(Vielleicht letzter) Pressespiegel zur Asylpolitik vom 30. Dezember 2020

Pressespiegel zur Asylpolitik vom 30. Dezember 2020
Erstellt von Mark Gärtner / gaertner@sfrev.de

In eigener Sache

„Auf der griechischen Insel Lesbos scheitert die praktische Umsetzung des Abkommens zwischen der Türkei und der EU. Die humanitäre Lage hat sich stark verschlechtert nachdem sich Hilfsorganisationen aus Protest gegen das Abkommenzurückgezogen haben. JournalistInnen erhalten keinen Zugang zu dem Lager in Moria auf Lesbos. Weiterhin gäbe es zu wenige MitarbeiterInnen griechischer und europäischer Behörden, um über die Asylanträge in angemessener Zeit zu entscheiden. Zudem kommt es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Behörden.“

Dieser Zeit-Artikel ist nicht aus 2020 sondern vom 13. Mai 2016. Im ersten, für den SFR veröffentlichten Pressespiegel vom 17. Mai 2016 erschien diese Meldung. Und so ähnlich diese Meldung zu dem ist, was 2020 geschrieben wird – seither hat sich alles auf Lesvos immer nur weiter verschlechtert. An anderen Stellen entstanden neue Orte, an denen Menschen nicht weiterkamen. Andere Orte, wie Idomeni, verschwanden nicht, sie verlagerten sich. Und immer wieder Berichte, was dort geschieht. Von den Sklavenmärkten in Libyen, von suizidalen Kindern auf Lesvos, von Erfrierenden in Serbien. In Sachsen kam die Abschiebehaft, die Lagerunterbringung wurde ausgebaut. Und auch hier, immer wieder Berichte. Von Suizidversuchen, Schikanen. Und immer wieder Abschiebungen mit ihren Grundrechtseingriffen, von denen der SFR in Sachsen in all den Jahren nur einen Bruchteil dokumentieren, bei noch weniger Menschen tatsächlich etwas im Einzelfall bewirken konnte. Hin und wieder auch mal eine positive Meldung, wenn sich eine Person aus einem demütigenden und rassistischen System befreien konnte. Positive Meldungen gab es von Selbstorganisierung und Empowerment, auch mal von Liebe und Freundschaft, von Mut und Haltung – die gab es glücklicherweise und an diesen Meldungen sollte sich wohl festgehalten werden.

„Wir müssen das alles aufschreiben was hier passiert, damit in 20, 30 Jahren die Menschen ein Urteil sprechen können und es hoffentlich alles besser ist.“ So oder so ähnlich hat das mal Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen dem Verfasser dieser Pressespiegel gesagt. Und so war auch der Pressespiegel gedacht, als er bereits seit Ende 2015 wöchentlich für die Refugee Law Clinic Leipzig erstellt wurde. So war anschließend auch die Öffentlichkeitsarbeit des SFR gedacht. Den Anspruch, alles zu dokumentieren, was an Geschichten in den Beratungsstellen und Büros des Vereins ankommt. Und – eine faktenbasierte Grundlage für gemeinsames Handeln zu schaffen.

Der Wegfall der Geflüchtetensozialarbeit des SFR in Chemnitz – auch hierzu gab es einige Berichte – führt zu finanziellen Verlusten bei der Finanzierung unserer Geschäftsstelle. Ich habe mich deshalb entschieden, den SFR als Hauptamtlicher zu verlassen und damit ist die Zukunft des Pressespiegels noch unklar. Das ist aber gar nicht schlecht, vielleicht gibt’s bald auch ganz neue Formate! Denn was nicht unklar ist: dass der SFR, seine Öffentlichkeitsarbeit und seine Asylberatung eine Zukunft haben. Alles hat sich also nicht verschlechtert – im SFR haben ziemlich viele ziemlich viel aufgebaut und das ist in vielen, einzelnen Fällen ganz groß. Ich gehe deswegen ganz erleichtert und möchte mich bei allen Leser*innen des Pressespiegels bedanken, für viele nette Zuschriften und sogar eine Fördermitgliedschaft. Wie bei allen, mit denen ich in den letzten Jahren gemeinsam handeln durfte. Und zuletzt ein explizites Danke an den SFR. Für Alles! Wirklich!

Danke und liebe Grüße, auf bald, ihr findet mich künftig in Leipzig, Bambule machen!

Mark

P.S.: Alle für den SFR veröffentlichten Pressespiegel seit Mai 2016 hier.

…und jetzt geht’s nochmal los:

Geschehenes – Kurzmeldungen

Blick nach Europa und die Welt.

  • Beim Versuch, Lampedusa zu erreichen, sind mindestens 20 Menschen vor Tunesiens Küste ertrunken. Etwa 45 Menschen waren an Bord.
    Tagesschau (24.12.20)

 

  • „Wir haben die Gesetze zum Schutz der Tiere in Europa studiert und wir haben herausgefunden, dass sogar sie mehr Rechte haben als wir.“ schreiben die Bewohner*innen des neuen Camps Kara Tepe auf Lesvos, in dem derzeit rund 7.500 Menschen leben sollen. Kein Wasser, kein Strom, kein Abwasser, Kinder, die von Ratten gebissen werden, Gewalt – von Vorhölle schreiben die Verfasser*innen des Weihnachtsgrußes an die europäische Öffentlichkeit. Die psychische Belastung ist hoch und mit der Pandemie und der Ausgangssperre gestiegen, das International Rescue Committee gibt an, dass von den 900 Menschen, die sie behandelt hätten, 35 Prozent Selbstmordgedanken hegen, 75 Prozent hatten Symptome psychischer Erkrankungen. „Viele Familien […] müssten ständig auf der Hut sein, um Selbstmordversuche ihrer Angehörigen zu verhindern. Nachts schlichen sich die Menschen, die nicht mehr weiterwüssten, aus den Zelten, liefen zum nahe gelegenen Meer in der Absicht, sich zu ertränken.
    Tagesspiegel (23.12.20)

 

  • Inzwischen sind 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, im Vergleich zu 2019 stieg ihre Zahl innerhalb eines Jahres um zehn Millionen. Die Pandemie und neue Kriegsgebiete wie in Äthiopien haben zu dem starken Anstieg geführt, gibt die UNO-Flüchtlingshilfe als Vertretung des UNHCR in Deutschland an.
    SPON (29.12.20)

 

  • Die bosnische Regierung versprach, das Lager Lipa bei Bihac winterfest zu machen, als es in diesem Jahr eröffnet wurde. Das geschah nicht. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schloss deshalb am 23. Dezember das Lager. Im Zuge der Räumung wurde das Lager abgebrannt, das weder an das Wasser- und Stromnetz angeschlossen noch über Straßen zu erreichen war. Rund 1.300 Fliehende sind nun unterwegs, Ziel ist Kroatien, doch das zeichnet sich unter anderem durch illegale Push-Backs aus. Viele warten auf die Gelegenheit, die Grenze zu überqueren. Etwa 3.000 Menschen befinden sich allein im Nordwesten Bosniens ohne Unterkunft.
    Tagesschau (27.12.20)
    BR (28.12.20)

Bund, Land, Kommune

 

  • In einem Weihnachtsappell rufen 243 Abgeordnete des Bundestags die Bundesregierung dazu auf, mehr Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Unterzeichnet haben ihn Abgeordnete aus allen demokratischen Fraktionen. Die bisherigen Kontingente reichen nicht aus, mehr Zusagen seien nötig, unbedingt müsse zudem die Aufnahme beschleunigt werden.
    SPON (17.12.20)

 

