SFR Newsletter 24/2020

Heute noch fix zu Hilde Resists! Vor einem Jahr wurde ein Mensch auf der Leipziger Hildegardstraße seiner Familie entrissen und abgeschoben, 500 Menschen standen dagegen. Dazu gibt es heut 16 Uhr „analytics, networking, exhibition“ im Rabet.

Nazis und Behörden. Am 24. Juni wird am Lindenauer Markt in Leipzig ein Mensch syrischer Staatsbürgerschaft von vier Personen zusammengeschlagen, sie schrien dabei rassistische Parolen. Drei der vier werden festgenommen. Ein zehnjähriges Kind afghanischer Staatsbürgerschaft wird am 03. Juli mit einem Druckluftgewehr auf dem Chemnitzer Sonnenberg beschossen. Der*die Tatverdächtige wird gesucht, die Polizei mutmaßt ein rassistisches Motiv. Schon am 21. Februar wird bei einem Döner-Imbiss und einer Shisha-Bar Feuer in Döbeln gelegt, auch hier werden rassistische Motive vermutet. Am 23. Juni durchsucht die „Soko Rex“ die Wohnung eines Tatverdächtigen in Döbeln.

Allein die drei Angriffe zeigen: es besteht Handlungsbedarf in Sachsen. Rassist*innen nehmen sich Raum und attackieren Menschen, die sie als vermeintlich „fremd“ markieren. Das sind keine Einzelfälle, dahinter stecken System und Unterstützer*innenstrukturen.

Was in sächsischen und kommunalen Behörden, Regierungsämtern, Institutionen dagegen passiert: Verharmlosung, wohlmeinendes Schweigen, wenn nicht aktive Beförderung.

Erstens: in einer umfassenden Recherche legt die Sächsische Zeitung die Hintergründe um den Leitungswechsel beim sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz offen. Auf Veranlassung von Innenminister Roland Wöller geht Gordian Meyer-Plath, es kommt Dirk-Martin Christian. Christian war zuvor Referatsleiter im Innenministerium, zuständig für die Fachaufsicht über den Verfassungsschutz. In dieser Funktion soll er Meyer-Plath unter Druck gesetzt haben, die Daten von AfD-Abgeordneten zu löschen. Meyer-Plath schafft es nicht, genau zu begründen, warum gerade bei der AfD eine Überwachung der Abgeordneten notwendig wäre. Trotz des Rückhalts durch das gemeinsame, bundesweite Vorgehen. Christian ordnete nun im neuen Amt umgehend die Löschung der Daten an, anstatt Meyer-Plaths Job zu vollenden. Sachsen geht damit einen Sonderweg. Und das nicht erst seit heute. Allein, dass das Pegida-Umfeld nie beobachtet wurde, geht auf Christian zurück. Unabhängig von der Frage, ob es Behörden mit derart langer Versagensgeschichte überhaupt noch braucht, offenbart diese Geschichte doch, auf welchem Auge Innenminister Wöller wirklich blind sein will.

Zweitens: die B96 wird zum Auflaufort von Faschist*innen. Die ihnen üblichen Symbole und Fahnen werden dann sonntags dort geschwenkt. Der Oberbürgermeister von Bautzen, Alexander Ahrens, hingegen, verharmlost die Demonstrationen und damit die Angriffe auf Menschen in seiner Stadt und im Landkreis, die die faschistischen Umtriebe und Strukturenbildung dokumentieren und sich ihnen entgegenstellen (Tagesspiegel). Wohlgemerkt, Bautzen ist die Stadt, in der es 2016, zwei Jahre vor Chemnitz, schon zu Hetzjagden kam. Aber Ahrens – gesprächsbereit bis zur Selbstaufgabe.

Drittens: Siegfried Reiprich ist Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Auf Twitter stellte er eine Gemeinsamkeit zwischen den Ausschreitungen in Stuttgart und der Reichspogromnacht her, also Unsinn und in seiner Position nicht akzeptabel. Die Stiftung wiederum wird institutionell vom Freistaat gefördert, im Stiftungsrat sitzen einige Regierungsvertreter*innen. Passiert ist nix, außer dass Reiprich sich entschuldigte, um dann zugleich ein Skandalierungsbedürfnis zu beklagen (SPON).

