SFR Newsletter 20/2019

30. August 1983. Aus dem sechsten Stock des Verwaltungsgerichts Berlin stürzt sich Cemal Kemal Altun. Zuvor saß er 13 Monate in Abschiebehaft. Er ist 23 Jahre alt und will nicht in die Türkei abgeschoben werden. Um jeden Preis.

30. August 1994. Kola Bankole erstickt in einer Lufthansa-Maschine, in der er abgeschoben wurde. Der Bundesgrenzschutz hatte ihn geknebelt.

30. August 2000. Aus dem sechsten Stock des Krankenhauses Köpenick seilt sich Altankhou Dagwasoundels mit zusammengeknoteten Bettlaken ab. Nach vier Wochen Abschiebehaft war er in das Krankenhaus eingeliefert worden. Er stürzt in die Tiefe und verstirbt.

Cemal Kemal Altun, Kola Bankole, Altankhou Dagwasoundels und all die anderen, die durch Abschiebungen und Abschiebehaft in den Tod getrieben wurden – never forget!

Und genau deswegen:

#1wahlrechtfueralle. Am Sonntag heißt es wählen. Geflüchtete kamen im Zuge unserer Kampagne zu Wort, die das Wahlrecht am Sonntag nicht ausüben werden können. Schließen wollen wir die Kampagne mit den Worten von Sumaia Daghestani. Sie antwortete auf die Frage, welche Erwartungen sie an den 1. September habe: „Das die AfD nicht an die Macht kommt. Weil sie manchmal… nicht manchmal. Ihre Gesetze sind rassistisch gegen Flüchtlinge. Und das wollen wir nicht!“

Kirchenasyl. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hat Bundesinnenminister Horst Seehofer in einem Offenen Brief dazu aufgefordert, „die humanitäre Praxis des Kirchenasyls zu respektieren und zu einer lösungsorientierten Haltung zurückzukehren.“ Dietlind Jochims, Pastorin und Vorsitzende der BAG: „Positive Voten aus dem BAMF gibt es so gut wie gar nicht mehr. Dies liegt unserer Beobachtung nach an einseitig veränderten Kriterien des BAMF, nicht an den geschilderten Härten: Selbst hoch suizidale Menschen, Opfer von Menschenhandel oder demente Senioren mit nahen Angehörigen in Deutschland werden nicht mehr als besondere Härtefälle anerkannt. Die Begründungen sorgen bei Gemeinden, den Kirchen, Fachärzten für Unverständnis.“ Der Offene Brief hier.

Abschiebung I – Zielland Afghanistan. Drei Menschen aus Sachsen waren es am 27. August, von Frankfurt am Main in den Krieg nach Afghanistan abgeschoben wurden. Je eine Person wurde aus den Städten Dresden und Leipzig abgeschoben, eine Person kam aus dem Vogtlandkreis. Das teilte die Landesdirektion auf Anfrage des SFR mit. Insgesamt sind es nun 26 Menschen, die Sachsen seit Oktober 2017 in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben hat.

Abschiebung II – Zielland Italien. Erneut wird eine Familie getrennt, diesmal im Landkreis Görlitz. Behörden könnten stoppen, doch setzen darauf, Artikel 6 Grundgesetz zu verletzen. Sie nehmen in Kauf, dass ein Vater auf lange Sicht nicht bei seiner neugeborenen Tochter wird leben können. Denn das Verwaltungsgericht Leipzig entschied, dass die Abschiebung von Mutter und Tochter nach Italien ausgesetzt wird. „Es ist vollkommen offen, wie das Verwaltungsgericht über die eigentliche Klage entscheiden wird und Deutschland nicht für das Asylverfahren zuständig wird.“ erklärt Eichler. Mit der Abschiebung des Vaters versuchen die Behörden, die Familie unter Druck zu setzen, doch endlich nach Italien auszureisen. Eichler: „„So kann man gerichtliche Entscheidungen auch versuchen, außer Kraft zu setzen.“ In Leipzig wiederum erhob ein Geflüchteter massive Vorwürfe gegen die Polizei. Er sei misshandelt und gegen seinen Willen betäubt worden, am Morgen des 27. August wachte er im St. Georg Krankenhaus in Leipzig auf. Er wurde nicht abgeschoben. Unsere PM zu beiden Fällen hier, Berichterstattung von kreuzer und Vice zum Leipziger Fall, Kleine Anfrage von Juliane Nagel, MdL.

The BAMF – a never ending story of ignorance and failure… Wie der RosaLinde Leipzig e.V. in einer PM vom 20. August berichtet, hat ein schwuler Mann aus Nigeria einen ablehnenden Bescheid des BAMF erhalten. In Nigeria hatte er seinen Partner verloren. Er verstarb an den Verletzungen, die beiden bei einem gewaltvollen Angriff zugefügt wurden. Daraufhin floh der heute in Deutschland lebende Mann, nicht zuletzt wegen des Haftbefehls, der wegen seiner Homosexualität ausgestellt wurde und wegen der Familie des Partners, die ihn inzwischen suchte, um den Tod ihres Angehörigen zu rächen. Auf seiner Flucht erreichte er in Europa erstmals Italien, auch dort erlebte er verbale und körperliche Gewalt. Der Vorwurf des BAMF lautet nun, dass er in Italien die Möglichkeit gehabt hätte, über seine sexuelle Orientierung zu sprechen. Da er dies nicht getan habe, müsse er sich „grobes Eigenverschulden des Nichtvorbringens […] vorwerfen lassen“, die geschilderten Befürchtungen seien nicht nachzuvollziehen. Eine Begründung lieferte das BAMF dafür nicht, so der RosaLinde e.V. Der Mann legte gemeinsam mit dem RosaLinde e.V. Klage ein und prüft eine Beschwerde gegen das BAMF. Die gesamte PM hier.

