Am 30. November bestätigt sich die brutale Abschiebepraxis in Sachsen: Ahmad T. ist 7 Jahre alt und wird nach dem Unterricht von der Landespolizei* zur Abschiebung überführt – unter den Augen der Mitschüler*innen und des Lehrpersonals. Seine Mutter floh aus Tschetschenien vor der Gewalt ihres Ehemanns und suchte hierzulande nach Sicherheit. Beide wurden gemeinsam mit der Großmutter der Familie heute abgeschoben.
Ahmad T. wird im September 2021 eingeschult und besucht die erste Klasse einer Grundschule in Delitzsch. Anja Clasen ist Bezugserzieherin von Ahmad und beschreibt ihn als freundlichen, höflichen Jungen: „Es gab nie Probleme mit ihm oder seiner Mutter, beide waren sehr engagiert. Auch seine Sprachkenntnisse waren für sein Alter gut ausgeprägt.“ Nachdem der heutige Unterricht beendet ist, begibt der Junge sich wie jeden Tag auf dem Weg zum Hort. Doch dort kommt er nie an, da Polizist*innen ihn zuvor zur Abschiebung überführen.
Frau Clasen konnte die Abschiebung unmittelbar beobachten: „In der Regel begleite ich den Jungen nach dem Schulunterricht zum Hort. Doch bei meiner Ankunft heute standen mehrere Polizeikräfte mit einem Einsatzwagen vor dem Schulgelände. Ahmad war bereits mit seinem Klassenlehrer auf dem Weg zum Auto der Beamten. Mir wurde mitgeteilt, dass er heut nicht in den Hort kann, da er mit seiner Familie abgeschoben wird.“
Auch Marco Schönfelder, der als Hortleitung tätig ist, macht die Abschiebung fassungslos: „Vor allen anderen Schulkindern ein Erstklässler in ein Polizeiauto zu stecken, kann doch nicht normal sein. Das Vorgehen ist für uns nicht nachvollziehbar und als Kindeswohlgefährdung einzustufen.“ Dabei heißt es auf Seite 73 des Koalitionsvertrages der Landesregierung: „Wir werden gewährleisten, dass Abschiebungen durch Behörden des Freistaats Sachsen für Betroffene so human wie möglich und unter Berücksichtigung des Kindeswohls gestaltet werden.“
Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat dazu: „Einen kleinen Jungen aus der Schule heraus abzuschieben und somit eine Traumatisierung zu riskieren, klingt nach dem Gegenteil von Kindeswohl. Dies ist ein Tabubruch. Außerdem hatte die Landesregierung längst einen Leitfaden zur Rückführungspraxis versprochen, der genau solch eine Brutalität von Abschiebungen verhindern sollte!“
Tragisch ist auch die Lage der alleinerziehenden Mutter, die nach Deutschland vor dem gewalttätigen Ehemann floh. Nach der Abschiebung aus Sachsen droht Frau T. erneut eine Gefährdung durch ihren ehemaligen Partner. „Leider spielen geschlechtsspezifische Fluchtgründe selten eine Rolle für das Recht auf Aufenthalt. Dabei legte die 2014 vom Europarat beschlossene Istanbul Konvention fest, dass betroffenen Frauen Schutz gewährt werden muss, wenn dieser nach der Abschiebung nicht garantiert werden kann.“, erklärt Schmidtke. Doch die Konvention ist in Deutschland leider nicht rechtlich bindend, womit Frauen nach Abschiebungen ungeschützt vor patriarchalen Gewaltstrukturen bleiben.
Wir fordern daher:
– Verbot von kindeswohlgefährdenden Abschiebungen, die Betroffene und deren Umfeld traumatisieren!
– Gesicherter Aufenthalt für Frauen, denen nach der Abschiebung im Herkunftsland Gewalt oder sogar Femizid droht!
– Ein Ende der brutalen Abschiebepraxis in Sachsen, u.a. durch Veröffentlichung eines Rückführungsleitfades wie im sächsischen Koalitionsvertrag vereinbart!
*Korrekturmeldung: Wir bitten um Entschuldigung, denn in der ursprünglichen Mitteilung sind wir davon ausgegangen, dass die Bundespolizei die Abschiebung durchgeführt hatte, da ZeugInnen dies uns so schilderten. Tatsächlich war die sächsische Landespolizei die durchführende Behörde.