Newsletter 01/23: Asylzahlen 2022/Hetze gegen Unterbringung/Chancen-Aufenthalt/Debatte Silvesternacht

Vorverurteilung: Silvesternacht verursacht heftige Debatte zum Thema Migration

Nach den Äußerungen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf Twitter zu den Vorfällen in der Silvesternacht haben verschiedene Nichtregierungsorganisationen, Medien und Einzelpersonen ihre Aussage kritisiert.

Faeser verurteilte junge Migranten und warnte letzte Woche auf Twitter: „Wir müssen gewalttätigen Integrationsverweigerern in unseren Städten die Grenzen aufzeigen: mit harter Hand und klarer Sprache. Aber ohne rassistische Ressentiments zu schüren. Wer die notwendige Debatte zur Ausgrenzung ausnutzt, löst das Problem nicht, sondern verschärft es“.

Laut Amadeu Antonio Stiftung hilft es niemandem, von „Integrationsverweigerern“ zu sprechen. „Eine gemeinsame, gesellschaftliche Perspektive, wie wir leben wollen, rückt wieder in weite Ferne. Es gibt keine harte Hand des Rechtsstaates, sondern nur Gesetze, die für alle Bürgerinnen und Bürger gelten, diese sollen vor allem angewendet und umgesetzt werden“.

Faesers Tweet hat bisher ca. zwei Millionen Views, Tausende von Retweets und Kommentaren erhalten, die ihre Aussage häufig kritisierten. „Das eine Problem hebt das andere nicht auf. Wenn wir uns nicht um die jungen Menschen ohne Perspektive kümmern, stärken wir den Rassismus im Land. Und wir verlieren auch die Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, die solche Eskalationen nicht wollen“, so Linken-Politiker Kai Stührenberg in seinem Kommentar.

Nach den Angriffen auf Polizei und Rettungskräfte in der Silvesternacht in Berlin hatte die Polizei zunächst von 145 Personen gesprochen, die wegen dieser Taten festgenommen wurden. Inzwischen wurde diese Zahl auf 38 Personen korrigiert, von denen zwei Drittel die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Womit sich bestätigt, dass sich die reflexartige Kritik an Migrant*innen durch Politik und Medien, an einem Mangel an Fakten, aber einem Überschuss diskriminierender Vorverurteilung bediente.

Hetze gegen Unterbringung von Geflüchteten in Sachsen nimmt zu

In der sächsischen Gemeinde Kriebethal sollen zwölf Minderjährige nach ihrer Flucht untergebracht werden, doch viele Bewohner*innen lehnen dies ab. Eine Unterschriftensammlung gegen die Eröffnung der Einrichtung im ehemaligen DRK-Pflegeheim unterschrieben 257 von insgesamt 670 Einwohner*innen des Ortes. Bei rechtsextremen Demonstrationen von Freien Sachsen und AfD nahmen zuletzt 200 Personen teil, die in ihren Reden gegen Schutzsuchende hetzten.

Die Vorgänge erinnern an Proteste der letzten Monate gegen Unterkünfte für Geflüchtete in Bautzen, Dresden-Sporbitz, Chemnitz-Einsiedel oder Naunhof. Viele Landräte Sachsens sind angespannt, da sich die notwendige Organisation neuer Objekte zur Unterbringung von Geflüchteten ohnehin schwierig gestaltet. Der Verfassungsschutz in Sachsen warnt bereits davor, dass das Ausmaß dieser Proteste schnell eskalieren kann, insbesondere bei Zunahme wirtschaftlicher Rezession.

Seit 2015 wiederholen sich hierbei die Muster rechtsextremer Propaganda, die sich Fälle von straffällig gewordenen Geflüchteten heranziehen, um dann zur generellen Verurteilung und Diskriminierung Schutzsuchender auszuholen. Nur wenn man die katastrophale Entwicklung in Ländern wie Syrien oder Afghanistan desinteressiert ausblendet, kann man die drängenden Fluchtgründe dieser Menschen ignorieren: Wie der Deutschlandfunk berichtete entwickelt sich bspw. die Zerstörung Syriens, welches inzwischen in drei Einflussgebiete zerteilt ist, zu einer „Krise ohne Öffentlichkeit“.

