Zahlen und Grafiken

Mehrmals im Jahr veröffentlichen wir Zahlen und Grafiken zu wichtigen Aspekten aus dem Politikfeld Flucht und Asyl in Sachsen. Damit zeigen wir Entwicklungen auf. Zum Vergrößern auf die Grafiken klicken.

Letzte Aktualisierung: März 2023 über die Zahlen bis zum 31.12.2022

...dezentrale Unterbringungsquote

Schon im letzten Jahr musste beobachtet werden, dass positive Trends bei der dezentralen Unterbringungsquote sich umkehren. Dem war auch Ende 2022 so. In Dresden, Mittelsachsen, dem Vogtland und in der Sächsischen Schweiz gleichen die seit 2016 verzeichneten Daten eine umgedrehte U-Kurve. Den deutlichsten Absturz legt Dresden hin, dort sackte die Quote innerhalb eines Jahres von 84,2 Prozent auf 73,67 Prozent. In Nordsachsen sank sie gar um 15 Punkte auf 55,9 Prozent. Lediglich die Stadt Leipzig und die Landkreise Görlitz und Leipzig konnten ihre Unterbringungsquote erhöhen. Der Landkreis Leipzig von 44,7 Prozent in 2021 auf 55,9 Prozent im Jahr 2022. Leipzig bewegt sich mit 40 Prozent wieder deutlich über dem Bereich der Zwanziger-Prozente. Das ist dort, wo sich auch die Menschen in Bautzen befinden.

Denn Bautzen bleibt Schlusslicht und ist darauf auch stolz. Lediglich 21,6 Prozent der Menschen sind dezentral untergebracht. Nach allem, was aus dem Landratsamt Bautzen zu hören und zu sehen ist, besteht keinerlei politischer Wille, das zu ändern.

Insgesamt muss konstatiert werden, dass die dezentrale Unterbringungsquote in Sachsen weiter eine negative Entwicklung durchläuft. Zudem bleibt es nach wie vor schwierig, die Zahlen der einzelnen Kommunen miteinander zu vergleichen, da sich beispielsweise die Stadt Dresden Zahlen schönt, indem nicht nur das selbstbestimmte Wohnen mit frei gewählten Mitbewohner*innen als dezentral zählt. Eine einheitliche und ehrliche Definition, was als dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden zählt, fehlt in Sachsen.

Lager

Lange Zeit waren 2.000 Menschen in den sächsischen Aufnahmeeinrichtungen in etwa die Konstante, die dokumentiert werden konnte. Bereits mit der Fluchtbewegung über Belarus/ Polen seit August 2021 stieg die Zahl zwischenzeitlich auf ca. 3.000 Personen, sank aber rasch wieder auf 2.213 zum Jahresende 2021. Nach der Fluchtbewegung aus der Ukraine sind es nun über 4.000 Menschen, die in den Aufnahmeeinrichtungen leben. Ukrainer:innen dürften die wenigsten sein. Sie erhalten mit Ankunft und Registrierung direkt den eigenen Aufenthalt und die Möglichkeit, sich eine eigene Wohnung zu suchen, Jobcenter-Leistungen zu beziehen und arbeiten zu gehen. Das trifft die meisten Menschen in den Aufnahmeeinrichtungen nicht da sie im Asylverfahren sind, müssen sie qua Gesetz in den Lagern leben. Eine Herausforderung mag es sein, die Menschen schnell und würdig unterzubringen, doch Platz gibt und gab es in den Kommunen.

Teils sprechen wir übrigens über Zeltlager. Drei von ihnen gibt es Stand Frühjahr 2023: die Bremer Straße in Dresden und die Leipziger Lager Mockau II und III. Mockau I ist derzeit nicht in Betrieb.

Aktuelle Belegungszahlen, inklusive der Menschen, die aus der Ukraine in Sachsen ankommen, hält die Landesdirektion Sachsen hier bereit.

Spannend ist immer noch einmal der Blick auf die Menschen in den Lagern, denen die sogenannte „Wohnsitzverpflichtung“ auferlegt wurde. Das bedeutet, dass sie auf Grund einer unterstellten „schlechten Bleibeperspektive“ bis zu 24 Monate in den Aufnahmeeinrichtungen leben müssen. Die neue Aufnahmeeinrichtung Meerane bei Chemnitz ist mit 91 Prozent der Menschen, für die diese Verpflichtung greift, ganz vorn.

