Das Bundesverfassungsgericht hat in einem aktuellen Beschluss die sächsische Abschiebepraxis scharf kritisiert. Bei der Abschiebung von Mehdi N. wurde ein Urteil des Verwaltungsgerichtes ignoriert und Akteneinsicht verweigert. Nun braucht es dringend eine Familienzusammenführung von Mehdi N. und seiner hier lebenden Ehefrau.
Im Juli 2024 wurde ein marokkanischer Staatsangehöriger aus Chemnitz abgeschoben, obwohl das Verwaltungsgericht Chemnitz die Abschiebung per Eilbeschluss untersagt hatte. Die zuständigen Behörden – die Stadt Chemnitz und die Landesdirektion Sachsen – ignorierten den Gerichtsbeschluss und leiteten ihn nicht an die Bundespolizei weiter. Die verantwortlichen Sachbearbeiterinnen erklärten, sie fühlten sich nicht an den Beschluss gebunden – ein Skandal, der bundesweit rechtswidrige Abschiebepraxis in Sachsen offenlegte.
Missachtung rechtsstaatlicher Anordnung durch OVG Bautzen
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun in einem Beschluss festgestellt, dass das Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen mit der Ablehnung der Akteneinsicht und der Aufhebung der Rückholanordnung die Grundrechte des Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren verletzt hat. Das Gericht spricht von einem „grundlegenden Missverständnis“ des OVG und einer „unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbaren Missachtung einer verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung“ durch die Behörden.
Das BVerfG betont, dass das Recht auf Akteneinsicht ein zentrales Verfahrensgrundrecht ist und nicht zur Disposition der Behörden steht. Die Verweigerung der Akteneinsicht und die Missachtung gerichtlicher Anordnungen ist für Pressesprecher Dave Schmidtke ein Skandal: „Der Vorgang ist rechtswidrig und stellt einen schwerwiegenden Angriff auf den Rechtsstaat dar. Sächsische Behörden müssen sich an Grundrechte halten – gerade wenn die Debatten um Abschiebungen vom rechten Rand bestimmt werden.“
Die Anwältin des Betroffenen, Inga Stremlau, hatte mehrfach vergeblich Akteneinsicht beantragt und auf die Umsetzung des gerichtlichen Verbots gedrängt. Dennoch wurde ihr Mandant abgeschoben. „Angesichts der erheblichen Grundrechtsverletzungen wäre eine zeitnahe Wiedergutmachung geboten, idealerweise in Form einer beschleunigten Rückholung des Betroffenen. Sollte dies nicht umgehend möglich sein, regen wir zumindest ein unbürokratisch und zügig durchgeführtes Visumsverfahren an“, erklärt Anwältin Stremlau.
Für die Anwältin ist es nicht hinnehmbar, dass das Ehepaar über zehn Monate aufgrund einer Rechtswidrigkeit voneinander getrennt ist. Auch für Schmidtke vom Flüchtlingsrat liegt deswegen akuter Handlungsbedarf vor, die Abschiebung rückgängig zu machen: „Hier wurde ein Ehepaar auseinandergerissen, welches bis heute nicht zusammenleben kann. Deshalb braucht es schnellstmöglich eine Entscheidung zur Rückholung von Mehdi N.“
Wiederherstellung des Vertrauens in den Rechtsstaat notwendig
Der Sächsische Flüchtlingsrat fordert eine lückenlose Aufklärung der Abschiebung aus Chemnitz und der Missachtung gerichtlicher Beschlüsse durch Stadt und Landesdirektion. Verantwortliche sollten auch in Form von personellen Konsequenzen zur Rechenschaft gezogen werden. Zudem muss der abgeschobene Betroffene umgehend zurückgeholt und seine Rechte wiederhergestellt werden. Die Landesregierung sollte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nutzen, um Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen und solche Vorfälle künftig zu verhindern.
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