Newsletter 03/23: Aktuelle Zahlen zu Asyl | Abschiebung Russischer Dissident | Rekord-Schutzquote in 2022 | LSVD bilanziert Reform

Aktuelle Zahlen zu Asyl und Flucht in Sachsen

Auch im Jahr 2022 zeigen die Daten, dass die Situation für Asylsuchende in Sachsen in vielen Bereichen stagniert oder sich sogar verschlechtert. Im Bereich der Unterbringung wird deutlich, dass die Tendenz zur dezentralen Unterbringung weiter abnimmt. Den deutlichsten Rückgang verzeichnet Dresden: hier sank die Quote innerhalb eines Jahres von 84,2 Prozent auf 73,67 Prozent. In Nordsachsen sank sie gar um 15 Punkte auf 55,9 Prozent.

Lediglich die Stadt Leipzig und die Landkreise Görlitz und Leipzig konnten ihre Unterbringungsquote erhöhen. Bautzen bleibt hier weiter Schlusslicht – nur 21,6 Prozent der Menschen sind dort dezentral untergebracht. Nach allem, was aus dem Landratsamt Bautzen zu hören ist, besteht auch keinerlei politischer Wille, das zu ändern. Zu begrüßen ist der Vorschlag des mittelsächsischen Landrates Dirk Neubauer (parteilos), neu gebaute dezentrale Unterkünfte bei Unterbelegung auch als Sozialwohnungen anzubieten.

Die Zahl der Abschiebungen aus Sachsen ist im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 605 Personen abgeschoben, während im Jahr 2022 noch 504 Abschiebungen stattfanden. Erneut kam es dabei zu sieben Familientrennungen. Trotz der Ankündigung der Landesregierung im Leitfaden zur Abschiebepraxis erfolgt weiter ein grundgesetzwidriges Vorgehen (Artikel 6: Schutz der Familie), welches leider auch in 2023 mehrfach bei Abschiebungen nach Georgien beobachtet wurde.

Eine negative Entwicklung deutet sich in der Härtefallkommission an: 2022 lehnte der neue Innenminister Schuster (CDU) vier Ersuchen ab, während die Kommission nur noch 31 Fälle beriet und für 25 Fälle den Minister ersuchte. Im Jahr 2022 wurde somit nur noch 21 Fällen stattgegeben, wodurch ein deutlicher Abwärtstrend erkennbar ist. Im Vergleich dazu erfolgten im Jahr 2019 noch 72 Beratungen, 50 Ersuchen und 49 Stattgaben.

Alle weiteren Daten und Grafiken im Bereich Asyl/Migration sind HIER abrufbar

Diskussion zur Aufnahme von Schutzsuchenden in Sachsen

Im Freistaat ist die Diskussion um die Aufnahme von Geflüchteten in den letzten Wochen erneut von migrationsfeindlicher Stimmungsmache geprägt. So haben nach zahlreichen rassistischen Protesten in Rochlitz, Naunhof, Bautzen, Strelln, Dresden-Sporbitz, Chemnitz-Einsiedel usw. zahlreiche Politiker*innen der Kommunen erklärt, sie können keine Geflüchteten unterbringen. Neben dem tatsächlichen Mangel an Kapazitäten mangelt es hier auch am politischen Willen.

Xenophober Hetze auf den Straßen folgen nun, wie in Dresden zu beobachten, erste Konsequenzen politischer Art. In zwei Stadtteilen haben hier AfD und CDU gemeinsam gegen geplante Unterkünfte für Schutzsuchende gestimmt. Somit erfolgt sukzessive die Aufweichung der Brandmauer nach Rechtsaußen durch die sächsische CDU, die bereits im Dezember in Bautzen gemeinsam mit der AfD die Kürzung von Leistungen für Geduldete beschließen wollte.

Eine bedenkliche Entwicklung, der sich aber auch sächsische Abgeordnete und Teile der Zivilgesellschaft entgegenstellen. Die Linksfraktion veröffentlichte einen Appell, der u.a. an Möglichkeiten der Unterbringung für Schutzsuchende durch vorhandenen Leerstand im Freistaat erinnert und sagt „Sachsen profitiert von Zuwanderung.“ In eine ähnliche Richtung geht eine Veranstaltung der Grünen kommenden Mittwoch in Leipzig, die mit Blick auf den sächsischen Arbeitsmarkt erklärt „Sachsen braucht Zuwanderung“.

