Sondernewsletter des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V. – Überblick zu Chemnitz

Kurzer Überblick über das Kommende… 

#c3008. Heute findet das sogenannte „Sachsengespräch“ der Landesregierung statt. Dies war so oder so für den heutigen Tag im Chemnitzer Fußballstadion anberaumt worden, nun sind die Ereignisse der vergangenen Tage das Thema. Teilnehmen wird auch Oberbürgermeistern Barbara Ludwig (SPD).  Die Nazi-Gruppierung „Pro Chemnitz“ hat für den Abend eine Kundgebung am Stadion angemeldet. Das Bündnis Chemnitz Nazifrei gibt in einem Facebook-Post an, für heute keinen Gegenprotest zu organisieren. „Nach den Signalen der sächsischen Polizei am Montag, auf Grund Unterbesetzung nicht mehr vollends in der Lage gewesen zu sein, unsere Versammlung zu schützen, möchten wir uns nicht wieder in die Situation von Montag begeben.“ schreiben sie.

#c0109. Dennoch sind am Samstag alle Antifaschist*innen dazu aufgerufen, auf die Straße in Chemnitz zu gehen, denn #wirsindmehr. Um 16 Uhr wird die Demonstration an der Johanniskirche beginnen. „Ein Zeichen für Herz setzen“ – dazu rufen die Veranstalter*innen, darunter Chemnitz Nazifrei, auf. Die AfD dagegen will einen „Trauermarsch“ veranstalten, auch „Pro Chemnitz“ mobilisiert erneut. Gemeinsame Anreise aus Dresden: Treff am Hauptbahnhof um 13.30 Uhr. Haltet euch auf dem Laufenden über weitere gemeinsame Anreisen aus Leipzig, Halle etc. Facebook-Event siehe hier.

#c0209. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Chemnitz lädt zur Kundgebung „Wir in Chemnitz“ am Sonntag ein. Treff ist 16 Uhr auf dem Neumarkt.

#0309. Am Montag werden Die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z., Kraftklub, Marteria & Casper, Nura030 (SXTN) und TRETTMANN am Karl-Marx-Monument auftreten. „Alle nach Karl-Marx-Stadt! Zusammen!“

Kurzer Überblick über das Geschehene…

Am Sonntag mobilisieren Nazis in Chemnitz. Aufgerufen hatte die Gruppe „Kaotic Chemnitz“, eine Hooligan-Gruppe des örtlichen FC. Um die 800 Menschen ziehen durch die Stadt. Anlass ist der Tod von Daniel H., der in Folge einer gewaltsamen Auseinandersetzung am frühen Sonntag Morgen auf Grund seiner Verletzungen verstarb. Zwei Menschen syrischer und irakischer Staatsbürgerschaft werden bisherverdächtigt, für den Totschlag, unter dem Straftatbestand laufen die Ermittlungen, verantwortlich zu sein. Das war Anlass genug, dass es bereits am Sonntag zu pogromartigen Hetzjagden auf alle kam, die in irgendeiner Art und Weise von Nazis als „anders“ gelabelt werden.

Am Montag dann meldet die Gruppierung „Pro Chemnitz“ an. Wie sich später herausstellt, gibt der sächsische Verfassungsschutz bereits um den Mittag an, dass mit einer „kleinen bis mittleren, vierstelligen Mobilisierungspotential“ zu rechnen sei. Dies sei der Polizei in Chemnitz so kommuniziert worden, so Gordian Meyer-Plath, Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz im Interview mit dem MDR Sachsen Spiegel. Laut Sächsischer Zeitung waren am Ende jedoch nur 591 Beamt*innen unterwegs. Laut Beobachter*innen, Journalist*innen und Demonstrant*innen zu wenig, um die Gegendemonstration abzusichern. Den 6.000 Nazis standen 1.500 Menschen gegenüber. Von Panik und einem Gefühl der massiven Unsicherheit berichten Teilnehmer*innen.

Dienstag wollten Nazis vorm Landtag mobilisieren. Etwa 50 bis 60 Faschist*innen sehen sich mit an die 200 Gegendemonstrant*innen konfrontiert.

