Unternehmen und Berufsverbände fordern: Migration als Chance begreifen – Auch für Sachsens Arbeitsmarkt

Migration ist ein Thema, das häufig negativ diskutiert wird. Auch im Moment erleben wir in Sachsen eine einseitige Debatte, die finanzielle wie gesellschaftliche Belastungen in den Vordergrund rückt. Dabei ist Migration Wurzel der menschlichen Geschichte und bietet Chancen für Austausch und der Weiterentwicklung. Für den Arbeitsmarkt in Sachsen ist sie sogar eine Notwendigkeit. Zahlreiche Betriebe und Verbände haben dies bereits erkannt und können von Erfolgen der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten berichten.

Zunächst muss klargestellt werden, dass der Wert und der Schutzbedarf von Menschen nie an ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit gemessen werden darf. Viele Geflüchtete haben Traumatisches erlebt und brauchen entsprechend Zeit anzukommen. In unserer langjährigen Erfahrung mit Schutzsuchenden hören wir aber in der Beratung als erste Frage immer wieder: „Wo finde ich schnell eine Arbeit?“

Eigentlich dürften die Schutzsuchenden in Sachsen genau richtig sein: aktuellen Prognosen des Sächsischen Wirtschaftsministeriums zufolge werden bis 2030 etwa 150.000 erwerbsfähige Menschen in Sachsen fehlen. Dies ist auf eine alte Bevölkerungsstruktur und zu geringe Geburtenrate zurückzuführen. Integration von Geflüchteten und anderen Zuwanderern kann hier dazu beitragen, diese Lücke zu füllen und den Arbeitsmarkt zu stärken.

Zahlreiche Unternehmen bereits auf Geflüchtete angewiesen

Unternehmen wie Fahrrad XXL Emporon GmbH & Co. KG. haben dies bereits erkannt. Geschäftsführer Hamidreza Ameli erklärt: „Seit 2015 arbeiten geflüchtete Menschen im Unternehmen. Aktuell machen diese 40 Personen ca. 12% unseres gesamten Teams aus. Dadurch, dass wir uns als Unternehmen für die Arbeit mit Geflüchteten geöffnet haben, konnten und können wir viele Stellen schnell besetzen und somit dem Fachkräftemangel entgegenwirken.“

Gerade im Pflegesektor wird dringend Personal benötigt. Michael Junge, Pflegedirektor des Diakonissenkrankenhauses Dresden & des Krankenhauses Emmaus Niesky macht deutlich: „Im Pflegedienst unserer Krankenhäuser freuen wir uns über die Integration Geflüchteter. Mehrfach haben wir bereits Geflüchtete durch Praktika und anschließende Ausbildung erfolgreich integrieren können. Basierend auf unserem christlichen Menschenbild ist die Integration und Unterstützung von Geflüchteten für uns selbstverständlicher Bestandteil unserer Arbeit.“

Migration ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern bleibt stetige Realität der globalisierten Welt, die von der Politik organisiert werden muss. „Der Zugang zu Sprachkursen ist hier genauso wichtig wie Maßnahmen der Qualifizierung, um vorhandenes Potential besser zu nutzen.“, so Dr. Kristian Garthus-Niegel vom Projekt RESQUE forward.

Sichtbare Erfolge der Arbeitsmarkintegration Geflüchteter seit 2015

Seit 2015 wurden bereits viele Erfolge erzielt, über 55 Prozent der Menschen, die damals nach Deutschland flohen sind bereits in Beschäftigung. Auch Handwerksbetriebe in Sachsen haben Menschen nach der Flucht erfolgreich ausgebildet und sie dann in Beschäftigungsverhältnisse als Fachkräfte fest übernommen. Insbesondere in der Gastronomie und im Pflegesektor sind Migranten und Migrantinnen ein wichtiger Faktor, um systemische Abläufe zu sichern und die Arbeitsplätze in diesen Bereichen zu besetzen.

