Hamza A. befindet sich seit über einem Monat in Dresden in Abschiebehaft – und im Hungerstreik. Er protestiert damit gegen seine drohende Abschiebung in die Türkei und die entmenschlichende Behandlung durch die Behörden. Zwei Abschiebeversuche sind bereits gescheitert. In diesem Interview spricht er über seine Geschichte, seine Beweggründe und das Gefühl völliger Ausweglosigkeit.
von Osman Oğuz / Öffentlichkeitsarbeit des Sächsischen Flüchtlingsrates
Hamza A. (48) befindet sich seit 44 Tagen in der Abschiebehaft in Dresden und seit 39 Tagen im Hungerstreik. Er nimmt nur gesüßten Kaffee, Tee und Wasser zu sich. Dies ist sein Weg des Widerstands für sein Bleiberecht in Deutschland und gegen die entmenschlichende Behandlung durch die Behörden. Gleichzeitig ist es ein Ausdruck der Ausweglosigkeit: Er leidet darunter, sich den Behörden und Gerichten nicht verständigen und sich anderweitig gegen gewaltvolle Behandlung nicht wehren zu können. Hätte er sich nicht gewehrt, wäre er längst in der Türkei, wo ihm die Inhaftierung droht: Zwei Abschiebeversuche sind bisher gescheitert und er schläft jeden Tag mit der Angst ein, im Morgengrauen geweckt und wieder in einen Polizeiwagen gesteckt zu werden.
Die Anwält:innen von Hamza A. haben bereits alle möglichen Wege ausgeschöpft, um für ihn ein Aufenthaltsrecht zu erwirken – bisher erfolglos. Dennoch gibt es noch Hoffnung durch laufende Verfahren. Über die Details seiner Verfahren haben wir bereits eine Pressemitteilung veröffentlicht, eine weitere wird folgen. Dieses Mal wollten wir ihn aber selbst zu Wort kommen lassen. Wir haben mit ihm über seine Geschichte, seine politischen Ansichten sowie die Geschehnisse bei den Abschiebeversuchen und in der Abschiebehaft gesprochen. Trotz seiner Schwäche durch den Hungerstreik und die Belastung, der er ausgesetzt ist, hat Hamza A. mehr als eine Stunde Zeit investiert, um die Sprachlosigkeit zu brechen, der er zusätzlich zu allem verurteilt ist.
Sie haben erzählt, dass Sie sich bereits seit Ihrer frühen Jugend für politische Themen interessieren. Was hat Sie politisiert?
Ich bin doch Kurde.
Wie haben Sie Ihre kurdische Identität zum ersten Mal wahrgenommen?
Ich erinnere mich daran, dass mein Vater zu Hause mit einem Kassettenrekorder die Lieder von Şakiro hörte und abends heimlich die kurdischen Sendungen des Radiosenders Eriwan. Wenn abends jedoch Nachbar:innen zu Besuch kamen, die nichts mit Kurdisch zu tun hatten, wurde nicht darüber gesprochen, sondern TRT (der staatliche Fernseher) eingeschaltet. Schon in diesen Jahren habe ich verstanden, dass es etwas Besonderes ist, Kurde zu sein. Dann, im Jahr 1986, als ich noch ein Kind war, schloss sich der Sohn meiner Tante den Guerillas an und fiel später im Kampf. Ich erinnere mich noch gut daran, wie zu Hause darüber gesprochen wurde. Sein Tod war für mich ein Schock. Nun wusste ich ganz genau, dass wir Kurden waren und dass das etwas Besonderes war. Zunächst entstand meine politische Haltung aus dem Wunsch heraus, meine kurdische Identität zu verteidigen. Als ich jedoch Bücher entdeckte, änderte sich das.
Wie hat sich das verändert?
