Razzien gegen politisch aktive Geflüchtete aus Eritrea: “Terrorvorwurf entwertet berechtigten Widerstand”

Das Interview mit Jenny Ouédraogo führte Osman Oğuz aus unserer Öffentlichkeitsarbeit.

In Deutschland leben heute über 82.000 Menschen aus Eritrea – eine Zahl, die sich seit 2013 fast versiebenfacht hat. Auch in Sachsen ist die eritreische Community in den letzten Jahren stark gewachsen. Die meisten dieser Menschen sind vor einem repressiven Regime geflüchtet, das sie mit Zwangsrekrutierung, politischer Verfolgung und ökonomischer Perspektivlosigkeit konfrontiert hat. Während die internationale Öffentlichkeit Eritrea oft nur am Rande wahrnimmt, hat sich in der Diaspora eine vielfältige politische Bewegung formiert – nicht selten unter schwierigen Bedingungen. Inmitten dieser Entwicklungen kam es jüngst in mehreren Bundesländern zu groß angelegten Razzien gegen politisch aktive Geflüchtete aus Eritrea. Der Vorwurf: Terrorismus. Doch was steckt hinter dieser Eskalation? Und wie wirkt sie sich auf das politische Engagement der Diaspora aus? Darüber sprechen wir mit Jenny Ouédraogo, Projektmanagerin für West- und Ostafrika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Zunächst eine etwas zu allgemeine Frage: In Deutschland leben über 82.000 Menschen aus Eritrea. Bis 2013 waren es noch weniger als 12.000. Die meisten Menschen aus Eritrea in Deutschland sind also Geflüchtete, die in den letzten 12 Jahren gekommen sind. Wie erklärst du diesen Anstieg der Zahlen? Was sind die Hauptgründe für ihre Flucht?

Ein zentraler Grund für die Flucht vieler Menschen aus Eritrea ist das Fehlen politischer und wirtschaftlicher Perspektiven. Diese Hoffnungslosigkeit steht in engem Zusammenhang mit dem herrschenden Militärsystem, das nahezu alle Lebens- und Bildungswege im sogenannten Nationaldienst münden lässt. Dieser Dienst ist meist zeitlich nicht begrenzt – viele Menschen verbringen Jahre darin, oft ohne Aussicht auf Entlassung, und bleiben darüber hinaus dauerhaft als Reservisten verpflichtet. Auch wenn es in Eritrea keinen offenen Bürgerkrieg wie in manchen anderen Ländern gibt, ist die Zahl derjenigen, die das Land verlassen, außergewöhnlich hoch. Das deutet auf gravierende strukturelle Missstände hin und zeigt, dass die Fluchtursachen systemischer Natur sind – keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines repressiven Systems.

Welche typischen Routen wählen eritreische Geflüchtete, um nach Europa oder in andere sichere Länder zu gelangen? Welche Gefahren begegnen sie auf diesen Wegen – insbesondere in Ländern wie Sudan, Libyen oder im Mittelmeerraum?

Die Fluchtroute vieler eritreischer Geflüchteter führt in der Regel zunächst in benachbarte Länder wie den Sudan oder Äthiopien. Von dort aus versuchen zahlreiche Menschen, weiter nach Europa zu gelangen, häufig über Nordafrika, insbesondere Libyen, und dann über das zentrale Mittelmeer in Richtung Italien oder Malta. 

Diese Route birgt enorme Gefahren und ist mit vielfältigen Risiken verbunden. Im Sudan, das lange als wichtiges Transitland galt, sind Geflüchtete in den letzten Jahren vermehrt Gewalt, Erpressung und Ausbeutung ausgesetzt – nicht zuletzt aufgrund des anhaltenden Bürgerkriegs. Auch in Libyen hat sich die Situation dramatisch verschärft. Viele Menschen geraten dort in die Hände krimineller Organisationen, die sie in Lager verschleppen, unter extremen Bedingungen festhalten und oft misshandeln oder sexuell ausbeuten. Es gibt zahlreiche dokumentierte Fälle von Menschenhandel, willkürlichen Inhaftierungen und Mord. Libyen gilt unter Geflüchteten als eine der gefährlichsten Stationen auf dem Weg nach Europa. Selbst wer die Küste erreicht, ist noch lange nicht in Sicherheit. Die Überfahrt über das Mittelmeer erfolgt meist in überladenen, unsicheren Booten, ohne ausreichend Wasser, Treibstoff oder Navigationshilfen. Immer wieder kommt es zu tragischen Schiffsunglücken, bei denen tausende Menschen ihr Leben verlieren. Hinzu kommt, dass die Seenotrettung im Mittelmeer stark eingeschränkt und politisch umstritten ist, was die Situation für Schutzsuchende noch weiter verschärft. Trotz all dieser Gefahren entscheiden sich viele Eritreer*innen, diese gefährliche Route auf sich zu nehmen – nicht aus Abenteuerlust oder wirtschaftlicher Hoffnung, sondern weil die drückende Repression, Perspektivlosigkeit und der endlose Nationaldienst in Eritrea keine andere Option lassen.

