Newsletter 07/22: Update Familie Pham/Offener Brief in Bautzen/Querfeld #6/Gewalt an EU-Außengrenzen/Revolution Iran

Offener Brief für bessere Unterbringung von Geflüchteten: Bündnis aus Zivilgesellschaft richtet Forderungen an den Landrat in Bautzen

Seit einigen Jahren bildet der Landkreis Bautzen in Sachsen das Schlusslicht bei der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten. Während im Vogtlandkreis über 90 Prozent oder in Dresden 84 Prozent der Schutzsuchenden eigenen Wohnraum beziehen können, sind es in der Region Bautzen ca. 20 Prozent. Jetzt wendet sich ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft (bestehend aus über einen offenem Brief an die lokale Politik. Dieses fordert, dass unabhängig von Herkunft eine humanere Unterbringung erfolgen soll, wie dies bei Menschen aus der Ukraine möglich war. Hier stattete bspw. ein lokaler Träger Wohnungen zur dezentralen Unterbringung aus.

Weiter wird an den Landrat appelliert, dass mehr Geflüchtete das Recht erhalten sollen ihren Wohnort frei zu wählen. Restriktive Behörden verhindern häufig eine Streichung der Wohnsitzauflage und somit auch die Integration in den Job, wenn die Arbeitsaufnahme in einem anderen Ort möglich wäre. Der gesetzliche Zwang im Ort der Asylantragstellung zu wohnen, kann Ankommen auch auf sozialer Ebene blockieren, wenn z.B. der Umzug zur Familie oder Bekannten verwehrt wird.

Ein Einlenken des Landrates Witschas erscheint aktuell unwahrscheinlich, da dieser in einer „Weihnachtsansprache“ erneut betonte, dass es keine dezentrale Unterbringung für Geflüchtete geben könne. Er begründete seine Ablehnung damit, dass Schutzsuchende hiesige Regeln und Kultur noch gar nicht besäßen. Diese fiktive Homogenität von Geflüchteten als eine Gruppe ist falsche Pauschalisierung, dass sich die Menschen nicht allein in Wohnungen organisieren könnten, eine rassistische Unterstellung.

Release Querfeld #6: Unser Jahresmagazin ab sofort bestellbar

Mit der 6. Ausgabe des Querfeld Magazins wollen wir den Blick schärfen – den Blick auf flinta* Personen und queere Schutzsuchende auf der Flucht, während des Asylverfahrens in Deutschland, auf flinta* Personen, die von Abschiebung bedroht sind und darum kämpfen, in Deutschland anerkannt zu werden und bleiben zu können. Im Artikel von Chelsea aus Leipzig wird hierbei deutlich, wie sehr die Lebensgefahr durch Abschiebungen für viele queere Menschen unterschätzt wird. Bis vor wenigen Monaten empfahl das BAMF mit der „Diskretionsprognose“ LGBTQI+ einfach ihre Sexualität im Verborgenen auszuleben.

In weiteren Artikeln fragen wir u.a.: Wie ist die aktuelle Lage im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus? Welchen Schutz genießen Menschen, die ihre Herkunftsregionen auf Grund des Klimawandels verlassen müssen? Wie war die Situation für Geflüchtete aus der Ukraine im Jahr 2022? Wie kann selektive Solidarität verhindert und die Zwei-Klassen zwischen Geflüchteten aufgehoben werden?

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Update Familie Pham/Nguyen: Fall wird erneut in Härtefallkommission verhandelt

84.629 Menschen hatten eine Petition unterzeichnet, um die drohende Abschiebung von Familie Pham/Nguyen zu verhindern und ihr Bleiberecht zu sichern. Herr Pham lebt seit 1987 in Sachsen und reiste damals als DDR-Vertragsarbeiter ein. Der Familienvater lebt inzwischen mit Frau Nguyen und gemeinsamer Tochter in Chemnitz. Als die sächsische CDU bereits im Vorfeld eine Unterstützung des Falls im Petitionsausschuss ausgeschlossen hatte, wurde über Monate eine erneute Einreichung des Falls bei der Härtefallkommission vorbereitet.

Inzwischen arbeiten beide Elternteile, Herr Pham ist ehrenamtlich in Chemnitz aktiv und Frau Nguyen besucht einen Sprachkurs. All diese Faktoren sorgten dafür, dass der Fall im Februar 2023 nochmal in der Sächsischen Härtefallkommission verhandelt wird, nachdem hier in 2018 bereits eine Ablehnung für die Familie erfolgte. Weshalb sich der SFR gegenüber dem MDR „verhalten optimistisch“ zum möglichen Ausgang des Verfahrens äußerte, auch wenn jetzt zumindest wieder Hoffnung auf Aufenthalt für die Familie besteht.