Asylstatistik in 2022: Zahl der Asylanträge steigt und Schutzquote für Iran sinkt

Über 218.000 Erstanträge auf Asyl wurden im vergangenen Jahr erfasst, dies ist ein Zuwachs von 47 Prozent im Vergleich zu 2021. In Sachsen stieg die Anzahl der Erstanträge leicht auf 12.156 – im Vorjahr wurden 10.904 Anträge registriert. Wie Pro Asyl in einer Pressemitteilung zurecht kritisiert, sank die Schutzquote für den Iran sogar. Trotz über 500 getöteten Protestierenden seit Beginn der feministischen Revolution im September 2022, werden über die Hälfte aller Anträge abgelehnt – zurecht fordert Pro Asyl hier ein langfristiges Abschiebeverbot.

Mit 108.000 Anträgen wurde fast die Hälfte aller Asylanträge von Menschen aus Syrien oder Afghanistan gestellt. Dies zeigt, dass Hauptherkunftsstaaten Geflüchteter weiterhin Kriegs- und Krisenländer sind, die kaum mehr staatliche Ordnung besitzen. Positiv zu vermerken ist hierbei die Tatsache, dass nahezu alle Asylanträge der Menschen aus den beiden erstgenannten Staaten anerkannt wurden.

Größter Anstieg erfolgte bei der Anzahl von Antragstellenden aus der Türkei. Das BAMF registrierte einen Zuwachs der Anträge von 238,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein klares Signal, dass unter Erdogan inzwischen nicht nur Wirtschaft, sondern zunehmend auch unterdrückte politische wie ethnische Minderheiten – besonders Kurd*innen – leiden.


Drei Stimmen aus der Presse:

1.) Griechenland: Prozessauftakt gegen Sarah Mardini und weitere Seenotretter (FAZ)

Die europaweite Kriminalisierung von Hilfe für Menschen in Not schreitet weiter voran. 24 Seenotretter*innen sind aktuell auf Lesbos wegen angeblicher Schleusung und Spionage angeklagt. Darunter auch Sarah Mardini, die durch die Netflix-Verfilmung „Die Schwimmerinnen“ international Aufmerksamkeit erfuhr. Ob und in welcher Form gegen Gesetze verstoßen wurde bleibt unklar, die Verteidigung nannte die Anklagen eine „Farce“. Für uns steht fest: Hilfe für Menschen in Not ist kein Verbrechen! Gerade wenn staatliche Seenotrettung gezielt ausgesetzt wird, ist der Ausgleich durch zivilgesellschaftliches Engagement zu unterstützen und nicht unter Strafe zu stellen.

2.) Berlin: Wie weit ist der Weg zum deutschen Pass? (Mediendienst Integration)

Am 06. Januar ging der Gesetzesentwurf zur Erleichterung der Einbürgerung in die Ressortabstimmung. Dieser plant viele Erleichterungen, u.a. eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer in der BRD von acht auf fünf Jahre – bei „besonderen Integrationsleistungen“ sogar auf drei Jahre. Bei Menschen, die sich seit Jahrzehnten im Land aufhalten, soll auch auf schriftliche Sprachnachweise verzichtet werden. Wichtig auch: zukünftig ist eine Mehrstaatigkeit möglich, sodass die Nationalität aus dem Herkunftsland nicht abgelegt werden muss. Im Artikel wird untersucht, wieviel Personen von der neuen Regelung profitieren könnten und wie das System der Einbürgerung in anderen Ländern der EU funktioniert.

3.) Chancenaufenthaltsrecht (MIGAZIN)

Menschen, die über fünf Jahre straffrei in Duldung lebten und weitere Voraussetzungen[1] erfüllten, können seit dem 01. Januar ein Chancen-Aufenthaltsrecht beantragen. Damit wird für den Zeitraum von 18 Monaten ein Aufenthaltstitel ausgestellt, der den Betroffenen ermöglicht berufstätig zu sein und
Viele sächsische Behörden sind personell so stark unterbesetzt, dass ein Bearbeitungsstau entsteht, indem Anträge Monate zu spät oder gar nicht bearbeiten werden können. Durch die Einführung des „Chancen-Aufenthaltsrechtes“ ist eine weitere Überlastung zu erwarten. „Es ist leider zu befürchten, dass etliche Anträge liegen bleiben, weil die Ausländerbehörden mit der Bearbeitung nicht nachkommen“, sagte Kai Webe dem Evangelischen Pressedienst. Um dem zu begegnen braucht es mehr Personal und Tareq Alaows von Pro Asyl schlägt vor: „Nötig sind verständlich formulierte Hinweisblätter in einer klaren Sprache“, sodass Betroffene auch selbstständig in der Lage sind, die Anträge korrekt auszufüllen.

