
Dresden, 27.03.2025
Liebe Leser:innen,
das berüchtigte Totschlagargument, wenn von Flucht die Rede ist: “Die sind aber gar keine Flüchtlinge, sondern nur arm!”
Das Argument erhält zusätzliche Schlagkraft und eine nahezu widerspruchslose Beteiligung breiter politischer Spektren dadurch, dass auch das Flüchtlingsrecht Armut (wie Klimakatastrophe) nicht als Fluchtgrund anerkennt. Wer auf der Straße oder z.B. in der Bild-Zeitung wie aus der Pistole geschossen von “Wirtschaftsflüchtlingen” spricht, stützt sich auf diese Regelung.
Nicht politisch?
Doch in der heutigen Welt, in der die zehn reichsten Männer so viel Vermögen besitzen wie die ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung, also rund 3,2 Milliarden Menschen, gehören extreme Armut und die damit verbundene Perspektivlosigkeit zu den wichtigsten Fluchtursachen. Zudem ist kollektive Armut weder eine Frage von Pech noch allein auf lokale Prozesse zurückzuführen: Wirtschaftseinbrüche, (Verteilungs-)Kriege und Klimakatastrophen sind Teil des Versagens eines globalen Marktes, der in den letzten Jahrzehnten nahezu alle Lebensbereiche durchdrungen hat. Ist das nicht eine politische Fluchtursache?
In der letzten Ausgabe von Querfeld schrieb Masa Nazzal von den EU-Außengrenzen und zwischen den Versuchen von Geflüchteten, ihre Flucht zu rechtfertigen:
“Armut ist etwas, vor dem es sich lohnt, Asyl zu suchen. Armut ist es wert, aus seiner Heimat zu fliehen und anderswo Schutz und Sicherheit zu suchen.”
Auf der einen Seite jene, die denen auf der anderen Seite ihr Mitleid “gönnen” können, und zwar nicht nur in dem Gefühl, keine Verantwortung für deren Leid zu tragen, sondern auch in dem Gefühl, sich die eigene günstige Position in der globalen Hierarchie allein durch ihre vermeintlichen Güte verdient zu haben. Ist diese Haltung unpolitisch und nur auf Fakten und Gesetze gegründet?
Deutschlands Verantwortung
Dafür braucht es nicht einmal Einzelbeweise: Wer sich ein wenig im Lande bewegt und den Kauf und Verkauf von Waren (Arbeitskraft eingeschlossen) beobachtet, weiß, dass in Deutschland nichts mehr rein national ist, nicht einmal die mal nostalgische, mal rassistische Verklärung der Nationalisten. Deutschland, auch als Führungsmacht der EU, ist für fast alle Hauptherkunftsländer von Geflüchteten ein wichtiger Handels- oder Militärpartner. Konkret bedeutet das z.B.: Privatisierung/Neoliberalisierung des Binnenmarktes; gnadenloser Kampf um den günstigsten Zugang zu (Natur-)Ressourcen; innenpolitische Interventionen zugunsten deutscher/europäischer Interessen, die nicht zuletzt aus aktuellem Anlass z.B. in der Türkei zur Stärkung von Diktatoren beigetragen haben; Waffenhandel jenseits aller völkerrechtlichen Maßstäbe… Die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen.
Also: Deutschland trägt Verantwortung für viele Fluchtursachen und die deutsche Wirtschaft profitiert an vielen Stellen von der Schaffung von Fluchtursachen – gerade im Bereich der extremen Armut.
Damit die Abschottung diese Verhältnisse weiterhin verbergen kann, braucht sie immer mehr Brutalität. Damit diese Brutalität ignoriert werden kann, braucht es immer mehr Entmenschlichung. Genau dieser Prozess war und ist ein wichtiger Nährboden für eine autoritäre Wende in der gesamten Politik, unter der vor allem die Armen leiden, die zu Feinden der Geflüchteten (der Ärmsten) gemacht werden.
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“
Berichte aus dem Verein
Frohes Ramadan(-fest)!
Wir wünschen allen muslimischen Leser:innen, Klient:innen, Mitarbeiter:innen und Freund:innen ein schönes Fest hinter dem Fastenmonat.
Pressemitteilung: Wer bei der Integration kürzt, kürzt beim Zusammenhalt in Sachsen!Der Sächsische Flüchtlingsrat und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen aus Sachsen wenden sich mit einem Offenen Brief an die Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden des Sächsischen Landtags und fordern eine verlässliche und langfristige Finanzierung der Integrationsarbeit. Hintergrund ist die aktuelle Debatte um die Förderrichtlinie “Integrative Maßnahmen”. Die Kürzungen bedrohen gewachsene Strukturen der Integrationsarbeit im Freistaat in ihrer Existenz. Diese Arbeit ist jedoch, wie es im Offenen Brief heißt, “keine optionale Wohltätigkeit, sondern wesentlicher Bestandteil gesellschaftlicher Stabilität”. Die über Jahre gesammelten Erfahrungen der Strukturen zeigen: Wenn die Integrationsarbeit weitgehend als “freiwillige Leistung” stattfindet, wie es die Landesregierung plant, führt das zu Perspektivlosigkeit ganzer gesellschaftlicher Gruppen und zu sozialen und wirtschaftlichen Spannungen. Schon jetzt reichen die bestehenden Angebote nicht aus – viele Beratungsstellen sind überlastet. |
Pressemitteilung: “Asylgipfel” in Sachsen: Unabhängigkeit der Justiz darf nicht politischen Forderungen geopfert werden
Schnelligkeit vor Gerechtigkeit? Der Sächsische Flüchtlingsrat warnt davor, dass die beim “Asylgipfel” beschlossenen Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung rechtsstaatliche Prinzipien gefährden könnten. Die Unabhängigkeit der Justiz darf nicht dem politischen Druck geopfert werden.