Bildung im Lager

In absoluten Zahlen befanden sich zum Stichtag 31.2.2022 genau 63 Kinder in schulpflichtigem Alter länger als drei Monate in den Lagern des Landes. Das entspricht gut 19 Prozent aller schulpflichtigen Kinder (337). Damit steigen die Zahlen der Kinder, denen ihr Recht auf Bildung verwehrt wird, obwohl EU-Recht eindeutig den Schulzugang spätestens drei Monate nach Asylantragstellung vorsieht. Noch Ende 2021 war die Zahl auf einen historischen Tiefstand von 20 Kindern gesunken, ihr Anteil an den schulpflichtigen Kindern insgesamt lag damals bei 7,27 Prozent. Das starke Absinken der Zahlen war ein Fortschritt, der nun offenbar aufgegeben wurde, der Trend geht wieder nach oben. Im Koalitionsvertrag wurde noch ein anderes Versprechen abgegeben, da sollten alle Kinder den Schulzugang schnellstmöglich erhalten. Länger als sechs Monate befanden sich zum 31.12.2022 17  Kinder in den Lagern, zum Vorjahreszeitpunkt waren es noch zwei. Länger als zwölf Monate ist kein Kind mehr in den Aufnahmeeinrichtungen. Gerade im Hinblick auf die wieder stark steigenden absoluten Zahlen schulpflichtiger Kinder in den Erstaufnahmeeinrichtungen muss der Druck aufrechterhalten werden. Jede verlorene Zukunft ist eine zu viel!

Zuständigkeit der Kommunen für humanitär geschützte, ausreisepflichtige und geduldete Menschen

Wer ist eigentlich für „die Geflüchteten“ in Sachsen zuständig? Und wer zählt überhaupt darunter? Denn zahlreiche Untergruppen mit verschiedenen Bezeichnungen wie auch Rechtsansprüchen können unter diesen Begriff gefasst werden. Die folgende Grafik gibt Aufschluss, in wessen Zuständigkeit welche Personen in Sachsen leben, Stichtag war der 28.2.2023:
Insgesamt sind es neun verschiedene Gruppen, die sich in der Legende der Grafik wiederfinden. Das Feld ließe sich noch weiter aufschlüsseln. Hier kurz erklärt: „Im Asylverfahren“ sind die Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben, wo das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aber noch keine Entscheidung getroffen hat oder noch eine Klage an einem Verwaltungsgericht offen ist. Die „Asylberechtigung“, „die „Flüchtlingsanerkennung“, den „subsidiären Schutz“ oder auch ein „Abschiebungsverbot“ können schon noch Abschluss des Asylverfahrens stehen. Hier wird immer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Wenn das Asylverfahren für die geflüchtete Person negativ ausfällt, ist sie geduldet beziehungsweise ausreisepflichtig. Dann können aber noch andere Bleiberechtsoptionen wie die Aufenthaltserlaubnisse wegen „nachhaltiger Integration“ oder „unmöglicher Abschiebung“ greifen, die Daten zu deren Erteilung siehe unten.

Heute gibt es auch Menschen, die unter den § 24 Aufenthaltsgesetz, den temporären Schutz fallen. In diesem Paragrafen wird die EU-Rechtsnorm angewendet, die erstmals für die Fluchtbewegung aus der Ukraine aktiviert wurde. Hier wird unterschieden zwischen denen, die die Aufenthaltserlaubnis bereits haben und jenen, die sich noch im Antragsverfahren befinden.

Bei der Verteilung auf die Kommunen hier noch einmal die Grafik, aber mit einer gestauchten y-Achse auf 5.000 Menschen für den genaueren Blick:

Deutlich wird, dass die meisten von den Menschen, die sich derzeit humanitär geschützt in Sachsen aufhalten, kommen aus der Ukraine, entweder als Ukrainer:innen oder als Drittstaatler:innen. In ganz Sachsen haben 35.921 Menschen die Aufenthaltserlaubnis erhalten, weitere 15.630 befinden sich im Antragsverfahren. die meisten Menschen befinden sich in den drei großen Städten. Interessant ist, dass Görlitz, dass Erzgebirge und Mittelsachsen die letzten drei Ausländerbehörden sind, die mehr Menschen offene als abgeschlossene Verfahren vorweisen können.

