PM Arbeitszugang nein, Sozialkosten ja! Strenge Handhabe bei Wohnsitzauflage im Freistaat

In den vergangenen Jahren wurde Asylsuchenden in Sachsen wiederholt untersagt, ihren zugewiesenen Wohnsitz zu verlassen. Dabei waren und sind zahlreiche Antragstellende in Arbeit, leben seit Jahren im Freistaat und könnten ihre Lebenskosten selbst finanzieren. Blockieren die Behörden den Umzug von Menschen, verhindern sie in einigen Fällen die Beschäftigung.

Für Arbeitsplatz mit doppelter Miete bestraft

Wiederholt dokumentiert der Flüchtlingsrat Fälle von Schutzsuchenden, die bereits an anderen Orten, teilweise sogar anderen Bundesländern, berufstätig sind, aber nicht umziehen dürfen. Sie werden im Asylverfahren verpflichtet, ihren zugewiesenen Wohnsitz zu behalten. „Es gibt Menschen, die seit mehreren Jahren in Vollzeit in der Gastronomie oder der Pflege tätig sind. Doch sie werden für ihr Engagement bestraft, denn sie müssen weite Wege pendeln und finanzieren die zugewiesene Unterkunft sowie eine Zweitwohnung am Arbeitsort. Für alle Beteiligten ist dies ein zeit- und kostenaufwendiges Schauspiel der Bürokratie. Es verhindert Arbeitsmarktintegration und das selbstbestimmte Leben vieler Geflüchteter“, sagt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat.

„Gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels ist die Wohnsitzauflage eine besonders unfaire und unzeitgemäße Regelung, die dringend gelockert werden muss“, sagt Kristian Garthus-Niegel vom Projekt RESQUE forward, das seit Jahren Geflüchtete in Sachsen bei der Arbeitsmarktintegration unterstützt: „Geflüchtete, die berufstätig sind und dadurch ihr Lebensunterhalt eigenständig sichern, sollten das Recht haben, ihren Wohnsitz frei zu wählen – für mehr Teilhabe in der Gesellschaft und bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“

Pflegekraft wird Umzug nach Chemnitz verwehrt

Der Umzug zum Arbeitsort wurde auch Baydaa Taher-Ali verwehrt, die aktuell eine Ausbildung zur Pflegefachkraft absolviert: “Gerade im Winter wäre ich mit dem Bus öfter zu spät auf Arbeit gewesen. In der Pflege geht das nicht, dann musste ich ein teures Taxi bezahlen und habe an dem Tag umsonst gearbeitet“, berichtet Frau Taher-Ali. Ihrer Familie erging es wie vielen Menschen aus dem Irak, deren Asylklagen vor den Verwaltungsgerichten seit Jahren nicht verhandelt werden. 2020 wohnte sie in Marienberg und für die Pendelstrecke nach Chemnitz war sie auf den Bus angewiesen. Im November 2020 und im Juni 2021 stellte sie jeweils einen Antrag bei den Behörden, um den Wohnsitz zu ihrer Arbeitsstätte zu wechseln.

„Mein einziger Wunsch war, dass mir die Ausländerbehörde erlaubt nach Chemnitz zu ziehen. Doch meine beiden Anträge wurden von der Behörde dort abgelehnt. Ich habe nicht verstanden, warum ich nicht das Recht auf eine Wohnung habe, wenn ich diese bezahle“, so Taher-Ali. Sie hat seit Juni 2022 einen Aufenthaltstitel durch ihre Klage im Asylverfahren. Nur aus diesem Grund durfte sie zu ihrer Arbeitsstelle in Chemnitz ziehen.

Massenunterkünfte – wie hier in Klingenberg – möchten viele Geflüchtete verlassen, gerade wenn sie bereits in Arbeit sind.

Freie Wohnortwahl schafft Kapazitäten in Unterkünften

Auch in der Unterbringung hätte mehr Bewegungsfreiheit Vorteile für Schutzsuchende und Behörden, denn: „Jede Aufhebung einer Wohnsitzauflage in Sachsen trägt dazu bei, notwendigen Platz in Gemeinschaftsunterkünften für neuankommende Schutzsuchende zu schaffen. Wer seinen Arbeitsort frei wählen kann, hat auch die Chance schneller eigenen Wohnraum zu beziehen“, argumentiert Schmidtke. So hat die Wohnsitzauflage zur Folge, dass viele Geflüchtete trotz Arbeit über Jahre in Massenunterkünften leben müssen, weil in ihrem Asylverfahren noch keine endgültige Entscheidung getroffen wurde.

Wohnsitzauflage in Sachsen besonders rigide – und teuer

„Manche Bundesländer haben längst die Vorteile der freien Wohnsitzwahl für Asylsuchende in Arbeit verstanden. Zum Beispiel hat das Land Niedersachsen 2020 eine eigene Landesvorschrift erlassen, wonach bei Sicherung des Lebensunterhalts durch Ausbildung oder Arbeit pauschal keine Wohnsitzauflage mehr verhängt werden sollen.“, erklärt Garthus-Niegel.

Konträr dazu entschied das Innenministerium in Sachsen: Ein Umzug wird alleine bei schwerwiegenden humanitären Belangen – zum Beispiel bei Zuzug zu Familienangehörigen oder besonderen medizinischen Bedarfen – zugelassen. „Im altbekannten „Law and order“-Stil versucht das sächsische Innenministerium den Anschein strenger Kontrolle aufrechtzuerhalten. In der Folge werden Asylsuchende eher als Sozialleistungsempfänger*innen auf Kosten der Kommunen festgehalten, anstatt ihnen Umzüge zu erlauben, die konkrete Beschäftigungsmöglichkeiten bringen“, so Garthus-Niegel. Hierbei ist weder wirtschafts- noch integrationspolitische Vernunft erkennbar.

Selbst für die sächsische Justiz scheint die derzeitige Handhabe bei der Wohnsitzauflage unangebracht. Das Chemnitzer Verwaltungsgericht urteilte Anfang des Jahres im Fall eines seit drei Jahren in Vollzeit beschäftigten Geflüchteten aus Libanon: „Aus Sicht des Gerichts ist die Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, nicht nur vor dem Hintergrund der Entlastung der Träger von Sozialleistungen wünschenswert, sondern letztlich auch ein Ausdruck der Menschenwürde.“ Die Handhabe von Wohnsitzauflagen ist mit anderen Worten am Ende ein Ausdruck unserer grundlegenden humanistischen Werte. „Die Freizügigkeit zwecks Beschäftigung steht im Kern des Europäischen Projekts – dies sollte auch bei Wohnsitzregelungen für Asylsuchende Beachtung finden“ unterstreicht Schmidtke.

Beim Migrationsgipfel im Mai haben Vertreter*innen der Länder und Kommunen dem Bund empfohlen, die Wohnverpflichtungen für Geflüchtete zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Der Sächsische Flüchtlingsrat begrüßt grundsätzlich diese Empfehlung, die sowohl die Ausländerbehörden entlasten als auch für eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung sorgen könnte.

Kontakt:
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
– Dave Schmidtke –
Mail: pr@sfrev.de
Telefon: 0176 427 286 23

 
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