Herr Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden erklärt: „Im Handwerk zählt nicht, wo man herkommt. Sondern wo man hinwill. In Anbetracht des Fachkräftebedarfs im Handwerk sind auch Geflüchtete als Auszubildende und Beschäftigte willkommen.“ Lukas Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden, zeigt sich erfreut, dass sich die Zahl ausländischer Beschäftigter in sächsischen Unternehmen seit 2015 mehr als verdoppelt hat: „Ein Zeichen dafür, dass immer mehr Betriebe erkennen, dass Vielfalt in den Belegschaften, Weltoffenheit und Toleranz den Arbeitsalltag nicht nur bereichern können, sondern letztlich Garant für künftigen unternehmerischen Erfolg sein werden.“

Sachsen braucht Zuwanderung – Positiverfahrungen sichtbar machen

Vielfalt in der Belegschaft kann dazu beitragen, dass neue Ideen und Lösungsansätze entstehen. Hierfür ist es ist wichtig, einen Erfahrungsaustausch herzustellen zwischen Betrieben, die bereits erfolgreich Menschen nach der Flucht eingestellt haben. Die F.A.I.R.E. Warenhandels eG aus Sachsen sagt dazu: „Wir haben seit 2016 Geflüchtete erfolgreich in unserem Unternehmen ausgebildet und aufgenommen. Unser Kollege Ahmed Al Gburi ist zB aus dem Irak geflohen und seit 2018 im Team. Wir profitieren von seiner hohen Motivation und für Herrn Al Gburi ist es die Chance sich bei uns eine Perspektive aufzubauen. Es hat sich als win-win-Situation erwiesen.“

Auch Katrin Fischer vom Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen e.V.“, der insgesamt 80 Sächsische Mitgliedsbetriebe hat, organisiert genau solche Erfahrungsaustausche in den Regionen vor Ort. So hat der Verein zum Beispiel gemeinsam mit Bienvenue Borna e.V. einen festen Austausch von Unternehmer*innen im Landkreis Leipzig installiert. „Gerade kleine Mittelständler freuen sich riesig über dieses Angebot. Längst nicht mehr stellen sie den unternehmerischen Mehrwert des interkulturellen Miteinanders in Frage. Ihre Neugier und ihr Wunsch nach Informationsaustausch ist darauf fokussiert, wie die Integration am besten gelingen kann.“

Wie dies bereits in der Praxis funktionieren kann, beweist das Unternehmen der Siltronic AG in Freiberg. Standortleiter Dr. Christian Heedt erklärt: „Siltronic ist ein international tätiges Unternehmen. An unseren deutschen Standorten beschäftigen wir Mitarbeitende aus 39 Nationen. Die damit einhergehenden unterschiedlichen Fähigkeiten und Talente in unserer Belegschaft erleben wir täglich als Gewinn. Sie eröffnen uns zahlreiche Chancen für innovative und kreative Lösungen.“

Auch die Firma acs Systemhaus GmbH aus Glaubitz hat seit 2016 erfolgreich Geflüchtete in den Betrieb integrieren können: „Ein Mitarbeiter ist z. B. als staatenloser Palästinenser aus dem Libanon geflohen. Nach seiner erfolgreichen Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung ist er bei uns geblieben und nun als Softwareentwickler für uns tätig. Wir profitieren von seiner hohen Motivation und für ihn ist es die Chance, sich bei uns eine Perspektive aufzubauen. Gerade für Unternehmen im ländlichen Raum bietet die Arbeit mit Geflüchteten die Chance zu Gewinnung dringend benötigter Fachkräfte.“

Da wo Arbeitskräfte fehlen, wird bereits jetzt auf Zuwanderung gesetzt. Dr. Ralf Schönherr, Kaufmännischer Vorstand der Ev.-Luth. Diakonissenanstalt Dresden sagt: „Mit 1.500 Beschäftigten gehört die Diakonissenanstalt Dresden zu den größten diakonischen Unternehmen Sachsens. Für unsere zahlreichen Einrichtungen im Gesundheits- und im sozialem Sektor ist die Suche nach motivierten Arbeitskräften eine stetige Herausforderung. Diversität – auch hinsichtlich der Herkunft – erleben wir dabei als Bereicherung.“ Schönherr macht deutlich, dass neben der Arbeitsmarktintegration eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung zum Schutz der Geflüchteten besteht: „Darüber hinaus ist es nach unserem christlich-humanistischen Leitbild selbstverständlich, dass schutzsuchende Menschen in Deutschland Hilfe erhalten.“

 

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Bildquellen

  • FXXL_2: Fahrrad XXL Emporon
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