In der letzten Woche hatte die Bundesregierung einen Abschiebestopp ins Land beschlossen – viel zu spät! Bereits gestern übernahmen die Taliban die Regierung in Kabul. Es droht eine fundamentalistische Diktatur, die bereits jetzt erste Opfer fordert. In Panik Fliehende müssen schnellstmöglich evakuiert werden, wie dies bei den Ortskräften anläuft, und Sachsen ein Bleiberecht für Abgelehnte Afghan*innen schaffen.
Am 15. August haben die Taliban offiziell die Macht in Kabul übernommen. Politiker*innen der Bundesregierung scheinen überrascht und versprechen schnelle Hilfen. Dabei verlor die afghanische Regierung seit der letzten Wahl, die im Chaos endete, da sich zwei Kandidaten zum Sieger erklärten, immer mehr politischen Einfluss und Gebiete an die Taliban. Allein in der ersten Jahreshälfte 2021 gab es über 5000 zivile Opfer. Aktivist*innen und NGO’s warnten seit Monaten davor ins Land abzuschieben und forderten eine schnelle Evakuierung der Ortkräfte – allein der Wille fehlte.
Vor vier Tagen war auch Herat, die Heimatstadt von Autor und Ingenieur Ali Ahmad Wali Zada betroffen. Er wurde selbst durch den Krieg schwer verletzt und lebt seit zwei Jahren in Chemnitz. „Mein Vater hat es Jahrzehnte abgelehnt, das Land zu verlassen. Doch in den letzten Tagen hat sogar er seine Meinung geändert. Es droht eine neue dunkle Schreckensherrschaft wie vor dem Jahr 2001.“, berichtet Wali Zada, dessen Familie sich aus Angst vor Verfolgung oder Übergriffen gerade im Haus versteckt.
In Herat ist es Mädchen und Frauen bereits verboten die Schule, Universität oder die Arbeit zu besuchen. Werbetafeln oder Schaufenster auf denen Frauen abgebildet sind, werden überstrichen. Wali Zada: „Die Taliban haben angekündigt, dass dies der Fall bleibt, bis neue Ankündigungen aus Quetta[1] kommen. Gerade für Frauen wird eine schlimme Zeit kommen, denn die Ideologie der Taliban ist unverändert, nur ihre politische und militärische Taktik ist etwas ausgereifter.“
Nach 20 Jahren Krieg im Land ist eine tragische Bilanz zu ziehen. Die im Einzelnen erreichten demokratischen Freiheiten, sind mit der Machtübernahme durch die Taliban zunichte gemacht. Durch das hektische Abziehen afghanischer wie internationaler Truppen, wurde hochmoderne militärische Ausrüstung vor Ort gelassen, die nun die Taliban nutzen: „Wir sind einfach müde vom Krieg. Es waren 20 Jahre Militäreinsatz, aber all die Menschen sind für nichts gestorben. Der Westen förderte leider häufig korrupte Eliten, die wenig von der Bevölkerung unterstützt wurden.“, führt Wali Zada aus. Der zivile Aufbau des Landes war immer den militärischen und geopolitischen Zielen untergeordnet. So konnte keine gefestigte Demokratie entstehen und der Plan vom Frieden im Land scheiterte gänzlich.
Aus Angst vor der Diktatur religiöser Fanatiker flüchten die Menschen nun panisch. Am Flughafen Kabul drängen sich tausende Menschen, um mit den Militärmaschinen abzureisen. „In ihrer Verzweiflung haben sich heute auch drei Personen an den Tragflächen eines Flugzeuges festgehalten, kurz bevor es startete. Die Menschen konnten sich nicht festhalten, stürzten auf den Boden und verstarben.“, dieses Beispiel steht sinnbildlich für die unendliche Verzweiflung vieler Afghan*innen, die lieber den Tod riskieren, als unter den Taliban leben zu müssen.
Vor allem für Ortskräfte, die mit den ausländischen Truppen kooperierten oder Aktivist*innen, die sich für Frauenrechte oder im Medienbereich einsetzten, droht die Tötung durch die Taliban. Umso dringlicher scheint anhand dieser katastrophalen Lage die Evakuierung möglichst vieler Personen: „Wird auch nur eine Person gerettet, kann diese Großes bewegen. Mit entsprechender Bildung kann jede einzelne Person an einer besseren Zukunft Afghanistans arbeiten – das geht im Moment aber nur im Exil.“
Deswegen fordern wir die sächsische Landesregierung auf:
– zügig durch Erlass eine gesicherte Bleibeperspektive für Schutzsuchende aus Afghanistan, deren Asylantrag abgelehnt wurde, zu schaffen
– sich auf Bundes- und EU-Ebene für ein humanitäres Aufnahmeprogramm einzusetzen, welches schutzsuchende Afghanen aus den Lagern an den EU-Außengrenzen aufnimmt
– sich auf Bundes- und EU-Ebene für den sofortigen Aufbau einer Luftbrücke einzusetzen, um Schutzsuchende sicher aus Afghanistan evakuieren zu können
Hinweis: Aktuelle Spendenoptionen gibt es bspw. beim Afghanischen Frauenverein oder der Kabulluftbrücke.
[1] Stadt im Südwesten Pakistans, in der Provinz Belutschistan, die den Taliban aktuell als Schaltzentrale dient.