Gespräch mit Radio Blau.
Bericht von nd aktuell.
Radiobeitrag von MDR Sachsen.
Von der Bertelsmann-Stiftung über unsere Arbeit
“Der sächsische Flüchtlingsrat und die Ausländerbehörde in Dresden sind ein Beispiel dafür, dass eine enge Vernetzung dazu beitragen kann, Geflüchtete erfolgreich zu begleiten, damit ihre Integration gelingt. In diesem Fall kam die Initiative zur akteursübergreifenden Zusammenarbeit aus der Zivilgesellschaft heraus. Anlass war die Überlastung der Ausländerbehörde, die mehrere Ursachen hat – unter anderem die Herausforderung, mit wenig Personal ein komplexes Instrumentarium handhaben zu müssen. Ziele sind vor allem, die Ausländerbehörde zu entlasten und zum anderen, die Zahl der Langzeitduldungen zu reduzieren, vor allem durch die Entwicklung von Bleiberechtsperspektiven. Themenschwerpunkte sind Arbeitsintegration, Chancenaufenthaltsrecht und Bleiberecht. Bei letzterem gehe es auch darum, Spielräume zu nutzen, denn bei der Zielgruppe der Personen mit Duldung gibt es oft Integrationsfortschritte und ein erhebliches Arbeitskräftepotenzial, so Kristian Garthus-Niegel. Mit dem neuen Chancenaufenthaltsrecht und der neuen Ausbildungsaufenthaltserlaubnis gibt es inzwischen auch den rechtlichen Rahmen, dieses Arbeitskräftepotenzial auszuschöpfen. Ein Modellprojekt „Perspektive Bleiberecht Dresden“ ist im Aktionsplan Integration 2022-2026 der Landeshauptstadt Dresden verankert. Es handelt sich hierbei um ein verbindliches Kooperationsprojekt zwischen Ausländerbehörde Dresden und dem Sächsischen Flüchtlingsrat (zur Präsentation).”
Projektnachrichten der Bertelsmann-Stiftung
Pressemitteilung: Nein zu diesem Haushaltsentwurf!Netzwerk Tolerantes Sachsen kritisiert geplante Kürzungen im Demokratie- und Integrationsbereich und fordert Änderungen durch den Landtag. Pressemitteilung. |
Aus Querfeld #7 – Gemeinsame Analysen, gemeinsame Kämpfe: Klima und MigrationKlima und Migration sind zweifelsfrei zwei der drängendsten Fragen unserer Zeit. Beide Felder sind sowohl von emanzipatorischer wie auch von rechter Seite heftig umkämpft und politisiert. Während die Faschist*innen und Rechten es aber scheinbar mühelos schaffen, die Themen unter einen Hut zu bringen, tut sich unsere Seite wesentlich schwerer. Text von “Debt for Climate”.
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Veranstaltungshinweise
Solidarische Lesebühne in Leipzig
“Die nächste Solidarische Lesebühne wird ein Buchmesse Special im Literaturinstitut! Und diesmal haben wir ganz viel vor mit ganz vielen tollen Leuten, die diskutieren, moderieren und lesen! Aber das Wichtigste zuerst: Unsere Spenden gehen am 27.03. an den Sächsischen Flüchtlingsrat!
Zuerst wird es eine Lesung geben mit Son Lewandowski, Manja Präkels, Fikri Anıl Altıntaş und der Initiative “Um Ihre Namen Zu Sagen”. Danach werden wir mit Randale Panda und Verlagen gegen Rechts und unseren Lesenden über die Frage diskutieren, wie Literatur und der Betrieb dem Rechtsruck entgegen wirken können.
Moderiert und abgerundet wird unser Programm von Maria Păcurariu, Sascha Bruch, nekrasov.a und Hannah Beckmann.
Und neben dem ganzen Programm könnt ihr auch noch Drucke von Sofia Nogueira und Christina S. Zhu gegen Spenden erwerben!
Also kommt unbedingt vorbei, wir sind schon selbst ganz aufgeregt!”
Bei der Veranstaltung lesen wir auch aus der aktuellen Ausgabe von Querfeld.
