Abschied von „Save Me“: Über ein Jahrzehnt gelebte Solidarität in Chemnitz

Sich in Sachsen nach einer Flucht ein neues Leben aufzubauen, erfordert viel Kraft. Ohne soziale Kontakte ist das für viele Menschen nahezu unmöglich. Genau an dieser Stelle hat das Patenschaftsprojekt „Save Me“ in Chemnitz angesetzt – und in über zwölf Jahren zahlreiche Menschen zusammengebracht. Was als Brücke zwischen Chemnitzer*innen und Geflüchteten begann, wurde für viele zu einem Fundament für ein vielfältiges, solidarisches Zusammenleben.

Wer in Sachsen neu ankommt, braucht mehr als nur Obdach und einen Sprachkurs. Zwischen dem Kennen von Paragrafen und dem wirklichen Ankommen liegen Welten. Natürlich sind das Aufenthaltsrecht, der Zugang zu Sprachkursen und eine eigene Wohnung zentral. Aber jeder Gang zur Behörde oder Schritt ins Berufsleben fällt leichter, wenn man sich auskennt oder Menschen mit Erfahrung an der Seite hat. Neben bestehenden Communities leben viele Geflüchtete zunächst isoliert und suchen gezielt nach Kontakten, um schneller Anschluss zu finden.

Das Herzstück von „Save Me“: Praktische Hilfe und echte Freundschaften

„Save Me ist ein etabliertes Patenschaftsprogramm, das über ein Jahrzehnt in der Stadt Chemnitz einen Unterschied gemacht hat. Denn es hat vielen geflüchteten Menschen konkret geholfen, sich in der Chemnitzer Stadtgesellschaft zurechtzufinden“, fasst Runa Mostofi, langjährige Koordinatorin des Projekts, zusammen. Sie betont: „Es verbindet Menschen, die sich im Alltag nicht einfach treffen würden. Der Kontakt zwischen Chemnitzer*innen und geflüchteten Menschen wurde gefördert. Das ist der Kern des Programms – Kontakte zwischen den Menschen, neben der konkreten Unterstützung für geflüchtete Einzelpersonen und Familien.“

Das Patenschaftsprojekt hat genau hier angesetzt: Es hat Begegnungen geschaffen, die im Alltag selten entstehen. Viele Pat*innen haben Geflüchtete bei Behördengängen begleitet, beim Deutschlernen unterstützt oder einfach Zeit miteinander verbracht. So entstanden gegenseitiges Lernen, Verständnis und oft auch Freundschaften. „Etwas, das sich beide Seiten noch heute wünschen, da dieser Kontakt nicht ‚einfach so‘ entsteht, ganz besonders für Familien“, sagt Mostofi.

Stimmen der Beteiligten

„Save Me hat mir geholfen, mich willkommen zu fühlen. Durch die Begegnungen mit engagierten Menschen habe ich nicht nur die Stadt besser kennengelernt, sondern auch das Gefühl bekommen, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung“, sagt Mohammad Alhelo, ein Teilnehmer des Projekts. Er bedauert das Ende: „Es ist schade, dass die finanziellen Mittel für so ein wichtiges Projekt eingestellt wurden.“

Ähnlich empfindet auch Torsten Horn, der seit dem Herbst 2022 im Projekt aktiv war. Nach all den rechtlichen Verschärfungen gegen Asylsuchende wollte er einen positiven Beitrag leisten und gegen die Isolation vorgehen, in der viele Schutzsuchende in Chemnitz leben – für ihn ist Integration keine Einbahnstraße. Horn unterstützt zwei Menschen aus Syrien, mit denen inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis entstanden ist. „Am Anfang lief alles etwas holprig, aber mit Händen und Füßen sowie Google Translate konnten wir uns schnell verständigen.“

Herausforderungen im Alltag und Erfolge

Er weiß, welche täglichen Belastungen Geflüchtete haben, besonders beim Thema Familiennachzug. Ein Familienvater, den er unterstützt, wartet seit mittlerweile drei Jahren darauf, wieder seine Kinder zu sehen: „Es belastet ihn sehr und ist ein Kampf gegen eine riesige Wand der Bürokratie.“ Bei anderen Anträgen konnten jedoch – auch mit Horns Unterstützung – Erfolge erzielt werden: „Manchmal nimmt man eine Art Vermittlerrolle ein und es ist oft erstaunlich, was auf einmal möglich ist und welche Hilfsbereitschaft sogar in Behörden entgegenkommt.“

Selbstständigkeit als Ziel

Ein zentrales Ziel von „Save Me“ war es immer, Menschen dabei zu unterstützen, unabhängig von Behörden zu agieren und ihren eigenen Weg in Chemnitz zu gehen. Die Patenschaften boten zwar praktische Hilfe, aber vor allem auch die Chance, Selbstständigkeit zu entwickeln und das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Kurz nach dem Ankommen ist dies jedoch für Schutzsuchende meist unrealistisch, da insbesondere das Aufenthaltsrecht extrem komplex ist.

Unterstützung durch die Stadt bricht weg

Die Stadt Chemnitz bekannte sich 2013 im Stadtrat zu „Save Me“ und unterstützte die Koordinationsstelle für die Vermittlung und Begleitung der Patenschaften. Mit dem Wegfall der Finanzierung geht nun eine wichtige Anlaufstelle verloren. Doch „Save Me“ war mehr als nur ein Patenschaftsprogramm. Im Rahmen des Projekts wurde ehrenamtliches Engagement gefördert und gewürdigt. So entstand beispielsweise eine Fahrradwerkstatt auf dem Sonnenberg, die bis heute ehrenamtlich geführt wird und ein beliebter Treffpunkt für viele geworden ist.

Mit dem Abschied von „Save Me“ endet ein Kapitel, das von Solidarität, gegenseitigem Lernen und vielfältigem Zusammenleben geprägt war. Die vielen positiven Momente, die entstandenen Freundschaften und das gewachsene Netzwerk bleiben bestehen. Sie zeigen, wie viel möglich ist, wenn Menschen sich aufeinander einlassen und gemeinsam neue Wege gehen. Für den Abbau von Missverständnissen oder Stereotypen gibt es keine bessere Basis als persönlichen Kontakt. Gerade in einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Spaltung und Anfeindungen gegen Schutzsuchende wäre ein Erhalt des Projekts daher mehr als notwendig.

Ein Ende, das Spuren hinterlässt

Jedoch fiel „Save Me“ – wie zahlreiche weitere soziale Projekte – dem Spardiktat der Stadt Chemnitz im Mai zum Opfer, und eine Weiterfinanzierung wurde abgelehnt. Für alle, die sich weiterhin engagieren oder Unterstützung suchen, gibt es in Chemnitz und Sachsen Alternativen. Besonders das Projekt „Start with a Friend“ vermittelt weiterhin Kontakte zwischen Chemnitzer*innen und Geflüchteten und setzt die Idee des solidarischen Miteinanders fort.

Auch wenn „Save Me“ nun endet, bleibt die Erkenntnis: Gelebte Solidarität und gegenseitige Unterstützung sind der Schlüssel zu einem vielfältigen und offenen Zusammenleben – in Chemnitz und überall.

Illustration: Torsten Horn

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Bildquellen

  • 20250422_091414: Illustration von Timo Horn