Rede vom 03.12.20 vor dem Sozialausschuss Chemnitz – Zum Ende unserer Geflüchtetensozialarbeit

Am 03. Dezember lud der Sozialausschuss der Stadt Chemnitz die vier bisherigen Träger der Geflüchtetensozialarbeit ein. Offiziell sollte es sich um einen Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre in der Arbeit mit Geflüchteten in Chemnitz halten. Der eigentliche Anlass war jedoch das fragwürdige Verfahren, mit dem das Sozialamt Chemnitz den SFR aus der Trägerlandschaft der Geflüchtetensozialarbeit herauskegelte [Hintergrund unten verlinkt]. Unsere Kollegin Magdalena Engel hielt eine Rede, die wir hier veröffentlichen.

Vorstellung des SFR e.V. 

Wir sind ein Verein, der sich vor allem durch seine Beratungsangebote in den Bereichen Asyl-, Arbeits- und Bildungszugang auszeichnet, wie auch, seit Jahren, in der Sozialen Arbeit mit asylsuchenden Menschen Darüber hinaus leisten wir Öffentlichkeitsarbeit und erheben den Anspruch, die Interessen geflüchteter Menschen in Sachsen zu vertreten.

Arbeit des SFR e.V. in der Geflüchtetensozialarbeit in Chemnitz seit 2015

Das Ziel unserer Tätigkeit in der Geflüchtetensozialarbeit möchten wir wie folgt beschreiben:

Wir betreiben „Integrations“sarbeit im Sinne der Förderung einer gleichberechtigten ökonomischen, rechtlichen und politischen Partizipation unserer Klient*innen und der damit verbundenen Stärkung ihres Rechts auf Selbstbestimmung. „Integration“ bedeutet für uns also die Herstellung von Chancengleichheit, sowie Abbaus von Diskriminierung und Ungleichheit. Ein so verstandenes Empowerment unserer Klient*innen fordert deshalb zeitgleich unser parteiliches Eintreten für deren schutzwürdige Interessen.

Personalstruktur:

Wir arbeiten hierfür in einem multidisziplinär aufgestellten Team mit Mitarbeiter*innen, welche langjährige Erfahrung im Kontext der Geflüchtetensozialarbeit aufweisen. Wir sind Kolleg*innen mit und ohne eigene Migrationserfahrung und mehrsprachig aufgestellt.
Insgesamt bemühen wir uns um ein diverses Team.

Qualitätssicherung:

Wir betreiben Qualitätssicherung durch wöchentliche projektinterne und übergreifende Dienstberatung, regelmäßige Fallbesprechungen, sowie Weiterbildungen und Supervision. Außerdem stehen wir in enger Zusammenarbeit mit den anderen Trägern der Geflüchtetensozialarbeit, beteiligen uns in kommunalen AGs, aber auch überregionalen Netzwerken wie die Landesarbeitsgemeinschaft Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen. Seit Anfang diesen Jahres beläuft sich unser Angebot auf 4,5 Vollzeitstellen für über 200 Klient*innen; wobei wir in der Vergangenheit bis zu 800 Klient*innen jährlich unterstützt haben.

Verfahren:

Wir hätten den Raum hier gerne genutzt, um einen Überblick über die Ansätze unserer Arbeit für die Zukunft zu geben.

In Anbetracht des erlebten Vergabeverfahrens und der damit verbundenen, aktuellen Situation unserer Projektstelle, möchte ich jedoch Vorrang einräumen, sie als Mitglieder des Sozialausschusses auch darüber zu informieren.

Noch vor Ende der Frist zur Einreichung unseres Förderantrags am 08. Mai diesen Jahres, erreichte unsere Geschäftsstelle ein Schreiben des Sozialamts Chemnitz in welchem eine Ablehnung der Weiterförderung unserer Geflüchtetensozialarbeit vorweggenommen wurde. Darin bezieht sich die Verwaltung auf Gründe der „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ und vermeintlich gesunkene Bedarfe. Weiterführend „bittet“ uns das Sozialamt deshalb, selbst von einer Bewerbung abzusehen.

Unser dennoch eingereichter Förderantrag wurde sodann mit der gleichen Begründung abgelehnt.
Wie in unserem Widespruch zum Ablehnungsbescheid dargelegt, erfüllt das Vergabeverfahren offensichtlich nicht die formal-rechtlichen Ansprüche einer Prüfung nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien.

Als freier Träger steht es uns jederzeit frei uns auf Ausschreibungen der Stadt Chemnitz zu bewerben. Das Vorabschreiben im Mai erachten vor diesem Hintergrund grobe Missachtung unserer institutionellen Unabhängigkeit, sowie professionellen Erfahrung im Arbeitsfeld.

Zudem bleibt das Sozialamt eine inhaltliche Prüfung unseres Förderantrags schuldig. Die Ablehnung wird allein auf Kritierien der Wirtschaftlichkeit & Sparsamkeit abgestellt und es erfolgte keinerlei Prüfung der Zuwendungsvoraussetzungen anhand unserer erbrachten Fachlichkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit.

Sofern die Verwaltung meint, dass es in Ordnung gewesen sei, keine Ausschreibung an den Beginn des Verfahrens zu setzen und das Verfahren in dieser Art und Weise abzuwickeln, so sind wir nach wie vor an der Rechtsauffassung des Amtes interessiert. Wir haben die unsere in unserem Widerspruch ausführlich dargelegt und warten seit über 4,5 Monaten auf eine Antwort.

4. Schlussplädoyer

Flucht und Migration sind keine krisenhaften, kurzfristigen Phänomene, sondern individuelle Lebenserfahrungen, welche die Biographien einer Vielzahl von Menschen weltweit geprägt haben und auch zukünftig prägen werden.

Diese Lebenserfahrungen anzuerkennen & in den gesellschaftlichen Alltag einzubinden, bleibt eine andauernde gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Im Sinne der Weitsicht und Nachhaltigkeit wird eine professionell aufgestellte Geflüchtetensozialarbeit deshalb auch künftig gefragt sein, um ihren Teil zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Stadt beizutragen.

Die Entscheidung der Verwaltung und vor allem das erlebte Verfahren, erachten wir in Anbetracht dessen als ein hochproblematisches, politisches Signal. Wir hoffen, dass sich ein derartiges Verfahren bei keinem Träger gleich welcher Fördermaßnahme künftig wiederholen wird.

Abschließend möchten wir die Gelegenheit nutzen, der Stadt Chemnitz in dieser Runde noch einmal zur gelungenen Bewerbung auf die Kulturhauptstadt 2025 zu gratulieren. Als Verein werden wir Teil dieser Stadt bleiben und unseren Beitrag leisten, dass alle Menschen, die hier um Schutz suchen, ihn auch tatsächlich erhalten können – ob mit oder ohne Sozialer Arbeit. Diese Perspektive werden wir als Kooperationspartner der Kulturhaupstadt-Bewerbung mit einbringen.

Der Widerspruch über den Ablehnungsbescheid ist noch nicht entschieden. Noch besteht die Möglichkeit, dieses Signal zu revidieren. Wir stehen bereit, unsere kritische Soziale Arbeit wieder aufzunehmen. Dafür müssten wir uns nun nur ein neues Büro suchen.

Anschließend fragte Stadträtin Carolin Juler, DIE LINKE, unter anderem, warum es fachliche Auseinandersetzungen mit dem Sozialamt gegeben habe, wie von der Behörde behauptet. Magdalena Engel antwortete, dass es sich erstens um Diskussionen bezüglich der Durchsuchung von Gewährleistungswohnungen handeln könnte. Klient*innen hatten den Sozialarbeiter*innen des SFR davon berichtet, das Team und die Geschäftsleitung hatten dies gegenüber dem Sozialamt angesprochen und mit Verweis auf Art. 13 Grundgesetz ein Ende dieser Praxis gefordert. Zweitens könnten die Auseinandersetzungen zu den vom SFR angesprochenen rassistischen Äußerungen mindestens einer Sozialamtsmitarbeiter*in eine Rolle für das Verhalten der Behörde gespielt haben.

Hintergrund

Stellungnahme des Teams der SFR-Geflüchtetensozialarbeit vom 23. September 2020

Radio corax – Interview mit Magdalena Engel vom 30. Oktober 2020

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