Newsletter (08/25): Hamza A. im Hungerstreik – Widerstand am Rand der Sichtbarkeit

Dresden, 06.08.2025

Liebe Leser:innen,

die ersten dokumentierten Hungerstreiks in der Geschichte fanden im mittelalterlichen Irland zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert statt: Wer sich von einem Fürsten oder Adligen ungerecht behandelt fühlte, hatte die Möglichkeit, vor dessen Haustür zu fasten, um auf die Dringlichkeit seines Anliegens aufmerksam zu machen und seine Ausweglosigkeit zu demonstrieren.

Im Kern hat sich daran wenig geändert. Immer noch treten Menschen in der schwersten Ausweglosigkeit in den Hungerstreik – ein Mittel, das ihre Ohnmacht und die vorherrschende Ungleichheit sichtbar werden lässt. In Deutschland sind es seit Jahren vor allem Geflüchtete, die für ihr Bleiberecht und gegen Abschiebungen kämpfen. Das jüngste Beispiel ist Hamza A., der sich seit 46 Tagen im Hungerstreik befindet – in der Dresdner Abschiebehaft.

Der preisgekrönte Kriegsjournalist Peter Greste nannte den Hungerstreik “die ultimative Waffe der Machtlosen” und fügte hinzu: “Wenn einem alle anderen Handlungsformen genommen wurden, bleibt nur noch, Kontrolle über das Einzige auszuüben, was einem geblieben ist: den eigenen Körper.” 

Das bedeutet jedoch nicht, dass der Hungerstreik aus einem nihilistischen Moment entspringt. Im Gegenteil: Der Hungerstreikende ist höchstgradig lebensbejahend, da er nicht die Quantität, sondern die Qualität des Lebens betont. Er will leben, aber in Würde, wie auch Hamza A. immer wieder sagt.

Die Machtlosigkeit, die sich im Fall von Hamza A. zeigt, wird beispielsweise daran deutlich, dass selbst sein Hungerstreik erst nach über 30 Tagen den Weg in die Öffentlichkeit fand. Selbst mit diesem Schrei wurde er zunächst nicht gehört, da ihm die Zugänge zur Öffentlichkeit fehlten. Auch diese ist nicht frei von den Zwängen gesellschaftlicher Ungleichheiten. Selbst jetzt muss er sich sehr anstrengen, um gehört zu werden.

Die Hürden für die Artikulationsfähigkeit sind nicht nur formeller Natur. Inmitten eines Gesprächs, das von Behörden, Abschiebungen und Rechtsverfahren geprägt war, sagte er plötzlich etwas ganz anderes – etwas, das tief blicken lässt: “Ich verspreche Ihnen, dass ich irgendwann so gut Deutsch lernen werde, dass ich Ihnen zeigen kann, wie ein Bauernkind aus Kurdistan all das hier sieht.” Dahinter steckt die Einsicht in das tief empfundene Unverständnis, das sich auch in einem Lied von Ahmet Kaya findet, der schließlich im Exil gestorben ist: “Woher wollt ihr wissen, warum ich geflohen bin?” Doch wie können wir einander verstehen, wenn sich alle in sich selbst zurückziehen? Wie können wir den Zustand überwinden, in dem Hamza A. nur noch seinen eigenen Körper hat, um sich Gehör zu verschaffen?

Hamza A. kommt aus der Realität der Kurd:innen, die sich ihr Recht zu sprechen durch hartnäckige Kämpfe erstritten haben – selbst in Zeiten, in denen sie in völliger Dunkelheit leben mussten. Jetzt scheint er in seinem kollektiven Gedächtnis zu wühlen, um einen Ausweg aus dem Dunkeln der Abschiebehaft zu finden.

Wir begleiten ihn auf allen Ebenen – mit Hilfe eurer Aufmerksamkeit und Solidarität. Es geht aber über Hamza A. hinaus. Wir brauchen einen Kompass, der uns die Richtung eines Lebens zeigt, in dem niemand zum Hungern verdammt ist.

„Außerhalb der üblichen Zeiten“ – Fatoş İrwin (Diyarbakır/Amed, Türkei)


Berichte aus dem Verein

Interview mit Hamza A. im Hungerstreik: ‘Weil ich keinen anderen Ausweg sehe’

Hamza A. befindet sich seit über einem Monat in Dresden in Abschiebehaft – und im Hungerstreik. Er protestiert damit gegen seine drohende Abschiebung in die Türkei und die entmenschlichende Behandlung durch die Behörden. Zwei Abschiebeversuche sind bereits gescheitert. In diesem Interview spricht er über seine Geschichte, seine Beweggründe und das Gefühl völliger Ausweglosigkeit.

