Newsletter 02/23: EU-Migrationsgipfel/Fall Mohammad K./Update zu Chancen-Aufenthalt/Unterbringung Sachsen

Innenministerium: Abschiebestopp für Geduldete mit Chance auf Aufenthaltsrecht

Es ist nicht weniger als eine Kehrtwende, die sich gerade in sächsischen Ausländerbehörden vollzieht. Das Sächsische Innenministerium (SMI) weist deren Mitarbeitende dazu an, in Duldung aktiv zu beraten, falls diese für das Chancenaufenthaltsrecht in Frage kommen. Weiter müssten sächsische Behörden davon absehen bei ebendiesen Personen Maßnahmen zur Abschiebung einzuleiten.

Laut einem Bericht des MDR hatte das SMI gestern konkrete Handlungsanweisungen an die Ausländerbehörden im Freistaat verteilt und orientiert sich damit an den Vorgaben des Bundes. Nach unseren Erkenntnissen setzen erste Behörden diese bereits um, woraufhin Geduldete von den Ausländerbehörden für eine Beratung zum Chancenaufenthaltsrecht kontaktiert wurden.

Da hierfür nur Personen in Frage kommen, die bis zum 31. Oktober 2022 ohne Unterbrechung seit fünf Jahren in Deutschland leben, besteht dennoch weiterhin die Gefahr von Abschiebungen. So geriet gestern kurzzeitig eine geduldete Person aus Pakistan in Abschiebehaft, weil sich diese kurzzeitig ein sogenanntes „Fantasiepapier“ erhielt. Zu ähnlichen Fällen hatte jedoch das Verwaltungsgericht Saarlouis bereits beschlossen, dass auch die Zeit, in der Menschen „Fantasiepapieren“ erhalten, als Vorduldungszeitraum anerkannt werden müssen.


Fall von Mohammad K.: Erstes Votum der Härtefallkommission fällt positiv aus

Mitglieder der Sächsischen Härtefallkommission haben in einer Abstimmung für den 26-jährigen votiert und ein Ersuchen um Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an das Sächsische Innenministerium gestellt, berichtet die Leipziger Volkszeitung.

Laut veröffentlichen Dokumenten des Verwaltungsgerichtes Leipzig sei „davon auszugehen, dass dem Antragsteller in absehbarer Zeit eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird“. Dies ist eine Erleichterung für alle Initiativen und Einzelpersonen, die Mohammad K. seit letztem Herbst unterstützt haben.

Rückblick: Am 13. September 2022 sollte Mohammad K. aus seiner Wohnung in der Leipziger Südvorstadt abgeschoben werden, in der er seit mehr als sieben Jahren in Deutschland lebt. Er sollte aus seinem bisherigen Leben gerissen werden – und das, obwohl er längst die deutsche Sprache beherrscht, sich hervorragend in eine Anstellung in einer Leipziger Bäckerei einfügen konnte und dort, wie auch von seinem weit verzweigten Freundeskreis, sehr geschätzt wurde. Er hatte sich also inzwischen als Teil der Leipziger Stadtgesellschaft eingelebt.

Als die Polizei seine Wohnung umstellte, demonstrierten nur wenige Meter weiter Dutzende dagegen. Später am Tag wurde er in die Abschiebehaftanstalt in Dresden verlegt; die Abschiebung rückte nah – bis sich die Härtefallkommission des Sächsischen Landtags meldete, den Fall prüfen zu wollen, damit die Abschiebung ausgesetzt und Mohammad aus der Abschiebehaft entlassen wurde.

Wut über die Kriminalisierung von Flüchtlingen in Europa (Borderline Europe)

Die Initiativen CPT Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V. und You can’t evict Solidarity rufen zur Solidarität auf für eine junge Frau, die sich wegen versuchter Selbsttötung vor einem griechischen Gericht verantworten muss. Die inzwischen in Deutschland lebende 29-jährige Frau zum damaligen Zeitpunkt hochschwanger, erlitt schwere Verbrennungen als sie versuchte, sich am 21. Februar 2021 im berüchtigten Lager Moria 2 auf der griechischen Insel Lesbos das Leben zu nehmen.

Nachdem sie mehr als fünf Monate, zusammen mit ihrem Mann und drei kleinen Kindern, unter desaströsen Bedingungen im Lager gelebt hatte, konnte die Familie mit anwaltlicher Hilfe nach Deutschland transferiert werden – doch die Frau und ihre Familie ist weiterhin schwer traumatisiert und leidet unter den Vorwürfen.

CPT Aegean Migrant Solidarity verurteilt die Kriminalisierung von Migrant*innen durch die griechischen Behörden aufs Schärfste und weist darauf hin, dass der wegen Selbstmordversuch einer Person nach dem griechischen Strafgesetzbuch nicht strafbar ist. Im gestrigen Urteil wurde die Betroffene dennoch zu 15 Monaten auf Bewährung für 3 Jahre verurteilt.

