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Abschiebungshaft ist das härteste Mittel zur „Sicherung der Abschiebung“, wenn Menschen vollziehbar ausreisepflichtig sind und einer Person unterstellt wird, sie wolle sich der Abschiebung entziehen. Abschiebungshaft kann angewendet werden, wenn eine Abschiebung in ein Herkunftsland angeordnet ist aber auch, wenn eine Zurückschiebung in einen europäischen Staat laut Dublin-III-Verordnung vorgesehen ist. Da Haft den stärksten Zugriff auf eine Person darstellt, muss sie richterlich verordnet werden. Über Haftanordnungen entscheiden Amtsgerichte.
Abschiebungshaft wird durch §62 Aufenthaltsgesetz geregelt. Der Ausreisegewahrsam wiederum in §62b Aufenthaltsgesetz. Das „Wie“ des Vollzugs aber müssen die Länder regeln. Deswegen hat das Innenministerium nun einen entsprechenden Gesetzesentwurf erarbeitet. Der wurde am 09. Januar 2018 durch die Regierungskoalition in den Landtag eingereicht. Innenminister Roland Wöller hat angekündigt, dass das Gesetz noch im ersten Halbjahr 2018 den Landtag passieren soll.
In der JVA Dresden wurde bis Dezember 2013 in 24 Haftplätzen Abschiebungshaft für Männer durchgeführt. Dies war jedoch auf Basis der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments) bereits seit Dezember 2008 rechtswidrig. Erst im Jahr 2014 wurde dies durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshof bestätigt. Demnach schreibt die Richtlinie eine Trennung der Straf- und Untersuchungsgefangenen von den Abschiebungsgefangenen vor („Trennungsgebot“). Es bestand für den Freistaat die Möglichkeit, seit Dezember 2013 Abschiebungsgefangene in Berlin Köpenick und Eisenhüttenstadt (Brandenburg) zu inhaftieren. Von dieser Möglichkeit wurde zwischen Juli 2014 und Ende 2016 nur in einem Fall Gebrauch gemacht (vgl. Drs. 6/ 8633).
Vollzogen wird Abschiebungshaft derzeit in sechs Bundesländern: Pforzheim, (BaWüi), vormals Mühldorf am Inn, jetzt in Eichstätt (Bayern), Eisenhüttenstadt, auf Standby (Brandenburg), Langenhagen (Niedersachsen), Büren (NRW), Ingelheim am Rhein (Rheinland-Pfalz)
Ein Vollzugsgesetz scheint es in Bayern nicht zu geben. In Niedersachsen existiert definitiv keines. Für Rheinland-Pfalz konnten bisher keines gefunden werden. Selbiges für das Vollzugsgesetz in Hamburg.
Einen Vergleich der Abschiebungshaftvollzugsgesetze haben wir hier für euch zusammengestellt.
Ein kurzer Abriss der nur ganz offensichtlich problematischen Punkte: Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam regelt das bundesdeutsche Aufenthaltsrecht. Der Vollzug aber wird von den Ländern ausgestaltet. Deswegen der Gesetzesentwurf. Grundsätzlich gilt: Abschiebungshaft ist Haft ohne Straftat. Sie macht krank. Mehrere europäische wie US-amerikanische Studien zeigen das, die der SFR e.V. auch in seiner Stellungnahme zitiert hat. In Sachsen inhaftiert werden sollen Familien wie alle besonders schutzbedürftigen Gruppen. Das heißt, auch unbegleitete Minderjährige, Alte, Schwangere, Personen die Folter Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben und weitere. Ohne dass es nennenswert begründet wird, wird zudem der Grundsatz des Haftvollzugs „Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen.“ weitgehend relativiert. Eine Stunde Freigang am Tag, kein Bargeld, beschränkte Besuchszeiten von sieben Stunden am Tag, faktisches Verbot von Handys mittels untersagter Kameras und dergleichen mehr finden sich im Gesetzesentwurf wieder. Es ist unklar, ob Nichtregierungsorganisationen ohne Weiteres Zugang zu der Haftanstalt erhalten werden. In jedem Fall wird es möglich sein, dass ihre Gespräche mit ihren Klient*innen beaufsichtigt werden sollen. Die Gesundheitsversorgung stellt allein auf das Asylbewerberleistungsgesetz ab. Genügt es bereits in keiner Weise den Bedürfnissen geflüchteter Menschen in „allgemeinen Lebensverhältnissen“, wird und muss dies in der Abschiebungshaftanstalt zu massiven Beeinträchtigungen der psychischen wie physischen Gesundheit führen. Zwangsernährung soll stattfinden, auch bei Minderjährigen. Eine Information zu Beratung durch einschlägige Hilfs- und Unterstützungsorganisationen nur auf Nachfrage erfolgen. Das heißt, die Menschen müssen wissen, dass sie nachfragen sollen. Die Videoüberwachung geht so weit, dass, so schreibt der Deutsche Anwaltverein, „Nach der geplanten Regelung […] selbst Besucher-WCs überwacht werden“ dürfen. Weiterhin soll als besondere Sicherungsmaßnahme die Fesselung vollzogen werden. Inzwischen selbst im Strafvollzug umstritten, will dies die Landesregierung bei Menschen anwenden, die im Zweifelsfall psychisch krank sind und, wie beschrieben, nichts anderes taten, als um Schutz zu suchen.
Die, die ihn selber lesen möchten, finden den Gesetzesentwurf hier.
Als Sächsischer Flüchtlingsrat e.V. lehnen wir Abschiebungshaft rundheraus ab. In einer vom Innenministerium angefragten Stellungnahme haben wir auch begründet, warum dies so ist. Weitere Akteur*innen haben sich in ihren Stellungnahmen ausgesprochen kritisch gezeigt. So argumentiert der Deutsche Anwaltverein, dass Abschiebungshaft in Sachsen mit diesem Gesetzesentwurf gar nicht vollzogen werden dürfe. Jede Haftanordnung sei demnach rechtswidrig. Tatsächlich ist die sogenannte „institutionelle“ wie „organisatorische“ Trennung zum Strafvollzug nicht erfüllt. Dies vor allem in Hinblick auf die Standards, die die dort arbeitenden Beamt*innen erfüllen müssen. Der Ausreisegewahrsam wiederum soll laut Bundesgesetz an einem Ort vollzogen werden, von dem die „freiwillige Ausreise“ unmittelbar erfolgen kann. Wie diese Unmittelbarkeit in einer Abschiebungshaftanstalt gesichert werden soll, kann sich der Deutsche Anwaltverein nicht erklären. Demnach, so der Verein: „Ein Vollzug des Ausreisegewahrsams in Abschiebungshaftanstalten ist damit nicht zulässig.“ (Stellungnahme des DAV: 7).
Grundsätzlich gilt in jeglichem Haftvollzug, dass „das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen ist“. Diese Regelung muss da zwar stehen, ist aber der Irrsinn in Reinform. Wie unten unter „Wirkung der Abschiebungshaft auf die Inhaftierten“ beschrieben, macht Haft ohne Straftat krank. Keine Verbesserung, keine Änderung an diesem Gesetz wird es ermöglichen, dass sich das Leben in der Abschiebungshaft wie ein Leben in „allgemeinen Verhältnissen“ anfühlen wird.
Weiterhin sei auf eine grundsätzliche Problematik bei Abschiebungshaft hingewiesen. Hier entscheiden Amtsgerichte über Haftanordnungen. Das Asyl- und Aufenthaltsrecht aber fällt unter die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wenn sich also beispielsweise die Gesundheit durch die Haft soweit verschlechtert, dass ein Abschiebungshindernis oder gar ein Abschiebungsverbot festgestellt werden müsste, dann steht zu befürchten, dass die Amtsrichter*innen darauf nicht vorbereitet sind. Denn wenn die Abschiebung nicht vollzogen werden kann, dann muss der*die Betroffene auch sofort aus der Abschiebungshaft entlassen werden. Denn das einzige Ziel der Haft ist die Abschiebung. Wenn das entfällt, ist die Haft unzulässig.
