PM Fantasiepapiere in Sachsen: Seit drei Jahren ohne Rechtsgrundlage – Betroffene über 12 Monate ohne Ausweisdokument

Abgelehnten Asylbewerber*innen wird in jedem anderen Bundesland mindestens eine Duldung ausgehändigt – doch von sächsischen Behörden erhalten sie des Öfteren lediglich ein bedrucktes DIN A4-Blatt. Als Grundlage für dieses Fantasiepapier existiert kein Gesetz, sondern ein Erlass aus dem Jahr 2018 des sächsischen Innenministeriums. Der rechtliche Alleingang des Sächsischen Innenministeriums ist ein Skandal, zumal selbst die Vorgaben des Erlasses nicht eingehalten werden.

Der offizielle Name des Fantasiepapiers lautet: „Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument“. Bei der Ausstellung des Papieres erhalten Betroffene ein Ausweisdokument, das gar keines ist. Bei Personenkontrollen durch die Polizei wäre es gar nicht zur Ausweisung fähig, dies ist explizit auf den Papieren vermerkt. Meist geht die Ausstellung mit einer Aufenthaltsbeschränkung und einem Arbeitsverbot einher.

„Es ist tragisch, wie schutzsuchende Menschen in Sachsen auf unbestimmte Zeit in rechtslosem Zustand, der eine totale soziale Exklusion sowie enorme psychische Belastungen mit sich führt, verharren müssen. Völlig Absurd dabei, dass das Papier keinerlei Gesetzesgrundlage hat und so im wahrsten Sinne des Wortes eine abwegige Fantasie des Sächsischen Innenministeriums ist. Auch im Sinne des Erlasses, stellt das Papier keine Lösung dar: für Zeiten der Prüfung der Möglichkeit einer Abschiebung wäre es unerheblich, wenn die Menschen nach bundesgesetzlichem Mindestmaß eine Duldung bekommen würden, damit ihnen zumindest eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich wird.“, kommentiert Kristian Garthus-Niegel, SFR-Mitarbeiter im Projekt RESQUE continued.

Laut dem Erlass sollen die Dokumente für maximal drei bis vier Monate ausgestellt werden. In einer internen Auswertung von 22 Personen, die im Besitz der Bescheinigung sind, waren allerdings acht Personen länger in Besitz des Papiers. So erhielt Ali S. bereits im Dezember 2019 ein Fantasiepapier und muss sich bis heute damit ausweisen. Die Begründung dafür ist wahnwitzig, denn Ali S. kam nur seinen Mitwirkungspflichten nach und reichte seinen pakistanischen Reisepass nach. Dafür entfielen für die Ausländerbehörde die Duldungsgründe. Dabei legen Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht (Wie ein Urteil aus dem Jahr 2003 festlegt) eindeutig fest: es besteht die Pflicht abgelehnten Asylbewerber*innen mindestens eine Duldung auszustellen.

Mit der Ausstellung des Fantasiepapiers erhielt Herr S. auch ein Arbeitsverbot, obwohl er als Pflegehelfer beim Arbeitgeber in Moritzburg sehr beliebt war: „Er hatte sowohl zu Bewohnern, aber auch den Kollegen ein sehr gutes Verhältnis. Er wurde von allen gemocht und respektiert. Seit Herr S. im Februar 2019 unsere Einrichtung verlassen musste, fragen Bewohner und Angehörige oft nach ihm. Es ist deutlich spürbar, dass die Bewohner ihn vermissen.“, so die Heimleitung. „Es ist unbegreiflich, dass Menschen hierzulande, die die Sprache gelernt haben in einem Mangelberuf tätig sind, noch bestraft werden. Herr S. leidet stark darunter, dass er keine Perspektive mehr hat und befindet sich nach drei Suizidversuchen aktuell in psychiatrischer Behandlung. Hätte er eine Arbeitserlaubnis behalten können, wäre sowohl Heimleitung als auch er selbst zufrieden.“, so Garthus-Niegel. Tatsächlich scheinen Behörden in Sachsen am Zermürben der Betroffenen interessiert, bis diese „freiwillig ausreisen“. Individuelle Hindernisse einer Rückkehr genauso wie Integrationsleistung spielen hier keine Rolle.

