von Debt for Climate*
Klima und Migration sind zweifelsfrei zwei der drängendsten Fragen unserer Zeit. Beide Felder sind sowohl von emanzipatorischer wie auch von rechter Seite heftig umkämpft und politisiert. Während die Faschist*innen und Rechten es aber scheinbar mühelos schaffen, die Themen unter einen Hut zu bringen, tut sich unsere Seite wesentlich schwerer. Das liegt teilweise an der berechtigten Kritik an der Klimabewegung, ständig Rassismen zu reproduzieren und insbesondere Palästinenser*innen jede Menschlichkeit abzusprechen, das Klima-Thema über alles zu setzen und kein Verständnis oder gar Empathie für den ständigen Krisenmodus postmigrantischer Kämpfe aufzubringen. Um dem Faschismus wirkungsvoll zu begegnen und sowohl den rassistischen Normalzustand wie auch die immer weiter eskalierende Klimakrise zu brechen, müssen wir uns aber trotzdem bemühen, unsere Kämpfe zusammenzubringen. Dafür brauchen sowohl die Klimabewegung wie auch Kämpfe um Migration ein klassenbasiertes, antikoloniales Fundament, auf dessen Basis Politik gemacht wird. Denn wir glauben, dass erst eine gemeinsame Analyse die nötige Basis für gemeinsame Kämpfe schafft. Wie wir von dieser aus weiter Politik machen, ist der nächste Schritt. Einen Vorschlag für den ersten Schritt ist dieser Text.
Dieselben Wurzeln?
Unserer Ansicht nach können weder Klimagerechtigkeit noch Migrationsgerechtigkeit innerhalb des neokolonialen Kapitalismus erreicht werden. Als Neokolonialismus bezeichnen wir ein Set ungleicher Machtbeziehungen und ökonomischer Mechanismen, die dem Globalen Norden nach Ende des formellen Kolonialismus auch weiterhin die Kontrolle über natürliche Ressourcen und Arbeitskraft im Globalen Süden sichern. Wie Kwame Nkrumah schon 1965 schrieb, wurden die meisten formell frisch dekolonisierten Staaten des Globalen Südens durch den Globalen Norden gezielt in eine Position der Abhängigkeit gebracht. Diese Abhängigkeit war zwar keine formell-politische mehr, sie äußerte sich jetzt in der Form der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Süd und Nord. Die weite Mehrzahl der Staaten des Globalen Südens wurde durch die Etablierung einer Beziehung, die meistens als ungleicher ökologischer und wirtschaftlicher Tausch beschrieben wird, in der Position abhängiger Rohstofflieferanten gehalten.
Ein zentrales Instrument des Neokolonialismus ist die Struktur des Staatsschuldensystem: Da die Währungen des Globalen Südens von den Leitwährungen des Globalen Nordens und vor allem dem US-Dollar abhängen und das globale Staatsschuldensystem primär auf US-Dollar läuft, sind die Staaten des Südens darauf angewiesen, die US-Währung ins Land zu kriegen – zumindest wenn sie die Abkopplung von globalen Märkten oder eine Staatsschuldenkrise verhindern wollen. Die meisten Regierungen des Globalen Südens haben – so sie sich auch nur im Ansatz für das Wohlergehen der breiten Bevölkerung interessieren – oft kaum eine Wahl, als sich diesem Druck zu beugen. Am einfachsten ist, diesem Druck durch den Aufbau eines extraktivistischen Wirtschaftssystems entgegenzukommen, also billige Rohstoffe wie Kohle, Lithium oder Palmöl für den Exportmarkt herzustellen. Die meisten der 101 global als exportabhängig geltenden Staaten wurden bereits in der Zeit des Kolonialismus in diese Wirtschaftsstruktur gezwungen: dort wo durch den rassistischen Abschaum (aka Kolonialherren) Infrastrukturen für den gezwungenen Export von Rohstoffen aufgebaut wurden, schaffen heute genau die Strukturen die Grundlagen für sich potenziell verstärkende Pfadabhängigkeiten.
Der Export von Rohstoffen ist jedoch kein Weg aus der Verschuldung. Ein Großteil der rohstoffabhängigen Staaten hat zugleich ein kritisches Staatsverschuldungsniveau. Die anfallenden Schulddienstleistungen befinden sich heute auf dem Höchststand seit Ende der 1990er Jahre. Das internationale Staatsschuldensystem ist ein Teufelskreis, in dem die Macht des Globalen Nordens über sich verändernde Zinssätze und die Macht von Internationalem Währungsfonds und der Weltbank über Kreditvergabe und -konditionen dafür sorgen, dass die Staaten des Globalen Südens verschuldet bleiben.