Studie der TU Dresden markiert diesjährige Migrationsbewegung als historisch

In 2022 fand die größte Fluchtbewegung innerhalb Europas seit dem Zweiten Weltkrieg statt, stellt die MIDEM Jahresstudie 2022 mit dem Titel „Europa und die Fluchtmigration aus der Ukraine“ fest. Wie auch in Sachsen ersichtlich, sei ein Großteil der Aufgaben bei Versorgung und Unterbringung zunächst über die Zivilgesellschaft organisiert wurden. Dies war auch nur möglich, da eine völlig neue Form der Hilfsbereitschaft aus Politik und Zivilgesellschaft gegenüber Flüchtenden aus der Ukraine entstand.

Drei Stimmen aus der Presse:

1.) 16 Jähriger Roma in Athen durch Polizei erschossen – Proteste in vielen Teilen Griechenlands (ZEIT)

Viele Rom*nja und Sint*ezze besitzen keine Staatsangehörigkeit und werden aufgrund ihrer Ethnie strukturell diskriminiert. Sie werden auch häufiger Opfer von Polizeigewalt, wie nun erneut in Athen deutlich wurde. Ein 34-jähriger Polizist soll einem 16-Jährigem in den Kopf geschossen haben, nachdem dieser eine Tankrechnung über 20 Euro nicht gezahlt habe. Da bereits im Jahr 2008 ein Minderjähriger in einem ähnlichen Fall von Polizeigewalt in Griechenland verstarb, folgten große Proteste im Land, die sich mit dem Opfer solidarisierten.

2.) Gewalt gegenüber Schutzsuchenden in der EU eskaliert (diverse Medien)

Auch die Gewalt gegenüber Schutzsuchenden innerhalb der EU und an ihren Außengrenzen eskaliert weiterhin, auch wenn diese aus dem medialen Fokus gerät. In Lettland verstarb ein Afghane am 20. Dezember aufgrund von Unterkühlung. Dies erinnert unweigerlich an die dutzenden Menschen, die im letzten Jahr an der polnischen Grenze zu Belarus erfroren. Neben unterlassener Hilfeleistung wurde auch direkte Gewaltausübung dokumentiert: ein Grenzbeamter Bulgariens hatte mit scharfer Munition einen jungen Syrer lebensgefährlich verletzt. Eine bedrückende Analyse, die die Zunahme der Gewalt an den EU-Außengrenzen gesamtheitlich dokumentiert erschien bei wsws.org.

3.) „Frauen, Leben, Freiheit“ – Drei Monate Protest im Iran (Deutschlandfunk)

Aus einer Revolution im Iran, die im September jung und feministisch begann, ist längst gesamtgesellschaftlicher Widerstand gegen die Islamische Republik gewachsen. Mit dem Tod Jina Mahsa Aminis wurde ein Gedanke hin zur freiheitlichen Gesellschaft geboren, der im Moment kaum aufzuhalten scheint. Auch die ältere Generation beteiligt sich an den Protesten, was sich z.B. in den Generalstreiks bei staatlichen Öl- und Gasbetrieben im November zeigte. Der Deutschlandfunk liefert mit dem Beitrag einen guten Überblick zu den bisherigen Ereignissen, die die größte Bedrohung des diktatorischen Regimes seit Jahrzehnten darstellen.

Stellenangebote:

Projektmitarbeiter/-in im Fachinformationszentrum Zuwanderung Leipzig

Das Fachinformationszentrum hat das Ziel, die Arbeitsmarktchancen von erwachsenen Migrantinnen und Migranten in Deutschland zu verbessern. Von zentralem Interesse ist, dass im Ausland erworbene Berufsabschlüsse – unabhängig vom Aufenthaltstitel – häufiger in eine bildungsadäquate Beschäftigung münden. Hierfür wird zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine*n Projektmitarbeiter*in in der Beratung gesucht.
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Stellenausschreibungen von DaMOst e.V. in Halle/Saale

DaMOst e.V. ist ein Zusammenschluss der Landesnetzwerke und Landesverbände der Migrant*innenorganisationen in den neuen Bundesländern. Der Verein sucht ab 1. Januar 2023 eine*n Projektmitarbeiter*in (30 h) im Bereich Öffentlichkeitsarbeit mit dem Sitz in Halle/Saale. DaMOst e.V. sucht ab 1. Januar 2023 eine*n Projektleiter*in im Bereich Antirassismusarbeit mit dem Sitz in Halle/Saale. Die Durchführung beider Aktivitäten findet bundesweit statt.

Zu den Stellenangeboten

Neben Familie Pham/Nguyen setzten wir uns 2022 in vielen Einzelfällen gegen Abschiebungen und für Bleiberecht von Geflüchteten in ganz Sachsen ein! Diese Arbeit ist oftmals zäh, langwierig und verschlingt einiges an Ressourcen. Damit wir uns weiterhin unabhängig und so laut für Schutzsuchende in Sachsen einsetzen können, sind wir auf Spenden angewiesen. Wir freuen uns daher sehr über sämtliche Unterstützung von Ihnen!

Spenden an Flüchtlingsrat: www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/spenden/

Bis zum nächsten Newsletter wünschen wir Ihnen erholsame Feiertage, dass Sie gesund bleiben und einen guten Start ins neue Jahr!

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