Aus Querfeld #7: Insgesamt… nicht besorgniserregend? – Eine Review des „Heim-TÜV“-IV

von Hans Eylert*

Der „Heim-TÜV“ IV des Sächsischen Ausländerbeauftragten lässt tief blicken – Ein Review

Ein Schmeichler ist nicht zuletzt derjenige, der versucht, die Dinge besser darzustellen, als sie sind.

Für den sächsischen Ausländerbeauftragten Geert W. Mackenroth (CDU) dürfte die Zusammenfassung der von ihm herausgegebenen Studie “Heim-TÜV” IV Balsam auf die geplagte Seele gewesen sein. Immerhin lassen sich dort Aussagen wie die folgende finden:

“Insgesamt ist die Unterbringungssituation in sächsischen Aufnahmeeinrichtungen [AE] für Asylbewerber nicht besorgniserregend. In praktisch allen AE herrschen mindestens akzeptable Grundbedingungen. Auch gibt es sehr viel guten Willen bei den Leitungen und sozialen Betreuungsteams, unter insgesamt schwierigen Bedingungen eine vernünftige Unterbringung der Geflüchteten in den Einrichtungen zu gewährleisten. In einigen Einrichtungen gelingt das wirklich gut: Ein motivierter und gut ausgebauter Personalstamm, gute infrastrukturelle Gegebenheiten, eine breite Angebotspalette und funktionierende Kooperationen mit der Zivilgesellschaft ermöglichen eine Unterbringungsqualität, die auch anspruchsvolleren ethischen Anforderungen gerecht wird”.

Der von ihm für die Studie beauftragte Dr. Christoph Meißelbach (+ Team) muss folglich ein Mensch mit einem tiefen Sinn für Empathie sein, der es ihm ermöglichte, entgegen seiner eigenen Ergebnisse, solch blumige Worte an den Anfang der Zusammenfassung zu stellen. Allein die Sprache folgt ihren eigenen Regeln, welche eine allzu stark abweichende Beschreibung von dem, was beschrieben wird, nicht zulassen.

Inhaltsanalyse auf der Wortebene

Um uns also einen ersten schnellen Überblick zu verschaffen, wie es um die Zustände, über die der “Heim-TÜV” IV berichtet steht, müssen wir uns zum Glück nicht die komplizierte Frage stellen, was den eine anspruchslose ethische Anforderung wäre (auf Stroh schlafen bei Wasser und Brot?), sondern es genügt eine kleine Inhaltsanalyse auf der Wortebene.

Auf den 70 Seiten der Studie finden sich häufig die Wörter “Problem” (80x), “Bedarf” (56x), “Mangel” (31x), “Herausforderung” (24x) und “Belastung” (14x), in deutlich geringerer Zahl die Wörter “verbesserungswürdig” (3x), “nicht zufriedenstellend” (2x), “unbefriedigend” (2x) und “Bedrängnis” (1x). Das Wort “Kritik” kommt 14 mal vor.

Schnell interpretiert, ergibt sich in etwa folgendes Bild: Es gibt schon viele, viele, viele Probleme, aber wir sollten sie nicht so schwer nehmen. Gelegentliche Kritik ist vertretbar, sollte allerdings im Rahmen bleiben, denn ernsthaft “nicht zufriedenstellend” (als Synonym für “unerträglich”?) sind die Zustände nur ganz selten, und in “einigen Einrichtungen” (sic!) läuft der Laden ja.

Bescheidenheit

Ich möchte es an dieser Stelle der Motivation der Leser:innen überlassen, sich durch einen Blick in die Viten der bisher genannten Personen ein eigenes Bild von der Qualität der hier vorliegenden Zusammenarbeit zu machen. Mein Eindruck ist, dass sich hier “die Richtigen” gefunden haben, was nicht zuletzt aus der Danksagung hervorgeht:

“Nicht zuletzt sei dem Sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth MdL und seinem Team sehr gedankt. Sie waren nicht nur unsere jederzeit vertrauensvollen Auftraggeber, sondern sorgten auch für eine durchweg perfekte Zusammenarbeit”.

(Bescheidenheit, Bescheidenheit, verlass mich nicht bei Tische, gib Acht, dass ich zu jeder Zeit das größte Stück erwische, amen!)

