Gestrige Abschiebung nach Afghanistan vom Flughafen Leipzig/ Halle
Fünf Menschen aus Sachsen saßen gestern im Abschiebeflieger Richtung Kabul, vier davon gehörten zu keiner der drei problematischen Kategorien, die Abschiebungen legitimieren sollen (Straftäter*in, „Gefährder*in“, „Identitätsverweiger*in“). In Sachsen-Anhalt waren vier Menschen betroffen. Darunter eine Person, die keiner dieser Kategorien zugeschrieben werden kann. Die Bundesrepublik als solche muss sich zum 26. Mal vorwerfen lassen, fahrlässig das Leben Schutzsuchender zu riskieren.
Mindestens 24 Menschen kommen bei einem Anschlag auf eine Parteizentrale in Kabul ums Leben. Diese Nachricht stammt vom Sonntag. Mindestens elf Menschen wird das Leben durch drei Explosionen in Kabul genommen. Diese Nachricht stammt vom Donnerstag der vergangenen Woche. Mehr als 3.800 Menschen sind im ersten Halbjahr 2019 in Afghanistan getötet oder verletzt worden, berichtet die in Afghanistan tätige Mission UNAMA. Der sogenannte „Islamische Staat“ und die Taliban zeichnen sich durch Anschläge verantwortlich, doch auch die Einsätze der afghanischen Regierungstruppen verursachen Opfer. Die Anzahl der Zivilist*innen, die durch sie getötet wurden, stieg um 31 Prozent.
Den 26. Abschiebeflug nach Afghanistan kommentiert Christine Bölian vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt: „Es ist schlicht bestürzend, dass zahlreiche NGOs wie die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL seit mehr als zweieinhalb Jahren gegen eine Abschiebepraxis anschreiben, die schlicht menschenverachtend ist und jedwede Expertise zu Afghanistan ignoriert.“
Ein Beispiel sind die im August 2018 veröffentlichten Guidelines des UNHCR zur Bewertung internationaler Schutzbedarfe von afghanischen Asylsuchenden. Dort wurden inländische Fluchtalternativen in Afghanistan, insbesondere die Hauptstadt Kabul, klar verworfen. Bölian: „Also genau die Stadt, die Ziel aller Abschiebungen ist.“ Immer wieder erreichen die in Deutschland zurückbleibenden Freund*innen Berichte von Menschen, die zunächst nicht wissen, wohin sie gehen sollen, die den Weg über die gefährlichen Überlandstraßen in ihre Heimatregion nicht wagen wollen und auf den Straßen Kabuls leben. Aus Angst vor der Taliban brechen einige den Kontakt nach Deutschland auch komplett ab.
Sachsen-Anhalt: Das Innenministerium präsentiert die Abschiebungen in ein Kriegsgebiet stolz als Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit
Aus Sachsen-Anhalt wurden vier Menschen abgeschoben. Nach aktuellem Kenntnisstand war eine der Personen aus Sachsen-Anhalt weder rechtskräftig verurteilter Straftäter noch ein sogenannter „Gefährder“. Die Bilanz wird Seitens des Innenministeriums als Erfolgsmeldung präsentiert. Das Einhalten dieser Kategorisierungen wird als Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit dargestellt, während es doch gleichzeitig unterlaufen wird. Darüber hinaus bleibt die Kritik von juristischen Expert*innen an dem Konstrukt des „Gefährders“ bestehen. Menschen erfahren lebensgefährliche Konsequenzen aufgrund von Abschiebungen und haben faktisch keine Möglichkeit die Kategorisierung als „Gefährder“ rechtlich zurücknehmen zu lassen.
„Ganz grundsätzlich muss sich die Landesregierung fragen lassen, wie sie trotz der anhaltenden Gewalt in Afghanistan die durchsichtige Argumentation ihrer Abschiebepolitik als Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit aufrecht erhalten kann, und vor allem, will.“, kommentiert Bölian vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt.
Sachsen greift mit Vorliebe nach Menschen, die klar auffindbar sind
Mit 45 Menschen, die gestern in einem Flieger von Leipzig/ Halle nach Kabul abhoben, erhöht sich die Zahl der aus Deutschland abgeschobenen Personen in das Kriegsland auf 647. Das sächsische Innenministerium begann im Oktober 2017 mit Abschiebungen nach Afghanistan. Fünf traf es gestern, am 30. Juli. Je eine Person wurde aus den Landkreisen Görlitz, Zwickau und Leipzig abgeschoben, zwei Personen lebten in der Stadt Leipzig.
Insgesamt sind es nun 23 Menschen, die Sachsen fahrlässigerweise in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben hat. „Auffallend ist, und das lässt sich nicht nur mit Blick auf Abschiebungen nach Afghanistan sagen, dass das Innenministerium dann zugreift, wenn es genau weiß, wo die Menschen sich aufhalten. Also, wenn sie auf dem Weg zur Arbeit sind, ein*e Partner*in deutscher Staatsbürgerschaft haben, an der Abendschule sind und so weiter.“ berichtet Mark Gärtner vom SFR. „Diesmal haben uns im Zuge der Abschiebung keine Meldungen von Betroffenen erreicht; Angehörigen oder Unterstützer*innen versuchen nun aber gemeinsam mit dem Netzwerk kritischer Vereine und Initiativen, den Menschen hinterher zu recherchieren.“ Mit dem gestrigen Abschiebeflug wurden seit dem 03. Juli 2018 zum zweiten Mal fünf Menschen aus Sachsen abgeschoben. So viele, wie noch nie bisher.
Kontakt
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
-Landesinfostelle Flucht und Asyl-
Christine Bölian
Tel.: 0391 – 50 54 96 13/14 oder 0391 5371281
Mail: christine.boelian@fluechtlingsrat-lsa.de
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
-Projekt Fremde.Orte / Politik, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit-
Mark Gärtner
Tel.: 0351 / 33 23 55 94
Mobil: 0176 / 427 286 23
Mail: pr@sfrev.de