Neben der Diktatur mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen gibt es aus Eritrea seit sehr Langem Berichte über extreme Armut. So berichtet „Aktion Deutschland Hilft“, dass jeder zweite Mensch im Land unter der Armutsgrenze lebt. Wovon leben die Menschen in Eritrea und warum gibt es so viel Armut?

Die extreme Armut in Eritrea resultiert in erster Linie aus dem autoritären Regime, das die Wirtschaft streng kontrolliert. Der verpflichtende Militärdienst zieht viele Arbeitskräfte ab und bremst das wirtschaftliche Wachstum. Die Landwirtschaft kämpft mit niedrigen Erträgen, wiederkehrenden Dürreperioden und einem Mangel an modernen Anbaumethoden. Darüber hinaus machen internationale Sanktionen und die politische Isolation den Handel schwierig. Viele Menschen sind auf die Subsistenzwirtschaft angewiesen und haben nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Bildung und Gesundheitsdiensten. Diese Armut ist eine direkte Konsequenz der politischen Repression und des fehlenden wirtschaftlichen Fortschritts im Land.

Aber die Menschen hatten doch andere Hoffnungen als diese Situation, als Eritrea 1993 unabhängig wurde, wofür viele Menschen über 30 Jahre gekämpft haben, oder? Welche Hoffnungen waren mit dem Unabhängigkeitskampf verbunden und warum endete er so schnell in einer Diktatur?

Mit der Unabhängigkeit Eritreas verbanden viele Menschen enorme Hoffnungen – nicht nur auf ein freies und souveränes Land, sondern auch auf Demokratie, Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Wiederaufbau nach Jahrzehnten des Befreiungskriegs gegen Äthiopien. Der Kampf wurde von vielen als solidarisch, egalitär und visionär erlebt – getragen von einem tiefen Wunsch nach Selbstbestimmung, Würde und einer gerechteren Gesellschaft. Insbesondere unter den Kämpfer*innen der EPLF (heute PFDJ) herrschte die Vorstellung, dass ein neues, fortschrittliches Eritrea entstehen könnte, in dem Bildung, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit zentrale Werte sein würden. 

Nach der Unabhängigkeit herrschte in Eritrea zunächst politische Aufbruchstimmung: Meinungsfreiheit, aktive Studierendenschaft, vielfältige Medienlandschaft. Doch 2001 kam der Bruch – nach Massenverhaftungen von Politiker*innen, Studierenden und Journalist*innen wurden oppositionelle Stimmen systematisch zum Schweigen gebracht. Unabhängige Medien verschwanden, Kritiker*innen wurden inhaftiert oder sind bis heute verschwunden. Die angekündigte Verfassung von 1997 wurde nicht implementiert, Wahlen gab es nie. Präsident Isaias Afewerki und seine Regierung zeigten keinerlei Interesse an Machtteilung oder Demokratisierung. Der ursprünglich temporäre Nationaldienst wurde in ein repressives System permanenter Zwangsarbeit überführt. Dieses autoritäre Staatsmodell hat seine Wurzeln in der stark zentralisierten Struktur der ehemaligen Befreiungsbewegung. Externe Konflikte – besonders der Grenzkrieg mit Äthiopien – wurden genutzt, um den Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten und politische Reformen dauerhaft zu verhindern. Für viele Eritreer*innen, im Land wie in der Diaspora, war die Unabhängigkeit ein Moment großer Hoffnung. Dass daraus ein autoritäres Regime wurde, bleibt eine bittere Enttäuschung.

Hatte die Unabhängigkeitsbewegung in Eritrea das Ziel, eine moderne Nation zu schaffen, wenn auch sehr spät? Wie verlief dieser Prozess? Herrscht im Land eine mehr oder weniger einheitliche Nation oder gibt es auch hier erhebliche Konflikte? 

