Newsletter (09/25): Kriminalität hat keine Herkunft – sondern Ursachen

Dresden, 04.09.2025

Liebe Leser:innen,

zu den Anfängen der heutigen Verschärfungen der (gesellschaftlichen) Haltung gegenüber Geflüchteten hatten wir eine klare Warnung ausgesprochen: “Flüchtling” entwickelt sich zu einer Identität, durch die den Menschen pauschal Eigenschaften zugeschrieben werden. Heute werden die Folgen immer sichtbarer. In immer mehr Diskussionen und Erzählungen dient das Wort “Flüchtling” als Feindmarkierung und Erklärungsmuster für etliches Fehlverhalten. So funktioniert Rassismus.

Gerade in den letzten Wochen mussten wir in Sachsen wieder erleben, wie einzelne Gewalttaten und Delikte wie Drogenhandel pauschal “Flüchtlingen” oder “illegalen Migranten” angelastet werden. Dass dieser Propaganda immer weniger widersprochen wird und diese Haltung auch von der Regierung mitgetragen wird, nutzt vor allem den Kräften rund um die extremen Rechten. In den bundesweiten Umfragen ist die berüchtigte Partei die stärkste Kraft und ihre militanten Nebenflügel werden immer zahlreicher und mutiger.

Dieses Thema beschäftigt uns auch in unserer Arbeit – sei es bei den Beratungen oder in der öffentlichen Kommunikation. Wir werden immer häufiger gefragt, wie wir diese “unübersehbare” Entwicklung einordnen. Dabei wird manchmal erwartet, dass wir uns von den “Kriminellen” distanzieren, und manchmal sollen wir die Besorgten durch Kriminalstatistiken o. Ä. beruhigen. Beides entspricht jedoch nicht unserer Arbeitsweise, da wir lieber mit der Realität und echten Lösungsansätzen arbeiten als mit propagandistisch gefärbten Inhalten.

Migration an sich führt nicht zu mehr Kriminalität – was auch viele wissenschaftliche Studien belegen. Mit Kriminalität stehen jedoch folgende Dinge in direktem Zusammenhang: Prekarität, Armut, Perspektivlosigkeit, Patriarchat, Ausschlusserfahrungen und unbehandelte Krisen. “Sozialer Mord” war eine Bezeichnung für das Elend der arbeitenden Menschen zu Beginn der Industrialisierung in England, bei dem jegliche Form von Kriminalität (auch “untereinander”) vorkam. Seitdem ist der Zusammenhang zwischen Kriminalität und Ungleichheit völlig klar. All das ist auf politische und gesellschaftliche Prozesse zurückzuführen, die uns alle angehen. Zu glauben, dass ein Deutscher unter denselben ungünstigen Umständen gutmütiger wäre als ein Ausländer, ist nichts anderes als Rassismus “für Dummies”.

Das ist aber kein Appell zur Leugnung. Selbstverständlich müssen wir uns intensiv mit den Realitäten ganzer gesellschaftlicher Gruppen auseinandersetzen, wenn dort überproportional häufig Gewalt oder andere Arten von Kriminalität vorkommen. Genau diese Überproportionalität ist ein Zeichen dafür, dass dort genauer hingeschaut und etwas verändert werden muss. Doch was genau wollen wir verändern? Ein Rassist bzw. potenzieller Faschist kann hier nur zwei Vorschläge haben: “Wir schließen sie ein oder, noch besser: aus!” oder “Wir verhindern, dass sie sich vermehren!”. Schließlich gibt es mehr Wut, mehr Rage, mehr Überwachung, mehr Gewalt – das ist sowohl historisch als auch aktuell überall zu finden.

Unser Ansatz: Lasst uns nachhaltig denken und gemeinsam an einer Gesellschaft arbeiten, die allen Menschen eine Perspektive bietet. Das beginnt beim Aufenthaltsrecht und erstreckt sich auf die internationale Verantwortung mit gerechten Lieferketten, Klimagerechtigkeit und einer konsequenten Friedenspolitik.