Weitere Kritikpunkte sind hier emblematisch zusammengefasst. Vorausgeschickt: dies ist nur eine abstrakte Darstellung. Es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit der hier angeführten Kritikpunkte. Eine tiefgehende Auseinandersetzung findet sich in den Stellungnahmen.
Aspekt des Haftvollzugs | Regelung im Abschiebungshaft- vollzugsgesetz |
Bewertung durch Vereine/ Institutionen (in Klammern) |
Unterbringung | Betroffen von der Inhaftnahme können ausnahmslos alle, für die die bundesgesetzlichen Voraussetzungen zur Inhaftnahme greifen. Das heißt, auch Familien, Minderjährige, generell: besonders Schutzbedürftige | Verbot der Inhaftierung besonders Schutzbedürftiger, ausdrücklicher Verweis auf Definition besonderer Schutzbedürftigkeit aus EU-Aufnahmerichtlinie (SFR, DAV) |
Frauen, Männer, Familien und unbegleitete Minderjährige sollen jeweils getrennt untergebracht werden. | Familien sollen getrennt und gemeinsam von anderen untergebracht werden | |
Inhaftierung Minderjähriger | Keine Inhaftierung (SFR, DAV), wenn, dann muss das Jugendamt präsent sein (Sächs. Ausländerbeauftragter) | |
Es findet sich keine Regelung zur Ausgestaltung der Räumlichkeiten | Die Räumlichkeiten dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass dies ein Gefängnis sei (DAV) | |
Haft-„Alltag“ | Bargeld ist nicht erlaubt. | Dies ist nicht nachvollziehbar und widerspricht dem Grundsatz, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen ist. Selbst das Sächsische Strafvollzugsgesetz sieht Bargeld vor (auch wenn das in der Praxis nicht der Fall ist). Vor allem regelt das Asylbewerberleistungsgesetz ausdrücklich, dass Menschen in Abschiebungshaft über Bargeld verfügen können (SFR, DAV). |
Arbeitsgelegenheiten können nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz zur Verfügung gestellt werden. Diese „Arbeitsgelegenheiten“ sind weitläufiger unter 80Cent-Jobs für Geflüchtete bekannt | Der §5 im AsylbLG verpflichtet Geflüchtete, diese Arbeitsgelegnehit anzunehmen. Von „können“ kann hier demnach keine Rede sein. Genauso wenig wie von einer fairen Bezahlung (SFR). | |
Die Besuchszeiten sind beschränkt auf 9-12 und 13-17 Uhr. | Dies widerspricht dem Grundsatz, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen ist. Die Besuchszeiten sollten nicht beschränkt werden (DAV). | |
Freigang ist mit einer Stunde pro Tag vorgesehen. | Das widerspricht auch dem genannten Grundsatz. Es ist ein unbegrenzter Freigang zu ermöglichen (DAV, SFR). | |
Zeitschrift, Radio und TV werden die Inhaftierten wohl ohne Weiteres konsumieren dürfen. Internet wird es allerdings nur an PCs der Einrichtung geben. | Es muss kostenlosen WiFi-Zugang geben. Und das mit eigenen Smartphones. Denn „Mobilfunkendgeräte“ mit Kamerafunktion sind untersagt. Ergo, alle gängigen Smartphones. Das hat ganz praktische Folgen für die Inhaftierten. Denn allein die Telefonnummer zu Rechtsanwält*innen und NGO-Mitarbeiter*innen sind dort eingespeichert, nicht zu reden von den Kontakten zu Familie und Freund*innen. Das geht insofern auch nicht, als dass der UN-Menschenrechtsrat im Juli 2016 den Zugang zu Internet zu einem Menschenrecht erklärt hat. | |
Betreuung, Beratung und Rechtsbeistand | Anwält*innen haben Zugang. „Auf Wunsch“ sind den Inhaftierten einschlägige Beratungs-NGOs zu nennen. | Der Gesetzesentwurf genügt den Ansprüchen auf Rechtsberatung und -vertretung nicht. Momentan kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine regelmäßige Rechtsberatung für jede*n einzelne*n Inhaftierte*n nicht gegeben sein wird. Der DAV fordert eine regelmäßige, anwaltliche Rechtsberatung durch den örtlichen Anwaltverein vor, der SFR fordert den uneingeschränkten Zugang von NGOs um eine Abschiebungshaftkontaktgruppe zu ermöglichen (DAV, SFR). |