Werden alle neun Gruppen in ihrer Gesamtzahl für Sachse addiert, ist die Rechnung folgende:

12.602 Menschen im Asylverfahren
+
686 Asylberechtigte
+
14.718 Menschen mit Flüchtlingsanerkennung
+
8.690 Menschen mit subsidiärem Schutz
+
5.789 Menschen mit Abschiebungsverbot
+
35.921 Menschen im § 24
+
15.630 Menschen im Antragsverfahren für den § 24
+
15.636 geduldete und ausreisepflichtige Menschen
+
5.911 Menschen mit einer anderen humanitären/ völkerrechtlichen Aufenthaltserlaubnis

= 115.583 Menschen.

Eine absolut überschaubare Zahl, die 2,9 Prozent der Bevölkerungszahl Sachsens mit vier Millionen Menschen entspricht.

Die gesamte Anfrage mit allen Zahlen gibt es hier.

 

Abschiebungen

Nachdem die Zahl der Abschiebungen pandemiebedingt deutlich gesunken war – von 1.100 in 2019 auf 472 in 2020 – zog die Zahl der Abschiebungen in 2021 wieder an. Bis zum 31.12.2021 wurden insgesamt 605 Personen aus Sachsen abgeschoben. Dieser Trend hat sich 2022 nicht fortgesetzt, im letzten Jahr wurden 504 Menschen abgeschoben. Weiterhin kam es im Jahr 2022 zu sieben Familientrennungen, drei mehr als im Vorjahr, trotz des von der sächsischen Regierung beschlossenen „Leitfaden Rückführungspraxis“. „Möglichst nicht getrennt“ sollen Familien da werden, ein Schlupfloch, das sächsische Behörden offenbar dankbar nutzen. Merklich reduziert haben sich laut offiziellen Zahlen hingegen die Abschiebungen erkrankter Personen. In 2021 waren es noch 51, der bis dahin deutlichste Anstieg. Ihre Zahl ist auf sieben Personen in 2022 gesunken. In einem Fall wurde ein Ehepaar getrennt. Das Abschiebeland, in welches von der sächsischen Regierung in 2021 am häufigsten abgeschoben wurde war erneut Georgien (133 Personen), wieder gefolgt von Tunesien (85 Personen) und Nordmazedonie (42 Personen). 

 

Abschiebehaft

Am Ende war der kurze, mehrmonatige Zeitraum, den die Abschiebehaft pandemiebedingt im Jahr 2020 leerstand, nur ein kurzes Luftholen. Und hat im Vergleich die Zahl der Menschen, die in Abschiebehaft genommen werden, nicht wirklich gedrückt. Vom 04. Dezember 2019 bis zum 31. Dezember 2020 waren 70 Menschen in Abschiebehaft eingesperrt, 2021 waren es dann 86, 2022 mussten 94 Personen die Haftanstalt von innen sehen. Der Höchststand von 135 inhaftierten Personen in den ersten zwölf Monaten der Haftanstalt auf der Hamburger Straße 15 in Dresden ist damit nicht wieder erreicht worden, bleibt aber auf konstant hohem Level.

In Bezug auf die Staatsangehörigkeit ist der Anteil der Menschen mit tunesischer Staatsbürgerschaft jedes Jahr der größte. Zunächst noch mit 16 Prozent, dann mit 30 Prozent, in 2021 gar 48 Prozent, in 2022 waren es 24 Prozent aller Inhaftierten. Hoch ist der Anteil auch jedes Jahr bei georgischen Staatsbürger:innen. Auffällig ist, dass die Verteilung nach Staatsbürgerschaft bei den anderen Menschen von Jahr zu Jahr schwankt. Beispielsweise waren algerische Bürger:innen in 2022 mit zwölf Prozent die dritte Gruppe nach Tunesier:innen und Georgier:innen, in 2021 lag ihr Anteil bei lediglich einem Prozent. Was das Tortendiagramm in zynischer Weise offenlegt: Wohl kein Ort in Dresden, wenn nicht in Sachsen, ist derart international wie die Abschiebehaft, der Ort in welchem Menschen lediglich auf Grund ihrer schieren Existenz eingesperrt werden. Wobei die Staaten des Westens fehlen. So offenbart das Diagramm auch den Kern von Abschiebehaft: Rassismus und Neo-Kolonialismus.

