Trotz katastrophaler Sicherheitslage schämt sich Deutschland nicht, weiter nach Afghanistan abzuschieben. Das bundesweite Netzwerk gegen Abschiebungen nach Afghanistan[1] fordert einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan, die nächste deutsche Beteiligung an einer Abschiebung findet bereits heute am 3. August statt.
Afghanistan ist laut dem Global Peace Index das gefährlichste Land der Welt. Seit über 40 Jahren herrscht dort Krieg. Fast 80% der Erwachsenen sind physisch oder psychisch beeinträchtigt. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung drastisch verschlechtert: Über ein Drittel der Menschen hungert und der Großteil der Bevölkerung hat keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung.
Dem Abzug der NATO-Truppen folgte eine massive Offensive der Taliban: Bis Ende Juli eroberten sie über 200 der insgesamt 388 Distrikte. Sie griffen sogar Provinzhauptstädte wie Kandahar und Herat an. Besonders ethnische Minderheiten, Frauen und Mädchen, Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen und Künstler*innen sind von physischer und sexualisierter Gewalt bis hin zur Ermordung bedroht. Wenn sie irgendeine Möglichkeit haben, fliehen sie mit ihren Familien. Die Zahl der Binnengeflüchteten und der zivilen Opfer stieg im ersten Halbjahr 2021 dramatisch an. Die Nachbarländer schließen ihre Grenzen.
Vor diesem Hintergrund fordert das afghanische Ministerium für Flucht und Wiedereinbürgerung einen dreimonatigen Stopp der Abschiebungen. Zeitgleich erklärt der Europäischen Gerichtshof die Rechtsprechung der deutschen Afghanistan-Abschiebepraxis für nicht vereinbar mit europäischem Asylrecht. Die deutsche Regierung ignoriert dies alles jedoch und hält an Abschiebungen in das Kriegsland fest.
Ihr aktueller Lagebericht beinhaltet zum Teil veraltete Informationen, verharmlost den Vormarsch der Taliban und unterschlägt zentrale Quellen wie den aktuellen Zivilopferbericht der Vereinten Nationen. Pro Asyl liegen zudem Hinweise vor, dass der deutsche Sonderbeauftragte für Afghanistan derzeit Druck auf das afghanische Ministerium ausübt, damit die Abschiebung im August stattfinden kann. Im Gegensatz zu dieser massiven Realitätsverweigerung der Lage in Afghanistan haben Finnland, Schweden und Norwegen einen Abschiebestopp bis vorerst 15. September beschlossen.
Innenminister Seehofer (CSU) und FDP-Chef Lindner schämen sich nicht, das populistische Argument der abgeschobenen Straftäter für ihren Wahlkampf zu nutzen. Zwar sitzen nicht nur Straftäter in den Abschiebeflugzeugen, aber auch für junge Männer, die im Knast sitzen, gilt das Menschenrecht auf Unversehrtheit!
Zu allem Übel sind Abgeschobene vor Ort besonders von Gewalt betroffen, wie eine aktuelle Studie zeigt. Aufgrund dessen machen sich die meisten von ihnen nach kurzer Zeit wieder auf die Flucht. Nach unseren Informationen sollen bereits heute afghanische Menschen aus Deutschland über Österreich mit einem Abschiebecharter nach Afghanistan abgeschoben werden, der bereits in München bereitsteht. Das ist nicht nur sieben Tage vor dem geplanten Abschiebeflug am 10.8. von München, sondern bietet Deutschland auch die perfide „Chance“ vordergründig auf die afghanische Forderung einzugehen und den Abschiebeflug aus Deutschland zu stornieren und trotzdem weiter über Österreich abzuschieben. Egal ob aus Deutschland oder Österreich: Niemand darf in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden!
Wir fordern von der Bundesregierung:
- einen sofortigen und absoluten Abschiebestopp nach Afghanistan
- ein Bleiberecht für diejenigen afghanischen Geflüchteten, die bereits in Deutschland sind
- die schnelle und unbürokratische Evakuierung aller gefährdeter Personen, insbesondere Ortskräfte, Frauenrechtsaktivist*innen und ihrer Familien
- die unbürokratische und schnelle Ermöglichung des Familiennachzugs zu afghanischen Geflüchteten in Deutschland
Außerdem fordern wir von den Landesregierungen, sofort von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, einen sechsmonatigen Abschiebestopp auf Länderebene zu erlassen. Keine Landesregierung kann sich herausreden, auf Innenminister Horst Seehofer verweisen und dabei die eigenen Spielräume ignorieren.
Afghanistan ist nicht sicher!
Für Rückfragen und Interviewwünsche:
Bundesweites Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan
afghanischer-aufschrei@riseup.net
Sächsischer Flüchtlingsrat
-Dave Schmidtke-
Mobil: 0176 427 286 23
Mail: pr@sfrev.de
[1] Das bundesweite Netzwerk gegen Abschiebungen nach Afghanistan besteht aus über 50 afghanischen und nicht afghanischen Organisationen, Vereinen und Initiativen