SFR veröffentlicht Einblick in Unterbringungspolitik von Sachsens Kommunen
Die Unterbringungspolitik der sächsischen Landkreise und kreisfreien Städte variiert. Für Geflüchtete im Asylverfahren bedeutet das, dass das Glück, in der eigenen Wohnung leben zu können, vom Zufall der kommunalen Verteilung abhängt. Fortschritte gibt es seit 2016 zu verzeichnen, die „Wohnbefähigungsprüfung“ oder auch „Sozialprognose“ gehört der Vergangenheit an. In einigen Kommunen entschied sie über den Umzug aus der Gemeinschaftsunterkunft in die Wohnung. Ein Landkreis sticht quantitativ wie qualitativ besonders negativ heraus.
Wer nach einer langen Flucht in Sachsen ankommt, wird zunächst eine der neun Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaats von innen sehen – Privatsphäre und Ruhe Fehlanzeige. Wer nicht aus einem so deklarierten, „Sicheren Herkunftsstaat“ kommt oder wem keine schlechte Bleibeperspektive unterstellt wird, wird auf eine der 13 Kommunen verteilt. Hier hängt es in hohem Maße von der Politik des Landkreises oder der kreisfreien Stadt ab, ob die einzelne Person oder Familie nun endlich selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben darf. Das zeigt die Entwicklung der dezentralen Unterbringungsquote für Menschen im Asylverfahren von 2016 bis 2018.
Auf die Definition des „dezentralen Wohnens“ kommt es an
Ehrlich ist die Stadt Leipzig. Dezentrale Unterbringung wird dort ausschließlich als das „selbstbestimmte, im Famiilienzusammenhang oder in freiwilligen Wohngemeinschaften gelebte Wohnen in einer in der Regel selbstgewählten Unterkunft“ gewertet. Damit erreicht die Stadt eine Quote von 50 Prozent im Jahr 2018 und liegt unter Dresden mit 73,24 Prozent. In der Landeshauptstadt jedoch werden auch die Wohngemeinschaften von mehreren Männern in Ausbildung gezählt, denen diese Form des Wohnens zugewiesen wurde. Selbstgewählt ist daran nichts. Auch in der Sächsischen Schweiz/ Osterzgebirge mit ihrer Quote von 90 Prozent wird dezentrale Unterbringung kritikwürdig gezählt. Dort kann es passieren, dass sich zwei, drei Männer nicht nur eine Wohnung sondern gar ein Zimmer teilen. Insofern muss bei diesen Zahlen deutlich vor einer Vergleichbarkeit gewarnt werden.
Lang laufende Betreiberverträge führen zu voll belegten Gemeinschaftsunterkünften
Im ländlichen Raum Sachsens ist es kaum erklärbar, warum überhaupt eine Person in einer Gemeinschaftsunterkunft leben sollte. Schlusslichter sind Bautzen mit einer dezentralen Unterbringungsquote von 23,38 Prozent und der Landkreis Leipzig (38,24 Prozent). Der Leipziger Landkreis fällt mit einer seit 2016 kontinuierlich sinkenden Quote auf. Die dortige Politik steht emblematisch für eine Entwicklung, die in mehreren Landkreisen zu beobachten ist. Der Bon Courage e.V. berichtet gegenüber dem SFR, dass im Jahr 2015 Verträge über den Betrieb der Gemeinschaftsunterkünfte mit mehrjährigen Laufzeiten abgeschlossen worden sind. Dabei hat der Landkreis sich auf die Vereinbarung eingelassen, auch für unbelegte Plätze an den Betreiber zu zahlen. Mit der sinkenden Zahl Neuankommender, reduzierte sich die Belegung. Es galt also, die Unterbringung in den Wohnungen nach und nach abzubauen, um die Gemeinschaftsunterkünfte ausgelastet zu halten. Gleichzeitig wurden Wohnungen des Landkreises abgestoßen, 93 allein in 2017, zeigt eine Anfrage von Juliane Nagel, MdL, DIE LINKE (vgl. Drs. 6/12190). Ähnliches ließ sich im Sommer 2017 beobachten, als im Landkreis Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge Mietverträge mit privaten Vermieter*innen und Unternehmen ausliefen und Menschen von heut auf morgen aufgefordert wurden, in andere Orte umzuziehen. Die öffentliche Kritik von SFR und AG Asylsuchender Sächsischer Schweiz / Osterzgebirge e.V. hatte wenigstens in Härtefällen den Transfer stoppen können (PM vom 28.08.17).
Bautzen fährt harte Linie und blamierte sich im Frühjahr selber
Das Landratsamt Bautzen wiederum setzt voll und ganz auf „strenge Grundsätze.“ In derzeit fünf Gemeinschaftsunterkünften sind mehr als 75 Prozent der Geflüchteten im Asylverfahren untergebracht. Bis Ende des Jahres soll dort zwar die Bautzener Gemeinschaftsunterkunft schließen. Aber nur 100 von 250 dort untergebrachten Menschen sollen Wohnungen in der Stadt beziehen dürfen. Es sind die, bei denen „Integrationsansätze“ vorliegen, die Familie haben oder in Arbeit und Ausbildung sind. Alle anderen Menschen werden auf die vier anderen Gemeinschaftsunterkünfte verteilt. Der Landkreis Bautzen wird damit seine dezentrale Unterbringungsquote leicht erhöhen. „Dass sich das Landratsamt bei der Kreistagssitzung vom 25. März noch gefeiert hat, dass es persönliche Interessen der Betroffenen berücksichtigt, zeugt von einigem Zynismus.“ kommentiert Mark Gärtner vom SFR. „Eine solche Berücksichtigung sollte in jedem Fall Standard sein, nicht erst, wenn eine Unterkunft geschlossen wird.“ Über den Standard hinaus gilt natürlich: nur in der Wohnung kann Ankommen gelingen, können Menschen nach der Flucht zur Ruhe kommen, kann nachhaltig auf Inklusion gesetzt werden.
Klar ist auch: wenn dann Ende des Jahres der Transfer ansteht, dann sollte Bautzen diesen besser organisieren als die beschämende Aktion in Neukirch. Als die dortige Gemeinschaftsunterkunft geschlossen wurde, liefen Geflüchtete, Ehrenamtliche des Helferkreis Neukirch/ Bautzen und der SFR Sturm gegen die Pläne (PM vom 19.04.18 / PM vom 24.04.18), die von einer beispiellosen Misskommunikation begleitet wurden. Gärtner kündigt an: „Wir werden genau beobachten, wie der Landkreis sich das nun vorstellt. Sollte es erneut Anzeichen dafür geben, dass hier Grundsätze von transparentem Verwaltungshandeln missachtet werden, stehen wir wieder auf der Matte.“
„Wohnbefähigungsprüfung“ ist Vergangenheit, progressiv sieht dennoch anders aus
Wann können Geflüchtete, solang sie im Asylverfahren sind, aber damit rechnen, von der Gemeinschaftsunterkunft in die eigene Wohnung zu ziehen? Das Asylgesetz schreibt vor, dass Menschen „in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften“ unterzubringen sind. Die „Belange“ der betroffenen Personen können jedoch berücksichtigt werden. Die sogenannte „Wohnbefähigungsprüfung“ war durch diesen Passus nicht gedeckt. Eine solche Prüfung wurde laut Heim-TÜV des Sächsischen Ausländerbeauftragten aus dem Jahr 2017 von den Landkreisen Bautzen und Vogtland wie der Stadt Leipzig durchgeführt. Dies ist nach Staatsministerium des Inneren auf Anfrage von Petra Zais, MdL, Bündnis 90/ DIE GRÜNEN, in keiner der Kommunen mehr der Fall (vgl. Drs. 6/16625). Auf Anfrage des SFR meldet auch Görlitz, dass der Landkreis diese Praxis nicht durchführe.
Während in Landkreisen wie Nordsachsen, Leipzig, Meißen oder Görlitz Familien, Arbeitsverhältnisse und Erkrankungen besonders berücksichtigt werden, gibt es auch hier wieder einen Landkreis, der deutlich restriktiver vorgeht. Es ist der Kreis Bautzen, der seit August 2016 allein medizinische Gründe als ausschlaggebend für den Umzug in die eigene Wohnung erachtet. „Bautzen fällt nicht nur quantitativ auf. Die Unterbringungspolitik ist rein qualitativ absoluter Ausreißer – Richtung negativ.“ meint Gärtner. Doch lässt sich generell feststellen, dass lediglich das, was als Integration verstanden wird, berücksichtigt wird. Einer Gruppe wird besonders misstraut, selbstbestimmt leben zu können: junge Männer. Stattdessen scheint in den Kommunen kollektiv der Gedanke vorzuherrschen, dass es die bessere Idee sei, sie in einer Gemeinschaftsunterkunft leben zu lassen. Beispielhaft steht hierfür die Stadt Chemnitz, die 2016 beschloss, alleinstehende Männer nur noch in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Gärtner: „Um im Bild des Wohnens zu bleiben: hier wird von der Wand bis zur Tapete gedacht.“
In der ursprünglichen Version der Pressemitteilung ist uns ein Tippfehler unterlaufen. Nicht 150 sondern 250 Menschen sind derzeit in der Bautzener Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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