Im Alter von neun bis zehn Jahren bin ich mit meiner Familie nach Istanbul gezogen. Dort habe ich 1994/95 Yaşar Kemals “Ince Memed” in die Hände bekommen. Das war ein Neuanfang. Durch die Bücher wurde mir bewusst, dass ich in engen Denkmustern gefangen war. Ich begann, Ideen zu entwickeln, die über die Verteidigung des Kurdentums hinausgingen, wie “Diese Welt ist groß genug für uns alle” oder “Wenn wir uns trotz unserer Unterschiede mit Respekt und Liebe begegnen, wird alles besser”. Ich kann sagen, dass mich Bücher gelehrt haben, Farben zu akzeptieren. Wenn man nicht liest und lernt, bleibt man in einem naiven Nationalismus stecken. Wenn man hingegen liest, führen einen die Bücher zu sozialistischen Ideen – besonders, wenn man ein Kind einer unterdrückten Gesellschaft ist. Wie kann ich als unterdrückter Kurde gleichgültig bleiben gegenüber der Ausbeutung eines Menschen in Afrika, der Ignoranz gegenüber einem Turkmenen im Irak, der Haltung gegenüber den Fellachen im Libanon oder dem, was Frauen überall erleben?
Wie haben diese Ideen Sie zu politischer Aktivität geführt?
DEP, HADEP, DEHAP, DTP, BDP… Ich vergesse ihre Namen mittlerweile. Ich habe mich in den ständig verbotenen und wieder eröffneten Parteien der kurdischen Freiheitsbewegung auf fast allen Ebenen engagiert. Fast zwanzig Jahre lang habe ich versucht, auf unterschiedliche Weise und auf unterschiedlichen Ebenen zum politischen Kampf beizutragen. Eines meiner letzten Projekte war der Versuch, eine Bibliothek zu eröffnen, da ich selbst die politische Wirkung von Büchern erlebt hatte. Ich habe etwa 2.500 Bücher gesammelt. Bei meiner letzten Festnahme und Inhaftierung wurden diese Bücher als Beweismittel gegen mich verwendet. Die Polizei und die Gerichte behaupteten, darunter befänden sich verbotene Bücher.
Sie sagten “letzte Festnahme”. Wurden Sie schon oft festgenommen und inhaftiert?
Natürlich. In der Türkei ist das ganz normal, wenn man zur politischen Opposition gehört. Ich wurde zweimal verhaftet, einmal war ich sechs Monate und das andere Mal zwei Monate im Gefängnis. Wie oft ich insgesamt festgenommen wurde, weiß ich nicht.
Wie kam es zu Ihrer letzten Verhaftung, die Sie hierhergebracht hat?
In unserem Dorf gab es seit vielen Jahren das Grab eines in den 90er Jahren gefallenen Guerilla namens Burhan Atbaş. Es stand jahrelang dort, die Dorfbewohner pflegten das Grab und der Staat unternahm nichts. Nach dem Scheitern des Friedensprozesses im Jahr 2015 kam es überall in Kurdistan zu Angriffen auf Friedhöfe. Auch in unser Dorf kamen im Jahr 2016 plötzlich etwa 50 Soldaten einer Spezialeinheit. Die Dorfbewohner hatten Angst, alle hatten sich in ihren Häusern verschanzt und die Vorhänge fest zugezogen. Ich konnte nicht stillsitzen. Wie kann man einen Angriff auf ein Grab akzeptieren? Ich habe alles riskiert, bin aus dem Haus gegangen und auf die Spezialeinheiten zugegangen. Ich habe sie aufgefordert, das Grab nicht zu beschädigen. Ich will nicht ins Detail gehen. Sie haben mich fast zu Tode geprügelt, das Grab zerstört und sind dann verschwunden. Ich habe mit meinem Handy Fotos vom Grab gemacht und den Vorfall in den sozialen Medien bekannt gemacht. Was folgte, waren Festnahme, Gefängnis und eine Bewährungsstrafe.
Haben Sie sich daraufhin entschlossen, in Deutschland Asyl zu beantragen?
