Hinter den EU-Pushbacks: eine Tendenz, Menschen als politisches Instrument auszunutzen

Es ist ein zunehmend härterer Ton, mit dem die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel aktuell über Migrationspolitik diskutieren. Sie drohen damit Visaerlaubnisse, Handelsströme und Entwicklungshilfe als Druckmittel einzusetzen, um die Einwanderer am Überschreiten der EU-Grenzen zu hindern und die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern zu beschleunigen. Somit drohen weitere Einschränkungen des Rechts auf Asyl in Europa insgesamt, vor denen auch Pro Asyl warnt.

Erik Marquardt, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA-Fraktion, kritisierte die Haltung der EU zu Pushbacks: „Entwicklungszusammenarbeit ist dazu da, Armut zu bekämpfen, sie sollte den Zielen der nachhaltigen Entwicklung dienen. Sie sollte nicht zur Bekämpfung von Migration und Flucht missbraucht werden.“ Die EU dürfe keine Autokraten unterstützen und Visa nicht als Druckmittel einsetzen, um Menschen in ihren Herkunftsländern gefangen zu halten.

Für die sächsische Bundestagsabgeordnete Rasha Nasr (SPD) ist die Sicherung von Friedensstabilität und besseren Lebensbedingungen in den Ländern des globalen Südens eine praktikable Lösung zur Migrationssteuerung, bevor man Migranten die Einreise nach Europa verwehrt: „Die Augen und Ohren vor den Problemen zu verschließen und Druck auf die Herkunftsländer auszuüben, ist der falsche Ansatz. Solange es notwendig ist, dass Menschen ihre Heimat verlassen, müssen wir auch sichere und legale Migrationsrouten bereitstellen.“

„Wir werden handeln, um unsere Außengrenzen zu stärken und irreguläre Migration zu verhindern“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Die EU-Kommission hat angedeutet, dass es in einem ersten Schritt zwei Pilotprojekte zur Sicherung der Grenze zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei geben wird, zum Beispiel mit Fahrzeugen, Kameras, Straßen und Wachtürmen, die aus EU-Mitteln, dem bulgarischen Haushalt und Beiträgen der EU-Staaten finanziert werden sollen.

Der Plan wurde jedoch von Menschenrechtsgruppen sowie lokalen und internationalen humanitären Organisationen heftig kritisiert. Nach Ansicht vieler NGOs ist der EU-Plan keine praktikable Lösung für die Probleme der Migrationssteuerung. Ganz im Gegenteil könnte er Lösungsansätze einer geordneten Unterbringung von Geflüchteten erschweren und weitere Rechtsverletzungen im Bereich Asyl verursachen.

2022 wurde berichtet, dass die EU-Sicherheitskräfte Zehntausende von Geflüchteten mit Gewalt von den EU-Grenzen zurückdrängen, die oft heimlich in abgelegenen Grenzgebieten durchgeführt werden, wo sie von NGOs schwer zu verfolgen sind. Sie verweigern dem Einzelnen das Recht, Asyl zu beantragen, aber die Verstöße gehen weit darüber hinaus: „An Europas Grenzen erleben wir illegale Inhaftierungen, unmenschliche Behandlung und unzählige Todesfälle“, sagt Dominik Meyer, EU-Projekt-Referent, Europaabteilung von PRO ASYL.

Humanitäre Standards werden für Asylsuchende in der EU schrittweise abgebaut. Bild: Christian Lue

EU finanziert in Libyen schwere Straftaten

„An den bulgarischen und griechischen Grenzen zur Türkei werden systematisch Pushbacks von Asylsuchenden durchgeführt. Zurück in der Türkei drohen afghanischen und syrischen Schutzsuchenden Kettenabschiebungen nach Afghanistan oder Syrien. An den zentralen Mittelmeergrenzen finanzieren und unterstützen die EU und die Mitgliedstaaten die so genannte „libysche Küstenwache“ und unterstützt laut UN damit schwere Straftaten.

De facto ist diese ein Kollektiv aus Kriminellen und Milizen, welches im Mittelmeer Menschen zurückholt, die versuchen aus Libyen zu fliehen. Dabei herrscht im Land selbst eine katastrophale Lage für Flüchtende. Gerade in dortigen Gefangenenlagern, in denen Menschen versklavt werden und täglich schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter oder willkürliche Hinrichtungen stattfinden. Diese Grenzpolitik verdeutlicht die rücksichtslose Strategie der EU, Schutzsuchende an der Einreise in die EU zu hindern, koste es, was es wolle“, kritisierte Meyer das Vorgehen. 

Obwohl der Vertrag der Europäischen Union (Artikel 3 Absatz 2) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV (Artikel 77) die Freizügigkeit von Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit beim Überschreiten der Binnengrenzen innerhalb des Schengen-Raums gewährleisten sollen, hat der Europäische Rat seinen Schwerpunkt allmählich auf die Stärkung der EU-Außengrenzen und die Verhinderung der Einreise Flüchtender in das EU-Gebiet verlagert.

Der größte Vorteil, den die EU den Bürger*innen gebracht hat, ist die Bewegungsfreiheit der Menschen, sagte Nasr. „Viele Umfragen zeigen, dass offene Grenzen den Europäern wichtiger sind als andere Grundrechte. Umso mehr macht es mich fassungslos, wenn dieses Recht zurückgedrängt wird. Dass dieses Prinzip an den Außengrenzen der EU sogar auf das komplette Gegenteil trifft – die Abschottung der Festung Europa – ist zynisch und der europäischen Idee nicht würdig. Ich hoffe, dass sich die ursprünglichen Ideale Europas endlich durchsetzen, auch im Umgang mit der Migration aus außereuropäischen Ländern“, betont sie.