“Leave no one behind” bedeutet, niemanden unter prekären Bedingungen den reaktionären Scheingegnern oder der Kriminalität zu überlassen. Das ist nur mit einer radikalen und kollektiven Solidarität möglich, die auf dem Glauben an Menschen und Veränderung beruht, statt ganze Gruppen – sei es rassistisch oder armenfeindlich motiviert – zu diskreditieren und somit noch mehr in die Kriminalität zu treiben.

Wie könnte eine lösungsorientierte, solidarische und gerechte Perspektive konkret aussehen? Wertvolle Erfahrungen werden hier und da gesammelt, und wir stehen auch als Diskussionspartner zur Verfügung.


Berichte aus dem Verein

Hamza A. ist frei!

Es war eine große Belastung: Hamza A. war 62 Tage in Abschiebehaft im Hungerstreik und verhinderte mit drastischen Methoden fünf Abschiebeversuche, um zu kommunizieren, dass er eine Abschiebung in ein Land, in dem ihm eine erneute politische Verfolgung droht, in aller Klarheit ablehnt.

Er war seit sechs Jahren in Deutschland, hatte hart gearbeitet, um sich hier ein neues Leben aufzubauen, und seine Partnerin sowie seine Freund:innen wollten nicht, dass er geht. Das zentrale rechtliche Problem war die Glaubwürdigkeit seiner Gerichtsakte aus der Türkei, die seine politische Verfolgung belegte. Trotz aller Versuche schien es eine gewisse Hartnäckigkeit zu geben, ihn schnellstmöglich “loszuwerden”. Dank eurer großartigen Unterstützung haben wir und die Solidaritätsgruppe alles gegeben, um ihn aus der Abschiebehaft und der Perspektivlosigkeit der Abschiebung zu retten – mit Erfolg: Er wurde freigelassen. Nun muss das BAMF seine Unterlagen neu prüfen.

Diese von Unrecht, Gewalt und Ignoranz geprägte Zeit zeigt, welche Ausmaße die “Abschieberei” erreichen kann und welche Entwürdigungen in der Abschiebehaft und bei Abschiebungen möglich sind.

Hier ist eine kleine Auswahl an Veröffentlichungen zu diesem Fall.

  • Interview mit Hamza A. im Hungerstreik: „Weil ich keinen anderen Ausweg sehe“
  • Protokoll einer versuchten Abschiebung: “Ich habe nur noch meinen Kopf gegen die Wand”
  • Petition (25.793 Unterschriften): 60 Tage Hungerstreik im Abschiebeknast Dresden – Rettet Hamza A.
  • Bericht von Valerie Schönian (ZEIT): Wer ist Hamza A.?
  • Bericht von Connor Endt (Sächsischer Zeitung): Hungerstreik seit 56 Tagen: Kurde fordert Schutz vor politischer Verfolgung
  • Pressemitteilung vom Verein demokratischer Ärzt:innen: Die oberste Verpflichtung gilt dem einzelnen Patienten – nicht bei Hamza A.
  • Pressemitteilung von der Landesdirektion Sachsen: Hamza A. aus der Abschiebehaft entlassen

 


Mehr Personal und digital: Ausländerbehörde Leipzig bemüht sich um kürzere Bearbeitungszeiten

Seit Jahren klagen Personal und Ratsuchende über die langen Bearbeitungszeiten in den Ausländerbehörden Sachsens. In der Ausländerbehörde Leipzig wurde reagiert und bereits mehr als 40 zusätzliche Mitarbeitende eingestellt. Zusätzlich erweitert sie ihr digitales Angebot um Online-Anträge für Aufenthaltstitel. Reicht das, um die Überlastung und die langen Bearbeitungszeiten in den Griff zu bekommen?

Pressemitteilung.


Zum Schulstart in Sachsen: Über 1.000 Kinder/Jugendliche ohne Schulplatz

Vor einem Jahr warteten in Sachsen mehr als 2.000 ausländische Kinder und Jugendliche auf einen Schulplatz. Das Bündnis „Recht auf Schule für Alle in Sachsen“ wurde damals von ca. 30 Organisationen gegründet, um Aufmerksamkeit für das Problem zu schaffen sowie die sächsische Regierung zum Handeln zu bewegen.