Nein, ich bin nach Istanbul gegangen und habe mich dort ein Jahr lang in der Parteiarbeit engagiert. Ich hatte noch weitere Verfahren wegen anderer Festnahmen und begann, die Verfahren zu vermischen. Dabei wurde ich erneut festgenommen und wieder freigelassen. Ich musste mich wöchentlich bei der Polizei melden. Ich war völlig eingeengt und konnte mich nicht mehr frei bewegen. Mir war klar, dass mir noch Schlimmeres bevorstand, wenn ich blieb. Trotz meines Ausreiseverbots beschloss ich, das Land zu verlassen. Zunächst lebte ich lange Zeit versteckt in Istanbul, dann fand ich einen Weg und floh nach Griechenland.
Wie sind Sie dann nach Deutschland gekommen?
In Griechenland lernte ich Kommunist:innen aus der Türkei kennen, die ebenfalls auf der Flucht waren. Sie haben mir geholfen, einen Weg zu finden, und mich hierhergebracht. Am 15. Mai 2019 habe ich in Deutschland Asyl beantragt.
Wie verlief das Asylverfahren?
Zunächst habe ich in der Nähe von Bochum Asyl beantragt, aber ich durfte nicht dort bleiben. Sie schickten mich in eine kleine Stadt namens Annaberg-Buchholz im Bundesland Sachsen. Dort sollte ich mit vier anderen Personen in einem Zimmer eines Fertighauses wohnen. Da meine Umgebung eher in Nordrhein-Westfalen liegt, wollte ich dort bleiben, aber sie schickten mich trotzdem hierher. Dann fand ich eine Arbeitsstelle in Bonn und die Ausländerbehörde erlaubte mir, dort zu arbeiten. Alle sechs Monate kam ich nach Annaberg-Buchholz, während mein Asylverfahren weiterlief. Ich hatte einen Anwalt beauftragt, das Verfahren zu begleiten, und es schien, als würde alles langsam in Ordnung kommen. Ich hatte auch eine unbefristete Stelle in der Gastronomie gefunden. Doch dann kam ganz unerwartet die Abschiebung.
Wie kam es dazu?
Obwohl mir die Ausländerbehörde in Annaberg-Buchholz eine Arbeitserlaubnis erteilt hatte, behauptete sie plötzlich, ich hätte das Flüchtlingsheim ohne Erlaubnis verlassen. Das war der erste Schock. Ich hatte eine Erlaubnis und einen unbefristeten Arbeitsvertrag und baute mir mein Leben ohne staatliche Hilfe auf. Eines Tages erhielt ich einen Brief, in dem ich zu einem Termin bei der Ausländerbehörde aufgefordert wurde, um meine Ausweispapiere neu zu ordnen. In meinen Arbeitsunterlagen sollen angeblich Unterlagen gefehlt haben.
Zusammen mit einem Freund und meiner Freundin, die ich in den letzten Jahren kennengelernt hatte, machten wir uns mit dem Auto auf den Weg und verbanden die Fahrt mit einem kleinen Ausflug. Auch mein Anwalt wusste von nichts. Es stellte sich heraus, dass die Ausländerbehörde mir in Zusammenarbeit mit der Polizei eine Falle gestellt hatte. Ich ging zum Termin. Beim Termin bei der Ausländerbehörde kamen plötzlich Polizisten und legten mir Handschellen an. Bevor ich überhaupt richtig begriff, was los war, setzten sie mich in einen Polizeiwagen und fuhren zum Flughafen Berlin. Meine Freundin und mein Freund folgten uns.
Aber Sie wurden nicht abgeschoben. Was ist genau passiert?
Wir kamen bis zum Flugzeug, das kurz vor dem Start stand. Mir wurde übel und ich hatte Schwierigkeiten zu atmen. Der Pilot kam zu uns und sagte, er wolle mit mir sprechen. Ich sagte: “Mir geht es nicht gut, ich habe schweres Asthma und möchte nicht fliegen.” Der Pilot sagte, er könne mich nicht mitnehmen. Die Polizei nahm mich wieder mit und brachte mich zur Polizeistation in Annaberg-Buchholz. Dort hielt man mich eine Nacht lang in Gewahrsam. Am nächsten Morgen, dem 17. Juni, brachte man mich nach Dresden, wo ich vor den Richter gestellt wurde. Dieser schickte mich in dieses Abschiebegefängnis. Zunächst ging es zum Arzt, dann hierher ins Gefängnis. Ein Wachmann brachte mir etwas zu essen. Ich überlegte und entschied, dass ich das nicht akzeptieren kann. Ich rief den Wachmann erneut und erklärte ihm, dass ich in den Hungerstreik treten würde, da es sich um eine politische Aktion handele und ich sein Essen daher nicht wolle.
