Innenministerium veröffentlicht Erlass, um Duldung ersetzende Dokumente zu normieren
Ein Regierungserlass, der ein Dokument normiert, welches rechtlich nicht vorgesehen ist. Dieses Kunststück hat das sächsische Innenministerium vergangene Woche vollbracht als es den Erlass über die „Ausstellung einer Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument“ veröffentlichte. Gemeint sind die seit letztem Jahr kritisierten Fantasiepapiere, die die lokalen Ausländerbehörden anstelle der Duldung ausstellen. Doch es ist auch das Land Sachsen selber, welches dubiose Dokumente ausstellt. Die Konsequenz: eine immer weiter fortschreitende Prekarisierung Geflüchteter.
„Die Kritik an den Fantasiepapieren hat ein nahezu paradoxes Ergebnis hervorgebracht: das Innenministerium instititutionalisiert diese Dokumente. Dieser Erlass ist ein Armutszeugnis für das Innenministerium. Es wird offensichtlich, dass dort keinerlei Interesse an einem sauberen Umgang mit Recht, an Rechtspflege, besteht.“ kommentiert Mark Gärtner für den Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. „Im Prinzip ist es absoluter Irrsinn, dass wir als SFR e.V. inzwischen schon die Duldung verteidigen müssen. Ein Bleiberecht sichert sie ja nun gerade nicht. Nur, was der Sachverhalt offenbart: die Interessen Geflüchteter werden nicht nur schlicht übergangen. Ihnen wird darüber hinaus mit solcher Macht entgegengewirkt, dass man für diesen Zweck selbst das Recht auf das Äußerste dehnt.“ Schlimmer aber noch wiegt der Vorwurf systematischer Prekarisierung. „Allein der Weg zur Ausbildungsduldung wird mit einem solchen Dokument erschwert. Es wird wesentlich mehr Überzeugungsarbeit nötig sein, potentielle Arbeitgeber*innen von einer Anstellung zu überzeugen.“ so Gärtner. Für den Flüchtlingsrat sind die Fantasiepapiere nur ein weiterer Baustein der immer weiter fortschreitenden, gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen. Ausgrenzung mittels schon heute weit verbreiteter zentraler Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften, mittels des bundesrechtlichen Asylbewerberleistungsgesetzes sowie des verzögerten beziehungsweise begrenzten Familiennachzugs und nun auch ganz offiziell mittels dieser Fantasiepapiere. „Das Signal ist klar: geht einfach. Es ist egal, ob noch Gerichts- oder Verwaltungsverfahren anhängig sind, ob noch offen ist, ob euer gutes Recht anerkannt wird, es ist egal, ob ihr arbeiten und menschenwürdig wohnen wollt. Diese Fantasiepapiere tragen dazu bei, dass Menschen das Leben madig gemacht wird, dass sie am Ende tatsächlich ausreisen und verkündet werden kann, sie hätten diese Entscheidung ‚freiwillig‘ getroffen.“ fügt Gärtner hinzu. Tatsächlich reisten im Jahr 2017 allein ins unsichere Afghanistan 1.119 Menschen vorgeblich „freiwillig“ aus (vgl. BT-Drs. 19/800).
Ein Erlass, der verkompliziert anstatt Klarheit zu schaffen
Der Erlass listet Fallkonstellationen, bei denen nach Ansicht des Innenministeriums ein Fantasiepapier ausgestellt werden kann. Die Rechtsauffassung des SFR e.V. war dabei immer klar: die Duldung ist auszustellen. Das Aufenthaltsrecht kennt kein Dokument unterhalb der Duldung. So hatte es das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2003 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Pauschal kann festgehalten werden: die einzelnen Fallkonstellationen sind Humbug. Egal, ob für jemand zunächst ein anderer Dublin-Staat zuständig ist oder geprüft werden muss, ob „Duldungsgründe“ verlängert werden – es ist die Duldung, die ausgestellt werden muss. Auch dann, wenn Ausländerbehörden die Abschiebung nicht ohne Verzögerung durchgesetzen können. Diesen Umstand will das Innenministerium aber berücksichtigt sehen. Innerhalb von drei bis vier Monaten müsse die Verwaltung rechtliche oder tatsächliche Gründe, die der Abschiebung entgegenstehen, beseitigen. Nur wenn diese Frist nicht realistisch erscheint, darf eine Duldung ausgestellt werden. Die Meinung von Asylberater*innen ist einhellig: dieser Erlass trägt nicht zur Klarheit bei. Nach welchen Kriterien eine Prognose über den Zeitpunkt der Abschiebung getroffen wird, ist beispielsweise nicht Teil des Erlasses. „Das Leben von Geflüchteten, aber, das sei mal unterstellt, auch von Mitarbeiter*innen in den Ausländerbehörden, könnte wesentlich einfacher sein, wenn die Duldung ausgestellt wird.“ meint Gärtner.
Der Freistaat selber stellt fragwürdige Dokumente aus
Tatsächlich ist es die Praxis des Landes selber, welche Anlass zum Zweifel an einer rechtlich fragwürdigen, dem Erlass aber dennoch treu bleibenden Umsetzung aufkommen lässt. Dem SFR e.V. sind mindestens drei Fälle von Menschen bekannt, die lediglich mit einem „Unterkunftsbogen“ der Zentralen Ausländerbehörde in Dresdner Erstaufnahmeeinrichtungen lebten beziehungsweise leben. Ein anderes Dokument, welches ansatzweise als Identifikationsdokument dienen könnte, wurde ihnen nicht ausgestellt. Das Innenministerium, mit diesem Sachverhalt in der Kleinen Anfrage des Mitglieds im Landtag für DIE LINKE, Juliane Nagel (Drs. 6/13000) konfrontiert, will nicht wissen, wieviele Menschen das in Sachsen tatsächlich betrifft.
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