Feminista Leipzig: Ich bin erst frei, wenn wir alle frei sind!

„Nach fast einem halben Jahr versuche ich wieder Worte zu finden. Schon fast ein halbes Jahr kämpfen die Menschen im Iran für ihre Freiheit, welches das Regime seit über 40 Jahren auf brutalste Weise versucht zu unterdrücken. Ich versuche schon wieder Worte zu finden, damit der Ernst der Lage verstanden wird. Denn solange wir nicht REALISIEREN, wie persönlich das Ganze ist, was im Iran passiert, werden wir es ganz bald selber ERFAHREN.

Heute ist der feministische Kampftag und unsere ganz persönlichen Kämpfe und diese innerhalb Deutschlands sind real, doch müssen wir langsam mal auch weiterschauen. Der Feminismus geht über Ländergrenzen, geht über Hautfarben, geht über das binäre System hinaus. Es ist Zeit eine innere Revolution zu starten, damit – vielleicht nicht wir, aber – die nächsten Generationen eine Chance haben, zu fühlen, was es bedeutet frei zu sein. Wie es sein könnte, wenn wir nicht mehr aufgrund unseres Geschlechts geformt werden, wenn wir deswegen nicht mehr unterschätzt, nicht mehr misshandelt, missbraucht und vergewaltigt werden und wenn wir endlich lieben dürfen, wen wir wollen.

Hier habe ich immerhin das Privileg zu sprechen für all die Sachen, die ich mir für ein freieres Leben wünsche, doch im Iran würde mich dafür die Kugel treffen. Unter Frau*, Leben, Freiheit, Zan, Zendegi, Azadi, Jin, Jiyan, Azadi (einer kurdischen feministischen Freiheitsbewegung) gehen seit einem halben Jahr die Menschen auf die Straßen und riskieren ihr Leben für den Sturz des Regimes. Doch müssen wir verstehen warum.

Wir müssen verstehen, dass diese Revolution nicht erst seit einigen Monaten stattfindet, sondern schon seit über 40 Jahren vor allem die Frauen sich gegen das Regime auflehnen. Ihnen werden die einfachsten Rechte abgeschrieben, sodass sie kaum Recht auf ihren eigenen Körper haben, noch eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben erfahren dürfen. Somit sollte mittlerweile allen klar sein, dass der Hijabzwang nicht das Problem ist, sondern dies nur ein Mittel der Unterdrückung darstellt.

Stellt euch trotzdem einmal vor, wie der Olaf morgen in den Nachrichten erscheinen würde mit einem neuen Gesetz, indem weiblich gelesene Personen nur noch Kleider tragen dürften. Wie würden wir reagieren? Würden wir mitgehen? Das klingt so absurd und doch spielt genau so das iranische Regime mit den Menschen im Land, bloß auf einer ganz anderen Ebene.

Wir leben in einer Welt dominiert durch Männer und wir müssen uns zusammenschließen, uns gemeinsam erheben und füreinander einstehen. Es wird Zeit, dass wir die feministische Revolution in uns spüren und wir füreinander einstehen – für alle!

Besonders möchte ich nochmal betonen, dass genau jetzt gerade Kinder und Jugendliche im Iran in Mädchenschulen vergiftet werden, sodass viele Eltern sich weigern die Mädchen* in die Schule zu schicken. Das ist genau das, was das Regime möchte. Viele können sich das wieder nicht vorstellen, dass das Regime gegen die Menschen des eigenen Landes handelt und doch ist es wahr und hat bis jetzt mindestens zwei Menschenleben der Schulkinder gekostet. Vor allem ist es in der Hochstadt der Religiosität Qom geschehen. Die Revolution begann mit den Mädchen und Frauen und genau dort möchte das Regime es wieder beenden. 5000 Schüler:innen mussten deswegen ins Krankenhaus. Für uns ist es nicht neues, denn es gab immer wieder Attacken wie die Säureangriffe im Jahr 2011. Wir dürfen nicht warten, dass es so weiter geht, denn sonst wird uns der komplette Zugang zu schulischer Bildung verweigert. Wir dürfen nicht warten, bis die Situation genau so ist wie in Afghanistan, denn dort wurden Mädchen und Frauen komplett seit 1,5 Jahren vom Bildungssystem verbannt.