Es sollen Infoblätter mit Hinweisen zu Rechtsanwält*innen und NGOs bei der Aufnahme verteilt werden. | Analphabet*innen werden die Infoblätter nicht lesen können, selbst dann, wenn sie mehrsprachig sind. Die Information muss verbal und mit Sprachmittlung erfolgen. So wäre auch sichergestellt, dass Rückfragen direkt beantwortet werden können (SFR). | |
Gespräche mit Anwält*innen und Vertreter*innen von Institutionen wie z.B. dem Landtag werden nicht beaufsichtigt. | Diese Regelung muss auch auf Gespräche zwischen Beratungs-NGOs und Inhaftierten ausgeweitet werden (SFR). | |
Gesundheits- versorgung |
Bei der Aufnahmeuntersuchung fehlt offenbar die psychiatrische Untersuchung. | Eine psychiatrische Untersuchung muss gewährleistet werden, um Erkrankte und damit besonders Schutzbedürftige zu identifizieren. Sie sollten sowieso nicht inhaftiert werden. Wenn dies nun schon geschehen soll, dann ist es unablässlich, dass die Beamt*innen im Vollzug wissen, wer erkrankt ist und bei wem sich potentiell die Krankheit durch die Haft verschlimmern wird (SFR, Nationale Stelle zur Verhütung von Folter). |
Es findet sich keine Regelung zu ärztlichen Gutachten. | Fachärztliche wie psychotherapeutische Gutachten sollten genügen, um die Inhaftnahme auszuschließen. Der alleinige Verdacht auf eine psychische Erkrankung sollte genügen, um die Inhaftnahme auszuschließen. Wenn fachärztliche und/ oder amtsärztliche Gutachten vorliegen, sollte eine amtsärztliche Untersuchung nicht mehr vonnöten sein (SFR). | |
Gesundheitsleistungen werden allein auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes finanziert. | Das ist absolut ungenügend. § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes sieht vor, dass nur akute Erkrankungen und Schmerzzustände behandelt werden können, § 6 gewährt Gesundheitsleistungen nur, wenn es zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist. Das AsylbLG genügt bereits den Anspruchen an die Gesundheitsversorgung gerade geflüchteter Menschen in keiner Weise. In der Haft wird eine rudimentäre, weil allein auf dieses Gesetz abgestellte Gesundheitsversorgung fatale Auswirkungen haben. Psychiatrische Expertise muss ständig präsent sein (DAV, SFR). | |
Zwangsernährung ist vorgesehen. Auch von Minderjährigen. | Das „verbietet sich.“ (SFR).
Wenn dies nötig ist, „ist gemäß Art. 1 Abs. 1 GG die Freiheitsentziehung sofort zu beenden.“ (DAV). |
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Datenschutz, Recht auf informationelle Selbst- bestimmung |
Besuche können videoüberwacht werden. Generell ist Videoüberwachung überall zulässig, außer in den Unterbringungsräumen. | SFR, DAV, Sächsischer Ausländerbeauftragter und Sächsischer Datenschutzbeauftragter sind sich hier einig: das geht zu weit. Der DAV schreibt, dass nach der geplanten Regelung selbst die Besucher*innen-WCs videoüberwacht werden dürften. |
Die Speicherung der Daten ist bis zu einem Monat möglich und das auch für andere Zwecke. | Der DAV fordert, die Speicherung auf zwei Tage zu begrenzen, der Datenschutzbeauftragte sieht gar keinen Grund, überhaupt zu speichern. Andere Zwecke sind laut beiden unzulässig. Außerdem sollte sich im Gesetz eine Regelung wiederfinden, die das Löschen der Daten nach der Entlassung vorsieht. | |
Sicherheit | Besondere Sicherungsmaßnahmen sollen auch bei psychisch Erkrankten möglich sein. Zu den Maßnahmen zählt unter anderem auch die selbst im Strafvollzug inzwischen umstrittene Fesselung. | Dass besondere Sicherungsmaßnahmen auch bei psychisch Erkrankten angewendet werden können, darf nicht passieren. Sollte es den Anschein haben, dass einer Situation nur mit besonderen Mitteln beigekommen werden kann, so ist bei psychisch Erkrankten die Verlegung ins Krankenhaus bzw. in eine psychiatrische Anstalt zu veranlassen (DAV, SFR). Auf die Fesselung sollte ganz verzichtet werden (DAV). |