WANN: 27. März 2025 – Einlass: 18:30 Uhr Beginn: 19:00
WO: Wächterstr. 34 Leipzig
Widerworte zur Asylrechtsverschärfung und Anti-Migrationsdebatte
Fast alle Parteien nehmen an einem Überbietungswettbewerb in Sachen Asylrechtsverschärfung teil. Die AfD gibt den menschenverachtenden Ton vor und der gemeine Diskurs folgt. Dass die rechtspopulistischen Forderungen hier ebenso wie in vielen anderen Ländern dabei oftmals gegen geltendes europäisches oder Völkerrecht verstoßen, wird stillschweigend abgetan. In Italien etwa wird zivile Seenotrettung immer umfangreicher kriminalisiert, unter anderem durch das im Oktober 2024 verabschiedete Flussi Dekret der rechten Meloni-Regierung.
Es ist dringend an der Zeit, diesen Teufelskreis rassistischer Migrationsdebatten zu durchbrechen, und den Blick darauf zu lenken, dass Flucht auch als widerständige Praxis und Migration als solidarisches Miteinander stattfindet. Denn dieser wirkmächtige und tagtägliche Teil der Realität wird von all den Lautsprecher*innen der Remigrationsphantasien negiert. Flucht- und Migrationsbewegungen trotzen der Gewalt und tragen ein utopisches Versprechen mit sich: eine zukünftige Welt ohne Grenzen. Die Beteiligten auf dem Podium zeigen in ihrer Parxis, wie es gehen könnte und sollte.
- Theresa Kühnert arbeitet im Flugzeug Department von Sea-Watch. Zusammen mit der Schweizer Organisation Humanitarian Pilots Initiative (HPI) betreibt Sea-Watch zwei Überwachungsflugzeuge, die von Lampedusa aus im zentralen Mittelmeer patrouillieren. So können die täglichen Menschenrechtsverletzungen beobachtet, dokumentiert und veröffentlicht werden. Allein in dieser Region ertranken in den letzten 10 Jahren 23.407 Menschen.
- Osman Oğuz arbeitet in der Öffentlichkeitsarbeit des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V. (SFR). Dieser Verein setzt sich seit seiner Gründung 1991 für die Interessen und Rechte von Geflüchteten in Sachsen ein und berät sie zu Fragen des Asyl- und Aufenthaltsrechts und der Arbeitsmarktintegration. Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit dokumentiert, veröffentlicht und kritisiert der SFR menschenrechtliche Missstände im Bereich Asyl und Migration.
- Johannes Siegmund unterrichtet an der Universität Wien und ist Trainer bei ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit). Er forscht er zu Solidarität und Rassismus in der Klimakrise. Seine letzte Publikation war „Tausend Archen. Flucht als politische Handlung“.
- Der deutsch-marokkanische Journalist Mohamed Amjahid moderiert die Podiumsdiskussion.
WANN: 27. März 2025, 15:00-16:00 Uhr
WO: Leipziger Buchmesse, Forum Sachbuch Halle 5 (Halle 5, Stand E700)
Odyssee vom Schlauchboot in die ErstaufnahmeEine Veranstaltung der Seebrücke Dresden und der Mission LIFELINE mit Unterstützung der Stiftung Frauenkirche Nach einer kurzen Einführung unter dem Titel “Flucht übers Mittelmeer” gibt es den Film “Rise Above – Gegen das Ertrinken” mit anschließendem Filmgespräch. (60-70 Minuten) Anschließend gibt es die Möglichkeit, sich in Gesprächsrunden tiefer zu folgenden Themen zu informieren: 1. Die GEAS-Reform: Solidarität oder Abschottung? 2. Einer trage des anderen Last – Wie wird in Dresden die Hilfe für geflüchtete Menschen finanziert? 3. Fremdes Land – Viele Fragen: 4. Black Box – Erstaufnahmeeinrichtungen: WANN: am Freitag den 04.04.25, um 19:00 – 21:00 Uhr Zitat des MonatsHasan Hüseyin Korkmazgil (1927 – 1984), ein Dichter aus der Türkei, hat viel über die Gefühle der Ärmsten geschrieben, deren Umstände sie allzu oft in die Zwangsmigration getrieben haben. Der Dichter verwendet keine Großbuchstaben und nur selten Satzzeichen. Aus diesem Gedicht hat Grup Yorum ein Lied komponiert.
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Drei Stimmen aus der Presse
- “Viele Fehlurteile mit dramatischen Folgen” – Experten warnen vor schwarz-rotem Asylplan (Killian Beck, Frankfurter Rundschau)
Union und SPD wollen die Amtsermittlung im Asylverfahren abschaffen. Das wäre ein Bruch von Grundgesetz und Europarecht, warnen Experten gegenüber unserer Redaktion. - Die Bürokratie-Anstalt (ZDF)
Maike Kühl, Max Uthoff und ihre Gäste Abdul Kader Chahin und Friedemann Weise blicken auf einen der wichtigsten Pläne der designierten Regierung: Bürokratieabbau.
- Falsche Berechnungen zur Ausländerkriminalität (Tobias Wilke, MDR)
Mit statistisch unsinnigen Zahlenvergleichen probieren nicht nur Rechtspopulisten immer wieder, eine angeblich höhere Kriminalitätsneigung von Ausländern zu beziffern. Auch zwei Bundesländer haben sich nun vertan.