Diaries of Samos

Ich habe meine Heimat vor zwei Jahren verlassen. Natürlich liebe ich meine Heimat und es war schwer für mich, dies zu tun. Ich bin gegangen, weil ich dort kein Gefühl von Sicherheit hatte. Weil ich sehr besorgt über mein und das Leben meines Sohns war.

Als alleinstehende Frau war die Reise mit meinem Sohn beschwerlich. Ich musste mit fremden Menschen unterschiedliche Grenzen überqueren. Ich wurde mehrere Male von der Polizei verhaftet und von den Polizist*innen unfreundlich, respektlos behandelt. Wir wurden immer wieder beleidigt als wir die Grenzen überquerten. Ich habe sechs Mal versucht das Meer gemeinsam mit anderen Passagieren in kleinen Booten zu überqueren.

Niemand kann sich vorstellen, wie schrecklich es ist, in so ein Boot einzusteigen. Ein Boot in dem schon Wasser steht und das jederzeit sinken könnte.

Warum? Fragt ihr mich Vielleicht. Vielleicht denkt ihr, dass ich mich nicht um das Leben meines Sohnes schere und es einfach so gefährde? Vielleicht zweifelt ihr daran, dass ich eine rücksichtsvolle und liebende Mutter bin?

Aber lasst euch sagen: Kein Elternteil würde sein Kind in ein winziges, gefährliches Boot stecken, um damit zu fliehen, wenn das Leben in ihrem Heimatland nicht noch gefährlicher wäre.

Mein Sohn musste mehrere Male in meinen Armen Explosionen miterleben. Ich musste mehrere Male mit ansehen, wie die Körper von Freund*innen zerfetzt wurden. Ich war so oft so nah am Tod. Wären wir noch am Leben, wenn wir in unserem Land geblieben wären? Da bin ich mir nicht sicher.

Dies sind nicht nur Worte auf Papier. Dies sind Tage und Nächte voller Horror und Angst, die ich am eigenen Leib erfahren musste – und die mich noch immer verfolgen.

Wir haben die Grenze überquert und sind hier auf Samos angekommen. Für uns war das so wie ein Ankommen im gelobten Land. Aber unsere Illusionen wurden zerstört, kaum waren wir hier.

Als wir ankamen, mussten wir für drei Tage in der Polizeistation ausharren, ohne Essen und Trinken. Mein Sohn wurde wegen des Hungers ohnmächtig. Erst nach drei Tagen konnten wir die Polizeistation verlassen und betraten das Camp.

Das Camp ist ein Ort, an dem viel zu viele Menschen auf viel zu wenig Raum leben. Wir leben schon lange im „Jungle“ in einem Zelt. Gemeinsam mit einer Unzahl an Ratten und Schlangen. Wir haben fast keinen Zugang zu sanitären Anlagen.

Es is schwer, einen Arzt zu erreichen. Mein Sohn hat viele neuro-psychologische Probleme bekommen. Er weint jeden Tag und sagt, dass er von hier weg fliegen möchte. Sein größter Traum ist es, in einem ganz normalen Haus zu wohnen, so wie ganz normale Menschen.

Im Camp ist es extrem heiß im Sommer und klirrend kalt im Winter. Wenn wir dies beanstanden, sagt man uns, dass wir doch zurück in unser Land gehen sollen.

Die Polizei und andere Beamte rund um das Camp begegnen uns oft mit Gewalt und Beleidigungen.

Aber wir halten diese erniedrigende Situation aus. In der Hoffnung, dass bald bessere Zeiten anbrechen. Zeiten, in denen wir in einem normalen, sicheren Haus leben können. Zeiten, in denen mein Sohn zur Schule gehen und ich ein nützliches Mitglied der Gesellschaft sein kann. Das ist es, was alle Geflüchtete hier wollen: an einem sicheren Ort mit ihrer Familie leben.

Und wir hoffen und glauben immer noch an die Freundlichkeit der Menschen, die uns helfen unsere Träume zu erfüllen.

Die Autorin lebt seit knapp einen Jahr im Jungle Camp auf Samos.

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