Pressemitteilung.


Querfeld #8 ist bald da!

Wir freuen uns sehr, denn unser Jahresmagazin erscheint bald mit spannenden und inhaltreichen Beiträgen. Das Titelthema dieser Ausgabe ist “Grenze”. Neben Beiträgen unserer Mitarbeitenden und Mitglieder gibt es auch Erfahrungsberichte zu Grenzen, wissenschaftliche Beiträge zum Grenzregime sowie Texte zu anderen Themen, beispielsweise Staatenlosigkeit oder die Situation in Geflüchtetenunterkünften. Dazu gibt es Gedichte, Bilder und vieles mehr.

Haltet die Ohren offen, bestellt die Ausgabe (gegen Spende bzw. Portokosten) unter querfeld@sfrev.de und helft uns, dass mehr Menschen die Lektüre erhalten. Danke! 🙂


Gemeinsamer Aufruf mit Amnesty Deutschland: Afghan:innen mit Aufnahmezusage ihre sichere Ausreise ermöglichen!

Am 13. August wurden zum ersten Mal Afghan*innen mit rechtskräftiger Aufnahmezusage für Deutschland aus Pakistan nach Afghanistan abgeschoben. Eigentlich hatte ihnen die Bundesregierung versprochen, eine baldige Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen. Vergeblich.

Rund 2.000 Menschen in Pakistan droht ein ähnliches Schicksal. Auch sie vertrauen darauf, dass Deutschland sein Versprechen hält. Darunter Frauenrechtler*innen, Anwält*innen, ehemalige Ortskräfte, Journalist*innen, LGBTI+ und Angehörige anderer vulnerabler Gruppen. Nur 47 Menschen konnten bislang Pakistan Richtung Deutschland verlassen – und das nur wegen eines richterlichen Beschlusses.

Wir lassen diese Menschen nicht im Stich!

Kampagne.


Unsere Spendenkampagne: Wir brauchen euch – dringend!

Dank euch haben wir bereits 20 % unseres Spendenziels erreicht – über 11.000 € für den Sächsischen Flüchtlingsrat und #stilllovingbleiberecht

Gerade in Zeiten politischer Repression, finanzieller Kürzungen und destruktiver Debatten voller Stereotype zeigt ihr: Solidarität wirkt. Gemeinsam können wir Schutzsuchenden den Rücken stärken.

Damit heute Grundrechte bewahrt und eines Tages alle Menschen gleichberechtigt leben können. Dafür bleiben wir kritisch, laut und sichtbar – um Anliegen von Schutzsuchenden in die Öffentlichkeit zu tragen.

Wir freuen uns weiter über jeden Support und Leute, die die Kampagne teilen 💚


Veranstaltungshinweise

Behörden 1×1 für geflüchtete und engagierte Menschen

Im Rahmen der interkulturellen Woche im Landkreis Görlitz und in der Kooperation mit dem Willkommensbündnis Löbau laden wir Sie zu einem kurzen Vortrag und zum Austausch ein.

Die Integration in Deutschland ist ein Prozess, der verschiedene rechtliche und administrative Schritte erfordert. Besonders für Geflüchtete ist es wichtig, die Funktionsweise von Behörden zu verstehen und zu wissen, worauf geachtet werden muss. Aus diesem Grund bieten wir eine Infoveranstaltung zum Thema „Behörden 1×1 für Geflüchtete“ an, die grundlegende Informationen und praktische Tipps vermittelt.

Die Schulung richtet sich insbesondere an Geflüchtete und Engagierte. Die Teilnahme ist kostenlos.

Datum: 23.09.2025
Uhrzeit: 16 Uhr bis 18 Uhr
Ort: DRK Geschäftsstelle in Löbau, Äußere Zittauer Str. 47a, 02708 Löbau
Anmeldung: keine

Die Schulung wird im Rahmen des Projektes „Meine Rechte. Meine Perspektiven – Empowerment-Projekt für Drittstaatsangehörige in Sachsen“ organisiert. Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes sowie mit Mitteln der UNO Flüchtlingshilfe.