Gute Netzwerke zu Nazis gibt es in sächsischen Sicherheitsbehörden. So weit, so bekannt. Unter anderen Lutz Bachmann veröffentlichten nun einen mutmaßlichen Haftbefehl gegen einen der Tatverdächtigen, gegen den wegen Totschlags ermitelt wird. Wie das sein kann, das versteht auch der kleine Koalitionspartner, die SPD nicht. Artikel der Frankfurter Rundschau.

Reaktionen. 

Am Mittwoch traten wir mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur*innen auf der Landespressekonferenz auf. Thomas Hoffmann vom SFR, André Löscher von der RAA Opferberatung in Chemnitz, Emiliano Chaimite vom Dachverband Sächsischer Migrantenorganisationen, Michael Hiller vom Deutschen Journalisten – Verband, Rita Kunert von Herz statt Hetze und Lennart Happe von der Seebrücke Dresden berichteten aus unterschiedlichen Perspektiven über das, was in Sachsen Alltag ist: Rassismus. In der Mitte der Gesellschaft. „Mein Leben ist durchzogen von Rassismuserfahrungen. Ministerpräsident Kretschmer sagte ich, dass Rassismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Er verneinte das.“ sagte Chaimite. (Kurze Wiedergabe der Statements hier auf der Website des SFR beziehungsweise hier auf Twitter. Ausführliche Zusammenfassung von MDR Sachsen hier. Hier die Berichterstattung der taz.

Weil wir die Sicherheit aller Besucher*innen nicht mehr garantieren können, haben wir unser für Samstag geplantes SommerTraum Open Air in Chemnitz abgesagt. Ausführliche Begründung hier. Dafür auf zur antifaschistischen Demo!

Der Bund Deutscher Kriminalpolizist*innen weist derweil darauf hin, dass Rechtsradikalismus und Antisemitismus immer mehr Nährboden in der Gesellschaft finden würden. Dadurch werden Straftaten gerechtfertigt. „Knallhartes, rechtsstaatliches Vorgehen gegen rechte Kriminelle ist dabei ebenso Pflichtprogramm wie Prävention in einer völlig neuen Dimension“ so der Vize des Verbands. Berichterstattung des MDR

Kulturschaffende in Chemnitz weisen gegenüber dem MDR darauf hin, dass das Image der Stadt nun das geringste Problem sei. Der Rechtsradikalismus müsse angegangen werden. „Das ist der entscheidende Punkt“ sagt Mathias Lindner, Chef der Neuen Sächsischen Galerie. Der Generalintendant der Theater Chemnitz streicht heraus, dass selbstverständlich gegen Nazis protestiert werden müsse.

Irgendwie anders schätzt der sächsische Ministerpräsident die Lage und ihre Ursachen ein. Entschlossen hätten die Sicherheitskräfte gehandelt, genug Polizist*innen seien vorhanden gewesen, sagt er im Interview mit den tagesthemen. Ingo Zamperoni zitiert den stellvertretenden Ministerpräsidenten Sachsens, Martin Dulig, dass rechte Tendenzen über Jahre verharmlost worden seien. Die Antwort von  Michael Kretschmer: „Wir sollten uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen.“ Später, in der Pressekonferenz mit Vertretern der Sicherheitsbehörden will er „Straftäter auf allen Seiten […] dingfest“ machen. Kommentar dazu von Sascha Lobo auf SPON

Erste Analysen…

…gibt es bei Radio Corax zu hören. Im Interview berichten Jule Nagel, MdL, Die Linke und David Begrich, Miteinander e.V.m von dem, was sie erlebt haben. Sie geben darüber hinaus, anders als der Mensch im höchsten politischen Amt Sachsens, erste Ansatzpunkte, das Geschehene zu verstehen. Hörenswert!

Wer am  Montag eigentlich mitmarschierte, dazu kann Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen im gestrigen Beitrag von MDR exakt was sagen. „Im bundesdeutschen Vergleich ist es ein fast einzigartiger Umstand, dass in solcher Kontinuität Netzwerke wirken. In Chemnitz ist es im Besonderen so, dass stark militante Netzwerke über lange Zeit wirken.“

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