[1] Voraussetzungen zum Chancen-Aufenthaltsrecht u.a.: Abgelehnter Asylantrag; Fünfjähriger durchgehender Aufenthalt in der BRD bis zum 31. Oktober 2022; keine schwere Straftat über 90 Tagessätzen; keine Identitätstäuschung


Veranstaltungen:

Torgau: DSM-Migrant*innenversammlung zur Gründung eines Migrationsbeirates | 16.01. im Stadtteiltreff Nord-West

Migrationsbeiräte sind momentan eher in den Großstädten Sachsens präsent. Was die Chance der politischen Partizipation von Migrant*innen auf dem Land oder in Kleinstädten des Freistaates betrifft, besteht noch großer Nachholbedarf. Um genau hier migrantische Stimmen sichtbarer zu machen, lädt der Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen ein und möchte in Torgau die mögliche Gründung eines Migrationsbeirates im Stadtrat besprechen. Das Treffen findet am 16. Januar 2023 im Stadtteiltreff Torgau Nord-West um 17 Uhr statt. Eingeladen sind alle Interessierten – mit und ohne Migrationsgeschichte!
Mehr Infos dazu!

Dresden: Filmvorführung „Boy“ und anschließende Diskussion | 24.01. im Thalia-Kino

Der Film begleitet das Leben eines afghanischen Mädchens in Mazar-e-Sharif, welches als Junge aufgezogen wird und erzählt die Geschichte einer jungen afghanischen Sängerin, die sich als Junge verkleidete, um ein „freieres Leben” zu führen und inzwischen in London lebt. Beginn der Veranstaltung des Dunyacollective am 24. Januar ist 19 Uhr.

Hoyerswerda: Beratung zum Chancen-Aufenthaltsrecht | 31.01. im Jugendclub Ossi

Aufgrund vieler Nachfragen zum Thema bieten wir am Dienstag, den 31. Januar 2023 von 9:00-15:00 Uhr Beratungen zum Chancen-Aufenthaltsrecht an. Diese finden in Kooperation mit dem RAA Hoyerswerda / Ostsachsen e.V. in den Räumen des Jugendclubhauses Ossi auf der Liselotte-Herrmann-Str. 1, 02977 Hoyerswerda statt.
Mehr Infos dazu!


Stellenangebote

DSM-Projektkoordination „GetAktiv“ in Dresden, 20h /Woche

Mit dem Projekt „GetAktiv – Geflüchtete für Teilhabe in der Politik und Gesellschaft aktivieren“ werden bundesweit an verschiedenen Standorten Seminare der interkulturellen politischen Bildung für Geflüchtete durchgeführt. In Dresden möchte der Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen e.V. speziell für Geflüchtete aus der Ukraine Angebote organisieren.
Die Stelle ist ab sofort zu besetzen.
Mehr Infos zum Stellenangebot

DSM-Regionalkoordination in Chemnitz, 20 h/Woche

Der Dachverband wird in Chemnitz eine neue Zweigstelle aufbauen und sucht dafür geeignete Bewerber*innen, um die Arbeit regional zu koordinieren. Auch diese Stelle ist ab sofort zu besetzen. Der DSM verfolgt dabei insbesondere das Ziel des Strukturausbaus und der Dezentralisierung sowie der Vernetzung und Stärkung von Migrant*innenorganisationen in den drei Großstädten, aber auch ausdrücklich in den benachbarten Kleinstädten und Landkreisen.
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2. Beratungstätigkeit im Fachinformationszentrum Zuwanderung in Dresden, Vollzeit

Der Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen e.V. sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Elternzeitvertretung im Projekt „Fachinformationszentrum Zuwanderung“. Dieses unterstützt bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, die im Ausland erworben sind und hat das Ziel Menschen entsprechend ihrer Qualifizierung in Beschäftigung zu bringen.
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