Eine “abhängige” Forschung

Prinzipiell muss sich der “Heim-TÜV” IV die Kritik gefallen lassen, nicht das Ergebnis unabhängiger Forschung zu sein. Da der Zugang zu jeder AE in Sachsen durch die Landesdirektion Sachsen (im Folgenden LDS) striktestens reguliert wird, ist der Zugang zum Forschungsfeld nur in “enger Abstimmung” überhaupt möglich. Doch auch für diese prekäre Situation findet sich im Text mehr Einfühlungsvermögen als Kritik:

“Die LDS hatte ihrerseits plausible Gründe, der Untersuchung kritisch gegenüberzustehen: Negative Befunde zur Unterbringungssituation in den AE dürften – so eine mögliche Hintergrunderwartung – potentiell auch auf sie zurückfallen, wobei die praktischen Zwangslagen und Zielkonflikte, in denen sich auch die LDS befände, zu wenig beachtet blieben”.

Damit stellt die LDS ihre eigenen Bedürfnisse klar in den Vordergrund vor die Bedürfnisse ihrer Schutzbefohlenen – und dies sollen wir schon als eine Verbesserung der Rahmenbedingungen wahrnehmen, denn:

“Dieses weitestgehende Ausbleiben von politischen Beeinflussungsversuchen auf den Forschungsprozess stellt einen markanten Unterschied zur Evaluation der Gemeinschaftsunterkünfte im letzten „Heim-TÜV“ II dar (siehe Patzelt & Meißelbach 2018: 11)”.

Zumindest habe sich die LDS nicht in die Konzeption der Erhebungsinstrumente eingemischt, wird noch berichtet, wobei hier angemerkt werden kann, dass die LDS in diesem Fall die Studie auch selbst hätte durchführen können, da es für Herrn Mackenroth dann eventuell schwierig geworden wäre, jemanden aus dem Wissenschaftsbetrieb zu finden, der seinen Namen dafür hergegeben hätte. Was der LDS allerdings durchaus noch blieb, war die Beeinflussung des Zeitpunktes, an dem das forschende Team um Dr. Meißelbach, größtenteils in Begleitung einer Person aus der Geschäftsstelle des Sächsischen Ausländerbeauftragten, ihre zwischen 30 bis 60 Minuten dauernden Begehungen durchführten, bei denen standardisierte Beobachtungsprotokolle ausgefüllt wurden.

„Tendenziell positiv verzerrt”

2015 dürften Student*innen und Geflüchtete in der Aufnahmeeinrichtung noch gemeinsam malen, mittlerweile wäre diese Mission selbst für Super Mario zu schwierig!

Die Begehungen wurden zwischen November 2022 und Januar 2023 durchgeführt, nachdem die Termine 2021 und 2022 aufgrund der “Ausnahmesituation” der Pandemie und des Krieges in der Ukraine von Seiten der LDS immer wieder verschoben wurden, weil die LDS wohl ein “verzerrtes Befundbild” als Folge der Bestandsaufnahme befürchtete. Ohne polemisch zu werden und ohne die angesprochenen Belastungen zu klein zu reden, könnte man die Argumentation dieses Vorgehens genauso gut auf den Kopf stellen, indem man fragt, ob eine von der LDS mit dem Betrieb der AE beauftragte Hilfsorganisation nicht gerade in einer “Ausnahmesituation” ihre Qualitäten unter Beweis stellen müsste. Üblicherweise werden andere Organisationen wie Rettungsdienst, Feuerwehr und Katastrophenschutz eher nach ihren Fähigkeiten im Umgang mit Menschen in Extremsituationen als im Normalbetrieb beurteilt – und da das Forschungsteam um Dr. Meißelbach zu dem Schluss kommt, dass der Bericht ein “tendenziell positiv verzerrtes Bild der Unterbringungssituation” zeichnen könnte, hätte man auch kritisch über eine mögliche negative Tendenz des Berichts nachdenken können. Wenn das möglich gewesen wäre. So können wir nur mutmaßen, ob der öffentliche Protest (“Destroy the camp, let us live”) der in der AE Schneeberg untergebrachten Geflüchteten im September 2021 oder der Hungerstreik gegen die Unterbringungssituation der Geflüchteten in der AE Mockau im November 2021 zufällig oder absichtlich der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit des Teams um Dr. Meißelbach entzogen wurden. Zumindest die Ausbrüche von Krätze und Diphtherie in den AE Mockau und Schneeberg im November 2022 hätten die Forschenden rein technisch mitbekommen können.