Mit neuer Pushback-Strategie drohen weitere Rechtsbrüche

Die Pushback-Strategie der EU könne keine Probleme lösen, sondern verschärfe die Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen, so Meyer.  „Die EU muss Menschen, die in Europa Schutz suchen, sichere und legale Übergänge bieten und rechtsstaatliche Standards an den EU-Außengrenzen einhalten. Dies wäre auch ein großer Teil der Lösung für das, was die EU-Politiker und hier insbesondere Deutschland in letzter Zeit wieder betonen: die Notwendigkeit einer Registrierung an den EU-Außengrenzen, um zu wissen, wer in die EU einreist. Wenn Schutzsuchende über reguläre Einreisestellen in die EU einreisen dürfen, könnte die Registrierung ordnungsgemäß erfolgen“, betont Meyer.

Nach dem russisch-ukrainischen Krieg wird die Ausnutzung von schutzsuchenden Menschen als außenpolitisches Druckmittel  immer intensiver und Staaten verletzen die internationalen Gesetze. Die Regierung in Litauen wirft Weißrussland vor Tausende von Migrant*innen aus Afghanistan, Syrien oder afrikanischen Ländern gezielt nach Litauen – in die Europäische Union – geschleust zu haben, um den Migrationsdruck auf die EU zu erhöhen. Obwohl solche Pushbacks nach litauischem Recht legal sind und das baltische Land an dieser Praxis festhält, stellte der Europäische Gerichtshof im vergangenen Jahr fest, dass Litauen damit gegen das Recht auf Asyl verstößt.

Die Abschottungspolitik der EU nimmt extreme Ausmaße an. Weiter droht eine Auslagerung von Asylverfahren in unsichere Drittstaaten.

Auslagerung von Verfahren höhlt Recht auf Asyl aus

„Grenzzäune, gewaltsame Rückschiebungen und Abkommen mit Drittländern sind für das Hauptziel der EU, die Zahl der in der EU ankommenden Asylbewerber zu verringern, von grundlegender Bedeutung geworden. Aber Asylbewerber finden immer noch Wege in die EU, obwohl die Routen immer gefährlicher werden. Das Grenzregime der EU versagt also in zweierlei Hinsicht: Einerseits versuchen die politischen Hardliner mit ihrem Versuch, die Grenzen der EU für Schutzsuchende zu schließen, und andererseits werden der Rechtsrahmen der EU und die Menschenrechte durch diese systematischen Grundrechtsverletzungen völlig ausgehöhlt. Die EU muss dieses Versagen anerkennen und zur Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit damit beginnen, einen menschenrechtsbasierten Ansatz in ihrer Grenz- und Asylpolitik umzusetzen“, so Meyer.

Nichtsdestotrotz drängt die EU-Kommission darauf, in dieser Woche weiter darüber zu diskutieren und den umstrittenen Plan umzusetzen, der auch gegen globale Handelsregeln verstoßen könnte, wenn sie ihren Plan vorantreibt, Handelsvorteile an die Umsiedlung von Geflüchteten zu koppeln. Die EU verbindet die Umsetzung mit dem Allgemeinen Präferenzsystem (APS), um ein Land auszuschließen, wenn es bei der Rückführung von Migrant*innen nicht kooperiert.

Fluchtursachen bekämpfen? Fehlanzeige!

„Die EU nutzt Entwicklungsprogramme, Handelsabkommen und Visabeschränkungen zunehmend als Druckmittel, um Transit- und Herkunftsländer zu verstärkten Grenzkontrollen oder zur Rücknahme abgelehnter Asylbewerber zu bewegen. Anstatt die Ursachen der erzwungenen Migration zu bekämpfen, zielt diese Politik darauf ab, die Bewegung der Flüchtenden zu unterdrücken. Wie wir jetzt nach dem katastrophalen Erdbeben in der Türkei sehen, könnten unbürokratische Visa lebensrettend sein. Doch statt sich auf schnelle Evakuierungen aus den Erdbebengebieten zu konzentrieren, hat sich der Europäische Rat auf seiner Tagung am 9. und 10. Februar darauf geeinigt, die EU-Außengrenzen weiter abzuschotten und die bulgarische Grenze zur Türkei zur Priorität erklärt“, so Meyer.

Für ihn erschien die Schließung der EU-Außengrenzen und des Schengen-Raums schon immer ein Ziel der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten, „in den letzten Jahren, nach den Fluchtbewegungen 2015/2016, hat diese Tendenz eine neue Qualität erreicht und wir beobachten eine eklatante Missachtung von internationalem und europäischem Recht im Grenzregime der EU“, so Meyer.

„Pushbacks verstoßen gegen europäisches Recht und internationale Verpflichtungen zum Schutz von Flüchtlingen – daran gibt es keinen Zweifel. Es ist an der Zeit, dass die EU-Kommission konsequent dagegen vorgeht und Vertragsverletzungsverfahren gegen die Staaten einleitet, die Pushbacks betreiben. Es gibt ein europäisches Gesetz, an das sich alle Staaten halten müssen! Ich bin da ganz bei Law-and-Order. Europa ist kein Supermarkt, aus dem sich jeder Staat nur nimmt, was er will. Auch Rassisten schreien immer, dass Migranten ‚unsere Werte‘ zu respektieren haben“, erinnert Nasr.

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