Die Unabhängigkeitsbewegung der EPLF hatte das Ziel, eine moderne und gerechte Nation aufzubauen. Der Befreiungskampf war nicht nur militärisch, sondern auch ein gesellschaftliches Projekt, das auf Einheit, Gleichberechtigung und Entwicklung abzielte. Innerhalb der Bewegung wurden Fortschritte erzielt, etwa in den Bereichen Geschlechtergleichstellung und lokale Selbstverwaltung. Nach der Unabhängigkeit 1993 wurde jedoch nicht die ursprünglich angestrebte Vision verwirklicht. Stattdessen kam es nach den anfänglichen positiven Veränderungen zu einer deutlichen Hinwendung zu autoritären Strukturen, die die politische Pluralität und die Freiheiten der Bevölkerung stark einschränkten. Aus der anfänglichen Idee einer demokratischen Gesellschaft entwickelte sich unter Präsident Isaias Afewerki ein autoritäres Regime. Politische Vielfalt wurde unterdrückt, und der Ruf nach nationaler Einheit diente zunehmend der Festigung der Macht. 

In Eritrea wird offiziell ein starkes Narrativ der nationalen Geschlossenheit propagiert. Das Land jedoch ist ethnisch, sprachlich und religiös vielfältig – es gibt neun offiziell anerkannte ethnische Gruppen, darunter Tigrinya, Tigre, Saho, Afar und Kunama, sowie eine gemischte muslimische und christliche Bevölkerung. Diese Vielfalt wird von der Regierung oft entweder ignoriert oder politisch instrumentalisiert. Offene ethnische und religiöse Konflikte werden unterdrückt, was nach außen den Eindruck von Einheit verstärkt, im Inneren jedoch häufig zu Frustration und einem Gefühl der Marginalisierung führt, insbesondere bei Minderheiten.

In Deutschland sind Menschen aus Tigray seit einiger Zeit politisch aktiv, aber man hört viel zu wenig über ihre Situation. Wie funktioniert der Rassismus/Nationalismus gegen sie?

Als das äthiopische Militär aufgrund der starken Militarisierung Tigrays während des letzten Kriegs in Bedrängnis geriet, rief es das eritreische Militär zu Hilfe. Eritrea hat dies, nicht zuletzt wegen des Grenzkriegs zwischen 1998 und 2000, willig gemacht, da man noch eine Rechnung offen hatte – besonders mit Tigray. Tigrayer*innen werden oft als “politische Gegner” oder “Feinde” wahrgenommen, was zu einer sozialen Isolation führt. In der Diaspora bedeutet das, dass sie häufig Diskriminierung erleben, etwa durch Abgrenzung oder Stereotypisierung als “Verräter” oder “terroristisch”. Diese diskriminierenden Haltungen führen unter anderem dazu, dass Tigrayer*innen ihre Identität verstecken oder sich politisch distanzieren, um Konflikten zu entgehen. Die Spannungen innerhalb der Diaspora verstärken diese Ausgrenzung, da sie zwischen den politischen Fronten von eritreischen und äthiopischen Gemeinschaften stehen. Zudem wird kulturell über Musik weiterverarbeitet, dass der alte Feind bezwungen wurde und Tigrayer*innen angeblich kein Recht auf ihr Leben hätten. Das, was vor Ort militärisch umgesetzt wurde, hallt jetzt in Liedern, die zu Verbrechen aufrufen und die hierzulande in Festhallen gesungen werden, wider. 

Aktuell gibt es Berichte über eine erneute Kriegsgefahr. Warum besteht diese Gefahr und wie äußert sich die Kriegsstimmung in der Gesellschaft?

Die Spannungen in Tigray haben in letzter Zeit wieder deutlich zugenommen, und Eritrea spielt dabei eine entscheidende Rolle. Nach dem internen Machtkampf innerhalb der TPLF, bei dem Getachew Reda gestürzt wurde, kam es erneut zu Kämpfen zwischen verschiedenen Fraktionen in Tigray. Eritrea wird verdächtigt, sich in diesen internen äthiopischen Konflikt einzumischen, indem es eine der rivalisierenden TPLF-Fraktionen unterstützt – vermutlich auch mit dem Ziel, seinen Einfluss in der Region zu sichern oder auszubauen. Die Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien, besonders zu Tigray, ist wieder stark militarisiert. Berichte über Truppenbewegungen und eine zunehmend aggressive Rhetorik häufen sich. Viele Menschen in der Region befürchten, dass sich der Konflikt von 2020 bis 2022 wiederholen könnte. Eritrea war zu der Zeit maßgeblich an der militärischen Offensive gegen Tigray beteiligt, ohne dass die eigene Bevölkerung über diese Einsätze transparent informiert wurde. Zwar gibt es derzeit keine offizielle Kriegserklärung, doch die Anzeichen einer Mobilisierung sind unverkennbar: Reservisten werden erneut eingezogen, die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung ist eingeschränkt, und die staatliche Propaganda nimmt zu.

