Newsletter 04/22: Entwurf der Ampel zum Chancen-Aufenthalt | Dresden: Turnhallen zur Unterbringung | Mehr Abschiebungen in die Türkei | Demo in Leipzig: Gleiche Rechte für alle Geflüchteten

Weg aus der Duldung: Ampel veröffentlicht Entwurf zum Chancen-Aufenthaltsrecht

Die Bundesregierung hat am 06. Juli einen Gesetzesentwurf veröffentlicht, der Menschen mit Duldung eine aufenthaltsrechtliche Perspektive verspricht. Geduldete, die sich seit fünf Jahren in der Bundesrepublik aufhalten, Deutsch sprechen und straffrei blieben, haben die Möglichkeit auf einen Aufenthaltstitel. Dieser wird zunächst für zwölf Monate ausgestellt und kann verlängert werden. Dafür müssen die Betroffenen eine Arbeit finden, die sie unabhängig von Sozialleistungen macht und bei der Identitätsklärung mitwirken. So soll ein Instrument geschaffen werden, um endlich den Kreislauf der Kettenduldungen zu brechen.

Kritik: Auf den zweiten Blick schränken die Voraussetzungen für das Chancen-Aufenthaltsrecht erneut zahlreiche Menschen ein. Der Flüchtlingsrat Bayern kritisiert bspw., dass Menschen ohne Duldung (mit Grenzübertrittsbescheinigungen oder Fantasiepapieren) keinen Zugang zum Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten. Außerdem wird Menschen bereits der Aufenthalt versagt, die Geldstrafen über 50 Tagessätzen in Strafverfahren erhalten haben. Somit sind viele Menschen ausgeschlossen, die z.B. wegen wiederholtem Fahren ohne Ticket, illegaler Einreise o.ä. verurteilt wurden.

Um Geduldete vor Abschiebung zu schützen, die vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren könnten, haben zahlreiche Bundesländer[1] bereits entsprechende Maßnahmen erklärt. In Sachsen werden dagegen Forderungen nach einer Vorgriffsregelung weiterhin vom Innenministerium blockiert.

Gesellschaft für Psychiatrie fordert Gleichbehandlung von Geflüchteten (Download Stellungnahme)

Aufenthalt, Unterbringung und Leistungsbezug: Ukrainer*innen haben andere rechtliche Ansprüche als Personen im Asylverfahren und Geduldete. Die Gräben zwischen den Klassen von Geflüchteten sind nicht zu übersehen. In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie befürwortet diese die gesetzlichen Grundlagen für Flüchtende aus der Ukraine, aber ermahnt gleichzeitig politisch Verantwortliche, dass ebendiese Voraussetzungen auch für andere Gruppen Schutzsuchender überfällig sind. Der Verein erinnert daran, dass Menschen mit Trauma-Erfahrungen (egal welcher Nation) dringend psychosoziale Beratung ermöglicht werden muss.

Dies ist notwendig: denn die drei Hauptherkunftsländer von Geflüchteten in Deutschland bis Juni 2022 waren erneut Syrien, Afghanistan und Irak. Länder, die sich durch jahrelangen Krieg und ökonomischen Niedergang im Dauerkrisenmodus befinden. In Afghanistan ist bspw. mit ca. 20 Millionen Menschen fast die Hälfte der Bevölkerung von Hunger bedroht, in Syrien sind es über 12 Millionen. Wer heute aus diesen Ländern flieht, tut dies nicht nur aufgrund akuter Gefahr für Leib und Leben, sondern auch aus der Erfahrung, dass keine strukturelle Verbesserung in den Ländern geschaffen werden konnten. In der Stellungnahme wird festgestellt, dass häufig das mediale und gesellschaftliche Bewusstsein für andere Konfliktlagen wie im Yemen, Äthiopien oder den oben genannten Staaten fehlt.

