Weltflüchtlingstag: Mehr Fliehende, weniger Empathie

110 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht – ein absoluter Rekordwert. Doch anstatt gemeinsam daran zu arbeiten die Ursachen globaler Krisen und Konflikte zu bekämpfen, werden weitere Fluchtursachen geschaffen. Andauernde Kriege in der Ukraine, Nordsyrien oder im Sudan, fehlender Umweltschutz trotz Klimawandel, Ausbeutung von Ressourcen in Entwicklungsländern oder steigende Waffenexporte deuten an, dass die Zahl von Fliehenden eher zunehmen wird. Die EU antwortet aktuell mit der Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) – indem es noch höhere Mauern baut und Asylverfahren auslagern will. Der europäischen Tendenz folgend, nimmt derzeit auch die Hetze gegen Geflüchtete in Sachsen zu.

Die heutige bundesweite Debatte zum Thema Schutz von Fliehenden ist gespalten. Es gibt immer noch Engagierte, die sich für Schutzsuchende einsetzen, auch in Sachsen. Doch die Solidarität des letzten Jahres mit den Menschen aus der Ukraine scheint zu schwinden und auch der Populismus gegen alle anderen Gruppen von Geflüchteten nimmt zu. Europaweit findet ein Ausbau von Grenzzäunen statt und die Kriminalisierung von Seenotrettung tötet an den EU-Außengrenzen – wie kürzlich mit dem erschütternden Schiffsunglück vor der griechischen Küste erneut deutlich wurde. Der Diskurs nimmt erneut schärfere rechte Konturen an, die sich auch in Forderungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zeigen.

Rechtspopulismus als Wahlkampfinstrument

Er fordert einen „Asylkompromiss 2.0“ – also eine erneute Verschärfung des Asylrechts in Bezugnahme auf den sogenannten „Asylkompromiss“ von 1993. Die damaligen Änderungen führten dazu, dass seither kaum noch Menschen eine Asylberechtigung nach dem Grundgesetz erhalten. Bei 228.000 gestellten Asylanträgen erhielten in 2022 gerade einmal 0,8 Prozent der Schutzsuchenden diesen Status der Asylberechtigung. Weder besitzt der Ministerpräsident die Kompetenz das Grundgesetz zu verändern, noch würde eine Änderung im Asylrecht signifikante Veränderungen bei der Entscheidung in Verfahren hervorrufen. Denn Menschen die einen Schutzstatus erhalten, erhalten diesen durch vor allem durch internationale Rechtssprechung wie die Genfer Flüchtlingskonvention. Diese schützt aktuell Menschen, denen Kretschmer den Status absprechen will.

In diesem Jahr gerät die Genfer Flüchtlingskonvention also – wie der Rechtsschutz von Geflüchteten insgesamt – am Weltflüchtlingstag stärker ins Wanken als zuvor. Die ungerechte europäische Verteilung Schutzsuchender durch das Dublin-System, welches zunächst die Staaten am Rande Europas stärker belastete als andere, führte zu Spannungen. Aus dieser resultiert eine fehlende Solidarität in der EU bei der Aufnahme wie Verteilung von Fliehenden. Es folgten europaweite Rufe nach Abschottung und Begrenzung der Migration.

Rechtsbruch an Fliehenden wird legalisiert

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) folgte diesem Rechtspopulismus und fingiert hier als neuer Burggraben der Festung Europas. Geplant sind Screening-Verfahren in Haftlagern an den Außengrenzen der EU, die feststellen sollen, ob die Personen überhaupt Aussicht auf einen Schutzstatus besitzen. Anderenfalls wird direkt eine Abschiebung in sogenannte „Sichere Drittstaaten“ eingeleitet, wo menschenrechtliche Standards keineswegs kontrolliert werden können. Dabei hatte der Europäische Gerichtshof bereits einem ähnlichen Modell – den geplanten Abschiebungen von Großbritanniens nach Ruanda – einen Riegel vorgeschoben.

Diese Aushöhlung des Rechts auf Asyl ist deshalb so katastrophal, weil Menschen damit kaum noch Chancen auf ein faires Verfahren erhalten. Denn in den geplanten Haftlagern der Außengrenzen werden keine rechtlichen Beratungsangebote für Schutzsuchende durch NGOs existieren und somit auch keine Kontrolle, ob menschenrechtliche Standards eingehalten werden. Somit breitet sich die Realität von Ländern wie Griechenland oder Polen aus, wo Geflüchtete von staatlichen Sicherheitskräften seit Jahren gepushbacked oder angegriffen werden. Der Friedensnobelpreisträger Europäische Union normalisiert inzwischen Menschenrechtsverbrechen, um eine Union zu erhalten, die längst keine mehr ist.

Verkürzte Debatten – kaum Empathie

Migration ist divers. Dennoch wird das Thema immer wieder monokausal betrachtet. Dadurch werden die Menschen dahinter sowie ihre individuellen Geschichten zu bloßen Aktenzeichen. Wird in Sachsen zum Thema Flucht gesprochen, besteht zu wenig Bewusstsein über tatsächliche Ursachen. Selbst bei Hauptherkunftsländern wie Syrien, Türkei, Afghanistan oder Venezuela ist weiten Teilen der Bevölkerung die dortige Lage unbekannt und wer nicht weiß warum Menschen fliehen, kann nur schwer Empathie entwickeln. Abstrakt geführte Debatten verstärken gefühlte Wahrheiten und nützen damit den Rechtspopulismus, der konkrete interne Krisen zur Schaffung diffuser Ängste vor Schutzsuchenden ausnutzt.

Nicht einmal die Hauptherkunftsländer von Flucht schaffen es in unserer Schlagzeilen und unser Bewusststein. Betrachten wir bspw. die Lage der Türkei: Es scheint irrelevant, dass autoritäre Herrscher wie Erdogan Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in Nordsyrien und im eigenen Land führt. Gerade junge Menschen verlassen die Türkei aufgrund von wachsender Armut und einer über Jahre institutionell geförderte Einschränkung der Meinungsfreiheit. Viele oppositionelle TV-, Radio-Sender wie Zeitungen wurden in den letzten Jahren verboten. Zusätzlich ist ein „Desinformationsgesetz“ geplant, dass für Kommentare auf Social-Media bis zu drei Jahre Haft vorsieht, wenn der „innere Frieden in der Türkei“ gestört werden sollte. Weiter gab es pogromartige Ausschreitungen in verschiedenen Teilen des Landes, wo syrische Geflüchtete vertrieben werden sollten – Erdogan reagierte und kündigte die Abschiebung von einer Million Geflüchteten aus Syrien an.

Vergisst eine Gesellschaft über solche Ursachen von Flucht zu sprechen, verlieren alle Beteiligten. Natürlich zuerst die Geflüchteten, die weiterhin in fataler Willkür als homogene Gruppe betrachtet werden, als müsste deren Lebensrealität und Anspruch auf Schutz nicht individuell geprüft werden. Mit fehlender Information zur legitimen Fluch schwindet der Willen der Bevölkerung zu helfen und in der Konsequenz auch der politische Wille die Lage Schutzsuchender zu verbessern. Daran zu erinnern, dass es IMMER einen essentiellen Grund hat, warum Menschen fliehen ist trivial, scheint aber am Weltflüchtlingstag 2023 wichtiger denn je.

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  • ricardo-gomez-angel-cw_CxgiymqY-unsplash: Ricardo Gomez Angel