Haben Sie Ihren aktuellen Hungerstreik damals begonnen?
Nicht ganz. Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen. Er sagte mir, dass wir bald wieder vor dem Richter erscheinen würden und das keinen guten Eindruck hinterlassen würde. Er hat mich überzeugt, den Hungerstreik zu beenden. Zunächst habe ich aufgegeben, dann habe ich jedoch gesehen, dass die Behandlung hier unmenschlich ist und meine Erfahrungen insgesamt unglaublich sind. Am 24. Juni habe ich wieder angefangen.
Dann gab es einen weiteren Abschiebeversuch, der ebenfalls fehlschlug. Wie kam es dazu?
Es war der 17. Juli. Um genau 6 Uhr morgens, als ich noch schlief, kamen Polizisten in meine Zelle und weckten mich ruckartig. Sie teilten mir mit, dass ich abgeschoben werden würde und dass sie mich deshalb durchsuchen müssten. Sie zogen mir alles aus, sodass ich komplett nackt war, und durchsuchten mich. Anschließend brachten sie mich nach unten, setzten mich in ein Auto und fuhren mich zum Flughafen Leipzig. Dort trafen zwei Polizisten in Zivil ein, um mich in die Türkei zu bringen. Wir gingen zum Flugzeug, aber meine Füße wollten nicht gehen, denn ich wusste, was mir bevorstand. Ich wiederholte ständig: “Ich werde nicht einsteigen”, aber mein Deutsch reichte nicht aus, ich war hilflos. Als ich nur noch drei Meter vom Flugzeug entfernt war, sah ich einen Eisenpfosten. Ich sammelte all meine Kraft und schlug mit dem Kopf so fest wie möglich dagegen. Die Beulen von diesem Schlag habe ich immer noch. Ich bin hingefallen, ohnmächtig geworden und kann mich an die Zeit danach nicht mehr erinnern. Ich weiß nicht genau, wie viel Zeit vergangen war, als sie mich in einen Polizeiwagen setzten und wieder hierher, ins Abschiebegefängnis, brachten. Sie brachten mich nicht einmal ins Krankenhaus. Am nächsten Tag kam ein Arzt. Ich erzählte ihm, was passiert war. Er sagte: “Ich weiß Bescheid”, behandelte mich aber nicht richtig, sondern gab mir nur Schmerzmittel.
Während dieser Zeit haben Sie einen Hungerstreik durchgeführt und standen wahrscheinlich sowohl physisch als auch psychisch unter großem Druck. Wie haben Sie das ausgehalten?
Natürlich, das stimmt. Das ist immer noch so. Jeder Tag hier ist geprägt von psychischer Gewalt. Es fällt mir schwer, das auszuhalten. Ich habe zwei Freunde, die hier mit mir zusammen sind. Sie unterstützen mich, so gut sie können, aber was können sie schon tun? Es gibt auch keine richtige ärztliche Untersuchung. Sie bringen einen zum Arzt und der sagt, was auch immer man sagt, “Das ist normal”. Ich habe einen Selbstmordversuch unternommen, aber selbst danach haben sie mich nicht ernst genommen. Die Ärzte sind ihre eigenen Ärzte. Wenn du zu einem anderen Arzt gehen willst, geben sie dir keine Erlaubnis. Selbst bei der Untersuchung wartet ständig ein Security daneben. Dieser Ort ist nur darauf ausgerichtet, dich abzuschieben.
Warum und wie kam es zu Ihrem Selbstmordversuch?
