dossier ein wahlrecht für alle

2019 ist DAS Wahljahr in Sachsen. Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit sind größtenteils von allen Wahlen ausgeschlossen. Lediglich EU-Bürger*innen besitzen ein Wahlrecht für die kommunalen Wahlen. Dadurch wird einem maßgeblichen Teil an Menschen im Wahlalter mit gewöhnlichem Wohnsitz in Sachsen, ihr Recht zu wählen nicht gewährt. Wir haben deswegen Menschen interviewt, die von der sächsischen Politik mitbestimmt werden, aber keine Chance haben, sie per Wahl am 01. September zu beeinflussen. Alle Videos findet ihr, wenn ihr fix runterscrollt.

Was fordern wir?
Alle Menschen haben die gleichen Menschenrechte. Deswegen fordern wir ein Wahlrecht für Alle. Menschen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Aufenthaltsstatus, sollten die Möglichkeit haben, aktiv an Wahlen auf allen Ebenen teilzunehmen.

Warum?
Das Recht wählen zu dürfen gehört zu den grundlegenden Menschenrechten und sichert die Möglichkeit demokratischer Partizipation und Einflussnahme. Wenn Menschen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Aufenthaltsstatus von Wahlen ausgeschlossen werden, können sie nicht mitbestimmen, obwohl sie von den Entscheidungen auf Kommunal-, Landes-, und Bundesebene direkt betroffen sind. Ihre Perspektive wird weder gehört noch repräsentiert. Die Relevanz politischer Positionen speist sich jedoch maßgeblich aus ihrer Repräsentation.

Teilhaben heißt nicht nur wählen!
Diesem Gedanken entsprechend, gibt es das Gremium der Migrant*innenbeiräte. Solche gibt es in Chemnitz, Dresden, Leipzig und Zittau. Die Beiratsmitglieder sollen sicherstellen, dass die spezifisch migrantische Perspektive in der Politik der Stadt oder der Gemeinde vertreten und ihr Einfluss institutionalisiert und sichergestellt ist. Sie haben im Stadtrat ein Rederecht. Der Leipziger Migrant*innenbeirat kann zusätzlich eigene Anträge in den Stadtrat einbringen. Die Dresdner Beiratsmitglieder werden von Migrant*innen gewählt. In den anderen Städten werden die Mitglieder ernannt.

Für Fans der Rechtsdiskussion: Welche Möglichkeiten haben Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft bereits heute schon, um zu wählen?

Das kommunale Wahlrecht wird zunächst nur EU-Bürger*innen gewährt. Gleich in welchem Mitgliedstaat sie leben, sollen sie Stadt- und Gemeinderäte wie Bürgermeister*innen wählen dürfen.

Heißt: wenn überhaupt, dann dürfen in Deutschland nichtdeutsche Menschen nur auf kommunaler Ebene wählen, nicht aber auf Landes- und Bundesebene.

Das Land Schleswig-Holstein wollte in den Jahren 1989/90 eine Regelung einführen, die es auch Bürger*innen aus einigen Nicht-EU-Mitgliedsstaaten, sogenannten Drittstaatsangehörigen, ermöglicht hätte, auf kommunaler Ebene zu wählen. Dies scheiterte jedoch an einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass im Jahr 1990 den Grundsatz, dass “vom Volk alle Staatsgewalt” ausgehe, dahin auslegte, als dass zum Volk nur deutsche Staatsangehörige zählten. Dieser Grundsatz gelte auch auf Landes- und kommunaler Ebene (vgl. BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 2, 6/89 – BVerfGE 83, 37 ff.; BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89 – BVerfGE 83, 60 ff).

Die Fraktion von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag sieht heute trotz dieses harschen Urteils Spielraum, auch nichtdeutschen Menschen ein zumindest kommunales Wahlrecht zu ermöglichen. Dieser Spielraum sei durch die Sächsische Verfassung gegeben. Als Bürger*in in einem Landkreis oder einer Gemeinde werden dort Menschen gleich welcher Staatsbürgerschaft definiert. Bedeutet: auch Menschen aus EU-Mitgliedsstaaten und Drittstaatsangehörige hätten das aktive und passive Wahlrecht. Um ihnen dieses zu ermöglichen, hat die Fraktion einen Gesetztesentwurf in den Landtag eingereicht (vgl. Drs. 6/13351).

