Pressespiegel zur Asylpolitik vom 22. Oktober 2019

Pressespiegel zur Asylpolitik vom 22. Oktober 2019
Erstellt von Mark Gärtner / gaertner@sfrev.de

Geschehenes – Kurzmeldungen

Blick nach Europa und die Welt.

  • Einen Überblick über die außen- und die jeweils innenpolitischen Implikationen der Invasion der türkischen Armee ins kurdische Rojava gibt der Tagesspiegel. Wenn auch von vergangener Woche, so doch mit analytischem und deswegen langfristigem Charakter. Seit Beginn der Invasion am 09. Oktober sind nach Angaben des UN-Büros Ocha mindestens 165.000 Menschen aus Rojava im nördlichen Syrien geflohen. Die kurdischen Verbände der YPG und die Türkei hatten letzten Donnerstag eine Waffenruhe vereinbart. Kurz danach hagelte es gegenseitige Vorwürfe, die Waffenruhe nicht eingehalten zu haben. Deutsche Politiker*innen, darunter Bundesaußenminister Heiko Maas werfen der türkischen Regierung indes Bruch des Völkerrechts vor und können sich unter anderem auf eine Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags berufen. Weiterhin wurden Waffenexporte, die, so die Bundesregierung in der Zeit indirekt zitiert, „die in dem Konflikt genutzt werden können“, an die Türkei eingestellt. Bedeutet, grundsätzlich wird Deutschland weiter Waffen in die Türkei exportieren. Zu mehr kann sich die Bundesregierung wahrscheinlich auch gar nicht hinreißen, hat sie es doch trotz mehrfach in den letzten Monaten wiederholter Ankündigung Recep Tayyip Erdoğans, eine „Pufferzone“ in Rojava schaffen zu wollen, nicht geschafft, irgendeine Strategie vorzubereiten. Zu ihrem Spiel auf Zeit und dem der EU kam dann noch ein unberechenbarer US-Präsident hinzu. Das alles führte dazu, dass die YPG ein unheilvolles Bündnis mit dem syrischen Regime unter Bashar al-Assad eingehen musste.
    Tagesspiegel (15.10.19)
    Zeit (17.10.19)
    SPON (21.10.19)

 

  • Die Ocean Viking der Seenotrettungsorganisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen rettete 175 Menschen und konnte vergangene Woche in Italien anlegen.
    SPON (15.10.19)

 

  • Die Zahl der Menschen, die auf die griechischen Inseln in der Ägäis fliehen, steigt seit Monaten. Etwa 34.000 Menschen befinden sich inzwischen auf Samos, Lesvos, Chios, Leros und Kos. Die Regierung beschloss, Menschen auf das Festland zu verlegen. Etwa 700 Menschen sollen diese Woche die Insel Samos verlassen dürfen. Bis Ende des Jahres sind Transfers von 20.000 Menschen geplant.
    Zeit (21.10.19)

Bund, Land, Kommune

  • Der Begriff des*der „Gefährder*in“ ist zu kritisieren, zuvorderst, weil er als reine Polizeikategorie keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Es hängt von einzelnen Beamt*innen ab, nach welchen Kriterien die Einstufung erfolgt und dementsprechend überwacht wird. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass er zu institutionellem Rassismus einlädt. Das zeigen die schieren Zahlen. Während 688 Menschen als „islamistische Gefährder*innen“ eingestuft worden sind, sind es unter der Kategorie „rechtsradikal“ lediglich 43 – in der gesamten Bundesrepublik. Zuständig für die Einstufung sind die Landeskriminalämter. Sachsen – das Land mit den wohl meisten Städten und Gemeinden, die zu Chiffren rechten Terrors geworden sind – hat vier bis sieben Menschen als rechtsradikale Gefährder*in eingestuft. Gar keine scheint es laut offiziellen Zahlen in Rheinland-Pfalz und in Hamburg sowie in Thüringen zu geben.
    tagesschau (17.10.19)

 

  • Sachsens Innenminister Roland Wöller hat ein wirklich ganz ungutes Interview in der Sächsischen Zeitung gegeben. Ungut, weil er für einen Innenminister erstaunlich gravierende Unkenntnis über das Asyl- und Aufenthaltsrecht wie über wissenschaftliche Erkenntnisse offenbart. Wir haben das mal in einer Pressemitteilung auseinandergenommen. Die lohnt es zu lesen, das verlinkte Interview der Sächsischen Zeitung ist sowieso hinter einer Paywall. Traurig an der ganzen Geschichte ist, dass die interviewende Journalistin Falschaussagen, die in der Vergangenheit bereits als solche markiert wurden, so dastehen lässt und Wöller die Gelegenheit gibt, zum wiederholten Male seine Abschieberhetorik anzubringen.
    Sächsische Zeitung (18.10.19)

