Pressespiegel zur Asylpolitik vom 02. Juli 2019

Pressespiegel zur Asylpolitik vom 02. Juli 2019
Erstellt von Mark Gärtner / gaertner@sfrev.de

Geschehenes – Kurzmeldungen

Blick nach Europa und die Welt

  • Zweieinhalb Wochen war die Sea Watch 3 mit zunächst 53, später 40, geretteten Menschen plus der Crew auf dem Mittelmeer unterwegs und nirgendwo durfte sie anlaufen. Letztes Wochenende hatte sich die Kapitänin des Schiffes, Carola Rackete, entschieden, im Hafen von Lampedusa trotz Verbots des italienischen Innenministers Matteo Salvinis anzulegen. Die Geretteten durften das Schiff verlassen, Rackete wurde verhaftet und steht inzwischen unter Hausarrest in Lampedusa. Ihr droht bei Verurteilung eine Haftstrafe. Dass unter ihrer Verantwortung Leben gerettet wurden, soll „Beihilfe zur illegalen Einreise“ gewesen sein. Die Sea Watch 3 wurde beschlagnahmt. Heute entscheidet die Staatsanwaltschaft über ihr weiteres Vorgehen.
    Zwischenzeitlich befasste sich auch der Europäische Gerichtshof mit den Geretteten und der Sea Watch 3. Die Richter*innen lehnten einen Eilantrag der Fliehenden und von Rackete ab, in dem sie argumentierten, in Lampedusas Hafen einlaufen zu dürfen. Der Gerichtshof sah diese Voraussetzung nur gegeben, wenn es ein „unmittelbares Risiko für irreperablen Schaden“ gebe. Auf dem Boot gab es übrigens nicht genügend Wasser, der „Abfall türmte sich“, so die Schilderung von Bord.
    Bezeichnend die Scheinheiligkeit von Vertreter*innen der Bundesregierung, die sich im Sinne Racketes äußern, in den letzten Jahren aber genau das hervorgerufen haben, weitaus mehr als den 53 Menschen ähnliche Odysees zugemutet haben und gegen die, gemeinsam mit ihren Kolleg*innen der EU und anderen EU-Mitgliedsstaaten, ein Verfahren wegen des Tatvorwurfs Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorm Internationalen Strafgerichtshof geführt wird. Weil Menschen unablässig auf dem Mittelmeer sterben oder durch die libysche Küstenwache, Partnerin der EU, in die Folterlager Libyens zurückgeschickt werden. Auf ihren Kollegen im Bundesinnenministerium üben die anderen Minister*innen in der Bundesregierung bisher keinen Druck aus, zumindest nicht öffentlich, denn Horst Seehofer könnte wenigstens die Einreise der 53 ohne Weiteres ermöglichen, die rechtliche Grundlage gibt es. Mehrere Städte und Kommunen in Deutschland haben sich bereit erklärt, die 53 Menschen aufzunehmen. Am 06. Juli soll es bundesweit Demos der Seebrücke geben. Der SFR ruft dazu auf, für ein Ende des Sterbens im Mittelmeer in Leipzig bei der #unteilbar-Demo am selbigen Tag zu protestieren.14 Uhr, Windmühlenstraße.
    SPON (25.06.19)
    tagesschau (01.07.19)
    Migazin (01.07.19)
    DLF (01.07.19)

 

  • In US-amerikanischer Abschiebehaft sind seit September 2018 sechs Kinder gestorben. Darauf wies die Organisation SOS Kinderdörfer hin und forderte die sofortige Freilassung aller Minderjährigen.
    ZDF (19.06.19)

 

  • Fast 15.000 mexikanische Polzist*innen werden künftig an der Grenze zu den USA stehen und versuchen, Fliehende vom Übertritt abzuhalten. In einem Abkommen zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten ist vorgesehen, dass die Schutzsuchenden auch in Haft genommen werden können. US-Präsident Donald Trump hatte der mexikanischen Regierung mit Strafzöllen gedroht, sollte sie dem Abkommen nicht zustimmen.
    NZZ (24.06.19)

 

  • Bis mindestens Ende 2020 können die 1,4 Millionen afghanischen Geflüchteten, die in Pakistan Zuflucht gefunden haben, dort bleiben. Weitere 800.000 Menschen ohne amtliche Dokumente dürfen zunächst bis Ende Oktober bleiben. Dies war das Ergebnis eines Staatsbesuchs des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani bei Pakistans Regierungschef Imran Khan.
    DLF (29.06.19)

 

  • Erneut erreicht die Zahl Fliehender einen Höchststand. Etwa 70,8 Millionen Menschen sind laut Zahlen des UNHCR unterwegs, „als wäre ganz Frankreich auf der Flucht“, titelt die SZ. Der Anstieg gegenüber 2017 mit 68,5 Millionen Fliehenden veranschaulicht: in 2018 wurden jeden Tag 37.000 Menschen vertrieben, einer alle zwei Sekunden. Etwa 41,3 Millionen sind Binnenvertriebene, sind also innerhalb des Herkunftsstaats geflohen, 25,9 Millionen haben Grenzen überquert, von denen es 80 Prozent wiederum in ein Nachbarland geschafft haben. Ein Drittel der Menschen hat in den ärmsten Ländern der Welt Zuflucht gefunden. Die Asylerstanträge lagen in Deutschland im Jahr 2018 bei 161.931, in 2017 waren es 198.317, in 2016 noch 722.370.
    SZ (19.06.19)

 

  • Im August 2015 ersticken 71 Menschen in einem Kühllaster auf ihrer Flucht durch Ungarn, darunter vier Kinder. Das Berufungsgericht in Szeged, Ungarn hat nun ein erstinstanzliches Urteil verschärft. Die vier Menschen, die die Fliehenden über Grenzen transportierten, wurden nun zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Sie hatten die Türen des luftdichten Laderaums nicht geöffnet, obwohl die Menschen bereits kurz nach Abfahrt gegen die Wände trommelten.
    Zeit (20.06.19)

Bund, Land, Kommune

  • Das sogenannte „Migrationspaket“, zu dem auch das Hau-Ab-Gesetz („Geordnete Rückkehr Gesetz“) zählt, wurde vom Bundesrat verabschiedet. Die Kammer hätte die Möglichkeit gehabt, den Vermittlungsausschuss anzurufen um Regelungen wie Abschiebehaft für potentiell alle vollziehbar ausreisepflichtigen Menschen, auch Kinder und Jugendliche, anderthalb Jahre Lager, Möglichkeiten, Menschen komplett von Sozialleistungen auszuschließen, und so weiter und so fort, wenigstens aufzuschieben wenn nicht zu stoppen. Weiterhin wurden neben weiteren Regelungen auch Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz vorgenommen. Wer in einer Gemeinschaftsunterkünft lebt, soll künftig zehn Prozent weniger Leistungen erhalten. Weil, so der an den Haaren herbeigezogene und irrige Gedanke, die einander sich fremden Menschen könnten ja gemeinsam haushalten. Dann sparen sie ja was. In einem Appell hatten asylberatende Vereine und Initiativen aus Sachsen die hiesige SPD aufgerufen, daran mitzuwirken, all das zu verhindern. Das geschah nicht, Sachsen stimmte zu.
    Zeit (28.06.19)
  • Einen Überblick über die Gesetzesänderungen gibt das Migazin (01.07.19)

 

  • Die Zahl der Suizide unter Geflüchteten hat sich nach den der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) vorliegenden Zahlen mit 30 Selbsttötungen in 2018 im Vergleich zu den 15 davorliegenden Jahren fast verfünffacht. Die Angst vor der Abschiebung wird von der ARI als Grund für den Anstieg angeführt. Die Zahl der Selbstverletzungen und Suizidversuche wiederum vervierfachte sich auf 400 pro Jahr. Insgesamt dokumentierte die ARI zwischen Januar 1993 und Dezember 2018 288 Geflüchtete, die sich selbst töteten sowie 3015 Selbstverletzungen und Suizidversuche.
    ND (27.06.19)

 

  • Der Evangelische Kirchentag hat eine Resolution verabschiedet, die fordert, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein eigenes Schiff auf das Mittelmeer, das „tödlichste Gewässer der Welt“, schickt, um dort Menschen zu retten. Der Vorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, machte sich dafür stark, dass Deutschland die 53 Menschen der Sea-Watch 3 aufnehme. In einer Schweigeminute wurde der Ertrunkenen gedacht. „Europa verliere seine Seele, wenn wir so weitermachen.“ so Bedford-Strohm.
    SZ (23.06.19)

 

  • Der Sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth hat den Heim-TÜV, die Studie seines Amtes zu Gemeinschaftsunterkünften, nach fünf Jahren Pause erstmals wieder veröffentlicht. Dass gerade junge, alleinstehende Männer – also die Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten „Aggressivitätsniveau“ (Wortwahl Heim-TÜV) – gehäuft und vor allem zentral in Gemeinschaftsunterkünften und dann auch noch vermehrt in Gegenden untergebracht werden, in denen es „Vorbehalte gegen Zuwanderer*innen“ gebe, sei problematisch. Damit böten solche Unterkünfte die „ideale Projektionsfläche“ für jene, die der SFR als Rassist*innen bezeichnet. Bei etwa der Hälfte der Unterkünfte gebe es hinsichtlich des baulichen Zustands oder der hygienischen Möglichkeiten Nachbesserungsbedarf. Insgesamt wurden 100 von insgesamt 120 Gemeinschaftsunterkünften in Sachsen untersucht. Datenbasis waren allerdings Fragebögen, die an die Unterkunftsleiter*innen ausgegeben wurden sowie Ergebnisse von Besuchen von 30 der Unterkünfte durch eine Forscher*innengruppe. Damit fehlt die Perspektive der Geflüchteten, die nach fünf Jahren Pause mit etwas mehr Willen sicherlich hätte aufgegriffen werden können. So ist es sicher zu erklären, warum es beispielsweise nur in vier Prozent der Unterkünfte Übergriffe durch das Wachpersonal gegeben haben soll. Welche Heimleitung will es sich mit den Securities verscherzen, mit denen sie im Zweifel Mittag isst? Geert Mackenroth betonte indes, dass Gemeinschaftsunterkünfte nicht die „ideale Unterbringungsform“ seien und fügte hinzu: „Dezentrale Unterbrinungsformen fördern die Integration besser.“ Die bundesweite Gesetzeslage spiegelt dies immer noch nicht wieder, so der SFR und ergänzt, dass einige Kommunen wie Leipzig beim dezentralen Wohnen von selbstbestimmten Wohnformen ausgingen, es jedoch Zwangs-WGs wie im Landkreis Bautzen oder der Stadt Dresden gebe. Diese zählen dort auch als dezentrale Unterbringung. Mackenroth fordert weiterhin, dass es mehr Möglichkeiten für die Geflüchteten zur Mitbestimmung geben solle. Dies sei über Räte und Gremien in den Unterkünften machbar.
    ND (24.06.19)
    MDR (24.06.19)

 

  • Die sächsische AfD drohte auf einer Pressekonferenz, in der sie ihr Wahlprogramm vorstellte, direkt dem SFR. Dem sollen die Fördergelder gestrichen und genauer auf die Finger geschaut werden. Bedeutet für den Verein: großangelegter Maniküre-Termin am 02. September für alle Mitarbeiter*innen und Mitglieder – so vom SFR auf Instagram angekündigt. Ansonsten steht im AfD-Programm das übliche, rechtsradikale Zeugs, sie wünscht sich außerdem eine Koalition mit der CDU und natürlich, wahrscheinlich steht der Säxit an, Volksentscheide.
    taz (25.06.19)

 

  • Die Sächsische Zeitung hatte am 03. Juni einen Mann syrischer Staatsbürgerschaft zitiert, der Ronald Zenker, ehemals Vorstandsmitglied des CSD Dresden e.V. unter eidesstattlicher Versicherung vorwarf, Sex mit ihm als Schutzbefohlenen gehabt zu haben. In einem am 21. Juni gemeinsam veröffentlichten Statement betonten zwölf Vereine und Initiativen, darunter der SFR e.V., dass derlei Aussagen zunächst immer ernstzunehmen seien. Über den Tatvorwurf hinaus wiesen sie erneut auf die Notwendigkeit eines umfassenden Gewaltschutzes für alle Unterkünfte hin, egal ob kommunal oder vom Land, ob zentral oder dezentral. Noch am Nachmittag des 21. Juni teilte das Büro der Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, Petra Köpping, mit, dass Ronald Zenker ihr mitgeteilt habe, beim Vorstand des CSD Dresden e.V. seine Beurlaubung erbeten zu haben.
    Sächsische Zeitung (21.06.19)
    Sächsische Zeitung (21.06.19)

 

  • Ein vorläufig gutes Ende haben die rechtlichen Verfahren der Familie Zejneli aus Leipzig genommen. Nach mehreren Verfahren, darunter zwei in der Härtefallkommission, verpflichtete das Verwaltungsgericht Leipzig nun das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem Familienvater ein Abschiebeverbot zuzusprechen. Durch den Kosovokrieg ist er schwer gezeichnet und nicht reisefähig. Damit sind auch Luan Zejnelis Mutter und Geschwister vor Abschiebung bewahrt. Luan wurde am 19. Mai 2017 zunächst ein Bleiberecht durch die Härtefallkommission zugesprochen. Als selbiges Verfahren ein Jahr später für seine Familie negativ ausging, reiste sein älterer Bruder wenig später in den Kosovo aus. Offiziell galt das als „freiwillig.“ Die schleichende Familientrennung ist vorerst gestoppt, allerdings wird Luans jüngerer Bruder in wenigen Wochen volljährig.
    LIZ (22.06.19)

Hintergrund und Meinung

  • Knappes Wasser, 13 Menschen schon von Bord gegangen – dass Carola Rackete entschied, Lampedusa auch entgegen des Verbots der italienischen Regierung anzulaufen, sei vom internationalen Seerecht und Völkerrecht gedeckt, so Alexander Proelß, Professor an der Universität Hamburg im Interview mit der Zeit. Es lägen damit bereits zwei Indizien vor, die für eine Notlage sprechen. Somit gelte auch für Italien die Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten, auch wenn seine Regierung das Recht habe, die Häfen für Schiffe unter ausländischer Flagge zu sperren. Rackete hätte weiterhin nicht Libyen anlaufen dürfen, das wäre illegal nach Europäischer Menschenrechtskonvention gewesen. Denn der Europäische Gerichtshof hatte, mit Bezug auf die Konvention, die Rückbringung von Menschen nach Libyen untersagt. Deswegen überhaupt die schmutzigen Deals der EU und ihrer Mitgliedsstaaten mit der dortigen Küstenwache.
    Zeit (01.07.19)

 

  • Tatsächlich kamen in diesem Jahr bereits mehr als 2.500 Fliehende in den italienischen Häfen an. Das sei die Realität, die in der Rhetorik des italienischen Innenministers nicht auftauche. Wie will Matteo Salvini das seinen Wähler*innen erklären, fragt Hans-Jürgen Schlamp bei SPON. Entweder, es sei nach wie vor die „Invasion“, gegen die er vorgibt zu kämpfen, oder die vierstellige Zahl sei vernachlässigbar. Im ersteren Fall hätte Salvini versagt, im zweiteren Fall wäre das Thema Flucht über das Mittelmeer nachrangig geworden. Schlamp vermutet, dass der zweitere Fall bald schlimmer für Salvini wäre. Er brauche die Zuspitzungen, die Feindbilder von „Schlepperbanden“, auch wenn diese nur einen kleinen Teil an Menschen retten würden. Ob sich das Zuspitzen der Dramaturgie auf NGOs jedoch in jedem Fall für ihn auszahle, ist nicht ausgemacht. Carola Rackete habe für ihre Entscheidung auch in Italien viel Zuspruch gefunden.
    SPON (01.07.19)

 

  • Die Juristin Doris Liebscher von der Humbold Universität Berlin übt im Interview mit ZDF heute starke Kritik am Verfassungsschutz und seinem Umgang mit und (Nicht-)Wissen über rechtsradikale Strukturen. Oft sei die Antifa, seien Journalist*innen und Wissenschaftler*innen besser informiert, als der Verfassungsschutz. Immer mehr Geld, mehr Stellen für die Behörden hätte auch in den letzten Jahren keine Veränderung bewirkt. Unabhängige Forschungsinstitute, Demokratiezentren, Fortbildungen für Polizei und Justiz wären bessere Mittel. Im Prinzip benötige der Verfassungsschutz einen radikalen Cut. Ihrer Ansicht nach darf der Schutz der Verfassung keinem Geheimdienst überlassen werden. Dass der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, nach dem Mord an Walter Lübcke, eingestand, dass seine Behörde den Rechtsradikalismus nicht beherrsche, ist für Liebscher keine Überraschung. Nach dieser Tat stand er mit dem Rücken zur Wand und musste das Offensichtliche eingestehen.
    ZDF (22.06.19)
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