In der eritreischen Diaspora scheint es auch viel Bewegung zu geben: Oppositionelle Stimmen mit klaren politischen Forderungen, regierungsnahe Organisationen, Veranstaltungen und Gegenveranstaltungen… Wie wirkt sich diese Bewegung im Land aus bzw. wirkt sie überhaupt unter den Bedingungen der Diktatur?

Die eritreische Diaspora ist politisch sehr engagiert, sowohl durch oppositionelle Gruppen als auch durch Organisationen, die dem Regime nahestehen. In vielen Ländern, in denen politische Freiheiten bestehen, ist die Diaspora mittlerweile zu einem bedeutenden Zentrum politischer Auseinandersetzungen geworden. Doch die entscheidende Frage bleibt: Hat dieses Engagement irgendeinen Einfluss auf die Menschen in Eritrea? Unter den repressiven Bedingungen der Diktatur ist das eine schwierige Frage. Der Staat übt strenge Kontrolle über Informationen aus, der Zugang zum Internet ist stark eingeschränkt, und unabhängige Medien gibt es so gut wie keine. Direkter Austausch mit der Bevölkerung im Land ist oft nicht möglich – und wenn doch, ist er riskant für alle Beteiligten. Gleichzeitig überwacht die Regierung genau, was im Ausland geschieht, und reagiert auf politische Aktivitäten mit Repressionen, etwa gegen Familienangehörige im Land. Trotz dieser Hindernisse spielt die Diaspora eine entscheidende Rolle: Sie ist einer der wenigen Orte, an denen politische Diskussionen überhaupt noch geführt werden können. Sie sorgt für Sichtbarkeit, informiert die internationale Gemeinschaft und übt Druck auf die Regierung aus. Langfristig könnten viele Veränderungen ihren Ursprung im Ausland haben – vor allem, weil viele junge Eritreer*innen dort die Möglichkeit haben, sich politisch zu engagieren. Auch wenn die Auswirkungen nicht sofort erkennbar sind, ist diese politische Aktivität von großer Bedeutung: Sie gibt denen eine Stimme, die im Land selbst zum Schweigen gebracht wurden.

Offenbar gibt es in der Diaspora viele Unterschiede zwischen Menschen aus Eritrea, insbesondere wenn sie sich politisch engagieren. Wie ist diese Polarisierung zu erklären? Handelt es sich u.a. um einen Generationenkonflikt? Sind die regierungsnahen Stimmen bei den älteren Migrationsgenerationen aus Eritrea stärker?

Viele in Deutschland aufgewachsene Eritreer*innen haben eine verzerrte Vorstellung von Eritrea und erkennen nicht, dass die Geflüchteten gute Gründe haben, das Land zu verlassen. Die schwierige Lage wird oft auf Konflikte mit Nachbarländern geschoben, und es wird argumentiert, dass demokratische Strukturen nicht nötig sind – etwa mit der Behauptung, dass Selbstbestimmung imperialistische Interessen bediene. Eritreer*innen in Deutschland, die das Regime unterstützen, sind politisch indoktriniert und halten an einem idealisierten Bild des Befreiungskampfes fest, ohne die gescheiterten Versprechungen zu sehen. Die eritreische Diktatur ist international gut organisiert, auch durch Kulturvereine, die einst dem Befreiungskampf dienten, aber jetzt das Regime unterstützen. Der Konflikt innerhalb der eritreischen Community ist nicht nur generationsbedingt, sondern auch durch den Aufenthaltsort geprägt. Während einige im Ausland leben, sind andere noch immer der Diktatur ausgesetzt, was zu Spannungen führt. Geflüchtete haben eine realistische Sicht auf Eritrea, während viele, die bereits Jahrzehnte im Westen leben, ein idealisiertes Bild bewahren, was zu einer Spaltung führt: Auf der einen Seite die, die Heimat verklären, auf der anderen die, die ihre Freiheit nur durch Flucht retten konnten.