  • Bundesinnenminister Horst Seehofer schreibt im Mai 2020 einen Brief an seinen Kollegen und Parteifreund Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister, Die Anforderungen, die Seenotrettungsschiffe erfüllen müssen, müssten verschärft werden. Unter anderem schreibt er von Abwassertanks, die zu klein sein. Die Idee hat Seehofer von italienischen Behörden bekommen. Scheuer antwortet, die Seenotrettung habe nach internationalem Recht im Zweifel Vorrang vor sicherheits- und umweltrechtlichen Anforderungen und auch die Schiffe der Bundeswehr verfügen nicht über zusätzliche Abwassertank. Geräusch- aber erbarmungslos beschreibt die Organisation Sea Eye im Übrigen das Vorgehen der jetzigen, italienischen Mitte-Links-Regierung. Anders als der frühere Innenminister Matteo Salvini gehe sie effektiver vor, schicke beispielsweise immer dieselben Kontrolleure auf die Schiffe, die immer neue, technische Details bemängelten.
    SPON (24.12.2020)

 

  • In Magdeburg wird Anfang Dezember eine Familie getrennt – die Mutter wird mit zwei Kindern nach Armenien abgeschoben, der Vater bleibt mit den zwei anderen Kindern zurück. Letztere zwei Kinder konnten den Beamt*innen entkommen und flohen. Unter anderem der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt wie die Evangelische Landeskirche kritisierten die Trennung. Rund 150 Menschen demonstrierten gegen die Abschiebung. Der MDR Sachsen-Anhalt mit einer Übersicht der Geschehnisse, auch zu den Vorwürfen von Polizeigewalt und einer gezogenen Schusswaffe.
    MDR (18.12.20)

 

  • Am 02. Dezember will ein Mensch in das Dresdner Lager auf der Bremer Straße, dort lebt er. Unterwegs hat er seinen Mund-Nasen-Schutz verloren, er bittet am Eingang um Ersatz. Den erhält er auch zunächst, wird aber kurz darauf hinausgeworfen und mit einem zweistündigen Hausverbot sanktioniert. Als er sich daraufhin beschweren will, folgen weitere zwei Stunden, in denen er in der Kälte ausharren muss. In einer Pressemitteilung kritisierte der SFR das Vorgehen, welches von der Hausordnung für die Aufnahmeeinrichtungen in Sachsen gedeckt wird.
    ADDN (19.12.20)

Hintergrund und Meinung

  • In der taz blickt Franzsika Grillmeier auf das Jahr 2020 auf Lesvos zurück. Es begann mit Demonstrationen von Geflüchteten auf der Insel, den Plänen der griechischen Regierung für eine „geschlossene Campstrukturen“, der Grenzöffnung der Türkei, rechtsradikaler Gewalt, setzte sich fort mit einer Ausgangssperre für die Bewohner*innen Morias und gipfelte im Brand Morias am 02. September. Inzwischen ist das neue Lager Kara Tepe aufgebaut, im Wind, im Schlamm, ohne Infrastruktur. „[…] was passiert, wenn „der Andere“ überhaupt nicht mehr zu sehen ist? Wenn es immer weniger Schnittstellen der Begegnung zwischen Fliehenden und Einheimischen gibt? Wenn die Ränder der Peripherie immer breiter werden?“ fragt Grillmeier.
    taz (24.12.2020)

 

  • Farah Demir ist Intensivpflegerin in einer Klinik in Hannover. Und geduldet. Ihr wird vorgeworfen, nicht ausreichend bei der Identitätsklärung mitzuwirken. Die Anforderungen, die die Ausländerbehörde an sie stellt, sind absurd und berücksichtigen ihre Fluchtgeschichte nicht. Damals war sie zwei Jahre alt. Demir sagt gegenüber der SZ, sie schäme sich und fühle sich kriminell – das, was das Verhalten der Behörden bei ihr provozieren soll. Der Betriebsrat ihrer Klinik setzte sich nun für sie ein. Das niedersächsische Innenministerium versichert nun, eine Lösung finden zu wollen.
    SZ (23.12.2020)
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