In der Haftanstalt sollen Bedienstete des Vollzugsdienstes des Freistaats Sachsen arbeiten. | Dies ist insofern ein Fortschritt, als dass Polizeibeamt*innen dann dort nicht arbeiten werden. Obwohl das Personal besonders geschult werden soll, erfüllt die derzeitige Regelung im Entwurf nicht den Anspruch an die institutionelle wie organisatorische Trennung. Diese muss explizit festgeschrieben werden (DAV). |
Der auffälligste Unterschied ist die Haftdauer: zehn Tage sind es maximal beim Ausreisegewahrsam, bis zu 18 Monate bei der Abschiebehaft. Während beim Ausreisegewahrsam die Abschiebung tatsächlich kurz bevorstehen muss, die Ausländerbehörde also Papiere, Flüge usw. organisiert haben muss, ist dies bei der Abschiebehaft nicht erforderlich, es muss noch nicht einmal über die Entscheidung zur Ausweisung getroffen worden sein (Vorbereitungshaft). Anderenfalls kann ein Mensch auch dann in Abschiebehaft kommen, wenn er*sie wegen unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Abschiebungsanordnung nach §58a AufenthG ergangen ist, die Ausländerbehörde den Aufenthaltsort des Menschen nicht ausfindig machen kann, der Mensch bei einem angekündigten Abschiebungstermin nicht angetroffen wurde, er*sie sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat oder Fluchtgefahr besteht (Sicherungshaft). Beim Ausreisegewahrsam dagegen muss die Ausreisefrist abgelaufen sein und gesetzliche Mitwirkungspflichten müssen verletzt und über Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht worden sein. Der bundesdeutsche Paragraph 62b AufenthG, der den Ausreisegewahrsam ermöglicht, ist aber selbst schon problematisch. Der §2 Abs. 14 im Aufenthaltsgesetz definiert den Tatbestand der Fluchtgefahr. Während die Regelungen zur Abschiebehaft hierauf Bezug nehmen, umgeht der §62b zum Ausreisegewahrsam diese Definition der Fluchtgefahr. Willkür bei der Verhängung des Ausreisegewahrsams ist zu befürchten.
Die folgenden Ausführungen wurden aus der Stellungnahme des SFR e.V. gegenüber dem Innenministerium entnommen. Freiheitsentzug zum Zweck der Abschiebung ist eine Haft ohne Straftat. Jede Haft macht krank. Diese zwei Sätze allein genügen aus Sicht des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V. (SFR e.V.), das Sächsische Abschiebehaftvollzugsgesetz (SächsAHaftVollzG) in seiner Gänze abzulehnen. In einem Bericht für den Inter-American Human Rights Court (IACHR) berichten drei Wissenschaftler*innen über den „Psychosocial Impact of Detention and Deportation on U.S. Migrant Children and Families“. Dieser Bericht ist aus Sicht des SFR e.V. essentiell da auch in Sachsen Familien und damit Minderjährige inhaftiert werden sollen. Die in dem Report beschriebenen Konsequenzen aus der Abschiebehaft und dem Ausreisegewahrsam werden in Sachsen eintreten. Folgende Erkenntnisse leiten sich aus dem Bericht ab. Kinder von Migrant*innen, dieser Begriff wird in dem Bericht verwendet, sind den Stressfaktoren ausgesetzt, unter denen ihre Eltern leiden. Die Forschung zeigt, dass der Stress der Eltern die Entwicklung von Kindern beeinflusst. Genannt werden im Bericht im Besonderen die Entwicklung des emotionalen Wohlempfindens, der akademischen Leistung und der Gesundheit (vgl. Brabeck, Brinton Lykes und Lustig 2013: 3). Als Stressfaktoren, denen die Eltern ausgesetzt sind, werden besondere Herausforderungen bei der Arbeitsplatzsuche beziehungsweise beruflicher Stress, psychische Notlagen, geringe soziale Unterstützung, sich dadurch bedingende soziale Isolation sowie die ständige Angst vor der Abschiebung genannt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei den Kindern Symptome wie Angstzustände, Panik, Traurigkeit, posttraumatische Stresssyndrome, Wut und Rückzug entwickeln, steigt. „Research has documented that children who experience multiple risks […] are more prone to behavioral and emotional problems later in life. From the cumulative risk perspective, a parent’s detention and/ or deportation may be expected to have an even more profound effect because it occurs against the backdrop of the challenges and risk factors described above. ” (Brabeck, Brinton Lykes und Lustig 2013: 2). Der sächsische Innenminister Markus Ulbig hatte es bereits angekündigt, als über den geplanten Ausreisegewahrsam in den Medien zu lesen war: auch Familien sollen getrennt und der von der Polizei angetroffene Teil inhaftiert werden (vgl. Sächsische Zeitung 2016). Als Salomonische Entscheidung bezeichnet es der Bericht, wenn inhaftierte Eltern sich entscheiden müssen, ihre noch freien Kinder entweder den Behörden preiszugeben um so gemeinsam mit ihnen abgeschoben zu werden oder sie in ihrem vertrauten Umfeld in der Pflege von weiterer Familie oder Freund*innen mit all den Chancen und Träumen, die das Kind hat, zu lassen – ohne die Eltern oder ein Elternteil. Die gegenwärtige Praxis der Familientrennungen (dem SFR e.V. sind, zum Stand 09. Oktober 2017, sechs Trennungen in diesem Jahr bekannt) lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass auch in Sachsen viele Eltern vor diese Entscheidung gestellt werden. Die Ungewissheit darüber, wie lang die Inhaftnahme dauernwird, trägt maßgeblich dazu bei, dass sich die psychische Verfassung der Inhaftierten drastisch verschlechtert. Der Bericht spricht von Mutlosigkeit, Suizidalität, Wut und Frustration als Folgen, die die Haft hervorruft. Wenn Kinder von ihren Eltern durch deren Inhaftnahme getrennt werden, ist die Wahrscheinlichkeit drei bis viermal höher, dass sie kriminell werden als Kinder, deren Eltern nicht inhaftiert sind. Die Wahrscheinlichkeit, durch eine solche Trennung negativ in der Psyche beeinflusst zu werden, ist 2,5 mal höher (vgl. Brabeck, Brinton Lykes und Lustig 2013: 4f). Die Kinder erleiden ein doppeltes oder gar dreifaches Trauma: sie müssen möglicherweise mit ansehen, wie ihnen ihre Eltern mit Gewalt genommen werden, verlieren ihre Betreuungspersonen und/ oder werden aus ihrer familiären Umgebung entrissen. Als weitere Symptome werden Appetitlosigkeit, Veränderungen der Schlafgewohnheiten sowie Weinen und Angstgefühle genannt (vgl. Brabeck, Brinton Lykes und Lustig 2013: 5). In der Studie „From Persecution to Prison: The Health Consequences of Detention for Asylum Seekers“ der Physicians for Human Rights and The Bellevue/ New York University (NYU) Program for Survivors of Torture (im Folgenden abgekürzt als Bellevue/ NYU-PHR – Team) aus dem Jahr 2003 wurden 70 Asylsuchende interviewt, die in Abschiebehaftanstalten in New York, New Jersey und Pennsylvania inhaftiert wurden (vgl. Bellevue/ NYU-PHR 2003: 43). Trotz dass mindestens in den drei genannten US-Staaten Menschen im Asylverfahren im Jahr 2003 inhaftiert wurden und in Sachsen abgelehnte Schutzsuchende inhaftiert werden sollen: es bleibt Haft ohne Straftat. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Bellevue/ NYU-PHR – Teams sind deswegen auf den geplanten Vollzug von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam anzuwenden. Die Wissenschaftler*innen stellen fest: “Psychological distress appeared to worsen as the length of detention increased. Severity of anxiety, depression and PTSD symptoms were all significantly correlated with length of time in detention.” (ebd.: 63). 70 % der Interviewten gaben an, ihre psychische Gesundheit habe sich in der Haft verschlechtert. Über Suizidgedanken berichteten 26 % der Interviewten, 17 % erwähnten diese gegenüber den Mitarbeiter*innen der Haftanstalten. Drei Prozent versuchten Selbstmord zu begehen, während sie inhaftiert waren (vgl. ebd.: 63). Diese Erkenntnisse bestätigt auch eine Studie des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes aus dem Jahr 2010. Von 685 interviewten Menschen, damals eingesperrt in 23 EU-Mitgliedsstaaten, gaben 71 % an, dass sie ihre psychischen Probleme nach vier bis fünf Monaten Haft