PM: Hamburger Straße: Unabhängige Beschwerdestelle statt Videoüberwachung

Die Landesdirektion geht auf die Bewohner*innen zu und will sie gleichzeitig überwachen

Dass die Gewalt in der Hamburger Straße sich zuspitzt, ist nicht verwunderlich. Dem Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. werden seit knapp zwei Jahren immer wieder Berichte aus der Hamburger Straße angetragen, die erschauern lassen. Eine unabhängige Beschwerdestelle muss nun dem langfristigen Ziel der dezentralen Unterbringung vorausgehen. Denn es sind Sammelunterkünfte, die derlei Auseinandersetzungen geradezu provozieren.

Ganz klar: wer Menschen zentral unterbringt, der*die darf sich nicht wundern, wenn solche Vorfälle wie in der Hamburger Straße geschehen. Polizei und Landesdirektion können die Auslöser der Gewalt bisher nicht abschließend klären. Die DNN schreiben, weder Täter*innen noch Opfer würden mit der Polizei kooperieren. Auch das: keine Überraschung. Wenn Geflüchtete zum Ziel von Gewalt werden, wenden sie sich im Nachhinein oft nicht an die Polizei. Das kann im Einzelfall bereits darin begründet liegen, dass ihnen mit aller Macht signalisiert wird, dass sie nicht dazugehören. Geflohene Menschen werden bereits dann zum Schweigen gebracht, wenn sie klar keine Chance im Asylverfahren haben, in einer lagergleichen Situation untergebracht sind und lediglich Asylbewerberleistungen erhalten. Der Sächsische Flüchtlingsrat e.V. geht mit Gewissheit davon aus, dass die sich nun häufenden Vorfälle nur der derzeitige Höhepunkt der Eskalation sind. Und es ist nicht die Gewalt unter Geflüchteten, von der seit knapp zwei Jahren regelmäßig den Mitarbeiter*innen berichtet wird. Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern, zu verschiedenen Aufenthaltszeiten nennen die dort arbeitenden Securities, die immer wieder ihre Machtposition ausnutzen. Im Einzelfall sind die Berichte für den SFR e.V. nicht überprüfbar. Zu einer Strafanzeige lassen sich die wenigsten bewegen. Wer ausgeschlossen ist, wird seine*ihre Stimme nur im Ausnahmefall erheben, wird kaum Aufhebens um seine*ihre Person verursachen, denn, so die Überlegung, das könnte ja das eigene Asylverfahren gefährden. Wenn der SFR e.V. von Machtlosigkeit spricht, die in Sammelunterkünften erzeugt wird, dann meint der Verein genau solche Mechanismen. Die Quantität der Berichte über einen langen Zeitraum hinweg verdeutlicht aber: es bedarf hier anderer Mittel als der Repression durch Videoüberwachung. Eine unabhängige Beschwerdestelle zum Zweck der Gewaltprävention muss das Ziel sein. Dass von offizieller Seite angekündigt wurde, auf die Bewohner*innen zuzugehen, mag ein richtiger Schritt sein. Wie sich das genau gestalten soll, wurde bisher nicht kommuniziert. „Unabhängige und vertrauenswürdige Ansprechpartner*innen werden die Geflüchteten bei den Behörden nicht finden. Immerhin sind es ja gerade selbige Behörden, die nun Kameras in der Unterkunft installieren wollen. Mehr Misstrauen geht nicht.“ kommentiert Mark Gärtner vom SFR e.V. die Pläne der Landesdirektion.

Statt Videoüberwachung – eine unabhängige Beschwerdestelle beugt Gewalt vor

Eine unabhängige Beschwerdestelle samt ausgearbeitetem Landesgewaltschutzkonzept nach dem Vorbild in Nordrhein-Westfalen bedarf es hier mindestens. In NRW können sich die Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen direkt an Beschwerdestellen richten. Überregional werden die Einzelfallberichte gebündelt, auch strukturelle Problematiken der Unterbringung werden so berücksichtigt. Schlussendlich zeigt sich das zuständige Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration offen, bespricht die aufgeworfenen Fragen an einem Runden Tisch. Doch auch eine solche Maßnahme kann nur als Akut-Reaktion bewertet werden. „Albrecht Pallas von der SPD spricht sich in der Morgenpost dafür aus, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Das bedeutet nichts anderes als dass langfristig wieder das Ziel der dezentralen Unterbringung in den Fokus genommen werden muss. Es bleibt zu hoffen, dass die SPD diese Vorfälle zum Anlass nimmt, sich gegen das geplante, „Ankerzentrum“ genannte Lager zu verwehren.“ sagt Mark Gärtner vom SFR e.V. in Richtung des kleinen Koalitionspartners.

Vielfältige Stressfaktoren bedingen Gewalt in der Hamburger Straße

Berichte von Geflüchteten über die Securities handeln von ständigen, unangekündigten Durchsuchungen der Zimmer. Allein dies ist im Angesicht der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2005 nicht vertretbar (BGH 10.08.2005 1 StR 140/05). Die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 ist auch in den Zimmern von Sammelunterkünften zu gewährleisten. Dies sollte im Betreibervertrag auch klar geregelt sein – nur wurde der nicht veröffentlicht, ist also von öffentlicher wie parlamentarischer Seite nicht überprüfbar. Drohungen, sexuelle Belästigung, Anschreien, Demütigen – das alles soll sich dort immer wieder abspielen. Stressfaktoren, die das Fass schnell überlaufen lassen. Wenn nach Informationen des Ausländerrats Dresden e.V., vorgestern so zitiert in der Sächsischen Zeitung, das Essen ab und an nicht ausreicht, dann ist auch dies eine potentielle Konfliktursache. Auch hier wieder: keine Überraschung. Bereits am 16. August 2017 berichtete die Sächsische Zeitung (Titel: „Geschäftsmodell Asyl“), dass der neue Betreiber European Homecare drei Mahlzeiten plus Getränke mit vier Euro pro Tag berechne. Das Deutsche Rote Kreuz hatte bis zum Betreiberwechsel im Sommer 2017 noch mit zwölf Euro kalkuliert. So wurden dem SFR e.V. in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden über qualitativ minderwertiges Essen sowie einen eintönigen Speiseplan zugetragen.

„Sie suchten Schutz“ lautet ein Artikel der taz vom 13. November 2017. Der Fall von Argjent Mehmeti und seiner Familie, die von Security-Mitarbeiter*innen auf der Hamburger Straße bedroht wurden, dient dort als Aufhänger.

Kontakt
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
-Öffentlichkeitsarbeit-
Mark Gärtner
Dammweg 4
01097 Dresden
Tel.: 0351 / 33 23 55 94
Mail: pr@sfrev.de

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