 

Sächsische Ausländerbehörden – hier insbesondere die Landesdirektion – haben 53 Prozent der in Abschiebehaft Dresden vollzogenen Freiheitsentziehungen im Jahr 2022 beantragt. Die Bundespolizei kommt inzwischen auf 41 Prozent. Ihr Anteil war in den ersten Jahren der Abschiebehaft Dresden wesentlich niedriger. Vom 03.12.2018 bis zum 31.12.2022 kam sie auf „lediglich“ 10 Prozent der Haftanträge. Hier ist ein deutlicher Anstieg festzustellen. Bei den Ländern haben im Jahr 2022 neben Sachsen auch Bayern, Rheinland-Pfalz und Brandenburg zu der Haft ohne Straftat in Dresden beigetragen.

 

 

 

 

 

Die Sicherungshaft ist bezüglich der Haftarten mit einem Anteil von 57 Prozent das mit Abstand wichtigste Instrument für die Behörden. Da Abschiebehaft nichts anderes ist als „Haft ohne Straftat oder andere Verfehlung“ ist es schon mehr als zynisch wenn Behörden, aber auch Jurist*innen und Gerichte hier von der „üblichen Art“ der Abschiebehaft sprechen. Der Ausreisegewahrsam – eine maximal zehntägige Abschiebehaft – folgt mit 31 Prozent und wird damit deutlich relevanter im Vergleich zu den Vorjahren. Dahinter folgt die Überstellungshaft – für Menschen erdacht, die unter die Dublin-III-Verordnung fallen und innerhalb Europas abgeschoben werden – mit 10 Prozent.

Aufenthaltserlaubnisse wegen dem, was „Integration“ genannt wird.

Jugendliche und Heranwachsende können dann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erhalten, wenn sie sich unter anderem seit drei Jahren hier aufhalten und „erfolgreich“ die Schule besucht haben. Die Zugangsvoraussetzungen hier wurden zuletzt von der Ampel-Bundesregierung geändert. Zuvor waren es vier Jahre, die die Jugendlichen und Heranwachsenden in Deutschland sein mussten. Von einem Absenken der Hürden kann jedoch nicht wirklich gesprochen werden. Die jungen Menschen sollen nun zuvor geduldet gewesen sein oder den neuen Chancen-Aufenthalt erteilt haben. Hohe Hürden spiegeln sich in niedrigen Zahlen wieder. Auf diesem niedrigen Level ist Leipzig mit 67 erteilten Aufenthaltslaubissen sachsenweit ganz vorn. Im Jahr 2021 waren es hingegen noch 83 erteilte Aufenthaltserlaubnisse. In den Landkreisen ist Zwickau mit zehn erteilten Aufenthaltserlaubnissen vorn, gefolgt von Mittelsachsen mit sechs.

Ganze vier Kommunen haben gar keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erteilt. Das waren Chemnitz, Nordsachsen, die Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge und das Vogtland. Wenn eine Ausländerbehörde argumentiert, sie kann ja nur auf Antrag entscheiden – Informations- und Anstoßpflichten gehören zur Arbeit einer Ausländerbehörde.


Und auch beim 25b – die entsprechende Aufenthaltserlaubnis für Erwachsene (nach verbesserter Regelung) sechs bzw. vier Jahren Aufenthalt – liegt Leipzig vorn, das Vorjahresergebnis von 53 erteilten Aufenthaltserlaubnissen wird nur knapp mit 53 unterschritten. Dresden hat immerhin vier erteilt, allerdings auch sieben abgelehnt und enttäuscht auch hier. Waren im letzten Jahr tatsächlich Hoffnungen geweckt worden, dass Ausländerbehörden routinierter beim Aufenthaltserlaubnisse erteilen werden, so ist diese Routine scheinbar wieder weggebrochen. Lediglich Mittelsachsen erteilt auf niedrigem Niveau acht weitere Erlaubnisse, es folgt das Leipziger Land mit vier. In vier Kommunen, darunter die Stadt Chemnitz, scheint Verwaltung der Meinung zu sein, Integration finde nicht statt.