“Grundsätzlich problematisch”

Zumindest dann, wenn die Leitung der jeweiligen AE das letzte Feld 95 des standardisierten Online-Fragebogens (“Möchten Sie uns sonst noch etwas mitteilen?”) genutzt hätte oder die Probleme während der Leitfadeninterviews angesprochen worden wären, wenn nicht gerade, wie in vier Fällen, die Anwesenheit eines Mitarbeiters des Sächsischen Ausländerbeauftragten möglicherweise den – natürlich falschen – Eindruck erweckt hätte, Anonymität sei ein sensibles Gut, weshalb zumindest keine Interviews in Anwesenheit von Vertreter:innen des LDS geführt wurden. Jedenfalls reflektieren die Forscher:innen durchaus kritisch, dass in diesem Fall ein großer Druck von außen auf den Befragten lastete:

“Das zeigte nicht zuletzt die von den Sozialarbeitern in den Interviews zur Schau gestellte ‘Compliance’: Trotz zugesicherter Anonymität und der örtlichen Verlegung dieser Interviews aus den AE waren die Befragten sehr zögerlich bei kritischen Aussagen über die eigene AE und insbesondere die LDS”.

An dieser Stelle möchte ich zunächst von der noch ausbaufähigen Kritik an der Studie absehen und einige zentrale Ergebnisse der Studie wiedergeben, die sehr anschaulich und nachvollziehbar einige Problemstrukturen in den sächsischen AE darstellen. Sie können als Grundlage für weitere Untersuchungen und als Diskussionsgrundlage dienen.

Der Bericht stellt klar, dass die Situation in den Unterkünften “grundsätzlich problematisch” ist.

Die festgestellten Mängel

Die Rede ist von mangelnder Privatsphäre, dem oft tristen und langweiligen Alltag der Geflüchteten aufgrund fehlender Arbeitsmöglichkeiten und nur beschränkt vorhandenen Angeboten für Bildung, Beratung und Freizeit. Weiterhin gelte es die Angebote für vulnerable Gruppen auszubauen, es wird festgestellt, dass Clearingstellen für Vulnerabilität und Gewaltschutzkoordination längst nicht in allen AE vorhanden sind. Außerdem gelte es der Gruppe der “jungen, alleinreisenden Männer” mehr sozialarbeiterische Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, da ihre spezifischen Bedarfe oft übersehen würden. Die prekäre Situation in der psychologischen und allgemeinen medizinischen Versorgung der Bewohner:innen findet ebenso Erwähnung wie der Personalmangel, die hohe Belastung des Personals und die restriktiven Vorgaben der LDS zum Umgang mit zivilgesellschaftlichen Unterstützungsangeboten in den AE. Zudem wird die schlechte bauliche und infrastrukturelle Situation einiger AE ebenso direkt angesprochen wie die insgesamt großen Unterschiede in der Unterbringungsqualität zwischen den einzelnen AE.

Nun ist es nicht so, dass die einzelnen genannten Probleme neu wären. Neu ist, dass sie gebündelt vorliegen und mit dem Vermerk versehen sind, dass die LDS ein “systematisches Informationsproblem” hat und im “Sinne effektiven institutionellen Lernens” “systematische Vorkehrungen” treffen sollte um “eine offene Feedback-Kultur zu etablieren”. Außerdem sei ein “stringenteres überwölbendes Qualitätsmanagement notwendig”.

Dazu gibt die Studie noch eine ganze Reihe von Lösungsvorschlägen, wie einzelne Situationen verbessert werden könnten. Dies ist gut gemeint und sicherlich basierend aus den Ergebnissen auch treffend, leider ignoriert der “Heim-TÜV” IV die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im April 2021 herausgegebene Broschüre “Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften”, die für viele der gefundenen Probleme detaillierte Lösungsansätze enthält und für die Unterbringung eben einen klaren Mindeststand als Richtschnur der Bewertung der Praxis vorgibt. Diese haben im Vergleich zu den hier angebrachten Lösungsvorschlägen den Vorteil, dass sie universell angelegt sind und auf den Erfahrungen einer breiten Palette von Wohlfahrtsvereinen aus dem gesamten Bundesgebiet basieren.

So gut diese Erkenntnisse und Anregungen auch sind, so begrenzt sind sie leider in der Lage, wirklichen Einfluss auf das institutionelle Handeln der LDS zu nehmen. Grundsätzlich muss angemerkt werden, dass die zu etablierende Feedback-Kultur nur zwischen LDS und Betreibern angeraten wird. Interessenvertretungen von Geflüchteten bleiben weiterhin außen vor. Damit ignoriert die Studie aber eine entscheidende Komponente in der Zusammenarbeit der LDS mit den von ihr beauftragten Betreibern. Sie ist tendenziell symbiotisch, da wichtige Interessen geteilt werden und eine starke gegenseitige Abhängigkeit vorhanden ist. 