Interview.


Seit 41 Tagen im Hungerstreik gegen Abschiebung – Hamza A. hat nur noch Tage

Hamza A. (48) befindet sich seit 41 Tagen im Hungerstreik in der Abschiebehaft in Dresden. Bei jedem unserer Besuche wirkt er schwächer und abgemagerter, aber auch entschlossener. Sein Fall macht die konkreten Auswirkungen der aktuellen Abschiebepolitik deutlich und zeigt, wohin das System der Abschiebehaft Menschen führt, die kein Verbrechen begangen haben.

Pressemitteilung.


Von Taliban entführt und gefoltert: Freiwillige Rückkehr von Sachsen nach Afghanistan endet in Katastrophe

Herr Noorzai ist 24 Jahre alt, seit dem letzten Jahr verheiratet und kam 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Deutschland. Jahrelang war er selbst ehrenamtlich in der Hilfe für andere Geflüchtete in Bautzen aktiv. Nach langjährigen psychischen Belastungen und fehlenden Perspektiven kehrte er 2025 notgedrungen nach Afghanistan zurück. Dort geriet er in Lebensgefahr: Mehrfach von den Taliban verhaftet und zuletzt schwer verletzt, ist seine Situation aktuell kritisch. Sein Fall zeigt die extreme Gefährdung Rückkehrer aus Deutschland, die sich hier bereits ein Leben aufgebaut hatten.

Interview.


PRO ASYL und Landesflüchtlingsräte fordern Abschiebungsstopp für Afghanistan

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder fordern die Bundesregierung auf, jegliche weitere direkte oder indirekte Gespräche mit der afghanischen Regierung sofort einzustellen und einen förmlichen Abschiebungsstopp für das Land Afghanistan zu verhängen.

Pressemitteilung.

Afghanistan-Abschiebung um jeden Preis: Auch Betroffene aus Sachsen bereits in Abschiebehaft

Das Bundesinnenministerium arbeitet offenbar mit Hochdruck an einer Sammelabschiebung nach Afghanistan. Drei Männer befinden sich derzeit in der Dresdner Abschiebehaft und sollen bis zum 16. Juli abgeschoben werden. In Zusammenarbeit mit den Taliban werden weitere Flüge geplant, die deren Terrorregime legitimieren.

Pressemitteilung.

Modellprojekt ‘Perspektive Bleiberecht Dresden’ erhält ‘Bewährt vor Ort’-Siegel für kommunale Innovation

Unser Modellprojekt „Perspektive Bleiberecht Dresden“ wurde von einer Jury aus der Verwaltungspraxis als eine von 29 herausragenden kommunalen Innovationen ausgezeichnet. Das „Bewährt vor Ort“-Siegel wird gemeinsam vom Deutschen Städte- und Gemeindebund und von Re:Form vergeben. Ziel ist es, bereits erfolgreich erprobte Lösungen aus der kommunalen Praxis sichtbar zu machen und ihre Verbreitung zu fördern.

Bericht.

Demo in Leipzig: Es braucht einen Aufschrei

Auf der Demo in Leipzig erinnerten wir an die derzeitige Aushöhlung von Grundrechten Schutzsuchender, die auch bei Abschiebungen aus Sachsen deutlich wurden. Wer Familien trennt, Schwererkrankte oder Verfolgte wie Jesid*innen in den Irak abschiebt, folgt dem Rechtspopulismus, aber löst hierzulande keine Probleme, sondern lenkt von dringlichen Themen wie Bildung; Gesundheit; Klimawandel; marode Infrastruktur und Rezession ab. Doch die Symbolpolitik hat reale Konsequenzen und Geflüchtete werden immer häufiger attackiert – verbal wie physisch. Es braucht einen Aufschrei – wenn die rechtlich Schwächsten eingeschränkt werden, folgen schnell Freiheitseinschränkungen für Andere! Die queere Community oder Erwerbslose spüren es bereits, dass alle zu Minderheiten erklärten leiden, wenn rechte Narrative bestätigt werden. Das akzeptieren wir nicht! Die Demo war ein erstes Signal!

Bericht.

Hass gegen uns nach BILD-Artikel

Hass gegen uns nach BILD-Artikel: Zur Abschiebung nach Afghanistan wurde auch aus unserer Pressemitteilung zitiert. Wir erhielten danach Hate-Kommentare/Mails. Es bleibt dabei: Abschiebungen, die ein Terrorregime der Taliban international festigen, welches Frauen und religiöse/ethnische Minderheiten unterdrückt, werden wir auch zukünftig kritisieren. Als Verein grenzen wir uns natürlich von Gewalttaten ab und verurteilen diese, aber Menschenrechte gelten eben für alle – auch für Straftäter. Zumal im Flieger auch Menschen mit Bewährungsstrafen saßen.