Was das alles mit der Klimakrise und Migration zu tun hat? Eine extraktivistisch organisierte Wirtschaft bringt eine Reihe von erheblichen sozialen und ökologischen Problemen mit sich. Zum einen sind exportabhängige Staaten wesentlich krisenanfälliger – sowohl internationale wie auch nationale Wirtschaftskrisen ziehen heftige negative wirtschaftliche Folgen nach sich, da sowohl ein angebots- wie auch ein nachfrageseitiger Einbruch des Exports oft dazu führen, dass Exporteinnahmen wegfallen und Staaten ihre Schulden nicht mehr bedienen können. Das führt dann in späterer Folge oft zu heftigen Sparmaßnahmen, die entweder scheinfreiwillig durch die lokale Regierung umgesetzt oder direkt extern durch den Internationalen Währungsfonds aufgezwungen werden. Wie in der Forschung bekannt ist, führen Wirtschaftskrisen aber auch die langfristigen Maßnahmen von IWF und Weltbank sowohl zu erhöhter innerstaatlicher Gewalt wie auch zu wirtschaftlicher Unsicherheit und wegbrechenden Sozialsystemen. Und genau diese drei Faktoren sind zentrale Treiber für unfreiwillige Emigration. Außerdem ist das wirtschaftliche Ungleichgewicht, das zwischen Nord- und Süd herrscht, der Grund, warum die aktuelle Externalisierung des europäischen Grenzregimes und die gezielte Tötung von Migrant*innen sowohl durch die EU wie auch die USA überhaupt erst möglich ist. Sowohl in Zentralamerika wie auch in Nord-Afrika, sowie West-Asien können die kapitalistischen Zentren ihre menschenverachtende Politik nur aufgrund ihrer Machtposition und wirtschaftlicher Erpressung in die Tat umsetzen. Die Logik dabei ist einfach und brutal: Der Globale Norden verspricht Geld zur Zahlung von Schulden, wenn Staaten des Globalen Südens Migrant*innen davon abhalten, nach Europa oder Nordamerika zu gelangen. Die jüngst verabschiedeten Migrations-Deals mit Ägypten und dem Libanon sind genau solche Fälle.
In dieser neokolonialen Organisation der globalen Ordnung liegen aber nicht nur die Wurzeln des Übels in Fragen von Migration, sondern auch in Fragen des Klimas. Denn ein extraktivistisch organisiertes Wirtschaftsmodell in der Mehrzahl der Staaten des Globalen Südens ist eine notwendige Bedingung für den fossilen Kapitalismus. Ohne die Bereitstellung billiger Ressourcen aus dem Globalen Süden für den Norden wären weder der historische Wachstum des Kapitalismus noch sein aktuelles Fortbestehen möglich – und die Nutzung genau dieser Ressourcen war und ist der hauptsächliche Treiber des Klimawandels.

Dieselben Kämpfe!
Wenn die Ursachen für die Probleme sowohl bezüglich Klima wie auch Migration in den gleichen Gründen zu finden sind, lassen sich auf dieser Basis auch gemeinsame Kämpfe organisieren. Zu oft stecken sowohl Kämpfe um Migration wie auch Klima in Abwehrkämpfen fest. Das ist einerseits verständlich: Wir werden bestimmt nicht dafür argumentieren, sich nicht gegen jede einzelne menschenverachtende Abschiebung und jeden ökologisch katastrophalen Ausbau von Autobahnen zu wehren. Innerhalb dieser Abwehrkämpfen werden wir aber kaum in der Lage sein, die Wurzeln der Probleme zu bekämpfen. Um über die Abwehrkämpfe hinauszuwachsen und antikoloniale Schlagkraft für gerechte Migration und gegen die Klimakrise aufzubauen, braucht es unserer Meinung nach neben Vernetzung vor allem zweier Dinge: einerseits gemeinsamer Forderungen auf Basis einer gemeinsamen Analyse, andererseits – und noch viel wichtiger – eine klassenbewusste und massentaugliche politische Bewegung. Als gemeinsame Forderung möchten wir die schon lange im Globalen Süden und in systemkritischen Bewegungen im Globalen Norden verankerte Forderung nach einer bedingungslosen Streichung der Staatsschulden des Globalen Südens vorschlagen. Das Staatsschuldensystem steht im Kern der neokolonialen Struktur des extraktivistischen Kapitalismus, der sowohl die Klimakrise treibt wie auch die menschenverachtende Logik aktueller Migrationsregime verstärkt und Gründe für unfreiwillige Emigration schafft. Der Aufbau einer klassenbewussten, massentauglichen Bewegung ist, natürlich, langfristige, kraftzehrende-, aber auch spendende Arbeit. Lasst uns auch daran arbeiten – dann können wir gemeinsam dem Faschismus etwas entgegenstellen – und vielleicht sogar eine klima- und migrationsgerechte Welt erkämpfen.
* Dieser Text ist der 7. Ausgabe unseres Jahresmagazins „Querfeld“ entnommen.