Manche Menschen sind gleicher als andere – Leistungskürzungen auf Hochtouren bei Menschen in Aufnahmeeinrichtungen
Die Kleine Anfrage 7/3904 der Abgeordneten Juliane Nagel im Sächsischen Landtag liefert erschreckende Befunde zu Leistungskürzungen in sächsischen, insbesondere Dresdner Aufnahmeeinrichtungen: Im Lager Hamburger Straße kam es zu rund 311 Kürzungen, davon betroffen waren auch zwölf Kinder.
„Es gibt ein Existenzminimum für Personen mit deutschem Pass genauso wie für Personen ohne deutschen Pass. Das scheint der Landesdirektion offensichtlich egal zu sein, wie die starken Leistungskürzungen am Standort Dresden zeigen“, erklärt Angela Müller, Co-Geschäftsleiterin beim Sächsischen Flüchtlingsrat. „Die Regelsätze für Menschen, die in Aufnahmeeinrichtungen leben, liegen ohnehin schon extrem niedrig. Wenn man diese bereits unter einer würdevollen Existenz liegenden Beträge weiter zusammenstutzt, womit sollen die betroffenen Schutzsuchenden ihren Lebensunterhalt decken?“ fragt Müller und fügt hinzu: „Das Phänomen der Leistungskürzungen in Aufnahmeeinrichtungen scheint ein rein Dresdner Vorkommen zu sein. An den Standorten in Chemnitz und Leipzig kam es in keinem einzigen Fall zu Leistungskürzungen.“
Fragwürdige juristische Grundlage
Die Erklärung des Sozialministeriums fußt auf einer fragwürdigen juristischen Argumentation. „Aus der Praxis ist uns als Sächsischer Flüchtlingsrat bekannt, dass Personen aufgrund auswärtigen Schlafens Leistungen abgesprochen werden“, so Müller. Die Antwort der Staatsministerin Petra Köpping auf die Kleine Anfrage gibt den § 7 Absatz 1 des AsylbewerberLG als Grundlage dieser Kürzungen an. Müller kontextualisiert: „Dieser Paragraf regelt eigentlich, dass Einkommen und Vermögen von Schutzsuchenden verbraucht werden müssen, bevor sie leistungsberechtigt werden. Die Landesdirektion geht bei mehr als dreitägiger Abwesenheit von Personen davon aus, dass diese über ausreichendes Vermögen verfügen, um sich selbst zu finanzieren. Diese Annahme ist unzulässig. Warum sollte eine Person nicht mehr als drei Tage fern des Wohnorts sein dürfen? Es ist fraglich, ob der § 7 AsylbewerberLG überhaupt als Grundlage für Kürzungen dienen kann.“ Im November 2019 erklärte das Bundesverfassungsgericht große Teile der Kürzungen von Sozialleistungen als verfassungswidrig. PRO ASYL geht davon aus, dass dieses Urteil analog auf die Asylbewerberleistungen anzuwenden ist. Denn bereits 2012 stellte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz fest: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“! Eine Auffassung, die Petra Köpping ursprünglich auch teilte, nun aber offenbar revidiert hat.
Auch Kinder betroffen
„Besonders schockiert uns, dass auch bei Kindern der rote Stift angelegt wurde. Für sie ist die Unterbringung im Lager eine besonders schwierige Zeit: sie besuchen keine Schule, es gibt nur alternative, keinesfalls qualitativ gleichwertige Lernangebote. Privatsphäre für die Familie ist kaum existent. Die finanziellen Einschnitte sind da ein weiterer Schlag ins Gesicht“, erklärt Müller.
Kontakt:
Sächsischer Flüchtlingsrat
Angela Müller
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