Und zum Abschluss nochmal viertens, ein Punkt, bei dem das Lachen im Halse steckenbleibt: nachdem Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Studie zu Racial Profiling absagte (mit der für einen Sicherheitschef einmaligen Begründung: „Racial Profiling gibt’s nicht, weil, ist ja verboten.“), hat der Deutschlandfunk mal bei den Innenministerien der Ländern herumgefragt, was sie von so einer Studie halten würden. Sachsen, ohne Mist: „Rassistisch profilierte Personenkontrollen finden bei der sächsischen Polizei nicht statt.“ Wow. Tausende demonstrieren auch in Sachsen zu #BlackLivesMatter, es gab in den vergangenen Wochen zahlreiche Berichte, zu was Polizei fähig ist, und das wird einfach wegignoriert…

Dass Racial Profiling von Regierungen und Polizei, insbesondere bei der Ermittlung von Rauschgiftkriminalität, gewollt ist, das legt der Journalist Tobias Wilke in einer umfassenden Recherche beim Volksverpetzer dar. Die Zahlen sprechen hier nicht für das Vorgehen der Polizei. Wilke legt dar: in der bundesweiten, Polizeilichen Kriminalstatistik 2019 finden sich unter allen Tatverdächtigen im Bereich Rauschgiftkriminalität lediglich 1,2 Prozent mit einer von 54 (!) Staatsbürgerschaften des afrikanischen Kontinents. Ein langer, aber für das Wochenende sicher schaffbarer Artikel, der einiges offenbart und mit Empfehlungen schließt, wie Racial Profiling vorgebeugt werden kann.

In dem Zusammenhang eine weitere, spannende Recherche von Wilke: Gewalt gegen Polizist*innen, gerade ja auch gern diskutiert. Die Gewalttaten seien im Vergleich von 2018 zu 2019 um 8,6 Prozent gestiegen, so eine vielzitierte Pressemeldung der Polizei. Wilke spricht im Interview mit dem Linksdrehenden Radio vom 26. Juni von einem Fehler. Die Polizei habe lediglich zwei Straftaten betrachtet, Widerstand und tätlicher Angriff. Weitere Straftaten, auch schwerere Delikte, wurden gar nicht gefasst. Nur, da sanken die Zahlen zumeist. Ein Fehler – bewusst oder unbewusst? Darauf mag Wilke sich nicht festlegen, appelliert aber an die Presse, Polizeimeldungen immer kritisch zu hinterfragen, vor allem, wenn sie sich als Opfer darstellt. Auch länger, das Interview, aber lohnt!

Es bleibt zu schlussfolgern: Kritik, Demonstration, Empowerment,  Antifaschismus – für all das gibt es in all seinen Facetten genug zu tun in Sachsen.

P.S.: Punkt 5 passt jetzt nicht in dem Zusammenhang, aber hey, better safe than sorry: immer ein wachsames Auge aufs Fahrrad, wenn die Polizei vorbeifährt 😉

Demo – Initiative Familiennachzug Eritrea. Für morgen, um 11 Uhr, rufen Menschen eritreischer Staatsbürgerschaft zur Demo auf. Anlass ist die gängige Praxis, dass sie von deutschen Behörden aufgefordert werden, ihren Verfolgerstaat zu kontaktieren und Dokumente von ihm zu besorgen und die Diktatur auch noch finanziell zu unterstützen. Wer da ist, Start ist Tränenpalast! Mehr Infos.

Abschiebungen aus Sachsen… beginnen wieder. Am Mittwoch wurden bis zu 50 Personen nach Georgien abgeschoben, 14 Menschen kamen aus Sachsen, 28 aus dem Bundesgebiet, auch Island und Schweden beteiligten sich. Das Ganze soll „mit Mindestabstand“ erfolgt sein. Abschiebungen bedeuten so schon zumeist eine Rückführung ins Nichts. In Pandemiezeiten potenziert sich die Katastrophe, vor der Einzelne dann stehen. Es ist daneben.

Volljährig und dennoch Schulabschluss? Es sind fünf volljährige und geflüchtete Menschen, die ihren Schulabschluss in Moritzburg in diesem Jahr erfolgreich nachholen konnten. Diese Zahl kann gesteigert werden! Das beherzte Vorangehen der Produktionsschule – die mit dem SFR kooperiert – muss seine Verstetigung in ganz Sachsen finden. Wichtig dabei: der Schutz vor Abschiebung muss für die Zeit der nachholenden Schulbildung gewährt sein. So können drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Geflüchtete gehen besser vorbereitet in die Ausbildung und tendenziell nicht mehr, wie es häufig passiert, zu früh, das Teilnahmeinteresse würde steigen und, der sächsische Ausbildungsmarkt hätte ein nachhaltiges Instrument, um Menschen mit Fluchtbiographie, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, zu gewinnen. Unsere PM von Mittwoch.