An erster Stelle steht, dass beide Institutionen zur Wahrung der von ihnen angestrebten Abläufe und Routinen einer kritischen Öffentlichkeit eher ablehnend gegenüber stehen müssen, da diese in der Lage ist, durch Skandalisierungen von Verhältnissen ebenjenen Alltag zu stören. Im Klartext kann das bedeuten, dass von einer Vertuschung im Zweifelsfall beide Seiten profitieren können. Damit verbunden besteht für beide ein großer Rechtfertigungsdruck, da sie zugleich mit der Verwaltung von schutzbedürftigen Menschen und Steuergeldern betraut sind. Beides verlangt nach einem sensiblen Umgang – und genau in diesem Umgang sind LDS und Betreiber aneinander gebunden: die LDS hat im Zweifelsfall zwar das Geld, braucht zur Erfüllung ihrer Aufgabe aber einen Betreiber, umgedreht kann die Hilfsorganisation nur existieren, wenn sie durch tatsächlich geleistete Hilfsgelder einnimmt, um benötigte Infrastruktur und Angestellte zu bezahlen + Gewinn. Diese Notwendigkeit wird noch dadurch verschärft, dass sie sich in Konkurrenz zu anderen Betreibern, zunehmend auch privaten, befindet. Auf dem sächsischen Markt für Hilfsangebote sind im Bereich Erstaufnahme derzeit die Malteser Werke GmbH, der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. und die European Homecare GmbH aktiv. Dadurch entsteht eine Situation, die landläufig in den folgenden Phänomenen bekannt ist: “man beißt nicht in die Hand die einen ernährt“ und, etwas diffamierend konnotiert, “die eine Krähe hackt der anderen Krähe kein Auge aus“.

“Viel mehr Kontrollen”

“Es müsste viel mehr Kontrollen geben” – diese Aussage aus einem kürzlich in Schneeberg geführten Interview drückt die Ohnmacht aus, die die mit der Unterstützung von Betrauten von Geflüchteten täglich spüren. Ihre Perspektiven sind im “Heim-TÜV” IV nicht präsent, ebenso wie die der Geflüchteten, welche durchleben, worüber andere nur zu reden brauchen.

Um die Zustände für die Geflüchteten zu verbessern, reicht es leider nicht aus, auf den guten Willen der LDS und der Betreiber zu hoffen. Die Betreuungsteams stehen oft selbst im Regen. Gewerkschaftliche Vertretung? Abseits der bekannten Praxis dieser Institutionen wurde versucht aufzuzeigen, dass diese ihren eigenen Zwängen unterliegen, auf deren Auflösung die Geflüchteten nicht warten können. Um Verbesserungen voranzutreiben, bedarf es immer auch der Aufmerksamkeit einer kritischen Öffentlichkeit. Knackpunkt bleibt der Zugang zu den AE, welcher strengstens reglementiert ist, so dass Unterstützer:innen das Leben in den AE immer mehr als eine “geschlossene Veranstaltung in einem Paralleluniversum” wahrnehmen. Dies ist nicht nur schädlich, weil es das gegenseitige Misstrauen zwischen Verwaltung und kritischer Öffentlichkeit schürt – immerhin heißt es in anderen Kontexten ja oft: “Wer nichts zu verbergen hat, braucht keine Nachforschungen zu fürchten”. Es vermindert auch das Potential unabhängiger Forschung beträchtlich, die derzeit nur rund um die AE stattfinden kann, wo die an die Arbeit mit Geflüchteten angeschlossenen Vereine und Beratungsstellen, welche unter wahrnehmbar größter Belastung agieren, die einzigen Anlaufstellen darstellen, um Informationen zu erhalten. Womit auch klar ist, dass die Verwaltung, wenn sie an dieser Stelle kürzt, gleichzeitig die Transparenz ihres eigenen Handelns noch mehr beschneidet. Eine erste Abhilfe ist hier jedoch schnell gefunden. Mitarbeiter:innen von Vereinen wie dem Sächsischen Flüchtlingsrat muss endlich der permanente Zugang zu den AE gewährt werden – das muss eine Demokratie aushalten können!

* Dieser Text ist der 7. Ausgabe unseres Jahresmagazins „Querfeld“ entnommen. 

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