PM: Sachsens PKS – wie aus problematischen Zahlen hetzerische Berichterstattung wird

Veröffentlichte Zahlen zu Kriminalität unter Zuwanderer*innen führen erneut zu Fehldeutungen

Am Mittwoch veröffentlichte das Staatsministerium des Inneren seine Polizeiliche Kriminalstatistik und wieder muss festgestellt werden: ein kritischer Blick auf die Zahlen gerade von Zuwanderer*innen ist vonnöten. Recherchen des freien Journalisten Tobias Wilke und des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V. hatten im letzten Jahr einen Aufruhr ausgelöst, der es gar bis ins Plenum des Sächsischen Landtags schaffte. Der erhoffte Lerneffekt jedoch ist ausgeblieben – beim Staatsministerium des Inneren, aber auch beim Boulevardblatt namens BILD.

Zur Kritik im Einzelnen:

„In Ermangelung dafür notwendiger Daten kann für die Gruppe der Zuwanderer keine Tatverdächtigenbelastungszahl gebildet werden.“

…warnt das Bundeskriminalamt. Und was macht Sachsen? Bildet zwar keine Tatverdächtigenbelastungszahl, liefert aber die Daten, mit denen sie gebildet werden könnte. Was nicht minder kritikwürdig ist. Im Einzelnen: 9.194 als zugewandert geltende Menschen wurden in Sachsen als tatverdächtig registriert. So weit, so richtig, erst im Folgenden wird es problematisch. Denn es wird eine „Gesamtzahl der Zuwanderer*innen“ angegeben, die für 2018 mit 57.439 beziffert wird. Diese Gesamtzahl sollte aber nirgendwo auftauchen.

Zuwanderer*innen werden von der Polizeilichen Kriminalstatistik definiert als Menschen im Asylverfahren, geduldete Menschen, Kontingentsflüchtlinge, unerlaubt aufhältige Personen und international wie national Schutzberechtigte wie Asylberechtigte.

Aus dieser Definition heraus ergeben sich folgende Punkte, die das Angeben einer Gesamtzahl von Zuwanderer*innen verbieten:

  • Punkt I: Ein Staat kann nicht wissen, wie viele Personen sich unerlaubt auf seinem Territorium aufhalten. Bedeutet, die Kategorie der unerlaubt Aufhältigen muss in der Gruppe der Zuwanderer*innen immer unbestimmt bleiben. Laut Definition der „Zuwanderer*innen“ lässt sich mit Blick auf die unerlaubt Aufhältigen also nicht mit schlussendlicher Genauigkeit sagen, wie viele Personen insgesamt zugewandert sind.
  • Punkt II: „Vollziehbar Ausreisepflichtige“ wiederum sind eine übergeordnete Kategorie und zwar für geduldete Menschen, Menschen mit einem so genannten Fantasiepapier und Menschen, die schlicht vollziehbar ausreisepflichtig sind. Fantasiepapiere sind die vom SFR heftig kritisierten DIN-A4-Blätter, die unterhalb der Duldung ausgestellt werden. Das Innenministerium gibt, Stand 31. Dezember 2018 an, dass sich 12.110 vollziehbar ausreisepflichtige Personen in Sachsen aufhalten, wovon 9.230 Personen geduldet sind (vgl. Drs. 6/16220). Angaben zu Menschen mit Fantasiepapieren fehlen. Was also tun mit dieser übergeordneten Kategorie der vollziehbar Ausreisepflichtigen, zu der die Teilmenge der geduldeten Personen gehört, die aber wiederum, nach Definition, zu den Zuwanderer*innen gezählt werden müssen?

„Des Rätsels sächsische Lösung“, wie Tobias Wilke im letzten Jahr schrieb, sieht für Punkt II nun so aus, dass die vollziehbar ausreisepflichtigen Personen generell nicht mit in die Gesamtzahl der Zuwanderer*innen eingerechnet werden. Dies war in den Polizeilichen Kriminalstatistiken Sachsens bis 2016 noch der Fall, seit 2017 wird dies nicht mehr getan (deswegen kam es damals zu der missverständlichen Annahme, dass zwischen 2016 und 2017 plötzlich 10.507 Zuwanderer*innen weniger in Sachsen leben sollten). Dies bedeutet in der Schlussfolgerung weiterhin, dass….

  • …Punkt III: eine Gruppe, die laut Definition zu den Zuwanderer*innen zählt, gar nicht eingerechnet wird. Das sind die oben genannten 9.230 geduldeten Personen.

„Diese Kritikpunkte sind dem Sächsischen Staatsministerium des Inneren spätestens seit letztem Jahr bekannt. Es ist enttäuschend, dass wider besseren Wissens eine Gesamtzahl für die Gruppe der Zuwanderer*innen gebildet wird.“ meint Mark Gärtner vom SFR und fordert, dass im kommenden Jahr davon abgesehen wird, diese Zahl anzugeben. „Die einzelnen Kategorien setzen sich aus vielfältigen Personengruppen zusammen, die teils nicht einmal von offizieller Seite quantifiziert werden können. In einer Grafik 9.194 tatverdächtige Zuwanderer*innen neben vorgeblich 57.439 registrierte Zuwanderer*innen zu stellen, wie es das SMI tut, vermittelt den Eindruck einer Tatverdächtigenbelastung, die nicht valide angegeben werden kann.“

„Mehrfach-/ intensiv Tatverdächtige – Asyl“ – Institutioneller Rassismus von offizieller Seite

Für 45 Prozent der Straftaten, die mutmaßlich von Zuwanderer*innen begangen worden sind, sind 1.778 Personen aus der polizeilichen Kategorie „mehrfach-/intensiv Tatverdächtige – Asyl (MITA)“ verdächtig, also Personen, die innerhalb eines Jahres mindestens fünf Mal als Tatverdächtige in Erscheinung getreten sind. Heißt, so das SMI, für 45 Prozent der Straftaten, die vermutlich der Gruppe der Zuwanderer*innen zuzuordnen sind, sollen 3,1 Prozent dieser Gruppe verantwortlich sein.

Zunächst: diese 3,1 Prozent sind eine unzulässige Zahl, weil sie sich an der oben problematisierten Gesamtzahl der Zuwanderer*innen ausrichtet. Viel mehr aber noch, mehrfach-/ intensiv Tatverdächtige existieren nicht nur unter Zuwanderer*innen. Es soll beispielsweise auch Rechtsradikale deutscher Staatsangehörigkeit geben, die schon mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten sind, für die die Polizei nun aber auch ein separates, nicht öffentliches Ranking einführen will (siehe Artikel der Freien Presse). Nur , deutsche Staatsangehörige werden nicht analog zu den „MITA“ als mehrfach-/ intensiv Tatverdächtige geführt, teilt das SMI auf Anfrage mit. Wie viele deutsche Staatsangehörige mehrfach-/intensiv tatverdächtig sind, hat das Innenministerium zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht nachreichen können. „Eine statistische Kategorie, die allein für Zuwanderer*innen gilt – das werten wir im SFR als institutionellen Rassismus.“ kommentiert Mark Gärtner. Anders macht das beispielsweise Bayern. Dort werden alle Mehrfachtäter*innen erfasst und in der PKS angegeben.

Mit der Kategorie MITA steht Sachsen allein und stellt sich gegen die Vorgaben des Bundeskriminalamtes. In die Gesamtstatistik des Bundes fließt diese Angabe aus der sächsischen Kriminalstatistik nicht ein.

Presseschau – Zuwanderer*innen sind nicht gleich Ausländer*innen!

Es mag nicht überraschen, doch die BILD schafft es tatsächlich, auf nur einer Seite einen Fehler zu machen, der nur wenige Zentimeter entfernt deutlich offenbar wird. Auf Seite 4 ihrer gestrigen Print-Ausgabe schreibt sie über die bundesweite Polizeiliche Kriminalstatistik, dass 30,5 Prozent der Tatverdächtigen „keinen deutschen Pass“ besitzen. Das gehe gar nicht, so das Boulevardblatt, liege der „Ausländernanteil an der Gesamtbevölkerung“ in Deutschland doch nur bei 12,5 Prozent. Ein wenig nach rechts unten geschaut und Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts gibt Auskunft, dass auch der „Fan eines ausländischen Fußballvereins, der am Rande eines Champion-League-Spiels polizeilich in Erscheinung getreten ist, aber auch [der] Tourist, der straffällig wird“ unter diese Kategorie nicht-deutsch, oder eben Ausländer, fällt. Also: nicht zugewanderte Personen. Wer hetzt, braucht sich nicht wundern, wenn einem Tobias Wilke auf den Fersen ist. Der Thread auf Twitter hier. Die Dresdner BILD, sich auf die sächsische PKS beziehend, muss sich den gleichen Fauxpas zurechnen lassen.

Gärtner: „Für die kommende PKS wünschen wir uns klare Formulierungsvorschläge vom SMI für die Personen, die immer wieder mit ganz bewusster Zahlendreherei rassistische Vorbehalte schüren. Angesichts der kritischen Auseinandersetzung mit der PKS im letzten Jahr und der erneuten, falschen Wiedergabe der Zahlen durch ein Boulevardblatt ist dies notwendig.“

Eine Aufschlüsselung zu allen Ergebnissen der sächsischen PKS von MDR Sachsen hier.

Kontakt
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
-Projekt Reto / Politik, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit-
Mark Gärtner
Dammweg 5
01097 Dresden
Tel.: 0351 / 33 23 55 94
Mobil: 0176 / 427 286 23
Mail: pr@sfrev.de

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