Grundrechte in Erstaufnahmeeinrichtungen: Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt veröffentlicht Info-Broschüre (Download)

Besuchsverbote, Zimmerkontrollen oder Sanktionierungen von Bewohner*innen: täglich ereignen sich zahlreiche Grundrechtseingriffe in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Doch welche davon sind eventuell rechtswidrig? Genau diese Informationen bleiben Betroffenen meist unbekannt, einfach weil der Zugang fehlt. Dem wirkt eine aktuelle Broschüre des Flüchtlingsrates Sachsen-Anhalts entgegen, die die rechtliche Grundlage in Erstaufnahmeeinrichtungen mehrsprachig zusammenfasst. Die Informationen sind auf Deutsch, Englisch, Arabisch, Farsi, Französisch und Russisch verfügbar.

Pro Asyl und Landesflüchtlingsräte verurteilen Ereignisse in Melilla

Mit einer gemeinsamen Pressemitteilung wurden die Ereignisse an der spanischen Enklave als Zäsur exzessiver, tödlicher Gewaltausübung der EU gegenüber Geflüchteten an den Außengrenzen markiert. Als am 24. Juni marrokanische Grenzkräfte auf schwerverletzte Flüchtende einprügelten wurde erneut deutlich: die Militarisierung an den EU-Außengrenzen ist tödlich! Sicherheitskräfte Spaniens betrieben illegale Push-Backs von Schwerverletzten. Als Resultat der Tragödie stehen mindestens 27 Verstorbene, die in Massengräbern verscharrt wurden, und noch mehr schwerverletzte Menschen. Nun drohen Beteiligten aus dem Sudan und dem Tschad in Marokko Haftstrafen, wegen des Versuches die Grenze zu überwinden – der Prozess dazu hat bereits begonnen.

Drei Stimmen aus der Presse

1.) Trotz Kritik: Zahl der Abschiebungen in die Türkei steigt (WAZ)

Ob Minderheit oder politische Opposition, die politischen Repressionen in der Türkei nehmen zu. Dies bekamen auch queere Menschen zu spüren, als Ende Juni über 370 Personen nach einer Demonstration für mehr Rechte von LGBTQI+ verhaftet wurden. Aus „Sicherheitsgründen“ hatten Behörden diese zuvor verboten. Kein Novum stellt der Artikel fest, denn seit 2015 wurde keine Demonstration der queeren Szene mehr im Land genehmigt.

Willkürliche Inhaftierungen und Schauprozesse gegenüber Journalist*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen bestimmen den Alltag. Die Opposition des Erdogan-Regimes, insbesondere vermeintliche Gülen-Anhänger*innen oder die kurdische Bevölkerung, werden mundtot gemacht. Diese Diktatur verharmlosend wächst die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland in die Türkei. So wurden zwischen Januar und Mai diesen Jahres 204 Menschen nach Istanbul abgeschoben. Mit der sinkenden Kritik der Bundespolitik an der türkischen Regierung, fielen auch die Anerkennungsquoten im Asylverfahren. So ist die bereinigte Schutzquote von Asylsuchenden aus der Türkei kontinuierlich gesunken: Im 1. Quartal 2022 war diese bei 39,9 % (BT-Drs. 20/2309), während sie im Jahr 2019 noch bei 58,2 % lag.

Info: In 2021 wurden insgesamt 5.484 Personen abgeschoben, die Kosten dafür betrugen ca. 22 Millionen Euro. Aktuelle Recherchen eines Kollektivs enttarnen die Airlines, die im vergangenen Jahr von den Abschiebungen profitierten: https://deportationalarm.com/

2.) Dresden: Erneut müssen Geflüchtete in einer Turnhalle leben (Sächsische Zeitung)

Fast 10.000 Menschen aus der Ukraine sind im ersten Halbjahr diesen Jahres in der Landeshauptstadt angekommen. Die Unterbringung ist eine logistische Herausforderung für die Kommunen Sachsens, die mit solch einer Anzahl von Menschen in einigen Teilen überfordert sind. Doch Olga Sperling vom Ausländerrat kritisiert: „Wir nehmen die Bemühungen der Stadt wahr, alle Geflüchteten geeignet unterzubringen. Sie aber in Turnhallen einzuquartieren, muss schnell enden, denn dort fehlt vieles von dem, was etwa laut UN-Sozialpakt für eine menschenwürdige Unterbringung notwendig ist […]“.