Bericht.

BAMF nimmt Asylentscheidungen für Menschen aus dem Gazastreifen wieder auf

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheidet wieder über Asylanträge von Menschen aus dem Gazastreifen. Wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Links-Fraktion berichtet, wurde ein vorübergehender Stopp inzwischen aufgehoben. Das BAMF hatte im Januar 2024 zunächst die Entscheidung über Asylanträge von Menschen aus dem Gazastreifen eingestellt. Es berief sich dabei auf Artikel 24 des Asylgesetzes, wonach Entscheidungen aufgeschoben werden können, wenn eine “vorübergehend ungewisse Lage” besteht. Von einer solchen sei nun aber nicht mehr auszugehen, hieß es weiter. Der seit gut einem halben Jahr geltende Entscheidungsstopp für Verfahren von Schutzsuchenden aus Syrien besteht hingegen weiterhin.

Mark Niklas Cuno kommentiert die Entscheidung auf Verfassungsblog: “Halbherziger Schutz für Gaza. (…) Auch wenn der Entscheidungsstopp des BAMF aufgehoben ist, sehen sich Menschen aus Gaza damit auch künftig einem System ausgesetzt, das nur auf Umwegen gerechten Schutz bietet.”


Ohne uns gibt es für ‘Susanne’ keine Hilfe

Susanne ist 34, lebt mit ihren zwei Kindern in einem Dorf in Sachsen. Sie erfährt täglich Gewalt durch ihren Partner: Schläge, sexuelle Übergriffe, Kontrolle, Demütigung. Als sie den Mut fasst, mit ihren beiden Kindern zu fliehen, verliert sie alles: ihr Zuhause, ihre Ausbildung – und steht alleine da. Denn im ganzen Landkreis gibt es keine Beratungsstelle, die ihr helfen kann.

Denn Susanne heißt in Wirklichkeit anders – und sie hat Fluchterfahrung.

Geflüchtete Frauen in Deutschland sind mehrfach belastet: Neben der psychischen und materiellen Belastung durch die Flucht sind sie mit einer Vielzahl von geschlechts- und migrationsspezifischen Herausforderungen konfrontiert:

  • Häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt, Isolation, multiple Abhängigkeiten  
  • Komplexe aufenthaltsrechtliche und bürokratische Hürden
  • Diskriminierung und Mangel an Schutzräumen, fehlende Ansprechpartner*innen und  Verlust sozialer Netzwerke   

Viele Betroffene verbleiben aus Angst vor Abschiebung oder wegen fehlender Hilfe in gewaltvollen Beziehungen.

Unser Projekt “Meine Rechte, Meine Perspektiven” ist sachsenweit für geflüchtete Menschen ohne feste aufenthaltsrechtliche Perspektive da. Insbesondere sprechen wir Frauen und vulnerable Gruppen durch Schulungen, Beratungen und Öffentlichkeitsarbeit an. In vielen sächsischen Landkreisen sind wir die einzige Anlaufstelle im Bereich Aufenthaltsrecht für diese Menschen.

Als SFR sind wir sachsenweit für geflüchtete Menschen ohne feste aufenthaltsrechtliche Perspektive da. Insbesondere sprechen wir Frauen und vulnerable Gruppen durch Schulungen, Beratungen und Öffentlichkeitsarbeit an. In vielen sächsischen Landkreisen sind wir die einzige Anlaufstelle im Bereich Aufenthaltsrecht für diese Menschen.

Hilf mit, damit Geflüchtete in den sächsischen Landkreisen nicht alleine bleiben. Werde Fördermitglied oder unterstütze uns mit einer S P E N D E.


Veranstaltungshinweise

Vom Recht, Rechte zu haben – in Dresden und Chemnitz
Film & Gespräch über Staatenlosigkeit

In Deutschland leben nach Schätzungen mehrere mehr als 100.000 Menschen ohne Staatsangehörigkeit – sie gelten als staatenlos und sind damit von grundlegenden Rechten wie einem sicheren Aufenthaltsstatus, Zugang zu Bildung oder sozialer Absicherung oft ausgeschlossen.

Am 26. August in Dresden und am 27. August in Chemnitz laden wir gemeinsam mit Statefree e.V. und Christiana Bukkalo zu einem besonderen Film- und Gesprächsabend ein. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Sächsischen Flüchtlingsrat zeigen wir den 30-minütigen Film „Vom Recht, Rechte zu haben“, der das Thema auf eindringliche Weise beleuchtet. Im Anschluss sprechen wir online mit der Regisseurin Olga Gerstenberger, bevor Christiana Bukkalo einen Einblick in die Gründung und Arbeit von Statefree gibt. Danach laden wir das Publikum ein, Fragen zu stellen und sich auszutauschen.

