Es ist weiterhin vorgesehen, dass lediglich der „Haushaltsvorstand“ eine Bezahlkarte erhält, sodass die Familienmitglieder nicht unabhängig voneinander ihre Leistungen erhalten und nutzen können. Die Nutzung der Karte ist auf Sachsen beschränkt, was die Betroffenen in ihrer Mobilität direkt einschränkt.
Sozialleistungen als „Pull-Faktor“ wissenschaftlich widerlegt
Das Sächsische Innenministerium begründet die Einführung der Bezahlkarte fälschlicherweise damit, dass die Sozialleistungen in Deutschland „offensichtlich“ Pull-Faktoren darstellten. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM-Institut) widerspricht: „Die Diskussion um die Bezahlkarte stellt einen scheinbaren Zusammenhang von Migration und hohen Sozialleistungen her. Ein Zusammenhang, der bei näherer Betrachtung wissenschaftlich nicht belegt werden kann,“ kritisiert die wissenschaftliche Geschäftsführerin Dr. Noa K. Ha in einer Stellungnahme.
Für die Wahl des Ziellandes sind insbesondere Chancen auf Aufenthalt, demokratische Strukturen oder Community-Netzwerke von Bedeutung[1]. Schmidtke bestätigt: „Auch wir sehen keinerlei Effekt auf die Zugangszahlen von Schutzsuchenden durch Bezahlkarten. Wer vor Diktaturen, Krieg und Elend flieht, interessiert sich nicht für Sozialleistungen. Diese Debatte festigt lediglich das diskriminierende Klischee des arbeitsunwilligen Geflüchteten.“
[1] https://www.dezim-institut.de/presse/presse-detail/wissenschaftliche-einschaetzungen-zur-bezahlkarte-fuer-gefluechtete/