Familie K. könnte sich eine Zukunft hierzulande aufbauen, doch das Fantasiepapier der Mutter verhindert eine Berufstätigkeit. Foto: privat

Dies zeigt auch der nächste Fall, in dem eindeutig gegen die zeitlichen Vorgaben des Erlasses verstoßen wurde. Miriami K. kommt aus Georgien und wohnt mit ihrem Mann und den drei Kindern in Olbernhau, das Jüngste wurde im Mai letzten Jahres in Deutschland geboren. Das Fantasiepapier erhielt sie bereits im Februar 2020, sodass sie bereits über 15 Monate im Besitz des Dokumentes ist. Frau K. ist sich der prekären Lage der Familie bewusst: „Wir sind extrem unruhig und haben jeden Tag Angst, seitdem wir von den Abschiebungen der anderen Familien aus Sachsen nach Georgien gehört haben.“

Trotz Beschäftigungsverbotes absolvierte Frau K. ein Praktikum in einer Bäckerei. Dabei war sie so erfolgreich und beliebt im Betrieb, dass für sie prompt ein Ausbildungsvertrag zum 01. Juli 2021 geschlossen wurde. Leider konnte sie diese Ausbildung nie antreten, weil die zuständige Behörde mit Ausstellung des Fantasiepapiers ein Beschäftigungsverbot erteilte. Dabei bestände für Miriami K. die unmittelbare Chance eine Ausbildungsduldung zu erhalten, ihren Aufenthalt zu sichern und in einem Handwerksberuf, der verzweifelt nach neuem Personal sucht, tätig zu sein.

Besonders paradox: Frau K. besuchte zuvor eine geförderte Maßnahme für den Berufseinstieg. „Die Bundesagentur für Arbeit organisierte ein Bewerbungstraining bei einem Bildungsträger. Mit dieser Unterstützung konnte ich dann tatsächlich eine Stelle finden, nur leider darf ich diese nicht antreten.“, erklärt Miriami K. Während eine staatliche Behörde also Hilfen der Arbeitsmarktintegration finanziert, verbietet die Ausländerbehörde ebendiese Tätigkeit. Das Fantasiepapier sorgt dabei für permanente Androhung einer Abschiebung, die aber offensichtlich ebenfalls nicht zeitnah durchgeführt werden kann – somit wird der angedachte Zweck des Papiers vollends verfehlt.

Im Fall von Familie K. setzt sich auch die Arbeitgeberin ein, die uns gestattet Ihr Unterstützungsschreiben anonymisiert zu veröffentlichen, dass an die lokale Ausländebehörde gerichtet ist:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

Beschäftigungswillige Zuwanderer, welche mit uns die Zukunft gestalten möchten und wir als Unternehmen, die sich einsetzen, den Zuwanderern eine Plattform einer fundierten Lehrausbildung anzubieten, stoßen immer wieder an Grenzen! Für uns ist dies nicht hinnehm- und vor allem nachvollziehbar! Frau K. war bereits in einem Praktikum in unserem Haus. Wir haben Sie als sehr engagierte Frau kennengelernt und deshalb bereits einen Lehrvertrag ab dem 01.07.2021 geschlossen.

Leider müssen wir heute wiederholt feststellen, dass alle Bemühungen den Fachkräftemangel, welcher sich in allen Bereichen unseres Landes bemerkbar macht, wirksam zu begegnen, immer wieder durch Beschränkungen ausgebremst wird! Der Lehrvertrag wurde bereits geschlossen und bei der Handwerkskammer eingereicht. Frau K. wurde im Filialbereich bereits eingeplant. Frau K. wurde bereits steuer- und sozialversicherungsrechtlich angemeldet. Sollte all das wiederholt umsonst sein? Wir bitten um zeitnahe Klärung, damit Frau K. in Deutschland arbeiten, leben und Ihre und die Zukunft Ihrer Familie in Ruhe, Zufriedenheit und zum Wohle unserer Gesellschaft gestalten kann. Das wäre meine Bitte an unsere Behörden!

Mit freundlichen Grüßen“

 

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