Die Veranstaltungen beginnen jeweils um 19:00 Uhr, in Dresden im Torhaus (Bremer Str. 18) und in Chemnitz im Atomino (Annaberger Str. 73). Der Eintritt ist frei. Wir freuen uns auf euch!


Aufenthaltsverfestigung für Menschen mit Aufenthaltserlaubnis

Sie besitzen eine Aufenthaltserlaubnis und möchten wissen, wie Sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis – die Niederlassungserlaubnis – erhalten oder möchten gerne im EU-Ausland arbeiten? Wir werden darüber sprechen, nach wie vielen Jahren Sie diese beantragen können und welche Voraussetzungen Sie dafür erfüllen müssen.

In der Schulung wird es nicht darum gehen, wie ein deutscher Pass beantragt werden kann.

WANN: am 14.08.2025 um 16:00 – 18:00 Uhr
WO: Club Passage, Leutewitzer Ring 5, 01169 Dresden
Ohne Anmeldung


Aktuelle Informationen für Menschen aus der Ukraine

Sie sind aus der Ukraine geflüchtet, besitzen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG und möchten gerne wissen, wie es weitergeht und welche Möglichkeiten Sie nun haben?
Kommen Sie gerne in unsere Schulung zur aktuellen Rechtslage für Menschen, die vom Krieg in der Ukraine geflohen sind.Ende 2024 wurde entschieden: Die Aufenthaltserlaubnisse gem. § 24 AufenthG für Menschen aus der Ukraine gelten automatisch bis zum 4. März 2026 fort. Das betrifft jedoch die meisten Menschen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit und ohne internationalen Schutzstatus bzw. ohne unbefristetes Aufenthaltsrecht in der Ukraine nicht.
Wir werden in der Schulung besprechen, ob und für wie lange Ihre Aufenthaltserlaubnis verlängert wird und welche weitere Aufenthaltserlaubnis Sie noch beantragen können.Die Schulung richtet sich insbesondere an geflüchtete Menschen.
Die Teilnahme ist kostenlos. Keine Anmeldung notwendig.
Sprache der Veranstaltung: Russisch
WANN: am 26.08.2025 um 09:00 – 11:00 Uhr
WO: „Das Zusammenleben“ e. V. Dresdner Str. 162 01705 Freital

Rechte geflüchteter Frauen bei Trennung

Liebe Frauen,

interessieren Sie sich für Themen, die Ihr Wissen über Ihre Rechte und Aufenthaltsmöglichkeiten stärken können? Oder kennen Sie jemanden, der davon profitieren könnte? Dann ist diese Schulung genau das Richtige für Sie.

Wir werden über Aufenthaltsoptionen und über die Rechte sprechen, die Sie als Frauen in Deutschland haben.Die Schulung richtet sich insbesondere an Geflüchtete.

Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Anmeldung.

WANN: am 28. August 2025 um 13:00 – 15:00 Uhr
WO: Willkommen in Bautzen / Schülerstr. 6, 02525 Bautzen



Drei Stimmen aus der Presse

  • Kinderarbeit in der Türkei: Sie nähen die Kleidung, die wir tragen (von Carmen Maiwald und Vanessa Materla, Freitag)
    In türkischen Textilfabriken arbeiten Hunderttausende Minderjährige, viele von ihnen sind Geflüchtete aus Syrien. Die Kinder arbeiten für wenige Euro am Tag bis zu elf Stunden täglich
  • Ist das neue Syrien gescheitert? (von Dr. Andreas Wulf und Anita Starosta, medico-Blog)
    Nach den Massakern an der drusischen Minderheit zeigt sich die Bedeutung der Hilfe als solidarische Praxis.
  • Selektive Rettung: die Migrantisierung der Seenot und die Politik des Sterbenlassens im zentralen Mittelmeer (von M. Gebhardt, L. Laube, S. Spasiano und M. Ullrich, Netzwerk Fluchtforschung)
    (…) auf der Fluchtroute über das zentrale Mittelmeer grenzt die italienische Küstenwache migrantisch gelesene Boote von anderen Seenotrettungsfällen sprachlich ab. Es verdichten sich Hinweise, dass eine solche Unterscheidung eine Hierarchisierung von Seenotfällen begünstigt, die zu einer verzögerten oder Nicht-Rettung von migrantisch gelesenen Booten führen kann.

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