…and the judges are not amused. Und es sind genau solche unnötigen Klagen gegen komplett unnötige BAMF-Begründungen, die Verwaltungsrichter*innen frustieren. Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts hat gegenüber MDR aktuell Dampf abgelassen. Wir teilen die Frustration, alle seine Aussagen allerdings nicht. „Eine wichtige Kontrollfunktion“ üben die Verwaltungsgerichte aus, so Mark Gärtner vom SFR. Der Beitrag von heute in der MDR Mediathek.

 

Termine

Am 06. September laden die Landesärztekammer, die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. und wir zum gemeinsamen Fachtag „Hilfe ohne Wenn und Aber! Psychosoziale, medizinische und rechtliche Betreuung von Geflüchteten und Migrant*innen“. Ein spannendes Programm erwartet euch in den Räumen der Landesärztekammer auf der Schützenhöhe 16 in Dresden. Den gesamten Flyer mit Anmeldemöglichkeiten findet ihr hier.

Am 07. September startet unser Sommerfest in Chemnitz, welches wir mit dem Haus Arthur veranstalten! Letztes Jahr wegen Mob und Hetzjagden abgesagt, starten wir diesmal voll durch und zwar mit der Selam Band, – Geflüchtete aus Eritrea legen los – und SKRAB – unserem locker-lässigen ehemaligen Mitarbeiter, den wir an den Rap verloren haben. Es gibt äthiopischen Kaffee, Beatboxing, einen Zauberer für die Kleinen und vieles mehr. Bleibt informiert zum Programm, unter anderem in unserem FB-Event. Ab 15 Uhr freuen wir uns auf euch im Haus Arthur.

Erfolgreich zu einer Veranstaltung symbiosiert haben sich der Ausländerrat Dresden e.V., der BumF  – Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. und wir, der SFR. Am 09. September heißt es in den Räumen des Ausländerrats auf der Heinrich-Zille-Straße 6 in Dresden: „Alles neu?! Aktuelle Gesetzesänderungen und ihre Folgen. Asylantragstellung, Ausbildungsduldung, Niederlassungserlaubnis, Widerrufsverfahren“. Der Rechtsanwalt Dr. Stephan Hocks wird von 9 bis 17.30 Uhr umfassend zu Ausbildungsduldung, Asylantragstellung und weiterem informieren. Anmeldung auf der Website des BumF.

Mehrere Wohlfahrtsverbände laden zum verbandsübergreifenden Asylverfahrensworkshop vom 09. bis 10. September in Göttingen. Zielgruppe sind Menschen, die sich in der Beratung bereits auskennen. Schwerpunkt sind die neuerlichen Asylrechtsverschärfungen. Anmeldefrist ist der 16. August. Alle Infos hier.

Am 11. September lädt die Aktion Zivilcourage e.V. zum Fachtag „Starke Frauen – Frauen stärken“. Schwerpunkt ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für geflüchtete Frauen und Migrant*innen. Alle Infos und Anmeldung hier.

Mit Haltung in der Sozialen Arbeit vor aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen beschäftigt sich auch das Institut für Sozialpädagogik an der TU Dresden.Welche Probleme sind in einer Zeit der Prekarisierung der Lebenswege sowie neuer antidemokratischer und demokratischer sozialer Bewegungen für Praxis und Theorie relevant und bedenkenswert? Braucht Soziale Arbeit politische Haltungen? Und: Wie reagiert Soziale Arbeit auf politische Haltungen? Das sind die Fragen der Auftaktveranstaltung am 10. Oktober. Anmeldung bis 30. September per Mail an arbeitsbuendnis@mailbox.tu-dresden.de

Klasse Forschung wird an der TU Chemnitz zu Flucht und Asyl, unter anderem am Lehrstuhl für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung von Prof. Dr. Birgit Glorius betrieben. Vom 01. bis 02. Oktober wird die Uni Chemnitz in Kooperation mit den Universitäten Sussex, Amsterdam, Luxemburg und weiteren Forschungsinstituten ihre internationale Konferenz zum Titel „Refuge Europe – A Question of Solidarity?“ abhalten. Ein spannendes Programm zu einer der wichtigsten Fragen unserer Zeit. Anmeldung und weitere Infos hier.

Die Gemeinnützige Gesellschaft für die Unterstützung Asylsuchender (GGUA) ist ein klasse Verein mit wahnsinniger Rechtsexpertise und er sitzt im schönen Münster. Dort arbeitet auch Kirsten Eichler, die am 10. Oktober in Dresden beim Parititäischen Wohlfahrtsverband Sachsen verweilen und zu den „Aktuellen Änderungen des Aufenthaltsrechts“, insbesondere über Duldungen, referieren wird. „Neue“ Ausbildungsduldung, Beschäftigungsduldung, die schreckliche Duldung light – es gibt Weiterbildungsbedarf. Maximale Empfehlung! Am Brauhaus 8, 01099 Dresden, 9.30-16 Uhr. Anmeldung hier.

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