 

  • Schätzungen zufolge protestierten am Sonntag 4000 Menschen gegen etwa 3000 Rassist*innen von Pegida. Anlass war das fünfjährige Bestehen des auf die Straße getragenem Hass in Dresden.
    MDR (20.10.19)
    Ein tolles Porträt findet sich wiederum von Rita Kunert in der Sächsischen Zeitung, die Person, die so gut wie immer dann Gegenproteste anmeldet und auf der Straße ist, wenn die Rassist*innen demonstrieren. Auch hinter der Paywall.
    Sächsische Zeitung (16.10.19)

 

  • Die Zwickauer Arbeitsmarktmentor*innen haben seit Beginn ihrer Tätigkeit 137 geflüchtete Menschen in Arbeit und Ausbildung vermittelt. Sie unterstützen Geflüchtete wie Unternehmer*innen im Rechtsdschungel. Die fachlich-wissenschaftliche Begleitung des Programms mit Arbeitsmarktmentor*innen in allen 13 Landkreisen und kreisfreien Städten erfolgt durch den SFR.
    FP (16.10.19)

Hintergrund und Meinung

  • UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) „are actively involved in whitewashing the devastating and horrific impacts of hardening European Union policy aimed at keeping refugees and migrants out of Europe.“ Starke Vorwürfe wie diese sollten gut begründet sein und das leistet Sally Hayden in foreignpolicy.com. Beide internationalen Organisationen sind abhängig von Spenden, unter anderem von der Europäischen Union, die mit Milizen und der sogenannten Küstenwache in Libyen kooperiert. Die Folgen sind fatal, „an outrage to the conscience of humanity“ seien die libyschen Lager, wie es der UN-Menschenrechtsbeauftragte Zeid Raad al-Hussein ausdrückte. Beispielhaft ist die Geschichte von Fatima Ausman Darboe angeführt, die erst ihren siebenjährigen Sohn in einem der libyschen Lager verlor, weil seine Krankheit nicht behandelt wurde und daraufhin ihren Mann, der den Tod seines Sohnes offenbar nicht verwinden konnte. Weitere Tote werden von Hayden aufgelistet. Die EU kann sich mit der Arbeit der internationalen Organisationen ein reines Gewissen erspenden. Und UNHCR und IOM liefern es und führen dafür, so dokumentierte Vorwürfe, falsche Zahlen an, medizinische Teams, die nicht existieren und in der Realität nicht vorhandenen Zugang zu Lagern. „If UNHCR cannot protect people in Libya, they have to say it.“ sagt ein Mitarbeiter aus. Geflüchtete haben das Vertrauen verloren. Aussagen wie diese werden im Artikel zitiert: „“UNHCR does not work for us—it is a criminal organization.“
    Foreignpolicy.com (10.10.19)

 

  • Martina Angermann ist Bürgermeisterin von Arnsdorf und derzeit krankgeschrieben. Als im Mai 2016 eine selbsternannte Bürgerwehr einen psychisch erkrankten Geflüchteten an einen Baum fesselte, unternahm sie das Selbstverständliche und verurteilte die Tat. Im Interview mit der taz berichtet sie, wie spätestens danach der Hass aufbrandete, Anzeigen bei der Polizei verliefen erfolglos. Im Februar brach sie zusammen. Sie fordert Untersützung von Seiten der Landesregierung und die Strafverfolgung von Internetmobbing. Lokalpolitiker*innen müssten sich zudem stärker miteinander vernetzen.
    taz (15.10.19)

 

  • Ramona Lenz, Referentin bei medico international, schreibt in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau von dem Skandal, der der EU-Türkei-Deal ist. Er habe dafür gesorgt, dass auf den griechischen Inseln Sonderrechtszonen entstanden sind und dem türkischen Präsidenten freie Hand für seine Invasion Rojavas gegeben. Flucht und Migration werden dadurch nicht verhindert, lediglich autoritär blockiert. Der Preis ist hoch, Demokratie und Menschenrechte werden dort eingeschränkt, wo Europa seinen sogenannten Grenzschutz hin auslagert. Zahlen müssen ihn diejenigen, die sich für Menschenrechte und Solidarität einsetzen – ob in Europa, Syrien, Rojava, der Türkei und anderswo.
    FR (21.10.19)
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