PM: 389 Bewohner*innen im Lager Dölzig, Kundgebung mit 11 Menschen vor dem Lager verboten – Über Paradoxien sächsischer Asylpolitik in der Pandemie

Versammlungsbehörde verhängt de facto-Verbot für Kundgebung vor Lager in Dölzig
Eine Aktionsgruppe aus Leipzig plante lange eine Kundgebung inklusive Beratungsangebot für Asylsuchende vor der Erstaufnahmeeinrichtung Dölzig. Nun hat die Versammlungsbehörde Nordsachsen die Kundgebung de facto verboten. Den Teilnehmer*innen und Versammlungsleitung drohen Bußgelder bis zu 1000 Euro, sollten sich im Laufe der Veranstaltung mehr als zehn Personen einfinden. Die Absurdität der Auflagen zeigt sich insbesondere mit Blick auf die Bewohner*innenanzahl im Lager¹ Dölzig. Denn dort leben zurzeit rund 390 Bewohner*innen auf engstem Raum.

„Wir sind enttäuscht und wütend über das de facto-Verbot unserer Kundgebung vor dem Lager in Dölzig“, beschreibt Mohsen Farzi Zadeh von Camptour Linxxnet. Die Aktionsgruppe wollte am Samstag, 11. Dezember 2021 ursprünglich drei kleine Stationen mit niedrigschwelligen Beratungsangeboten zum Asylverfahren anbieten und Kleidung für die kalten Wintermonate austeilen. „Die Kundgebung sollte eine Symbiose aus politischem Statement und praktischer Hilfe sein“, so Farzi Zadeh. Die praktische Hilfe sollte Lücken füllen, dessen Erfüllung eigentlich Aufgabe der Landesregierung sei. „In Sachsen wird keine flächendeckende, unabhängige Asylverfahrensberatung angeboten. Selbst der Zugang zu niedrigschwelligen Informationen zum Asylverfahren ist aufgrund der ländlichen Lage der Erstaufnahmeeinrichtungen deutlich erschwert. Doch Beratung während des Asylverfahrens ist unabdingbar, mit Aufklärung der Antragsteller*innen über ihre Rechte,“ erklärt Paula Moser vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Bewohner*innen beklagen sich zudem über das mangelhafte Austeilen von winterfester Kleidung. „Wir wollten also für Aufgaben einspringen, die eigentlich Versäumnisse der Landesregierung sind. Und selbst das wird uns verboten“, so Farzi Zadeh von Camptour Linxxnet.

Detailliertes Hygienekonzept lag vor

Die Aktionsgruppe hatte ein detailliertes Hygienekonzept erarbeitet. „Pro Station wären nie mehr als zehn Personen gleichzeitig anwesend gewesen, Check-In-Listen hätten die Kontaktnachverfolgung ermöglicht. Selbstverständlich wären Desinfektionsmittel und Masken bereitgestellt worden“, beschreibt Flo Linde von Protest LEJ, einem Leipziger Bündnis gegen Abschiebungen. „Besonders ärgert es uns, dass Corona-Leugner*innen in ganz Sachsen scheinbar ohne Angst vor Konsequenzen in Gruppen von mehreren 100 Personen demonstrieren können, und wir dürfen noch nicht einmal eine Kundgebung durchführen, um Versäumnisse der Landesregierung in der Versorgung und Beratung von asylsuchenden Personen auszugleichen“, erklärt Lio Reinecke von der Seebrücke Leipzig.

Shut down all camps!

In Sachsen leben zurzeit rund 3200 Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen. In diesen Lagern leben bis zu 600 Menschen auf engstem Raum, als ein Haushalt. Mohsen Farzi Zadeh von Camptour Linxxet führt dazu aus: „Die Lebensbedingungen in den Lagern sind extrem prekär. Lager sind keine Orte der Ruhe, keine Orte, an dem die psychische und physische Gesundheit geschützt ist, erst recht nicht während einer Pandemie. Niemand sollte eine Minute länger in den Lagern leben müssen. Auch wenn wir zurzeit nicht demonstrieren dürfen, fordern wir die Landesregierung auf: Macht die Lager zu! Shut down all camps!“

¹Aktivist*innen nennen diese Einrichtungen aufgrund der unwürdigen Wohnsituation oft auch Lager.

Kontakt:
Der Kontakt zur Seebrücke, Protest LEJ und Camptour Linxxnet kann vermittelt werden.

Sächsischer Flüchtlingsrat
– Paula Moser –
Mobil: 0351 33225235
Mail: moser@sfrev.de

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