Aufenthaltserlaubnisse aufgrund rechtlich oder tatsächlich nicht möglicher Abschiebung

Die Grafik zum 25 (5) scheint die Skyline von Leipzig widerzuspiegeln – zu Recht. Der Tower da steht für die Messestadt mit 368 erteilten Aufenthaltserlaubnissen im Jahr 2022. Allerdings kommt die Stadt damit auf das zweitniedrigste Ergebnis seit 2015. Nur in 2016 vergab die Leipziger Ausländerbehörde mit 356 weniger Aufenthaltserlaubnisse. Und doch relativiert sich der Jahresvergleich innerhalb Leipzigs, wenn der Blick auf die anderen zwölf sächsischen Kommunen geweitet wird. Dort sind die Zahlen verschwindend gering, der Landkreis Zwickau belegt mit nur 18 Erlaubnissen den zweiten Platz, auf dem Dritten folgt Mittelsachsen mit 15. Chemnitz und das Vogtland beispielsweise haben keine einzige erteilt.


Härtefallkommission

Zunächst ein Absatz, der wichtig ist, um die folgende Grafik zu verstehen:

In Sachsen besteht die Härtefallkommission aus neun Mitgliedern, die von den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Stellen entsandt werden. Den Vorsitz führt derzeit der Sächsische Ausländerbeauftragte. Die Mitglieder können Anträge bei der Geschäftsstelle der Härtefallkommission beim Sächsischen Ausländerbeauftragten stellen. Der Ausländerbeauftragte entscheidet über die Annahme. Nach spätestens drei Monaten berät die Kommission und entscheidet mit einer 2/3-Mehrheit. Wenn eine solche zustande kommt, wird der Innenminister ersucht, ein Bleiberecht auszustellen. Theoretisch kann er dem Ersuchen auch die Stattgabe verweigern. Angesichts dessen, dass in Sachsen nur eine 2/3-Mehrheit für das Ersuchen genügt und somit auch staatliche Mitglieder zugestimmt haben müssen, sollte die Stattgabe lediglich eine Formalie sein.

Wichtig ist also: die Kommission berät. Wenn sie positiv entscheidet, dann ersucht sie und zwar den Innenminister. Und der sollte dem Ersuchen stattgeben. Schließlich hat eine 2/3-Mehrheit seiner Kommission sich ja schon mit dem Fall beschäftigt und offenbar sehen nicht-staatliche wie staatliche Mitglieder ein Bleiberecht als notwendig an. Das ging eine Zeit lang auch ganz gut. Schon vor 2018, dem Beginn der Grafik, waren kaum Fälle bekannt, wo der Innenminister die Stattgabe verweigerte. Bis 2018 gab es hier auch kaum Unterschiede, dann kam 2019 eine Kluft von fünf verweigerten Ersuchen. Der damalige Innenminister Roland Wöller schien sich zu besinnen und gab im folgenden Jahr allen bis auf einem Ersuchen statt. Der neue Innenminister, Armin Schuster, wiederum, lehnte 2022 vier Ersuchen ab. Dabei war 2022  schon das schlechteste Jahr der Kommission. Nur noch 31 Fälle wurden beraten, für 25 Fälle ersuchte die Kommission den Minister, nur noch 21 Fällen gab er statt. Ein deutlicher Abwärtstrend seit dem Höchstjahr 2019 mit 72 Beratungen, 50 Ersuchen und 49 Stattgaben.

 

Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung

Seit der Einführung im August 2016 bis zum 31. Dezember 2022 wurden in Sachsen 834 Ausbildungsduldungen erteilt. Das ist nach bald sieben Jahren eine geringe Zahl und der Blick auf die Entwicklung in den Kommunen zeigt: mit einem Anstieg ist nicht zu rechnen. Lediglich in Dresden geht die Kurve mit einem marginalen Anstieg auf inzwischen 19 Ausbildungsduldungen nach oben. Ansonsten ist eher das Gegenteil zu beobachten, die Tendenz geht abwärts. Ein restriktives Instrument, welches für zu wenige Menschen greift. Waren es im Jahr 2018 in Dresden immerhin noch 50 Ausbildungsduldungen und in Leipzig 2019 gar 58, blieben diese Zahlen mit Blick auf die drei vergangenen Jahre absolute Ausnahmen. Im Vogtland kam es im Jahr 2022 gleich zu gar keiner Ausbildungsduldung, eine tragische Entwicklung, da der Landkreis sonst vergleichsweise gute Zahlen schrieb. In Bautzen und Görlitz wurde je eine Ausbildungsduldung vergeben.

Die Mehrheit der Anträge wird mit Blick auf die Quote positiv beschieden. In acht von 13  Kommunen liegt die Anerkennungsquote bei 100 Prozent. Dresden allerdings schafft nur 70.

Die Beschäftigungsduldung ist ein Instrument, welches vollziehbar ausreisepflichtige Geflüchtete, die arbeiten, vor der Abschiebung sichern soll. Allerdings ist sie höchstgradig restriktiv. So braucht es zwölf Monate Vorlaufzeit – in der „normalen Duldung“, heißt, in der Gefahr, abgeschoben zu werden – um überhaupt in den Schutz der Beschäftigungsduldung zu kommen. Dass Abschiebung Vorrang vor Fachkräftesicherung hat, zeigen auch die niedrigen, absoluten Zahlen – in Bautzen, Görlitz, Vogtland und Nordsachsen hat die Beschäftigungsduldung defacto überhaupt keine Relevanz.

Ihre Zahlen deutlich verbessern konnten nur Dresden und Zwickau, sonst sinken die Balken überall.

 

Suizide und Suizidversuche.

Suizide, Suizidversuche und Selbstverletzungen gehören wohl zu den schlimmsten Folgen einer Migrations- und Asylpolitik, die in verstärktem Maße auf Abschottung und Abschreckung setzt.

Im Jahr 2022 gab es acht dokumentierte Suizide unter Geflüchteten. Das ist zum dritten Mal die höchste Zahl in einem Jahr, seitdem gezählt wird. Auch in 2016 und 2020 nahmen sich acht geflüchtete Menschen das Leben. Die Zahl der Suizidversuche und Selbstverletzungen ist mit 37  Fällen weiterhin besorgniserregend. Sank die Zahl 2020 um etwa ein Drittel auf 42 Suizidversuche und Selbstverletzungen, bleibt ihre Zahl seither auf diesem Niveau. Diese Zahlen sind dramatisch, dokumentieren sie doch mit welchen extremen psychischen Belastungen Flucht und Migration, als auch der Asylprozess in Deutschland bzw. Sachsen einhergehen.

Zu den Suiziden und Suizidversuchen nach der Form der Unterbringung lässt sich Folgendes feststellen:

Die Staatsregierung gibt nur dann Suizidversuche in Justizvollzugsanstalten an, wenn danach eine stationäre Behandlung erforderlich war. Das ist zynisch und auch nicht nachvollziehbar, dokumentiert werden Selbstverletzungen mit Sicherheit. Auch dann, wenn eine Behandlung vor Ort (scheinbar) genügte.

 
Der hohe Balken zu Suizidversuchen nach Form der Unterbringung bei der Stadt Leipzig muss kontextualisiert werden. Zwei Erklärungsversuche sind möglich: Entweder, Leipzig ist besonders sorgfältig, was das Dokumentieren von Suizidversuchen angeht, oder die Rate ist tatsächlich höher, als in anderen Städten. Beide Erklärungen sind möglich.

 
Generell kommt es in sächsischen Aufnahmeeinrichtungen häufig zu Suizidversuchen, auch die Abschiebehaft Dresden verzeichnet mit 17 Fällen einen hohen Anteil, angesichts dessen, dass sie erst seit Dezember 2018 in Betrieb ist. Klar ist, dass Sammelunterbringung und Haft ohne vorangegangene Straftat als Auswüchse einer repressiven und autoritären Migrationspolitik massiv die psychische und folglich auch die physische Gesundheit von Asylsuchenden schädigen – die Zahlen belegen dies. Die Aufstellung der Zahlen muss noch einmal pointiert kritisiert werden. Denn wurden bisher Suizide und Suizidversuche auf die einzelnen Aufnahmeeinrichtungen aufgeschlüsselt, ist dies heute nicht mehr der Fall. Unterschieden wird nur noch nach den drei größeren Bezirken Dresden, Chemnitz, Leipzig. Das ist insofern schade, als dass die bedenkliche Entwicklung mit sieben Suizidversuchen und Selbstverletzungen nicht mehr weiterverfolgt werden kann.

Nicht zu vergessen ist: Abschiebehaft und Lagerunterbringung können tödlich sein.

Bei der Aufschlüsselung von Suiziden und Suizidversuchen nach Geschlecht bestätigt sich, was gesamtgesellschaftlich gilt: Suizide und Suizidversuche treten bei männlich gelesenen Personen häufiger auf.

Ein Fall sei in diesem Zusammenhang wiedergegeben, dessen bloße Daten eine Geschichte im Kopf entrollen, die jedoch wohl nie wird erzählt werden können. In der Vorbemerkung zu Drs. 7/1786 schreibt MdL Jule Nagel: „In Drs. 7/1178 zu Suiziden, Suizidversuchen und Selbstverletzungen von Geflüchteten in Sachsen seit 2017 sind in Anlage 1 drei Suizidversuche in der Aufnahmeeinrichtung Grillenburg, jeweils einer am 29. und 30. September sowie am 29. Oktober vermerkt. Es handelt sich dabei dreimal um eine Frau iranischer Staatsbürgerschaft im Alter von 44 Jahren, was die Fragestellerin zur Vermutung veranlasst, dass es sich hier um dieselbe Person handelt.“ Das Staatsministerium des Inneren bestätigt die Vermutung und gibt im Weiteren an: „Seit 28. November 2019 ist die Betroffene unbekannt verzogen.“

 

Leistungskürzungen

Sozialleistungen dürfen nicht besonders niedrig gehalten werden um Schutzsuchende abzuschrecken, da dies gegen die Menschenwürde verstößt. Diese rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit, sollte gemeint werden, musste das Bundesverfassungsgericht erst 2012 in einem Urteil feststellen. Daran anknüpfend sind die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen Leistungskürzungen überhaupt recht fragwürdiger, verfassungsrechtlicher Natur. Nichtsdestotrotz wird von solchen Kürzungen im Freistaat Sachsen umfassend Gebrauch gemacht.

Im 2. Halbjahr 2022 hielten sich absolut wie relativ deutlich weniger Menschen mit gekürzten Leistungen in Sachsen auf. Dennoch – Bautzen hält die Quote konstant und kürzt weiterhin bie zehn Prozent der dort untergebrachten Menschen. Der dramatische Anstieg an gekürzten Sozialleistungen, der bei Mittelsachsen Ende 2021 festzustellen war, hat sich nicht halten können. Von 43 Prozent auf 5 Prozent ist die Quote dort gefallen.

Da das Existenzminimum als verfassungsrechtlicher Teil der Menschenwürdegarantie nicht unterschritten werden darf, kann die Zielvorstellung nur lauten, diese Zahlen auf Null zu senken.

Die rigorose Praxis der Leistungskürzungen macht auch vor Kindern nicht halt. Dies ist dabei besonders zu kritisieren, da Kinder grundsätzlich nicht für das Verhalten ihrer Eltern sanktioniert werden sollten.

Die absolute Zahl ist in allen Landkreisen gleichgeblieben oder gesunken, Meißen jedoch hat von 0 auf 11 Kindern in 2022 die Leistungen gekürzt. Leipzig belegt hier auch den ersten Platz, diesmal allerdings einen unrühmlichen. Dort wurden 23 Minderjährigen die Leistungen unterhalb der Menschenwürde gekürzt, danach folgt Bautzen mit 20 Kindern, dann Mittelsachsen mit 14.

Hervorzuheben ist noch, dass im Bereich der Leistungskürzungen nicht immer und in jedem Landkreis Zahlen zugearbeitet werden. Dies ist aber zur kritischen Beobachtung der verfassungsrechtlich zumindest zweifelhaften Praxis unumgänglich.

 

Zahlen und Grafiken erstellt von Mark Gärtner im Ehrenamt für den SFR. Bei Fragen, Anmerkungen, Verbesserungsvorschlägen oder Fehlern: mgaertner@posteo.net

 

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