Aufenthaltsverfestigung für Menschen mit Aufenthaltserlaubnis

Sie besitzen eine Aufenthaltserlaubnis und möchten wissen, wie Sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis – die Niederlassungserlaubnis – erhalten oder möchten gerne im EU-Ausland arbeiten? Wir werden darüber sprechen, nach wie vielen Jahren Sie diese beantragen können und welche Voraussetzungen Sie dafür erfüllen müssen.
In der Schulung wird es nicht darum gehen, wie ein deutscher Pass beantragt werden kann.

Datum: 25.09.2025
Uhrzeit: 13:00
Ort: Willkommen in Bautzen, Schülerstraße 6 in 02625 Bautzen
Anmeldung: keine


Ausgebucht – Fachtag “Das Aufenthaltsgesetz aus feministischer Perspektive betrachtet”

Das Aufenthaltsgesetz spielt für in Deutschland lebende Drittstaatsangehörige eine zentrale Rolle, da es in vielerlei Hinsicht deren Aufenthalt regelt. Doch inwieweit folgt das Gesetz dem Gleichstellungsprinzip und bietet allen gleichermaßen Zugänge?Welche Bedeutung kommt dabei der Geschlechtergerechtigkeit zu? Diese und viele weitere Fragen möchte der Sächsische Flüchtlingsrat e.V. gemeinsam mit Fachkräften und Engagierten mit Berührungspunkten zum Migrations- und Gewaltschutzbereich näher betrachten und diskutieren. Der Verein lädt daher zu einem landesweiten Fachtag am 1. Oktober 2025 nach Dresden ein. Ziel des Fachtags ist es, das Aufenthaltsgesetz aus einer feministischen Perspektive zu betrachten, dieses kritisch zu hinterfragen und die strukturellen Ungleichheiten zu thematisieren, die es hervorrufen kann. Auch sollen regionale Praktiken in den Blick genommen werden. In Vorträgen, Diskussionen und Workshops sollen nicht nur der Status quo und der daraus resultierende Handlungsbedarf analysiert, sondern auch intersektionale Lösungsansätze entwickelt werden – sowohl für die Beratungspraxis als auch Politik. Ein besonderer Fokus liegt auf der langfristigen Unterstützung bestimmter Personengruppen bei der Sicherung ihres Aufenthalts.

Der Fachtag richtet sich insbesondere an Fachkräfte, die im Migrations- sowie im Gewaltschutzkontext arbeiten. Selbstverständlich sind aber auch sonstige Interessierte herzlich willkommen. Die Teilnahme ist kostenlos. Alle Teilnehmer*innen erhalten im Nachhinein ein Teilnahme-Zertifikat.
Es wird empfohlen, eigene Gesetzestexte – in analoger oder digitaler Form – mitzubringen.

Die Veranstaltung ist ausgebucht und die Anmeldung leider bereits geschlossen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Datum: 01.10.2025
Ankommen: 9:00 Uhr
Beginn: 09:30 Uhr
Ort: riesa efau (Kultur Forum Dresden e.V.), Wachsbleichstraße 4a, 01067 Dresden



Drei Stimmen aus der Presse

  • Wo das Bamf falsch lag (von Frauke Böger und Jonas Niesmann, Spiegel)
    Venezolaner sind die weltweit größte Gruppe von Geflüchteten. In ihrem Heimatland herrschen Not und Angst. Einige schaffen es nach Deutschland, doch für Schutz müssen die meisten hier kämpfen. Zwei Beispiele von Tausenden.
  • 10 Jahre „Sommer der Migration“: Solidarität unter allen, die unterwegs waren (von Mario Neumann, medico)
    Ein Gespräch mit Tareq Alaows von Pro Asyl über ein Leben zwischen syrischer Revolution und deutscher Migrationspolitik.
  • Zahl der Asylanträge sinkt im August um 60 Prozent (ZEIT)
    Die Zahl der Asylanträge sinken seit Monaten. Im August waren es 7.803 Menschen, die einen Antrag stellten, im Vorjahresmonat noch mehr als 18.000.

Teile diesen Beitrag: