Nachträgliche Anmerkung: der Journalist Tobias Wilke nahm sich unserer PM an. Seine noch tiefergehenden Recherchen haben weitere, lesenswerte Erkenntnisse hervorgebracht. Am Ende stand sich das Innenministerium ein, dass es die Gesamtzahl so nicht hätte angeben müssen und es vergaß schlicht, die Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen in die Gesamtzahl der Zuwanderer*innen einzuberechen. Siehe der Artikel vom 08. April 2018 hier: http://sprachlos-blog.de/wer-nicht-zaehlen-kann-muss-hetzen/
Und hier noch unser Versuch, den Sachverhalt im Interview mit Radio Blau zu erklären (vom 19. April 2018): http://www.freie-radios.net/88569
Im Landtag kam das Thema Ende April dann auch nochmal auf. Dazu noch die Berichterstattung in der LIZ: https://www.l-iz.de/politik/kassensturz/2018/04/Wie-Sachsens-Polizei-die-Zahl-der-Zuwanderer-kuenstlich-schrumpfen-liess-215028 (26.04.18)
…und in der FP: https://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/SACHSEN/Die-Zuwanderer-in-der-Kriminalstatistik-artikel10192372.php (26.04.18)
Schlussfolgerungen der CDU aus Kriminalstatistik fußen auf fehlerhafter Kalkulation
„In Sachsen lebten im Jahr 2017 insgesamt 52.918 Zuwanderer, gegen 9.493 wurde strafrechtlich ermittelt.“ schreibt das Staatsministerium des Inneren in seiner am Freitag veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die Polizei Sachsen spricht direkt von Strafbarkeit unter den Zugewanderten. Und vergisst dabei, dass nicht sie sondern Gerichte entscheiden, wer strafbar ist. Es lohnt ein genauerer Blick darauf, wie die Statistik „Zuwander*innen“ und „tatverdächtige Zuwander*innen“ definiert. Denn die Definitionen beider Gruppen werden nicht konstant gehalten. Die Folge: die CDU Sachsen legitimiert mit einer fehlerhafte Statistik und ihrer ebenso fehlerhaften Interpretation ihre Abschiebepraxis.
Direkt voraus: Tatverdacht ist ungleich Strafbarkeit. Ersteres entscheidet ein*e Polizist*in, zweiteres ein Gericht. Hier beginnt sie bereits, die Vermengung der Themen Kriminalität, Migration und Flucht, die offenbar in vollem Bewusstsein vorangetrieben wird, um Abschiebungen zu legitimieren. Darüber hinaus führt die Kriminalstatistik zwei Gruppen an: Menschen, die zuwandern und die „tatverdächtigen Zuwander*innen“. Laut Innenministerium lebten in Sachsen im Jahr 2017 52.819 zugewanderte Menschen in Sachsen, gegen 9.493 wurde ermittelt. Doch für beide Gruppen werden vollkommen unterschiedliche Definitionen verwendet. Der Anteil der „tatverdächtigten Zuwander*innen“ an den tatsächlich in Sachsen lebenden Zuwander*innen muss demnach viel geringer sein, als es die PKS vorgibt.
Die zugewanderten Tatverdächtigen werden noch richtig angegeben…
Unter „tatverdächtigen Zuwanderer*innen“ werden in einer PKS „Asylbewerber*innen, international Schutzberechtigte und Asylberechtigte, geduldete Ausländer*innen, Kontingentflüchtlinge sowie unerlaubt Aufhältige“ aufgeführt. Ein besonderes Augenmerk sollte zum Verständnis des Sachverhalts dabei den „unerlaubt Aufhältigen“ gelten. Das können Menschen aus allen möglichen Staaten der Welt sein, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen in Sachsen aufhalten, aber nicht im Besitz eines gültigen Visums sind. Sie werden logisch erst dann gezählt, wenn sie als Tatverdächtige ermittelt worden sind – sie melden ihren unerlaubten Aufenthalt wohl kaum den Behörden.
….doch es sind nur Menschen aus fünf Staaten, die das Innenministerium als in Sachsen lebende Zuwander*innen zählt
Die Gruppe der „unerlaubt Aufhältigen“ kann also überhaupt nicht beziffert werden. Daher greift das Innenministerium zu folgendem „Trick“: für die Ermittlung der in „Sachsen lebender Zuwanderer*innen“ ergibt eine Melderegisterabfrage für Angehörige der fünf Hauptherkunftsstaaten von Geflüchteten (Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und Eritrea) eben jene „52.918 Zuwanderer*innen“, deren Aufenthaltsstatus allerdings überhaupt keine Rolle spielt. Bei der Gesamtzahl der Zuwanderer*innen unterschlägt das Innenministerium also sämtliche Geflüchteten aus anderen Staaten sowie alle nichtdeutschen Menschen ohne gültiges Visum, also die „unerlaubt Aufhältigen“. Der vollkommen fehlkonstruierte Anteil der Tatverdächtigen unter Zuwanderer*innen ist somit definitiv viel zu hoch.
Mathematische Selbstverständlichkeit: keine Relation ohne Nenner
Weil die Gesamtzahl der „in Sachsen lebenden Zuwander*innen“ gemäß der Definition für die Tatverdächtigen also überhaupt nicht beziffert werden kann, hätte das Innenministerium schlichtweg darauf verzichten müssen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Von einem Anteil der Tatverdächtigen an einer bestimmten Gruppe kann nur dann gesprochen werden, wenn bekannt ist, wieviele Menschen tatsächlich zu dieser Gruppe gehören. Das ist hier nicht der Fall. Die Stimmen aus der CDU-Fraktion, allen voran der innenpolitische Sprecher Christian Hartmann, nutzen eine falsche Kalkulation, um von „Missbrauch der Gastfreundschaft“ zu sprechen und ihre harte Haltung nach mehr Abschiebungen zu untermauern. Die Vermengung von Kriminalität, Zuwanderung und Flucht ist vollbracht. Die Folge: Stimmungsmache gegen zu unrecht kriminalisierte Geflüchtete wie Migrant*innen.
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