Die Grünen haben in ihrem Gesetzesentwurf das aktive und passive Wahlrecht auf Menschen mit unbefristeten Aufenthaltstitel beschränkt. Der Großteil geflüchteter Menschen wäre damit ebenso vom Wahlrecht ausgeschlossen.  Wir fordern mehr, wir fordern:

Ein Wahlrecht für Alle, unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus.

 

 

Für Fans der Partizipation: Genaueres zu den Migrant*innenbeiräten in Sachsen

Migrant*innenbeiräte in den Kommunen sollen sicherstellen, dass die spezifisch migrantische Perspektive in der Politik der Stadt oder der Gemeinde vertreten und ihr Einfluss institutionalisiert und sichergestellt ist. Sie haben im Stadtrat ein Rederecht und können eigene Anträge einreichen.

Migrant*innenbeiräte gibt es unter verschiedenen Namen in vier Städten in Sachsen. Das sind Dresden (Integrations- und Ausländerbeirat), Leipzig (Migrantenbeirat), Chemnitz (Migrationsbeirat) und Zittau.

Die sächsischen Migrant*innebeiräte setzen sich aus Menschen mit Migrations- und/ oder Fluchtbiographie sowie Stadtratsmitgliedern der einzelnen Fraktionen zusammen. Ihre Wahl beziehungsweise Benennung variiert jedoch. Während der Dresdner Integrations- und Ausländerbeirat von allen nichtdeutschen, volljährigen Menschen, die am Wahltag seit mindestens drei Monaten ihren Hauptwohnsitz haben, gewählt wird, ist eine solche Regelung nicht in Leipzig vorgesehen. Dort werden die Vertreter*innen allein vom Stadtrat benannt. Wie genau dieser Prozess vonstatten geht, ist nicht geregelt. Transparenz sieht anders aus.

Ideen, die Beiräte gesetzlich zu verankern, gibt es. Die Fraktion DIE LINKE hat in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf in den Landtag eingebracht, der „Kommunale Räte für die Belange von Menschen mit Migrationshintergrund“ und einen „Sächsischen Landesrat für Integrations- und Migrationsfragen“ vorsieht. Ausdrücklich ist dort die Wahl als Legitimation der Ratsmitglieder vorgesehen vgl. Drs. 6/13768). Ebenso ein Teilhabegesetz eingereicht haben die Grünen in dieser Legislatur. Auch sie sehen die Einrichtung von Migrant*innenbeiräten auf kommunaler Ebene und eines Landesbeirats als notwendig an (vgl. Drs. 6/15236). Beide Fraktionen wollen die Mitgliedschaft im Beirat unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status gestalten.

Info: Mohammad Okasha arbeitet beim Dachverband Sächsischer Migrantenorganisationen e.V. Koordination und Neugründung von Migrant*innenbeiräten sind dort seine Aufgabe. Er ist Mitglied im Vorstand des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V.

Kontakt: m.okasha@dsm-sachsen.de

Wir haben Geflüchtete gefragt, welche Themen für sie wahlentscheidend sind, welche Erwartungen sie an den 01. September haben und welche Einflussmöglichkeiten sie schon heute für sich sehen. Bis zum 01. September werden hier und auf unserem Vimeo-Kanal mehr und mehr Videointerviews mit Geflüchteten auftauchen.

Den Anfang macht Luan Zejneli, Auszubildender aus Leipzig (Video auf Vimeo)

Und weiter geht es mit Ahmad M.: „Ich kann mich auf jeden Fall politisch engagieren. Es ist jedoch nicht so einfach für mich als Geflüchteten.“

Die Dritte ist Sumaia Daghestani: „In der Partei, die uns unterstützt, uns hilft, die uns unsere Rechte gibt – dass ich dort bin und dass ich wählen kann.“ Danke an Bon Courage e.V. für’s Durchführen des Interviews!

Die AG Asylsuchende hat Mirna Ratz und Nada A. zu #1wahlrechtfueralle interviewt (danke!!! <3). ÖPNV, mehr PoC in Öffentlichkeit und Medien, mehr Aufmerksamkeit für Themen, die Frauen und nichtdeutsche Menschen betreffen – schaut’s mal rein.
Mohammad Mohammad aus Freital – ein Plädoyer für Aktivismus und das Sich Versammeln. Ausführlich sprach Mohammad Mohammad am 24. August bei der #unteilbar-Demo:

Illustrationen von Chris Schneider | cityescape.de

Ein Projekt des SFR e.V., gefördert von der Bewegungsstiftung.

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