Denn: Enorme Lautstärke, fehlende Privatsphäre und keinerlei Schutzräume sind das Gegenteil einer geeigneten Unterbringung. Gerade wenn erneut Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Libyen betroffen sind, die durch Kriegserfahrungen traumatisiert sein könnten. Dabei hat die Stadt bereits am 19.05. einen Aufnahmestopp für Geflüchtete erklärt. Während aktuell kaum noch Ukrainer*innen in Dresden ankommen, müssen Schutzsuchende erneut in einer Turnhalle wohnen. Wenn jedoch keine würdige Unterbringung organisiert werden kann, sollten die Menschen in Kommunen verteilt werden, die dies garantieren können. Denn die aktuelle Zahl von ca. einhundert Schutzsuchenden pro Tag, die in ganz Sachsen ankommen, erlaubt keine improvisierten Unterkünfte wie im Jahr 2015. Es wird deutlich: in Sachsen existiert noch immer kein langfristiger Plan wie Geflüchtete untergebracht werden.

3. Resettlement: Aufnahmeprogramme alleine reichen nicht (Mediendienst Integration)

Laut UNHCR sind ca. zwei Millionen Schutzsuchende so gefährdet, dass diese im nächsten Jahr in Aufnahmeprogrammen in sichere Länder transferiert werden sollen. Expert*innen befürchten jedoch, dass die aktuellen Mechanismen dafür nicht ausreichen werden. So wurden im Jahr 2019 lediglich 63.200 Menschen offiziell überstellt und pandemie-bedingt im Jahr 2021 sogar weniger als 40.000. Deutschland nahm im letzten Jahr davon ca. 5.400 Personen auf.

Der Text zeigt auch Kritik an politischen Plänen, die über Resettlement-Konzepte das Asylsystem zu ersetzen. Migrationsexpertin Pauline Endres de Oliveira weiß, dass dieses nur ergänzen kann und sagt: „Es wäre ein Fehlschluss zu denken, dass solche Aufnahmeprogramme dafür sorgen werden, dass gar keine Geflüchteten mehr irregulär nach Europa kommen werden, um Asyl zu beantragen.“ Schließlich sind aktuell ungefähr 100 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – durch das bürokratische Nadelöhr dieser Programme wird es nur ein Bruchteil schaffen.

Veranstaltungen

Demonstration: Keine Diskriminierung unter Geflüchteten | 31. Juli um 13 Uhr | Hauptbahnhof Leipzig

Geflüchtete aus der Ukraine erhalten über die Massenzustromrichtline Aufenthalt – ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Sie haben auch zahlreiche Erleichterungen was Zugang zu Arbeit und Bildung betrifft. Genau diese schnellen Zugänge wünschen sich auch andere Geflüchtete, die zum Teil Jahre ohne Entscheidung zu ihrem Aufenthalt ausharren müssen. Jetzt wäre die Zeit die Zwei-Klassen unter Geflüchteten zu beenden und Allen gleiche Rechte zukommen zu lassen. Um sich für diese Angleichung einzusetzen, organisiert eine Gruppe Geflüchteter in Leipzig eine Demonstration. Ganz gezielt grenzt sich die Orga-Gruppe von Spaltung unter Geflüchteten ab und möchte keineswegs das Leid der Ukrainer*innen negieren.

Schulung für Geflüchtete vom Projekt QuBe³: Werde Wegweiser*in |
11. August von 18 bis 20 Uhr | online

Ist das Asylverfahren positiv verlaufen, erhält man eine Aufenthaltserlaubnis. Wie lange ist sie gültig? Kann sie auch wieder weggenommen werden? Wer muss einen Pass besorgen? Was braucht man für eine Niederlassungserlaubnis, was für eine Einbürgerung?

Unsere Schulung gibt dazu Antworten und richtet sich an Geflüchtete sowie Menschen aus migrantischen Communties. Sie findet online via Zoom-Konferenz und auf Deutsch statt. Sie besteht aus einem Input und gibt anschließend Raum für Fragen. Die Schulung ist kostenlos und Vorwissen ist nicht nötig!

Mehr Infos dazu!

[1] Eine Vorgriffsregelung, um Menschen vor möglichen Abschiebungen zu schützen, haben bereits Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bremen eingeführt.

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