Weil ich keinen anderen Ausweg sah, keinen anderen Weg finden konnte. Was auch immer ich tue oder sage, niemand nimmt mich ernst. Ich erzähle ihnen, was mir in der Türkei widerfahren ist und was mir noch bevorsteht, aber sie hören mir nicht zu. Ich spreche über meine Krankheiten, aber es interessiert sie nicht. Was kann ich tun? An einem Tag, an dem ich völlig verzweifelt war, hatte ich Schlaftabletten, Schmerzmittel, Duschgel, Shampoo und eine Zahnbürste zur Hand. Ich habe alles gemischt und getrunken und die Verpackung vor die Füße des Securitys geworfen. Dieses Ekelgefühl ist unbeschreiblich. Ich kann das Gefühl “Jetzt ist es vorbei” nicht beschreiben.
Was geschah dann?
Ich war halb bewusstlos. Es war, als wäre ich nicht Teil des Geschehens, sondern würde nur zuschauen. Die Polizisten kamen in meine Zelle, drückten mich schnell zu Boden, fesselten meine Hände hinter meinem Rücken und legten mir Handschellen an. Sie zerrten mich bis zum Flur. Ich wohne im vierten Stock, dem obersten Stockwerk. Zwei Polizisten hielten mich an den Händen, ein Polizist an den Füßen und zerrten mich zum Aufzug. Ich dachte, mein rechtes Handgelenk wäre ausgerenkt, so gewaltsam gingen sie vor. Im Aufzug warfen sie mich zu Boden. Ich sah ihre Schuhe und dachte, jetzt würde ich sterben. Unten wartete ich ebenfalls auf dem Boden. Der Polizeiwagen kam, sie warfen mich auf den Boden; wieder sah ich ihre Schuhe. Ich erbrach mich und sie fuhren mich in meiner eigenen Kotze weg. Ich dachte, wir würden ins Krankenhaus fahren, aber wir fuhren zum Gericht. Stellen Sie sich vor, sie brachten mich in diesem Zustand vor den Richter. Ich weiß nicht einmal, wo das war, wahrscheinlich in Dresden. Ich öffnete dort halb die Augen und versuchte zu sprechen. In welchem Zustand ich war, kann man wohl den Gerichtsakten entnehmen. Sie hatten mich in einen Rollstuhl gesetzt, und meine Hände waren gefesselt. Mein Anwalt war per Telefon zugeschaltet und stellte mir Fragen, aber ich war nicht in der Lage, sie zu beantworten. In diesem Moment brach etwas in mir zusammen. Ich hörte, wie der Dolmetscher sagte: “Er will nicht antworten.” Dann brachten sie mich wieder hierher, ins Gefängnis. Stellen Sie sich vor, ich habe kein Verbrechen begangen. Bin ich ein Dieb? Bin ich ein Mörder? Was habe ich getan? Wofür ist diese Strafe?
Haben sie Sie dann ins Krankenhaus gebracht?
Nein, welches Krankenhaus? Sie haben mich wieder in diese Zelle gesteckt. Ich hatte kalten Schweiß, Übelkeit und Schwindel. Ich weiß nicht, wie ich das ausgehalten habe. Ich dachte immer noch, ich würde sterben. Am Abend kam ein Arzt mit Brille. Ich habe ihm über den Dolmetscher so gut es ging meine Situation geschildert. “Ich muss mich ständig übergeben”, sagte ich – “Das ist normal – Ihr Körper scheidet Fremdstoffe aus”, sagte er. Das war’s.
Haben Sie nach diesem Versuch psychologische oder psychiatrische Hilfe bekommen?
Nein, überhaupt nicht. Wie Sie gehört haben, sagte der Leiter dieser Einrichtung: “Es ist nicht so, dass jeder, der einen Selbstmordversuch unternimmt, eine psychologische Behandlung erhält.”
Sie haben auch über die Bedingungen in der Abschiebehaft gesprochen. Ich möchte das gerne genauer verstehen. Wie ist es hier? Können Sie mir das näher beschreiben?