Die eingangs erwähnten Initiativen solidarisieren sich mit der Familie und fordern den griechischen Staat und die EU auf, Verantwortung für die unmenschlichen Bedingungen in den Lagern zu übernehmen, die Kriminalisierung von Migrant*innen und die Isolation von Menschen an den Außengrenzen der EU zu beenden.

Drei Stimmen aus der Presse:

Erdbeben verschärft humanitäre Krise in Syrien und Türkei (UNHCR)

Das verheerende Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze traf ein Gebiet, in dem Millionen von Geflüchteten leben, die bereits zuvor mit katastrophalen Umständen zu kämpfen hatten.

Nach dem Erdbeben der Stärke 7,8 haben verschiedene Länder einenSpendenaufruf gestartet, um das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zu unterstützen und den von den tödlichen Beben betroffenen Menschen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen.  

Nach Angaben des UNHCR ist dies ein absolutes Desaster für Schutzsuchende in Syrien: „Geflüchtete Menschen in Syrien leiden bereits unter der dortigen Wirtschaftskrise. Wir befinden uns im tiefsten Winter. Wir haben Schneestürme erlebt. Und natürlich dauert der Krieg in Syrien selbst schon seit über einem Jahrzehnt an“, so Matthew Saltmarsh, Sprecher des UNHCR. Berichten zufolge wurden bei dem tragischen Erdbeben mehr als 20.000 Menschen getötet und zehntausende Menschen verletzt.

„So könnte die Unterbringung von Flüchtlingen in Sachsen gelingen“ (Sächsische Zeitung)

Landrat Dirk Neubauer aus Mittelsachsen zeigt, wie das nachhaltige Schaffen von Unterbringungskapazitäten für Geflüchtete aussehen kann. Mittelsachsen will Wohnraum für 500 Geflüchtete bauen. Sofern diese auch als eigenständige Wohnungen vorgesehen sind, könnte sich der Landkreis hier zum Vorreiter einer nachhaltigen und menschenwürdigen Unterbringung entpuppen.

Neubauer führt unter anderem an, private Anbieter von Immobilien würden teils horrende Summen für die Anmietung durch die Kommune verlangen, denn teilweise sei die Anmietung aufgrund fehlender Kapazitäten alternativlos. Mit dem Bau eigener Unterkünfte könnte der Landkreis demnach auch dem starken Abschöpfen von Profit durch Privatanbieter einen Riegel vorschieben.

Bisher fahren Kommunen und Land Kapazitäten der Unterbringung recht kurzfristig hoch- und herunter. Jedes Mal ist die Überraschung bei (eigentlich prognostizierbaren) höheren Ankunftszahlen hoch. Es bleibt zu hoffen, dass sich andere Landkreise an Mittelsachsen ein Beispiel nehmen. Denn würdevolle Unterbringung ist elementar, um sich in seinem Umfeld wohlzufühlen und in Sachsen anzukommen.

EU-Sondergipfel Migration: Mehr Grenzschutz und Abschiebungen (taz)

Der bevorstehende EU-Migrationsgipfel wirft bereits im Vorfeld bedrohliche Schatten und plant zahlreiche Verschärfungen im Asylrecht. Geplant ist unter anderem eine verstärkte Kooperation mit der libyschen Küstenwache, die 59 Millionen Euro Direktzahlungen erhalten soll. Da die Küstenwache Libyens zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hat und kaum zu kontrollieren ist, wer dort tatsächlich aktiv ist, führt die intensivierte Abschottungspolitik der EU zum Verlust humanitärer Standards im Umgang mit Schutzsuchenden.

Mit ca. 330.000 Grenzübertritten in die EU für das Jahr 2022 fand ein Anstieg von 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr statt. Deswegen plant Kommissionspräsidentin von der Leyen auch ein Pilotprojekt zwischen Bulgarien und der Türkei. Die dortige Grenze soll mit Drohnen und mehr Frontex-Personal weiter abgeschottet werden. Um Abschiebungen zu erleichtern wird eine engere Kooperation mit Staaten wie Ägypten, Tunesien, Marokko Nigeria, Bangladesch und Pakistan forciert. Unterstützung erhält der aktuelle Kurs der EU durch die schwedische Ratspräsidentschaft – in welcher die neu gewählte schwedische Regierung aus dem rechten Lager Spuren hinterlässt.

Auch aus Deutschland mehren sich migrationsfeindliche Tendenzen auf EU-Ebene: FDP-Politiker Joachim Stamp machte unlängst den bereits mehrfach abgelehnten Vorschlag, die Asylverfahren der EU in nordafrikanische Staaten auszulagern. Pro Asyl kritisiert die Vorschläge scharf, da dieses Modell einerseits sehr wahrscheinlich zu Menschenrechtsverletzungen in den damit zuständig gemachten Staaten führen würde und außerdem gegen europäisches Recht verstoße, denn allen Antragstellenden sollte ein faires Asylverfahren in der EU zugesichert werden.

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