Wir dürfen nicht zulassen, dass – egal wo auf dieser Erde – Minderheiten das Recht auf Meinungs- und Religions- und Bildungsfreiheit verlieren, dass ihnen der Wert abgeschrieben wird und sie somit Gewalt erfahren, belästigt und vergewaltigt werden, nur weil wir nicht zusammenhalten und nicht für einander einstehen. Es ist Zeit uns zusammenzuschließen und hinzuschauen! Wir kämpfen alle für dasselbe! Genau wie im Iran sollten sich alle Geschlechter zusammenschließen, Menschen  aus jeder Religion und Kultur und Schulter and Schulter gemeinsam kämpfen. Im Iran schreien sie “Har ye nafar koshteshe, hezar nafar poshteshe“ = Mit jeder Person, die getötet wird, stehen Tausende hinter dieser.

Während wir uns hier friedlich versammeln, liegen tausende unserer Freiheitskämpfenden im Gefängnis oder unter der Erde. Wir als Feminista Leipzig solidarisieren uns mit all denen, die diesen Weg mit uns gehen und möchten Aufmerksamkeit für die feministische Revolution im Iran schaffen. Die feministische Aktivistin, die am längsten im iranischen Gefängnis ist, ist Zeynab Jalalian. Ihr Urteil war die Hinrichtung, doch der Beschluss wurde zu lebenslänglich reduziert. Nun sitzt sie schon 16 Jahre im Gefängnis und hat noch nie einen Besuch bekommen. Letztes Jahr schrieb sie in einem öffentlichen Brief: „Niemand und nichts ist so stark, dass es mich von meinem Weg aufhalten könnte. Ich bin stärker als all das und gehe meinen Weg.“

Wir rufen deshalb auf: Gemeinsam befreien wir Zeynab und damit befreien wir Stück für Stück all unsere Kämpfenden. Für Frau, Leben, Freiheit. Zan, Zendegi, Azadi. Jin, Jyan, Azadi!

Somit bitte ich dich heute, uns zu unterstützen, damit die internationale Aufmerksamkeit aufrecht erhalten bleibt und verstärkt wird. Wir müssen mit dem Finger auf die Mörder zeigen, welche das iranische Regime ist und alle, die weiterhin mit diesem Mörderregime weiter zusammenarbeiten. Wir sollten Druck machen, wenn Baerbock zu zögerlich ist und die Revolutionsgarde, welche das Hauptorgan der Gewalt ist, nicht auf die Terrorliste setzt. Geschäftliche Interessen Deutschlands dürfen nicht über Menschenrechte gesetzt werden und Punkt!

Wenn du Aufmerksamkeit für einen Gefangenen schaffst, minimierst du somit die Gefahr, dass dieser Mensch Gewalt erfährt und vielleicht wird dieser sogar entlassen. Unsere einzige Waffe ist Druck! Mediale Präsenz und Druck ist so unfassbar wichtig für das große Gefängnis namens Iran.

Zusätzlich sammeln wir als Feminista Leipzig Spenden, die direkt die Menschen im Iran erreichen. Zum einen senden wir es an die Menschen, wo die Ernährenden der Familie ermordet wurden oder im Gefängnis sind. Zum anderen kannst du mit einer Spende somit auch die Menschen in deren Streik unterstützen, da viele aufgrund dessen kein Einkommen mehr haben. Zusätzlich können Geldsummen dazu führen, dass Gefangene entlassen werden.

Somit lasst uns gemeinsam alles dafür tun, dass wir bald gemeinsam die globale Befreiung vom Patriarchat feiern können. Ich bin erst frei, wenn wir alle frei sind!

Be omide azadi. (In der Hoffnung auf Freiheit.)“

Feminista Leipzig ist ein Kollektiv iranischer FLINTA*. Sie bringen mit ihren Aktionen die Stimmen der feministischen Revolution im Iran in die deutsche Öffentlichkeit. Anlässlich des feministischen Kampftages dürfen wir ihren Redebeitrag veröffentlichen.

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