 

Premiere von „Sara Mardini: Gegen den Strom“ in Leipzig

Am zweiten April fand die ausverkaufte Premiere des Dokumentarfilms „Gegen den Strom“ von Charly Wai Feldman in Leipzig statt, welche wir gemeinsam mit Amnesty International, Seebrücke Leipzig und der Weiterdenken-Stiftung präsentieren konnten. Der Film erzählt die Geschichte der ehemaligen Leistungsschwimmerin Sara Mardini aus Syrien, die 2015 auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer Schiffbruch erlitt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Yusra Mardini zog sie das defekte Boot schwimmend ans rettende Ufer in Griechenland. Sie erhielt für ihr zivilgesellschaftliches Engagement zahlreiche Preise, u.a. in Deutschland einen Bambi für Zivilcourage. Von der heroisierten Geflüchteten zur Angeklagten in Athen dauerte es nur wenige Jahre.

Sara Mardini, Seàn Binder und weitere Aktivist*innen wurden im August 2018 in Griechenland festgenommen, als sie auf Lesvos Menschen versorgten und aus dem Meer retteten. Die griechischen Behörden beschuldigten sie der Beihilfe zur „illegalen Einreise, Geldwäsche, Spionage und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“ – es drohen 20 Jahre Haft.

In der anschließenden Diskussion zum Film machten Mardini und Binder deutlich wie sehr die aktuelle Asylpolitik der EU ihren humanitären Grundwerten widerspricht: „Manche nennen uns Helden, andere Verbrecher. Aber was wir getan haben, war Menschen in Not das Leben zu retten. Die ständige Kriminalisierung dieser Hilfe lässt sie zu etwas Außergewöhnlichem werden, dabei war es einfach nur normal. Etwas, dass wir alle tun sollten.“, so Seàn Binder.

Bilanz nach sechs Monaten Abschaffung der Diskretionsprognosen (LSVD)

Der LSVD hat sechs Monate nach der Abschaffung der Diskretionsprognosen im Asylverfahren eine positive Bilanz gezogen. Die Prognosen wurden zuvor häufig als Argument gegen die Gewährung von Schutz genutzt. Behörden erklärten, dass Personen, denen Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung droht, wenig Gefahr zu erwarten haben, wenn sie diese nicht in der Öffentlichkeit ausleben.

Diese offensichtliche Diskriminierung von queeren Geflüchteten wurde folgerichtig abgeschafft. Der LSVD begrüßt die Reformierung und die bisherige Entwicklung: „Wir freuen uns, dass die Dienstanweisung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Themenbereich sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität grundlegend geändert wurde. Die letzten Monate haben gezeigt, dass sich mit der neuen Anweisung auch die Entscheidungspraxis in Asylverfahren ändert.“

Drei Stimmen aus der Presse:

1. Seit Januar 441 Geflüchtete tot im Mittelmeer (ZDF)

Bis zum 11. April sind insgesamt 441 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer gestorben. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) gab es in den ersten drei Monaten in 2022 bereits mehr Todesfälle als im gleichen Zeitraum in den vergangenen sechs Jahren. Allein im März 2023 starben mindestens 189 Menschen, die meisten von ihnen bei zwei Schiffbrüchen. Die Mehrheit der Schutzsuchenden kommen dabei aus Ländern wie Libyen, Tunesien und Algerien.

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 10.327 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer von europäischen Seenotrettungskräften gerettet. Ein Jahr zuvor wurden noch rund 20.000 Menschen gerettet.  Wird Seenotrettung weiter kriminalisiert und gleichzeitig staatliche Rettung im Mittelmeer reduziert, bleiben mehr Boote unbestimmte Zeit auf See. Eine Abkehr dieser Katastrophe ist also nur möglich, wenn die EU sich ihrer humanitären Ausrichtung erinnert. Bis dahin bleibt das Mittelmeer die tödlichste Fluchtroute weltweit.

2. Russischer Dissident aus Sachsen abgeschoben: Druck auf Faeser in Fall Dolgov (taz)

2013 macht Roman Dolgov bei Greenpeace mit einer Aktion auf die Zerstörung der Arktis durch Gazprom aufmerksam – eine folgenschwere Entscheidung. Er flieht jahrelang vor der Verfolgung durch russische Behörden und pendelt dabei zwischen Russland, Schweden und Deutschland. Da seine Familie im Erzgebirge lebt, reist er 2022 mit einem Schengen-Visa nach Sachsen.

Ende März wird er abgeschoben, weil das BAMF laut Dublin-Verordnung Schweden für die Zuständigkeit seines Asylverfahrens erklärt. Dolgov selbst beschreibt, dass die Abschiebung nach dem „schlimmsten Szenario“ ablief. „Alle Menschen, die vor Putins Regime fliehen, sollten den gleichen uneingeschränkten Schutzstatus in Deutschland erhalten. Das gilt für Schutzsuchende aus Syrien und natürlich auch für politisch Verfolgte aus Russland!“, kritisiert Anwalt Leo Matthias Waltermann aus Chemnitz. Für ihn haben die Behörden formal richtig, aber inhaltlich falsch gehandelt, da Dolgov gemeinsam mit seiner Familie in Sachsen leben will.