Das politische Engagement von Menschen aus Eritrea ist in Deutschland durch die Gegendemonstrationen gegen das sogenannte „Eritrea-Festival“ in Gießen bekannt geworden. Auf dem Festival gab es laut Medienberichten viel Gewaltverharmlosung, Diktaturverharmlosung und Rassismus gegenüber Menschen aus Tigray. Welche Menschen, Organisationen und Forderungen stehen hinter den Gegenprotesten? Warum sind diese Menschen so stark motiviert, das Festival zu verhindern?

Hinter den Gegenprotesten stehen vor allem oppositionelle Gruppen und Solidaritätsbewegungen, die auf die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Eritrea aufmerksam machen wollen. Sie sind entschlossen, das Festival zu verhindern, da es als Plattform für die Verherrlichung eines autoritären Regimes dient, das auf Folter, Zwangsdiensten und politischer Unterdrückung basiert. Sie setzen sich dafür ein, dass die Stimmen derjenigen, die das Regime überlebt haben, endlich Gehör finden. Eritreische Geflüchtete, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, haben sich zunehmend politisch organisiert und ihre eigenen Stimmen gefunden. Neben der traditionellen Parteienarbeit der älteren Generation sind soziale Bewegungen und oppositionelle Netzwerke entstanden, die über soziale Medien sowie eigene Nachrichten- und Fernsehsender mobilisieren. Während Diktatursympathisant*innen und -unterstützer*innen ihre Demonstrationen bislang ungestört durchführen konnten, hat die Zahl der Geflüchteten, die vor dem Regime geflohen sind, inzwischen eine kritische Masse erreicht. 

Vor ein paar Wochen gab es groß angelegte Razzien gegen politisch aktive Menschen aus Eritrea, die in allen Medien, auch in der Tagesschau, als „Razzia gegen Terrorgruppe“ bezeichnet wurden. Was soll dieser Terrorvorwurf?

Der Vorwurf des Terrorismus, der bei den Razzien gegen politisch aktive Eritreer*innen erhoben wurde, zielt darauf ab, legitimen Widerstand und politische Aktivität zu kriminalisieren. Indem diese Menschen als “Terroristen” bezeichnet werden, soll ihre Kritik am eritreischen Regime entwertet und ihre Bewegungen diskreditiert werden. Dieser Vorwurf dient nicht nur der Einschüchterung derjenigen, die sich für Menschenrechte und eine demokratische Veränderung in Eritrea einsetzen, sondern auch der Unterdrückung der politischen Meinungsfreiheit. Es ist ein Versuch, den Widerstand gegen die autoritäre Regierung als extremistisch darzustellen und von den tatsächlichen politischen und sozialen Problemen im Land abzulenken. Auf vergangenen Eritrea-Festivals und Demonstrationen gab es diverse Indizien dafür, dass ein gewisses Konfliktpotenzial besteht und die entsprechenden Behörden hätten besser vorbereitet sein müssen. Es wird jedoch wissentlich hingenommen, um damit anschließend Abschiebepolitik zu betreiben und mit rassistischen Reflexen zu reagieren – wie so oft, wenn es um Geflüchtete geht, die sich organisieren.

Wie findest du allgemein die Berichterstattung in Deutschland über Eritrea und Geflüchtete aus Eritrea?

Die Medienberichterstattung bleibt insgesamt oberflächlich und vereinfacht, mit einer Tendenz zu Sensationslust. Dies sendet ein widersprüchliches Signal aus: In einer Demokratie wie Deutschland sollte es selbstverständlich sein, dass Geflüchtete politisch aktiv werden und ihre Meinungen äußern können. Doch wenn sie dies tun, sehen sie sich häufig mit pauschalen Vorwürfen konfrontiert oder werden fälschlicherweise als extremistisch abgestempelt und mit terroristischen Organisationen gleichgesetzt. Hinzu kommt, dass eritreische Geflüchtete vermehrt Diskriminierung begegnen und ihr politisches Engagement als auch ihre Versuche, sich Gehör zu verschaffen, mit Misstrauen betrachtet werden. Diese Diskriminierung erschwert es ihnen, als Akteure in der politischen Diskussion anerkannt und respektiert zu werden. Wenn Journalist*innen sich wirklich die Zeit nehmen, mit Geflüchteten oder Fachleuten zu sprechen, ergibt sich oft ein deutlich klareres und nuancierteres Bild der Situation in Eritrea. In vielen Fällen führen solche Recherchen zu gut fundierten, tiefgründigen Artikeln.

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