auf diese Situation zurückführen (Jesuite Refugee Service-Europe 2010: 10). Die Wissenschaftler*innen haben eine Vielzahl von Aussagen der Interviewten gesammelt, in denen sie beschreiben, wie sich ihre gesundheitliche Lage kontinuierlich verschlechtert. Das Herz, das immer schneller schlägt, schlaflose, durchgeschwitzte Nächte, Alpträume, Filmrisse, Erinnerungen an Vergewaltigungen, die Unfähigkeit zu weinen, Gefühlskälte – das sind nur einige der Symptome, von denen die Inhaftierten sprachen. Im Weiteren protokollieren die Wissenschaftler*innen Aussagen zu dem Gefühl, das erste Mal in einem Gefängnis zu sitzen, ohne dass man sich einer Straftat bewusst sei. Aussagen zu Retraumatisierungen wurden dokumentiert – die Gründe, warum ein Mensch geflohen ist, lassen ihn in der Haft ohne Straftat häufig nicht zur Ruhe kommen. (vgl. ebd.: 64-68). Auch zu physischen Erkrankungen gibt die Studie Aufschluss. Die Wissenschaftler*innen betonen zunächst, dass Folter und andere Einflussfaktoren auf die Physis die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen, streichen aber im Besonderen den Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und sie begleitenden, negativen somatischen Effekten heraus. Ebenso ist die Wirkung in die andere Richtung einleuchtend: eine Behandlung und Heilung von physischen Krankheiten wirkt sich positiv auf die Psyche aus (vgl. ebd.: 87f). 46 % der Interviewten berichten, dass sich ihre physische Gesundheit in der Haft verschlechtert habe. Mit über 20 % sind Kopfschmerzen, Muskelschmerzen sowie Krankheiten gastrointestinaler Natur die häufigsten Erscheinungen (vgl. ebd.: 92). Literatur: Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BafF (2015): Versorgungsbericht – Zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in Deutschland, Berlin: BAfF Brabeck, Brinton Lykes und Lustig (2013): The Psychosocial Impact of Detention and Deportation on U.S. Migrant Children and Families – A Report for the Inter-American Human Rights Court, Boston, Massachussets: Boston College Deutscher Anwaltverein (2016): Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Ausländer- und Asylrecht zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, Stellungnahme Nr. 4/2016, Berlin: Deutscher Anwaltverein Deutsches Ärzteblatt (2017): Forderung nach mehr Trauma-Therapeuten für Flüchtlinge, Bericht vom 04. August 2017, Berlin: Deutscher Ärzteverlag GmbH, URL: Global Detention Project and Jesuit Refugee Service-Germany (2017): Submission to the Universal Periodic Review, 30th Session of the UPR Working Group Jesuite Refugee Service-Europe (2010): Becoming Vulnerable in Detention – Civil Society Report on the Detention of Vulnerable Asylum Seekers and Irregular Migrants in the European Union (The DEVAS Project), Brüssel: JRS Europe Physicians for Human Rights and The Bellevue/ New York University Program for Survivors of Torture (2003): From Persecution to Prison: The Health Consequences of Detention for Asylum Seekers: Boston and New York City, URL: von Borstel, Martin (2013): Zu häufig, zu schnell und oft unrechtmäßig, in: Flüchtlingsrat Brandenburg, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, Humanistische Union (Hrsg.): Haft ohne Straftat – Fakten und Argumente gegen Abschiebungshaft: Berlin, URL: http://www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/publik/HU2013_AB-Haft1-korr.pdf (Zugriff: 24. Juni 2018) Sächsische Zeitung (2016): Dresden bekommt Ausreisegewahrsam, Online-Artikel vom 27. Juli 2016 Noch mehr Infos: Die Broschüre „Schutzlos hinter Gittern“ von Pro Asyl gibt eine Übersicht (Stand 2013) über die Haftbedingungen im Bereich der Abschiebungshaft für die gesamte BRD. Die Flüchtlingsräte Brandenburg und Schleswig-Holstein sowie die Humanistische Union erläutern in der Broschüre „Haft ohne Straftat“ Fakten und Argumente gegen die Abschiebungshaft.