Fluchtbewegung aus Venezuela. Im Jahr 2019 wurden 759 geflüchtete Menschen venezoelanischer Staatsbürgerschaft, die um Schutz in der Bundesrepublik suchen, in Sachsen an. Bis zum Stichtag 17. Juni 2020 folgten 352 Personen in diesem Jahr. Das zeigt die Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage von Jule Nagel (Drs. 7/2468). Zunächst interessant: mit 8,3 Prozent lag die Quote derer mit anerkanntem Asyl nach Art. 16a Grundgesetz sehr hoch. Das war nach dem Asylkompromiss von 1992/93 eigentlich nicht mehr vorgesehen, da die Verantwortung für Asylverfahren auf die europäischen Länder an den Außengrenzen abgeschoben wurde. Jedoch, die Einreise bei Menschen venezoelanischer Staatsbürgerschaft erfolgt oft.

Desaströses offenbart sich allerdings auch hier wieder bei der Arbeit des BAMF: von 624 entschiedenen Asylanträgen wurden 380 abgelehnt, also 60,9 Prozent. Wie bei so vielen Menschen einer bestimmten Staatsbürgerschaft muss auch hier die Verwaltungsgerichtsbarkeit wieder korrigierend eingreifen und die Fehler des BAMF ausmerzen. Von 96 an den drei sächsischen Verwaltungsgerichten erledigten Verfahren wurden 39 zu Gunsten der geflüchteten Menschen stattgegeben, also ganze 40,6 Prozent. In 30 Prozent der Fälle gab es eine teilweise Stattgabe beziehungsweise Ablehnung von Klagen oder Anträgen. Mit Blick auf die Arbeit des BAMF meint unser primärer Berater für Geflüchtete venezoelanischer Staatsbürgerschaft, Sebastian Lupke: „Bei so einer Fehlerquote würde sonst eigentlich jede*r vor die Tür gesetzt werden.“

Solidarität muss praktisch werden! Zum Beispiel über das Bürger*innenasyl. Erstmals soll ein Aktivist, der dafür eintritt, sich dafür vor einem Gericht in Bayern beantworten. Wie zahlreiche andere Landesflüchtlingsräte auch erklären wir uns mit ihm solidarisch.

TERMINE

Am 18. Juli laden die djo – Deutsche Jugend in Europa und das Educat Kollektiv zur Spurensuche in die Sächsische Schweiz. „Die Wanderung führt uns durch eine der schönsten Landschaften Deutschlands und zugleich an Orte, denen man ihre grausame nationalsozialistische Vergangenheit nicht ansieht. Wir werden aber auch Geschichten des Widerstands hören, die uns Mut geben unsere Zukunft zu gestalten. Unsere Spurensuche soll diese und unsere Geschichten sichtbar machen.“ schreiben die Veranstalterinnen. Start ist am Bahnhof Rathen. Mehr Infos beim Facebook-Event hier.

Am 02. August geht es dann in einem ähnlichen Format weiter, diesmal jedoch in Leipzig. Gegenstand der Erkundungstour ist die Geschichte der Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. Mehr Infos hier.

Vom 04. bis 09. Oktober werden Geschichten und Realitäten von Sint*ezze und Rom*nja im Rahmen von Konzerte, Lesungen, Führeungen, Filmen und bei einem Fachtag erzählt. Kaum jemand kann Persönlichkeiten der Minderheit nennen. Auch die Verfolgung und Vernichtung während des Nationalsozialismus ist nahezu unbekannt. Ein in der europäischen Kulturgeschichte gängiges Motiv ist die stereotype Darstellung von Rom*nja und Sinti*zze in bettelnden oder kriminellen Großfamilien bzw. Clans. Dagegen sprechen Persönlichkeiten der Minderheit und erzählen Geschichte(n) erzählen. Vollendet wird die Veranstaltungsreihe von weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen mit einem Fachtag am 08. und 09. Oktober. Alle Infos und Programm hier.

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