Mein Zimmer ist etwa zwei mal drei Meter groß. Darin stehen ein Bett, eine Toilette, ein kleiner Kleiderschrank, ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Auf meiner Etage sind derzeit zwei Personen untergebracht. Wir können uns sehen, wenn die Türen nicht plötzlich geschlossen werden. Zweimal am Tag, manchmal für eine halbe Stunde, manchmal für vierzig Minuten, bringen sie uns an einen Ort, der einer Lufterfrischung ähnelt: einen kleinen, mit Drahtgeflecht umzäunten Bereich aus reinem Beton mit Sitzgelegenheiten und einem vermeintlichen Sportbereich aus ein oder zwei Eisenstücken. Die Sicherheitsleute kommen alle zwanzig Minuten, um zu sehen, was ich mache. Das ist eine schreckliche psychologische Folter. Das machen sie aber nicht mit jedem. Wenn man kein politischer Häftling ist, sondern beispielsweise drogenabhängig, kommen sie sehr gut mit einem klar. Wenn man jedoch ein politischer Häftling ist und protestiert, wird man ständig beobachtet. Es gibt drei Schichten von Sicherheitsleuten. Später habe ich erfahren, dass es sich um eine private Firma handelt.
Wie läuft hier eine Abschiebung ab?
Alle Türen werden verschlossen. Man weiß nicht, wann es soweit ist. Mit dieser Ungewissheit zu leben, ist sehr schlimm. Ohne Vorwarnung werden alle in ihre Zellen gebracht, die Türen werden verschlossen. Dann hört man Klopfen, sie gehen in das Zimmer einer Person, man hört Schreie und Geräusche eines Kampfes, sie nehmen die Person mit und nach einer Weile werden die Türen wieder geöffnet. Diese Geräusche machen einen fertig. Ich glaube, sie wollen, dass wir das hören.
Was passiert mit Ihnen, wenn sie in die Türkei abgeschoben werden?
Gegen mich liegt ein Haftbefehl vor. Ich habe den Gerichten alles erzählt. Ich bin hierhergekommen, obwohl ich bereits unter Beobachtung stand und mich wöchentlich melden musste. Was wird passieren, wenn ich zurückkehre? Sie werden mich festnehmen und direkt ins Gefängnis stecken.
Im Hungerstreik nehmen Sie nichts zu sich, aber was trinken Sie?
Nur gesüßten Tee, gesüßten Kaffee und Wasser.
Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs haben Sie Ihren 38. Hungerstreiktag hinter sich. Wie schaffen Sie das? Es gibt Menschen draußen, die sich um Ihre Situation sorgen und Ihnen ihre Solidarität bekunden möchten. Was möchten Sie ihnen sagen?
Ich danke all diesen Menschen. Ich bin Kurde und gehöre einer Gesellschaft an, die gelernt hat, Widerstand zu leisten, und dieses Wissen an andere weitergibt. Ich denke nicht nur an mich selbst, sondern wünsche mir, dass nach mir niemand mehr unter diesen Bedingungen leben muss. Ich bin entschlossen, diesen Widerstand bis zum Ende durchzuhalten. Ich möchte, dass alle überall erzählen, was hier geschieht. Seht bitte nicht in erster Linie meine Schwäche, sondern meinen Widerstand und vertraut mir. Ihr könnt mir mehr vertrauen als euch selbst, denn ich muss diesen Widerstand führen – das ist für mich der einzige Weg. Ich habe auch in der Türkei Gefängnisse und Polizeigewahrsam gesehen, aber nirgendwo habe ich so viel Leid gesehen wie hier. Es ist eine große Belastung, sich in einem fremden Land nicht verständigen zu können. In diesem Gebäude habe ich erfahren, was systematische psychologische Folter bedeutet. Seit 43 Tagen leide ich hier Qualen. Flüchtling oder Migrant zu sein, ist etwas Seltsames: Ich komme aus einem Dorf in Ardahan, lande hier und spreche mit Ihnen – das hätte ich mir früher in keiner Welt vorstellen können, aber es ist so, und wir werden es leben. Glauben Sie mir, ich bin jetzt an dem Punkt, an dem mir alles egal ist. Es interessiert mich nichts mehr. Ich werde bis zum Ende Widerstand leisten. Mehr kann ich nicht sagen.
* Das Interview wurde auf Türkisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.
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