URL: https://www.bc.edu/content/dam/… (letzter Zugriff: 09. Oktober 2017)
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/77438/Forderung-nach-mehr-Trauma-Therapeuten-fuer-Fluechtlinge (letzter Zugriff: 09. Oktober 2017)
URL: https://www.globaldetentionproject.org/wp-content/uploads/2017/09/UPR-Germany-Submission-GDP-JRS-September-2017-FINAL.pdf (letzter Zugriff: 09. Oktober 2017)
https://s3.amazonaws.com/PHR_Reports/persecution-to-prison-US-2003.pdf (letzter Zugriff: 09. Oktober 2017)
URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/dresden-bekommt-ausreisegewahrsam-3453045.html (letzter Zugriff: 09. Oktober 2017)
Am 17. Mai 2017 beschloss der Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD das Gesetz zum Vollzug des Ausreisegewahrsams. Es ist zunächst ein Provisorium welches durch ein umfassenderes Gesetz, was auch die Abschiebehaft regeln soll, abgelöst wird. Ein Appell an die Mitglieder des Landtags, dem Gesetz nicht zuzustimmen, zeitigte keine Wirkung. Erstmals sollen in Sachsen Menschen in den Ausreisegewahrsam genommen werden. Ausreisegewahrsam betrifft Menschen, die geflüchtet sind und nun in genau jene Länder abgeschoben werden sollen, in denen ihnen Verfolgung, Not, Diskriminierung und durch strukturelle Ausgrenzung bedingte Armut droht. Ausreisegewahrsam betrifft zudem die Inhaftierung von Schutzberechtigen, von Kindern und Kranken sowie von Familien, die die Landesregierung beabsichtigt, notfalls auch zu trennen. Die sächsische Landesregierung muss das bundesdeutsche Aufenthaltsgesetz nicht anwenden. Sie hat durchaus die Option, politischen Druck gemeinsam mit den Regierungen von Bundesländern wie Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz aufzubauen, um die Paragraphen 62, 62a und 62b zu Abschiebehaft, deren Vollzug und Ausreisegewahrsam im Aufenthaltsgesetz zu streichen. Die geplante Umsetzung beider Instrumente, so wie sie das Sächsische Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz momentan vorsieht, widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention, der EU-Rückführungsrichtlinie, dem Grundgesetz und selbst dem bundesdeutschen Aufenthaltsgesetz. Eine Asylrechtsverschärfung jagt die nächste, den Forderungen von rechts soll vorauseilend der Wind aus den Segeln genommen werden, bevor die Gesetze überhaupt Wirkung zeigen können. Menschlichkeit kann bei diesem Tempo nicht Schritt halten. Die ultima ratio – Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam – werden in Gesetzesform gegossen, mildere Alternativen, wie engmaschige Fallbetreuungen, werden nicht berücksichtigt. Wir appellieren an die Abgeordneten des Sächsischen Landtages, dem Sächsischen Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz bei der Abstimmung nicht zuzustimmen und zu verhindern, dass weitere moralische und legale Grenzen in Sachsen eingerissen werden. Unsere Kritik und Forderungen fußen auf folgenden Punkten: Eine Problematisierung zum Änderungsantrag ist hier zu finden.