PM: Asyl und Corona in Sachsen – der aktuelle Stand, die ausbleibenden Maßnahmen

Unkomplizierter Zugang zum Gesundheitssystem bleibt Geflüchteten weiter versperrt
Das Asylsystem mit seinen Lagern, seinem Asylbewerberleistungsgesetz, den Abschiebeknästen und seiner Gängelung ist menschenunwürdig, in einer Pandemie gefährlich. Das zeigt Corona. Zum aktuellen Stand in Sachsen berichtet der SFR und besteht darauf, dass die Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte mit ihren über 7.000 Bewohner*innen geleert und der unbürokratische Zugang zum Gesundheitssystem so schnell wie möglich gewährt werden muss.

Menschen aus den Sammelunterkünften in die Hotels, Gesundheitskarten für alle, Illegalisierten den Zugang ins Gesundheitssystem zu gewähren – die epidemiologisch wohl dringendsten Maßnahmen im Bereich Flucht und Asyl sind in Sachsen nicht umgesetzt. Auch bundesweit hatten Organisationen und Initiativen darauf hingewiesen, dass es nun um den Schutz aller Menschen gehen müsse. „Die Erwartung liegt nun vor allem beim SPD-geführten Sozialministerium, die Gesundheitskarte einzuführen.“ meint Mark Gärtner vom SFR. Voran ging Portugal. Mittels einer „Expresslegalisierung“ von Menschen nicht-portugisiescher Staatsbürgerschaft wurde der Zugang ins Gesundheitssystem für eine Vielzahl von Gruppen sichergestellt.

Zum aktuellen Stand in Sachsen gibt der SFR hier einen Überblick:

Corona und Lager – über 7.000 geflüchtete Menschen in Sammelunterkünften
Am Montag dem 23. März meldet die Landesdirektion, dass zwei neu angekommene Menschen in der Leipziger Aufnahmeeinrichtung Max-Liebermann-Straße positiv auf Corona getestet wurden. Der Isolationsbereich wurde daraufhin bis vorerst 03. April unter Quarantäne gesetzt. Eine Komplettquarantäne wie in Suhl, Thüringen mit einer Einrichtung für circa 500 Bewohner*innen oder in Halberstadt, Sachsen-Anhalt mit etwa 900 Menschen blieb Sachsen bisher erspart. Unklar ist jedoch nach wie vor, ob die Landesdirektion dies für alle Aufnahmeeinrichtungen ausschließen kann beziehungsweise die Landkreise und kreisfreien Städte für ihre Gemeinschaftsunterkünfte. Eine proaktive Kommunikation gegenüber Presse, NGOs, Abgeordneten des Landtags und nicht zuletzt den möglicherweise Betroffenen unterblieb bisher.

Der SFR geht von über 7.000 Menschen aus, die sich derzeit in sächsischen Sammelunterkünften befinden. Die Zahl setzt sich erstens aus den knapp 2.000 Menschen, die am 09. Dezember 2019 in den Aufnahmeeinrichtungen aufhielten, zusammen (vgl. Drs. 7/557). Laut einer weiteren Kleinen Anfrage von MdL Jule Nagel (Drs. 7/1179) waren am 31. Dezember 2019 genau 4.503 Menschen im Asylverfahren in den Gemeinschaftsunterkünften der Landkreise und Kommunen untergebracht. Hinzu kommen 877 Menschen, die mit Schutzstatus in den Gemeinschaftsunterkünften untergebracht waren.

In der Aufnahmeeinrichtung in Dölzig beklagten Bewohner*innen fehlende Seife, Klopapier und Desinfektionsmittel. Der Leipziger kreuzer berichtet von Videos, die die Bewohner*innen gedreht haben und leere Desinfektionsspender zeigen. Die Landesdirektion Sachsen besteht in einem Schreiben an den SFR darauf, dass Desinfektionsmittel immer zur Genüge vorhanden gewesen seien. Die Bewohner*innen seien nach Auffasssung der Behörde zudem selbst verantwortlich, sich mit Seife einzudecken. Über den Großhandel sei jedoch Flüssigseife bestellt worden. In einem dem SFR vorliegenden Brief schreiben die 72 Unterzeichner*innen eines Briefes an die Dölziger Heimleitung das Naheliegende: Die Menschen während der Corona-Krise in den Sammelunterkünften zu lassen „will effect all of us. It’s also a risk for people who are working in here and the German society too.“ Der Verdacht auf eine Coronainfektion in Dölzig hat sich derweil nicht bestätigt.

Was im Brief anklingt – das beständig neue Menschen kommen – muss eingeordnet werden: In einem dem SFR vorliegenden Schreiben der Landesdirektion Sachsen an die Kommunen wird zum Ausdruck gebracht, dass Neuankommende zunächst in die Leipziger Max-Liebermann-Straße verteilt werden. Dort würden sie auf Corona getestet und dann für 14 Tage separat untergebracht. Transfers in die Landkreise und kreisfreien Städte, so schreibt die Landesdirektion in einer weiteren Mail an eine Mitarbeiterin des SFR, sind bis auf Weiteres ausgesetzt.

Corona und Asylverfahren
Die Asylverfahrensberatung durch BAMF und DRK findet nach Information des SFR in keiner der Lager mehr statt. „Ein weiterer Hinweis darauf, dass faire Asylverfahren nicht mehr möglich sind.“ so Gärtner. Nach wie vor werden Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zugestellt, einen generellen Entscheidungsstopp gibt es nicht. So können Geflüchtete nach wie vor Ablehnungen auf Grund der Regularien der Dublin-III-Verordnung erhalten. Auch die sogenannten Teil-Ablehungen, beispielsweise wenn nur der subsidiäre Schutz zuerkannt wird, können immer noch zugestellt werden. Eine Aufstockungsklage, die darauf zielt, noch den Status nach Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten, ist damit möglich. Gärtner: „Beratungsstellen und Kanzleien haben ihre Sprechzeiten geschlossen und können nur noch eingeschränkt beraten. Effektiver Rechtsschutz ist im Asylrecht derzeit gefährdet.“

Corona und Abschiebungen
Faktisch schiebt Sachsen derzeit nicht mehr ab. Das meldete der SFR am Mittwoch, Innenminister Wöller bestätigte es bei einer Pressekonferenz (YouTube-Video ab Minute 22.52), um dann mit einem „oder“ hinzuzufügen „in ganz geringem Maße. Aber genaue Zahlen habe ich gerade nicht.“

Corona und Abschiebehaft
Nach und nach leert sich die Abschiebehaftanstalt Dresden. Vor vergangenem Wochenende waren noch drei Personen inhaftiert – zwei Menschen pakistanischer Staatsbürgerschaft, ein Mensch russischer. Die erste Person aus Pakistan konnte bereits Freitag gehen. Nachdem gemeldet wurde, dass eine für den 16. April terminierte Abschiebung nach Pakistan nicht würde stattfinden können, war auch die zweite Person in Freiheit. Bezüglich Russland schreibt das Auswärtige Amt: „Seit dem 27. März 2020 wurden alle internationalen Flüge (Linie und Charter) von und nach Russland eingestellt.“ Gärtner findet es einen leidlichen Kampf, um jeden einzelnen Fall kämpfen zu müssen, wo doch inzwischen offenbar sei, dass die Abschiebemaschinerie vorerst nicht weiter funktionieren könne.

Sozialgesetzgebung – Geflüchtete ausgeschlossen
Letzte Woche beschlossen Bundestag und Bundesrat ein Gesetz, welches den Zugang zu sozialer Sicherung erleichtern sollte. Wer davon ausgeschlossen ist, das sind Menschen im Asylbewerberleistungsbezug. Der Niedersächsische Flüchtlingsrat e.V. hatte hierauf in einer Stellungnahme aufmerksam gemacht, noch bevor das Gesetz verabschiedet wurde.

„Umso dringender muss Sachsen jetzt agieren und wenigstens den unbürokratischen Zugang ins Gesundheitssystem ermöglichen.“ fordert Gärtner und verweist nochmals darauf, die Gesundheitskarte einzuführen.

Der SFR hat eine Übersicht erstellt, die die Regularien der einzelnen Ausländerbehörden in Sachsen zu

  • Verlängerung von Aufenthaltsdokumenten
  • Bezug von Sozialleistungen
  • Erhalt von Behandlungsscheinen
  • Öffnungszeiten und Erreichbarkeit

wiedergibt. Diese ist mehrsprachig abrufbar. Weitere Übersetzungen sind zur Stunde in Arbeit.

Kontakt
Sächsischer Flüchtlingsrat
-Projekt Fremde.Orte / Politik, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit-
Mark Gärtner
Tel.: 0351 / 33 23 55 94
Mobil: 0176 / 427 286 23
Mail: pr@sfrev.de

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