Versuchte Abschiebung erschüttert Leipziger und sächsische Zivilgesellschaft
Seit Dienstagmorgen ist die Leipziger und sächsische Zivilgesellschaft in Aufruhr. Die Polizei versuchte Mohammad K., der seit rund sieben Jahren in Deutschland lebt, mit brutalen Methoden aus seinem Leben zu reißen. Mohammad K. fühlt sich in Leipzig zu Hause, er ist eingebettet in einen Kreis von Freund*innen, Familie, Nachbar*innen, er hat lange Jahre in einem Leipziger Betrieb gearbeitet. Doch die sächsische Kälte der von der CDU seit Jahrzehnten propagierten Law-and-Order-Migrationspolitik machte auch vor Mohammad K. nicht Halt.
Nach dem völlig unverhältnismäßigen und eskalierten Großeinsatz anlässlich der beabsichtigten Abschiebung am Dienstag wurde Mohammad K. zunächst für eine notwendige ärztliche Versorgung unter polizeilichem Gewahrsam in eine Leipziger Klinik gebracht. Inzwischen ist gegen den Betroffenen, der angesichts der ihn überraschend treffenden Maßnahme offenbar so verzweifelt war, dass er mit Selbstverletzung reagierte und Selbsttötungsabsichten äußerte, Abschiebungshaft durch das Amtsgericht Dresden angeordnet worden.
„Angesichts der drohenden Konsequenzen wäre eine mehr als naheliegende Alternative wäre gewesen, die Situation dadurch zu deeskalieren, die Abschiebung zunächst auf Glatteis zu legen. Dann hätte der psychische Gesundheitszustand von Herrn K. in Ruhe untersucht werden können und damit die Frage der Reisefähigkeit noch einmal kritisch infrage gestellt werden. Die immer wieder gebetsmühlenartig wiederholte Berufung der Behörden darauf, dass die Abschiebung rechtmäßig sei, weil die Person nun einmal vollziehbar ausreisepflichtig ist, funktioniert spätestens hier nicht mehr: Es darf niemals dazu führen, dass Gesundheit oder Leben von Betroffenen in Gefahr gerät. Eine solche Person in Haft zu nehmen, bedeutet, sie noch weiter unter Druck zu setzen. Das ist unverhältnismäßig und rechtsstaatswidrig“, erklärt Paula Moser vom Sächsischen Flüchtlingsrat
Eine unruhige Nacht
„Heute konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Die Polizei kamen alle 15 Minute zu mir rein. Die drei Polizisten vor meiner Tür haben andauernd geredet oder auf ihren Handys mit hoher Lautstärke getippt. Ich frage mich, ob sie mich wirklich schützen wollen. Um 3.30 morgens habe ich meine OP am Arm gehabt. Nach meiner OP war ein Polizist draußen, ich bat in die Tür halb zu zu machen, damit das Licht aus dem Flur nicht hereinfällt. Er hat mir nicht erlaubt, die Tür halb zu schließen, obwohl die Kolleg*innen vor ihm das zugelassen haben“, beschreibt Herr K. die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in der Klinik.
Eine nicht-existente Vorgriffsregelung und kleine rechtliche Hoffnungsschimmer
Doch wie geht es in seinem Fall nun rechtlich weiter? „Mohammad K.s Fall ist eigentlich ein Paradebeispiel für das, was Konservative als ‚gelungen integriert‘ bezeichnen würden. Doch selbst davor macht die sächsische Abschiebepolitik keinen Halt. Alles behördliche Handeln scheint darauf ausgelegt zu sein zu signalisieren: Sachsen vergibt keine Chancen“, erklärt Moser.
Herr K. ist seit rund sieben Jahren in Deutschland. Für Personen genau wie ihn will die Ampel-Koalition in Berlin bald ein sogenanntes „Chancen-Aufenthaltsrecht“ einführen. „In progressiven Bundesländern gibt es deshalb schon Erlasse auf Landesebene, sogenannte ‚Vorgriffs-Regelungen‘, damit Personen, die zukünftig potenziell unter das Chancen-Aufenthalt fallen, nicht jetzt noch schnell abgeschoben werden“, so Moser. In Sachsen gibt es eine solche Vorgriffsregelung nicht. Sowohl Innenminister Wöller als auch sein Nachfolger Schuster haben eine Vorgriffs-Regelung bisher ausgeschlossen. „Mit einer Vorgriffs-Regelung in Sachsen wäre es vermutlich nicht zur versuchten Abschiebung von Herrn K. gekommen“, erklärt Moser.
Somit sind die Möglichkeiten des Rechtsanwalts von Herrn K., Robin Michalke, derzeit eingeschränkt. „Gerade versuchen wir eine Ausbildungsduldung für Herrn K. zu erwirken. Erschwert wird unsere Arbeit durch den am Mittwochnachmittag erlassenen Abschiebehaftbeschluss, den wir nun auch angreifen. Wir hoffen natürlich, dass wir wieder eine Aufenthaltsperspektive für Herrn K. schaffen können. Wir haben derzeit jedoch keine Gewissheit, dass es funktioniert. Es ist bedauerlich, dass es zu der Situation am Dienstag gekommen ist. Jetzt müssen wir uns unter hohem Zeitdruck in alle Verwaltungsverfahren einarbeiten“, erklärt Michalke.
Interessant erscheint dabei auch, dass die Abschiebung von Mohammad K. laut Landesdirektion Sachsen die erste aus Sachsen nach Jordanien im Jahre 2022 gewesen wäre. „Jordanien ist als Zielland von Abschiebungen aus Sachsen ungewöhnlich. Es bleibt die offene Frage: Wieso hat sich die Ausländerbehörde ausgerechnet Herrn K. vorgenommen?“, so Moser.
Wiedereröffnung der Abschiebehaftanstalt Dresden nur für eine Person
Besonders perfide ist an der Situation von Mohammad K.: Die Abschiebehaft in Dresden soll nach derzeitigem Kenntnisstand nur für ihn wiedereröffnet werden. „Seit März 2022 sind keine Menschen mehr in der Abschiebehaftanstalt Dresden untergebracht. Die gesamte Haftanstalt wird also nur für eine einzige Person wieder hochgefahren“, beschreibt Toni Kreischen von der Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden. In der Abschiebehaft wäre auch das Problem der Suizidgefahr verstärkt statt verringert: „Die Suizidprävention in der Abschiebehaftanstalt war in der Vergangenheit stets unterirdisch„, so Kreischen.
Starker Unterstützer*innenkreis, starke Zivilgesellschaft, starker Widerstand
„Es war toll zu sehen, wie schnell am Dienstag die Mobilisierung für die Unterstützung direkt vor dem Haus von Herrn K. gelaufen ist. Auch die Familie, Freund*innen und Nachbar*innen von Herrn K. haben Großartiges geleistet. Durch all diese unermüdliche Unterstützung und Widerstand konnte die Abschiebung verhindert werden. Jetzt gilt es weiterzukämpfen, damit Mohammad K’s Aufenthalt langfristig gesichert werden kann“, so Moser.
Das Thema Suizid ist ein Thema, das aufgrund der hohen Nachahmerquote in der Berichterstattung einen sensiblen Umgang erfordert. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800 1110111 und 0800 1110222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.
*Bei der ersten Berichterstattung ist uns ein Fehler unterlaufen. Der Name, mit dem Herr K. angesprochen werden möchte ist nicht Mohammad H., sondern Mohammad K.
Kontakt:
Sächsischer Flüchtlingsrat
– Paula Moser –
Mobil: 0176 427 286 23
Mail: pr@sfrev.de