Mit der Abschiebung wurde Dolgov nicht nur von der Familie getrennt, die seit Jahren im Erzgebirge lebt, sondern er fehlt nun auch einer Schule als Lehrkraft. Dolgov unterrichtete zuvor als Honorarkraft ukrainische Kinder in Englisch. Der Vorgang bleibt Skandal, der hoffentlich keine Signalwirkung erzielt, denn alle russischen Dissident*innen haben bedingungslosen Schutz in Europa verdient! Innenministerin Nancy Faeser sollte daher dem Rückholgesuch des sächsischen Abgeordneten und Parteikollegen Frank Richter (SPD) entsprechen.

3. Von wegen Illegal: Asyl-Schutzquote erreicht 2022 Rekordniveau (Migazin)

Trotz gegenteiliger Behauptungen erhalten immer mehr Asylbewerber*innen einen Schutzstatus in Deutschland. 72,3 Prozent aller Menschen, die in 2022 Asylanträge stellten, erhielten anschließend das Recht auf einen Aufenthaltstitel. (Hierbei wurde die bereinigte Schutzquote verwendet, da diese im Vergleich zu Daten der Behörden alle Fälle einbezieht, wo tatsächlich eine inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe erfolgte. Mehr dazu hier.)

Diese Schutzquote zeigt klar: die Situation in den Herkunftsstaaten ist noch dramatischer und nach Deutschland fliehende Menschen haben legitime Gründe dafür. Insbesondere bei den beiden Hauptherkunftsländern Syrien und Afghanistan fielen die Schutzquoten hoch aus: Laut BAMF wurden für diese Länder Schutzquoten von 90,3 Prozent und 83,5 Prozent verzeichnet. Bei der bereinigten Schutzquote lag die Schutzquote für diese Staaten nahezu bei 100 Prozent.

Veranstaltungen:

17.04. – 30.04. | 19 Uhr | Eröffnung Ausstellung „10 views on migration“ | Ort: Hole of Fame, Königsbrücker Str. 39, 01099 Dresden

„10 views on migration“ präsentiert zehn Kurzfilme mit eindrücklichen Perspektiven afrikanischer Filmemacher*innen zum Thema Migration in und außerhalb des Kontinents. Der Fokus liegt dabei auf Erfahrungen, die im Mainstream europäischer Berichterstattung selten erzählt werden. Zur Eröffnung der Ausstellung am 17. April werden auch der international ausgezeichnete Regisseur Abou Bakar Sidibé für ein kurzes Gespräch und Steven Hummel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung anwesend sein, welche die Ausstellung initiierte. Moderation erfolgt durch Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Mehr Information HIER

18.04. | 10 – 15 Uhr | QuBe-Schulung: Vom Ankommen bis zur Entscheidung – Das Asylverfahren | Online

Die Schulung vermittelt detaillierte Kenntnisse über die einzelnen Verfahrensschritte und gesetzlichen Regelungen von der Einreise bis zur Entscheidung über den Asylantrag und befähigt hauptamtliche Unterstützer*innen zu einer kompetenten Beratung von Geflüchteten im Asylverfahren.

Die Fortbildung richtet sich an hauptamtlich in der Arbeit mit Geflüchteten Tätige. Vorwissen ist von Vorteil, aber nicht Voraussetzung. Die Veranstaltung ist kostenfrei und findet online via Zoom statt. Anmeldungen bitte hier

19.04. | 16 – 18 Uhr | Vortrag: Haft ohne Strafttat – Abschiebehaft geht alle an! (Im Rahmen der Kritischen Einführungstage) | Ort: TU Dresden, Potthoff-Bau: Hettnerstr. 1 01069 Dresden, Erdgeschoss, Raum 6

Was genau ist Abschiebehaft? Wer ist davon betroffen? Mitglieder der Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden wollen euch in dieser Infoveranstaltung einen ersten Einblick in die rechtlichen Grundlagen der Abschiebehaft in Deutschland geben und Euch den Haftalltag und die Folgen für die Betroffenen näherbringen.

21.04. | 17 – 19 Uhr | Grundlagenschulung Beratung in Abschiebehaft UND
22.04. | 10 – 14 Uhr | Aufbauschulung Beratung in Abschiebhaft |
Ort: Betriebsküche, Berliner Straße 63a Dresden

Bitte Anmeldung unter: kontakt@abschiebehaftkontaktgruppe.de

Die Fortbildung ist kostenlos. Um Spenden wird gebeten.

Die Schulungen sind für Menschen, die sich vorstellen können, in der Abschiebehaft zu beraten – aber auch für Interessierte und Multiplikator*innen: Für Menschen, die im Bereich Asyl & Migration aktiv sind, die potentiell Betroffene Menschen kennen, Fachkräfte der Geflüchtetensozialarbeit etc.

 

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