Pressespiegel zur Asylpolitik vom 09. Juli 2019

Pressespiegel zur Asylpolitik vom 09. Juli 2019
Erstellt von Mark Gärtner / gaertner@sfrev.de

Geschehenes – Kurzmeldungen

Blick nach Europa und die Welt

  • Im libyschen Tadschura, östlich von Tripolis, hat es vergangene Woche einen Luftangriff auf ein Geflüchtetenlager gegeben. Mindestens 53 Menschen sollen getötet, 130 verletzt worden sein. Das Lager mit seinen etwa 600 Insassen wurde bereits das zweite Mal angegriffen. Die international anerkannte Regierung Libyens beschuldigt die Truppen von General Chalifa Haftar, für den Angriff verantwortlich zu sein. Der wollte eine Offensive auf Tripolis starten. Wer den Angriff tatsächlich zu verantworten hat, konnte nicht abschließend geklärt werden. Der UNHCR und weitere Organisationen unterstreichen, dass Zivilist*innen und vor allem Fliehende niemals das Ziel von kriegerischen Auseinandersetzungen werden dürfen.
    Für beide Seiten hätten die Fliehenden wie die Lager jedoch strategische Bedeutung. Zunächst dienten die Menschen als potentiell zu rekrutierende Soldat*innen. Darüber hinaus könnten die Menschen in den Lagern als menschliche Schutzschilde für Waffen- und Munitionsdepots genutzt werden. Teils würden Fliehende gar bewusst in militärischen Einrichtungen für denselben Zweck untergebracht.
    Was deutlich wird: Libyen ist nicht sicher und taugt auch nicht als sicherer Hafen. Seit Jahresanfang hat die sogenannte libysche Küstenwache, von der EU und ihren Mitgliedsstaaten aufgerüstet und dazu beauftragt, etwa 3.000 Fliehende vom Mittelmeer zurück nach Libyen gebracht. In 2018 waren es circa 15.000 Menschen. Gleichzeitig kommen Tausende in der Wüste auf dem Weg nach Libyen oder in Libyen um. Seit Anfang 2017 hat die Internationale Organisation für Migration 20.000 Menschen in der Sahara gerettet. Zur Anzahl der Toten kann sie keine Aussage machen: „Wir wissen, dass vermutlich Tausende Opfer unbemerkt bleiben, weil ihre Leichen entweder vom Sand begraben oder von Tieren aufgefressen wurden“ so Sprecher John Millmann. Die Wüstenrouten seien zudem die Gelegenheit für Menschenhändler*innen. Menschen würden gefangengenommen, zur Arbeit und Prostitution gezwungen oder würden als Geiseln genommen werden, um Geld von Verwandten freizupressen. Wer zu schwach sei, für wen nicht gezahlt werden könne, werde getötet. Die Welt nehme davon kaum Notiz.
    DW (03.07.19)
    SPON (04.07.19)

 

  • Mehr als 80 Personen sind am 04. Juli vor der tunesischen Küste auf ihrer Flucht ertrunken. Vier Menschen konnten gerettet werden. Ihr Boot startete am Montag dem 01. Juli an der libyschen Küste.
    SPON (01.07.19)

 

  • Nach der mehr als zwei Wochen währenden Tour der Sea Watch 3 und deren notwendigen Abbruch, herbeigeführt durch Kapitänin Carola Rackete, mussten vergangene Woche wieder Gerettete und Crews auf zwei Schiffen darum bangen, dass die EU-Mitgliedsstaaten nicht all zu lang um Menschenleben feilschen würden.
    Die „Alan Kurdi“ der NGO Sea Eye steuerte mit 65 Menschen auf Lampedusa zu, doch erneut verwehrte Italiens Innenminister Matteo Salvini die Einfahrt. Die Alan Kurdi schwenkte um und nahm Kurs auf Malta. Während es noch Sonntag Mittag so aussah, als ob auch dieses Mal ein nervenaufreibendes Tauziehen dem Anlegen vorausgehen würde, ließen die maltesischen Behörden am Sonntag Nachmittag die Alan Kurdi plötzlich einlaufen. Weitere 58 Menschen wurden parallel von der maltesischen Marine gerettet. Bundesinnenminister Horst Seehofer kündigte an, insgesamt 40 der 123 in Malta nun geretteten Menschen nach Deutschland einreisen zu lassen.
    Die „Alex“ der Organisation Mediterranea wiederum ist bereits von italienischen Behörden beschlagnahmt. Mit 41 Menschen an Bord legte sie trotz Verbots in Lampedusa an. Der Kapitän hatte zuvor den Notstand an Bord ausgerufen, die hygienischen Bedingungen seien nicht mehr tragbar. Dementsprechend sei Italien zur Aufnahme von Menschen in Seenot verpflichtet.
    taz (07.07.19)
    tagesschau (07.07.19)

 

  • Von den 53 Geretteten der Sea Watch 3 hatte Deutschland im Übrigen ein Drittel aufgenommen. Die Kapitänin des Schiffes, Carola Rackete ist wieder frei, der Hausarrest wurde aufgehoben. Ein Freispruch ist das jedoch nicht, die Vorwürfe wegen angeblicher Begünstigung von illegaler Einwanderung sind nicht vom Tisch. Die Sea Watch 3 bleibt weiter beschlagnahmt.
    Migazin (04.07.19)

 

  • Der Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die neue EU-Kommission, sofern sie denn vom EU-Parlament bestätigt wird, aufgefordert, eine „Übereinkunft zur Seenotrettung“ zu schaffen. Mit dem Ende der EU-Operation Sophia seien alle „Scheinwerfer ausgeschaltet“ worden. Es sei anbemerkt, dass die Sophia bereits weniger umfangreich war als Mare Nostrum, das italienische Programm, das 2014 auf Grund mangelnder EU-interner Solidarität eingestellt wurde. Müller jedenfalls erwartet von der neu zu konstitutierenden EU-Kommission, dass sie nicht länger auf das Einvernehmen aller EU-Mitgliedsstaaten warte. Das Mittelmeer dürfe nicht endgültig als Meer des Todes enden. Zudem fordert Müller eine Rettungsinitiative für die Menschen in Libyen. Sie hätten keine Perspektive, würden entweder in den Gefangenenlagern an Hunger, Gewalt und Elend sterben oder in der Wüste verdursten oder im Mittelmeer ertrinken. Dafür sei ein gemeinsamer Einsatz der EU und der Vereinten Nationen notwendig. PRO ASYL unterstützte Müller gestern in seiner Forderung, sie dürfe nicht totgeschwiegen werden.
    Zeit (08.07.19)

Bund, Land, Kommune

  • Nachdem sich der Evangelische Kirchentag dafür ausgesprochen hat, dass die Evangelische Kirche in Deutschland ein eigenes Rettungsschiff im Mittelmeer fahren lasse, hat sich der Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm zurückhaltend geäußert. Die leitenden Gremien der Kirche wollten das Projekt „breiter verankern“, die Kirche sei keine Rettungs-NGO und auch keine Reederei.
    Welt (09.07.19)

 

  • Mehr als 7.000 Menschen am Samstag bei #unteilbar in Leipzig! Es war klasse. Am 24. August ruft #unteilbar zur bundesweiten Großdemo in Dresden auf.
    taz (07.07.19)

 

  • Am Mittwoch dem 03. Juli wurden 23 Menschen vom Flughafen Leipzig/ Halle nach Tunesien abgeschoben, laut MDR kamen zwölf aus Sachsen.
    MDR (03.07.19)

 

  • Am Donnerstag dem 04. Juli wurden 27 Menschen vom Flughafen Leipzig / Halle nach Georgien abgeschoben, laut MDR kamen alle aus Sachsen.
    MDR (04.07.19)

 

  • Die Abschlussberichte des NSU-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags wurden vergangene Woche im Plenum diskutiert. Während sich die Koalitionsfraktionen aus CDU und SPD zufrieden zeigen und der Meinung sind, dass verstärkt Maßnahmen gegen rechtsradikale Strukturen eingeleitet und aus den Fehlern gelernt wurde, sehen das Bündnis 90/ Die Grünen und DIE LINKE in ihrem abweichenden Bericht anders. „Nichts berechtige zum Schlussstrich“, meinte Kerstin Köditz, MdL, DIE LINKE in der Landtagsdebatte. Beamt*innen hätten den NSU weder gedeckt noch gefördert, dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Jedoch hätten einige von ihnen nicht ihr Möglichstes gegeben, sie warf ihnen einen Mangel an Professionalität und Selbstkritik vor. Valentin Lippmann, MdL, Bündnis 90/ Die Grünen sprach  von organisierter Verantwortungslosigkeit, fehlender Kompetenz, Unbeständigkeit und Desinteresse beim sächsischen Verfassungsschutz. Die Fraktionen forderten eine Auflösung der Behörde. Sie habe mehr geschadet als genützt und sei reformunfähig. Das Kulturbüro Sachsen e.V. wies in einer Pressemitteilung darauf hin, dass der Untersuchungsausschuss hinsichtlich des weitreichenden Unterstützer*innennetzwerks des NSU wenig erreicht habe. Viele Unterstützer*innen seien noch heute auf freiem Fuß und ein Ermittlungsdruck nicht erkennbar, so das Büro.
    MDR (04.07.19)

Hintergrund und Meinung

  • Direkt bei rechtem Terror geblieben: „Nordkreuz“ nennt sich eine Gruppe, maßgeblich aus Mecklenburg-Vorpommern, die Todeslisten erstellt. Von aus der Polizei geleakten Dokumenten, unter anderem der Wohnungsgrundriss eines der Menschen, der auf der Liste steht, von einem Bundeskriminalamt, das dem mecklenburgischem Innenminister nicht die neuesten Ermittlungserkenntnisse anvertraut, weil gegen Beamt*innen seiner Polizei ermittelt wird und der den eigenen Innenausschuss im Landtag anlügt, über Leichensäcke, Löschkalk und Vernichtungsfantasien – das Must-Read aus diesem Pressespiegel. Ein wichtiger, auf bisherigen, im Laufe von zwei Jahren veröffentlichten Recherchen aufbauender Artikel, mit der klaren Frage an die Bundesanwaltschaft: „Warum sehen die Ermittler noch immer nur Einzelpersonen und keine terroristische Vereinigung?“ Die taz könne längst belegen, dass diese Gruppe nicht isoliert und in ein großes Netzwerk eingebettet sei.
    taz (06.07.19)

 

  • Erneut betonen Wissenschaftler*innen, diesmal aus Osnabrück und Berlin, dass private Seenotrettung keinen Pull-Faktor bei der Flucht über das Mittelmeer darstelle. Das geben die Zahlen nicht her. Vor einem halben Jahrhundert seien solche Thesen in der Wissenschaft noch diskutiert worden, heute bewegten sie nur noch die Politik. Die These spricht für ein reichlich schematisches Denken – als wäre Flucht eine Urlaubsreise. Was sicher ist: die Push-Faktoren. Kriege, Vertreibung, tödliche Lager wie die in Libyen. Und: der Zusammenhang, dass je weniger Rettungsschiffe auf dem Meer kreuzen umso mehr Menschen sterben. 2015 starb eine*r von 269, 2018 eine*r von 51, 2019 eine*r von 42.
    SZ (09.07.19)

 

  • In einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung werden die weltweiten Migrant*innen und Geflüchteten nach Herkunfts- und Zielregionen aufgelistet. Im Interview mit SPON gibt der Leiter des Instituts, Reiner Klingholz an, dass die Zahl der Migrant*innen weltweit gestiegen sei – auch relativ gesehen. Zwischen 1990 und 2017 sei die Weltbevölkerung um 42 Prozent gestiegen, die der Migrant*innen um 69 Prozent. Dass Europa im Zentrum der Migrations- und Fluchtbewegungen liege, sei eine Fehlwahrnehmung. Beispielsweise blieben zwei Drittel der Menschen, die aus afrikanischen Staaten emigrierten oder fliehen, in der Region. Von der These der Armutsmigration hält Klingholz nichts und benennt sie als Mythos. Er beobachtet die höchste Wanderungswahrscheinlichkeit unter Migrant*innen (ungleich Geflüchtete!) aus Ländern mit einem BIP pro Kopf zwischen 8.000 und 13.000 US-Dollar. Ein gewisses Kapital werde zur Migration benötigt sowie ein bestimmter Grad an formaler Bildung, um Netzwerke zu knüpfen und weiteres Geld zu beschaffen. Wirtschaftlich schwache Volkswirtschaften deswegen jedoch kalkuliert in diesem Zustand zu halten, aus dem Gedanken heraus, das Migration etwas abzulehnendes sei, hält Klingholz für einen gefährlichen Trugschluss. Es könne kein Ziel sein, Bildung und Wirtschaft nicht zu fördern und das Bevölkerungswachstum hoch und die Bevölkerung arm zu belassen.
    SPON (06.07.19) Mit eigentlich cooler Grafik, die allerdings den Trugschluss zulässt, dass dies die Einwanderung pro (nicht definiertem) Zeitraum sei. Tatsächlich sind es jeweils die kumulierten Zahlen aller Migrant*innen/ Geflüchteten, die derzeit ausgewandert bzw. eingewandert bzw. geflohen sind.
Teile diesen Beitrag: